[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Lernen

Das Lernen bereitet größere und nachhaltigere Freude als irgendeine andere Fähigkeit,
weil es der Jagd gleicht, einer Falken-, Balz- oder Hetzjagd.
John Locke

 

Diese Zusammenstellung von Arbeitsblättern gibt einen grundlegenden Überblick über die psychologische Perspektive auf menschliches Lernen. Lernen umfasst nach Lefrancois (1994, S. 3f) alle Verhaltensänderungen, die aufgrund von Erfahrungen zustandekommen. Solche Änderungen schließen nicht nur die Aneignung neuer Informationen ein, sondern auch die Veränderungen des Verhaltens, deren Ursachen unbekannt sind. Ausgeschlossen sind in dieser Definition Veränderungen, die auf Grund von Reifevorgängen, künstlichen Änderungen wie durch Drogen, oder vorübergehenden Veränderungen etwa durch Ermüdung, entstehen. Lernen bedeutet daher nicht nur das Aneignen von Wissen, sondern auf den Punkt gebracht: Leben ist Lernen. So muss das Gehirn eines Neugeborenen regelrecht Sehen lernen, indem die Nervenzellen zunächst auf Licht und Schatten, Kanten und Konturen, senkrechte oder waagrechte Striche, auf Punkte und Kreise reagieren. Erst im Laufe der Monate bekommen diese registrierten Merkmale auch eine Bedeutung. Fast nichts ist angeboren und ohne Übung (=Lernen) würde ein Kleinkind niemals eines Tages Krabbeln, Sitzen und aufrecht gehen können. Darüber hinaus erlernt ein Kind im wahrsten Sinne des Worte auch seine Persönlichkeit und später seine Weltanschauung, wobei zunächst Erwachsene, zumeist die Eltern, das Vorbild sind. Kinder werden also das, was sie von anderen lernen. Ab etwa vier Jahren weiß ein Kind, dass ein anderer Mensch ein anderes Wissen hat, als es selbst ("Theory of Mind"), womit die Fähigkeit verbunden ist, sich in andere Menschen einzufühlen, aber auch zu lügen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.

Es gibt Menschen aber auch Tiere, die manches leichter lernen als andere, denn viele Lebewesen sind für spezielle Lernbegabungen genetisch prädisponiert. Das rührt daher, dass sich das Gehirn nur in der Interaktion mit der Umwelt entwickeln kann, d.h., es verfügt über einprogrammierte Erwartungen, etwa dass es z.B. einmal einer Sprache ausgesetzt sein wird oder dass es bald nach der Geburt Gerüche oder Gesichter identifizieren können muss. Schon beim Neugeborenen finden sich angeborene Verschaltungen für das Erkennen von Raum, Zeit und auch so formaler Merkmale wie Kausalität. Darauf baut in der Folge das lebenslange Lernen auf, wobei die Neuronennetze in gewissen Bandbreiten veränderbar bleiben und neu gebildete Nervenverknüpfungen die Kapazität des Gehirns erhöhen, auch wenn diese generelle Fähigkeit zur Neuordnung mit dem Alter allmählich abnimmt. Menschen lernen permanent und meist unbewusst (siehe dazu implizites oder latentes Lernen) und mit jeder neuen Wahrnehmung verändert sich das Nervengeflecht. Diese sich allmählich vorgenommene Strukturierung und Neustrukturierung gibt dann vor, wie Menschen ihre Umwelt in Zukunft erfahren werden, d.h., sie schafft eine für jeden Menschen charakteristische Erwartungshaltung, mit der sein Gehirn dann an die Umwelt herangeht.

Lernen aus neuro-biologischer Sicht geht davon aus, dass sich das Gehirn aus Milliarden von Nervenzellen zusammensetzt, die sich im Gehirn in unterschiedlicher Weise gruppieren. Diese Nervenzellen kommunizieren miteinander. „Nervenzellen empfangen, verarbeiten und produzieren Aktionspotenziale, d.h. elektrische Impulse, die Information repräsentieren“ (Spitzer 2007, S. 171). Jede sinnliche Erfahrung wird in solche Impulse im Gehirn umgesetzt. „Ein Aktionspotenzial (…) gelangt zu einem anderen Neuron über eine Synapse. Beim Eintreffen eines Impulses wird an dieser Kontaktstelle zwischen Nervenzellen ein Neurotransmitter ausgeschüttet, wodurch dann das nächste Neuron erregt wird. Der Witz daran ist, dass sich Synapsen durch diesen Gebrauch ändern. Laufen viele Impulse über eine Synapse, wächst sie und leitet den Impuls stärker weiter. Läuft nichts darüber, wird sie kleiner und verschwindet schließlich. Die Hardware Gehirn ändert sich also beständig in Abhängigkeit von der Software-Erfahrung, die auf ihr läuft. Man bezeichnet dies als Neuroplastizität“ (Spitzer 2007, S. 174). „Die Wiederholung ist die Mutter des Lernens“ (Spitzer 2007, S. 178). Lernen ist daher auf physiologischer Ebene als die Verstärkung der Kontaktstellen (Synapsen) zwischen Neuronen (Gehirnzellen) und Nervenfasern durch wiederholte impulsauslösende Erfahrungen definiert, wobei durch Ähnlichkeit und Häufigkeit dieser Impulse die Anzahl der für eine Fähigkeit zuständigen Neuronen größer wird, ohne dass das Gesamtvolumen des Gehirns größer wird. Lernen ist daher eine Veränderung der Feinstruktur des Gehirns durch die Gesamtheit der Erfahrungen.

Übrigens: Der Mensch kann nicht nicht lernen.

Bedeutsam für Lernprozesse ist, dass die Beteiligten Emotionen von erheblicher Bedeutung für Art und Qualität der Lernprozesse ist. „Wer Angst hat, ist nicht mehr kreativ. Wenn ein neutraler Inhalt unter Angst abgespeichert wird, dann wird er mit der Angst verknüpft. (…) Es wird beim Lernen mit Angst schon dafür gesorgt, dass beim Abruf des Gelernten die Kreativität gleichsam blockiert wird. Was unter Angst gelernt wird, taugt daher nicht zum Problemlösen, ganz unabhängig vom Inhalt“ (Spitzer 2007, S. 186).

Bestimmte Formen des Lernens fallen leichter, wenn man sich spezieller Lerntechniken bedient, die der Struktur des Gehirns entgegen kommen, etwa wenn man bei Lernen schon Anker- und Knotenpunkte für das neue Wissen schafft, etwa durch eine gezielte Strukturierung oder Clusterung - lineares Lernen etwa nach Büchern fällt den Menschen daher "von Natur aus" schwer, denn das Gehirn ist nun einmal kein Tonbandgerät oder Festplatte. Aber auch das Erlernen von Inhalten nur aus Schulbüchern scheitert, wenn die Begriffe verarmt bleiben, d.h., wenn während des Lernens nie die Möglichkeit bestand, die zu erlernenden Gegenstände auch zu hören, zu sehen, zu riechen oder zu fühlen. Wenn etwa Kinder die meisten Tiere oder Pflanzen nur aus dem Fernsehen oder aus Büchern kennen, blieben die Begriffe für sie abstrakt und unverständlich. Wer noch nie den Geruch eines Bären, eines Löwn, Elefanten oder eines Nashorns wenigstens im Zoo erschnuppert hat, wird letztlich wenig mit dem Namen dieses Tieres anfangen können. Durch sinn-haltiges Lernen werden die Verbindungen zwischen den Nervenzellen gezielt verstärkt. Im Zusammenhang mit emotional gefärbten Anteilen vermittelte Lerninhalte etwa wie das Erzählen von Geschichten werden diese auch besser im Langzeitgedächtnis verankert, denn die Weiterleitung dorthin wird von den selben Gehirnarealen gesteuert, die auch für die Gefühle zuständig sind.

Literatur

Manfred Spitzer (2007). Kritik der Disziplin aus (neuro-)biologischer Sicht (S. 169 – 203). In M. Brumlik (Hrsg.), Vom Missbrauch der Disziplin. Weinheim/Basel: Beltz.



Menschen haben oft eine verzerrte Vorstellung vom Lernprozess und reduzieren Lernen auf das Erlernen von Prüfungsvorbereitungstechniken. Lernprozesse sind natürlich und gehen weit über schulisches Lernen hinaus. Anstatt zu fordern, dass Kinder "lernen zu lernen", sollten Lehrer und Lehrerinnen Kinder dabei unterstützen, effektiv zu lernen, ohne bestimmte Lernformate vorzugeben. Lernen ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis und muss nicht erst erlernt werden.


Gutes Lernen ist wie Sex.
Entweder leidenschaftlich,
oder mechanisch und ohne Gefühl.

 

Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.
Talmud.



Das Wort Lernen ist übrigens sprachlich verwandt mit dem Wort List, das ursprünglich bedeutete, einer Fährte folgen. Beim Lernen muss wie bei der Jagd die Beute Wissen zuerst erspäht und für attraktiv befunden werden, um sie dann erlegen und aufnehmen zu können. Etymologisch ist das Wort „lernen“ auch mit den Wörtern „lehren“ und „Liste“ verwandt. Es gehört zur Wortgruppe von „leisten“, das ursprünglich „einer Spur nachgehen, nachspüren, schnüffeln“ bedeutet. Im Gotischen heißt lais „ich weiß“, bzw. genauer „ich habe nachgespürt“ und laists für „Spur“. Die indogermanische Wurzel *lais- bedeutet „Spur, Bahn, Furche“. Schon von der Herkunft her hat Lernen etwas mit Spuren hinterlassen, aber auch mit nachspüren zu tun. Lernen soll im Gedächtnis ebenso Spuren hinterlassen (subjektivierender Anteil), wie in der Umwelt (objektivierender Anteil).


Eine stärker praxisorientierte Auseinandersetzung mit dem Thema "Lernen" findet sich im Hypertext
Lerntechnik

und in den folgenden Internetseiten

Lerntipps für die Schule

Lerntipps für das Studium

Lerntipps für Eltern

Lerntipps für Senioren

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