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Lernpsychologie - was ist LernenWas ist Lernen?

Grundformen des Lernens

Lernen wird in der Psychologie definiert als eine dauerhafte (im Gegensatz zu einer vorübergehenden) Änderung des Verhaltens und von Verhaltenspotentialen, die durch Übung (im Gegensatz etwa Reifung, Prägung oder Krankheit) erfolgt.

Siehe dazu auch die Begriffsdefinitionen des Lernens.

Leichter lernen mit Lernpostern!

Lernposter
Die dauerhafte Veränderung wird in dieser Definition betont, weil Gelerntes unabhängig von temporalen Veränderungen, wie etwa der aktuellen Motivation, vorliegt. Darüber hinaus sind alle beobachtbaren Verhaltensweisen, die nicht durch Üben erworben wurden, vom Lernbegriff ausgeschlossen, also etwa auch die Prägung.

Dieses "Lernen" - besser wäre Verhaltensänderung - in einer genetisch festgelegten sensiblen Phase (z.B. unmittelbar nach der Geburt), wurde vor allem durch Konrad Lorenz bekannt, der diesen besonderen Prozeß u. a. bei Graugänsen nachwies. Inzwischen ist er bei vielen Arten bekannt und kann später durch Umlernen kaum noch verändert werden (siehe Abgrenzung Lernen - Reifung - Prägung). Aber auch die im menschlichen Reifungsprozessen automatisch ablaufenden Verhaltensänderungen sind explizit ausgeschlossen.

Die primitivste, auch bei niederen Tieren anzutreffende Form des Erwerbs von Verhaltensmustern ist die genetische Weitergabe. Danach werden lebensnotwendige bzw. arterhaltende Verhaltensweisen wie Flucht und Paarung über Erbinformationen erworben. Die nächsthöhere Form ist die des automatischen Lernens, d.h., des nicht willentlich kontrollierten Erwerbens. Dazu gehören zunächst die kognitive Berieselung und "mere exposure". Diese beiden Prinzipien spielen für die Werbepsychologie eine wichtige Rolle - siehe dazu auch latentes, implizites, inzidentelles oder informelles Lernen.

Häufig ist es eine Ermessensfrage, ob man die beobachtbaren Verhaltensänderungen, die auf eine Reizverarbeitung zurückgehen, als Lernen bezeichnet oder den nicht beobachtbaren Prozess der Informationsverarbeitung, durch den das Lernen zu Stande kommt. Im letzteren Fall wird Lernen als ein intervenierender, psychischer Vorgang und die Verhaltensänderung als Folge dieses Vorgangs betrachtet. Lernen muss nicht unmittelbar zu Verhaltensänderungen führen, sondern kann als veränderte Verhaltensmöglichkeit, als eine Erweiterung des individuellen Verhaltensrepertoires aufgefasst werden. Davon ist die Umsetzung dieses Repertoires in tatsächliches Verhalten zu trennen. Diese Problematik ist vor allem im Hinblick auf die immer wieder diskutierten Phänomene der Wirkung von Gewalt in den Medien auf Menschen von höchster Relevanz.

Zu unterscheiden ist auch zwischen Lernen und Leistung ("performance"): Leistung ist das Umsetzen von Gelerntem durch Hinzukommen der Motivation. Aussagen über Gelerntes kann man daher nicht aus der Leistung allein ableiten, da bei der Leistung die Motivation zur Erbringung eines Verhaltens mitberücksichtigt werden muß. Es gibt unterschiedlichste Einteilungen der Arten des Lernens. Eine sehr einfache ist die Unterscheidung von vier Arten des Lernens in Reihenfolge aufsteigender Komplexität:

Es gibt grundsätzlich zwei Arten, wie eine Abstraktion beim komplexen Lernen erworben werden kann: induktiv oder deduktiv.

Menschen sind enorm leistungsfähig beim induktiven Lernen, zumindest, wenn alle notwendigen Basisabstraktionen bekannt sind. Aus diesem Grund ist es stets vorteilhaft, das Lehren möglichst stark auf induktives Lernen zu stützen. Allerdings erlaubt das induktive Lernen nicht, mit vertretbarem Aufwand eine genaue Grenzziehung einer Abstraktion zu lernen. Zweifelsfälle können also nach einem rein induktiven Lernprozeß oft noch nicht korrekt beurteilt werden. Es sind in der Regel eine ganze Reihe von Beispielen nötig, um die meisten Zweifelsfälle auszuschließen, obwohl sonst sicherlich drei positive und drei negative Beispiele ausgereicht hätten. Deshalb sollte eine induktive Lernlektion möglichst mit einer entsprechenden deduktiven vervollständigt werden, die nach der Ausbildung eines Verständnisses für den überwiegenden Teil des Gehalts der zu lernenden Abstraktion dann auch recht schnell aufgenommen werden kann.

Gelernte Gedächtnisinhalte sind an vielen verschiedenen Stellen des Gehirns gespeichert. So befinden sich sprachliche Informationen in einem anderen Bereich als visuelle oder haptische. Dies bedeutet, dass unser Wissen über einen Gegenstand, beispielsweise über eine Blume, nicht an demselben Ort abgespeichert ist, sondern über unser Gehirn verteilt abgelegt wurde. Bei Bedarf, also wenn wir uns an diese Blume erinnern, werden die vielen Einzelinformationen (Form, Bezeichnung, Geruch usw.) wieder zusammengefügt.

Die Information trifft in Form eines wahrnehmbaren Reizes auf eine Sinneszelle, die ihn als elektrischen Impuls an eine Nervenzelle (Neuron) weiterleitet. Wird ein bestimmter Energiewert überschritten, gibt diese Nervenzelle den Reiz über einen faserartigen Fortsatz, das Axon, an ein oder mehrere andere Neuronen weiter, die ihn ihrerseits ebenfalls weiterleiten können. Die Information hinterlässt so charakteristische Spuren. Durch häufiges "Nachziehen" dieser Spuren (Üben, Wiederholen) verstärken sich die Verbindungen (Synapsen) zwischen den betreffenden Zellen. Es entsteht ein bleibendes Muster, ein Engramm. Die Information ist gespeichert, d.h., sie ist gelernt!

Im Laufe des Lebens wird eine Vielzahl von Erinnerungen gespeichert, wobei jede Erinnerung eine individuelle Repräsentation im Gehirn aufweist, vergleichbar einem Puzzle, das sich aus vielen Teilen zusammensetzt, in diesem Fall aus dem Muster der Nervenzellen, die Informationen codieren. Um später eine Erinnerung abrufen zu können, müssen ausreichend viele der für ein bestimmtes Muster entscheidenden Neuronen im Gehirn wieder aktiviert werden, damit sich die einzelnen Teile dieses Musters zu einem Ganzen einer Erinnerung zusammenfügen. Bisher sind die molekularen Mechanismen, die diese Stabilisierung der Engramme in den Neuronen während der Konsolidierung vorantreiben und damit die Möglichkeit ihrer Reaktivierung durch Gedächtnisabruf sicherstellen, noch nicht vollständig erforscht. Gulmez et al. (2020) haben bei Mäusen in einer Studie während der Gedächtniskonsolidierung den Level der De-novo-DNA-Methyltransferase 3a2 (Dnmt3a2) selektiv innerhalb der Gyrus dentatus-Neuronen manipuliert, die während einer Angstkonditionierung aktiviert werden. Sie fanden heraus, dass eine künstliche Dnmt3a2-Hochregulierung die Gedächtnisleistung von Mäusen steigert und die Qualität der Rekonstitution des ursprünglichen neuronalen Ensembles bei der Gedächtnisabfrage deutlich verbessert. Dabei ist das dafür verantwortliche Protein Dnmt3a2 ein epigenetischer Faktor, der das Erbgut chemisch modifiziert und damit auf Erinnerungsprozesse Einfluss nimmt. Schon eine geringe Steigerung führte bei den Tieren zu einer verbesserten Gedächtnisleistung, indem die für die Erinnerung entscheidenden Neuronen stärker reaktiviert wurden, sodass man experimentell diese Reaktivierung der Angst sogar präzise modulieren konnte.

Das Abspeichern von Informationen im Gedächtnis kann durch eine Reihe von Faktoren beeinträchtigt werden, die nicht alle mit dem Lernvorgang im engeren Sinne zu tun haben. So ist Lernen nicht nur eine Sache des Gehirns, sondern des ganzen Körpers. Sind wir krank, erschöpft oder müde, ist unsere Aufnahmebereitschaft herabgesetzt. Ähnlich ist es unmittelbar nach einer Mahlzeit. Diese Beeinträchtigungen lassen sich leicht erklären: Denn das Gedächtnis beruht auf komplexen Vorgängen, an denen viele Gehirnbereiche beteiligt sind, auch jene Partien, die grundlegende Körperfunktionen steuern.

Gefühle haben einen enormen Einfluß auf den Lernvorgang. Negative Gefühle wie Angst, Unlust oder Sorge beeinträchtigen das Einprägen des Lernstoffs. Auch Lernen unter Stress mindert den Erfolg. Gefühle entstehen in einem Teil des Gehirns, der limbisches System genannt wird. Er hat die Aufgabe, eintreffende Informationen zu bewerten, ihre Relevanz zu prüfen und somit eine adäquate Reaktion des Menschen auf den entsprechenden Reiz sicherzustellen. Mit dieser Bewertung ist eine emotionale Einfärbung der Informationen verbunden. Eine positive emotionale Besetzung des Lernstoffes ist für das

Behalten wichtig. Daher wird ein Lernstoff besonders gut aufgenommen, wenn er mit positiven Gefühlen verbunden ist.

Literatur

Gulmez Karaca, Kubra, Kupke, Janina, Brito, David V. C., Zeuch, Benjamin, Thome, Christian, Weichenhan, Dieter, Lutsik, Pavlo, Plass, Christoph & Oliveira, Ana M. M. (2020). Neuronal ensemble-specific DNA methylation strengthens engram stability. Nature Communications, 11, doi:10.1038/s41467-020-14498-4.

 

Inhaltsverzeichnis des Hypertextes "Lernen"

Siehe dazu auch die Neuigkeiten zu den Lerntipps und dieNeuigkeiten zum Lernen!

 

Phänomenologisches Modell des menschlichen Lernens von Dreifus & Dreifus

Dreyfus & Dreyfus (1985) äußern sich kritisch gegenüber den auf Informationsverarbeitung basierenden Erklärungen des Lernens und versuchen eine phänomenologische Erklärung des Lernvorgangs. Beobachtet wurde dabei der Prozess des Fertigkeiten-Erwerbs bei Flugzeugpiloten, Schachspielern, Autofahrern und bei Erwachsenen, die eine zweite Sprache lernen. Kernansatz des Modells von Dreyfus & Dreyfus ist die Kritik am Informationsverarbeitungsansatz, d.h., bessere Leistungen sind ihrer Meinung nach nicht durch die Aneignung einer großen Anzahl von Begriffen oder Regeln zu erzielen, die man bewusst reflektiert, sondern durch einen Übergang vom logischen Verarbeiten einzelner Fakten zum Erkennen von Ähnlichkeiten zwischen einer gegenwärtigen Situation und einer gespeicherten ähnlichen Repräsentation. Dreyfus & Dreyfus unterscheiden bei der Analyse der Lernvorgänge beim Menschen zwei Arten des Wissens:

Unzählige Fertigkeiten und Fähigkeiten der Menschen basieren auf dem Know-how-Wissen, das man nur durch ständige Übung beibehalten kann. Dreyfus & Dreyfus betrachten den Prozess des Erwerbs von Fertigkeiten als einen Übergang von Know-that zum Know-how. Jeder Mensch durchläuft dabei fünf Stufen, in denen er seine Aufgabe und/oder Modalitäten seines Entscheidungsprozesses jeweils in einer qualitativ anderen Weise wahrnimmt.

Dreyfus & Dreyfus beschreiben fünf Stufen, die der Lernende durchläuft:

Der Anfänger (Novice)

In der ersten Phase des Fertigkeiten-Erwerbs lernt der Anfänger objektive Fakten und relevante Muster zu erkennen sowie einfache Regeln über das Zusammenwirken von Fakten und Mustern aufzustellen. Diese Regeln ermöglichen dem Anfänger, seine Handlungen zu bestimmen. Fakten und Muster, die man unabhängig von der jeweiligen Gesamtsituation, in der sie auftauchen, erkennen kann, nennen Dreyfus & Dreyfus kontext-frei. Regeln, die man ohne Rücksicht auf die Gesamtsituation auf kontextfreie Fakten und Muster anwenden kann, heißen folglich kontext-freie Regeln. Die Verarbeitung eindeutig definierter, kontext-freier Elemente durch präzise Regeln bezeichnet man als Informationsverarbeitung.

Der fortgeschrittene Anfänger (Advanced Beginner)

Die Anwendung der angeeigneten Regeln ermöglicht es dem Anfänger, die ersten Erfahrungen zu sammeln. In konkreten Situationen kommt er mit bedeutungsvollen Fakten und Mustern in Berührung, die nicht kontext-frei sind, und für die objektiven Regeln keine hinreichende Handlungsanleitung darstellen können. Solche kontext-gebundenen Fakten und Muster nennen Dreyfus & Dreyfus situational. Die Handlung kann sich jetzt auf beide Arten von Komponenten beziehen, die kontext-freien und die situationalen. Erfahrung spielt auf dieser Stufe des Fertigkeiten-Erwerbs eine zentrale Rolle.

Der kompetent Handelnde (Competence)

Auf dieser Stufe des Fertigkeiten-Erwerbs lernen die Menschen, hierarchisch geordnete Strukturen anzuwenden. Die Wahl eines Plans, die diese Stufe charakterisiert, beeinflusst das Vorgehen nachhaltiger als die Anwendung einzelner kontext-freier und situativer Elemente und die Kenntnis der Regeln. Der kompetent Handelnde fühlt sich, nachdem er mit der Wahl eines geeigneten Plans gerungen hat, verantwortlich für das Ergebnis seiner Wahl, ist an ihr auch gefühlsmäßig beteiligt. Die für diese Stufe charakteristischen Merkmale stimmen nach Dreyfus & Dreyfus mit der Deskription von Denkprozessen aus dem Ansatz der kognitiven Psychologie, dem Problem-Lösen (Problemsolving) überein. Das Problem-Lösen fußt auf der für das Informationsverarbeitungs-Modell signifikanten Annahme, jedes intelligente Verhalten bestehe in einem Schlußfolgern, das sich auf Begriffe und Regeln stütze.

Die beiden höchsten Stufen des Könnens sind gekennzeichnet durch ein rasches, flüssiges und anteilnehmendes Verhalten, das mit dem langsamen, distanzierten Überlegen beim Problem-Lösen kaum signifikante Ähnlichkeiten aufweist.

Der gewandt Handelnde (Proficiency)

Das Treffen von distanzierten Entscheidungen wird auf dieser Stufe durch Handeln abgelöst. Ähnliche Situationen in der Vergangenheit lösen als aktive Erinnerung entsprechende Pläne aus, die sich bereits bewährt haben. Es gibt keine Hinweise, dass Menschen Situationen als Ganzes deswegen erkennen, weil sie deren Merkmale mit Hilfe von Regeln verknüpfen. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine intuitive Fähigkeit, Muster (Patterns) zu benutzen, ohne dass sie in Komponenten zerlegt werden müßten. Diese Fähigkeit nennen Dreyfus & Dreyfus holistisches Erkennen von Ähnlichkeiten (Holistic Similarity Recognition).

Der Experte (Expertise)

Auf dieser Stufe des Fertigkeiten-Erwerbs wird das Können eines Menschen zum Bestandteil seiner Person. Die gefühlsmäßige Beteiligung an den Ergebnissen der Handlungen ist stark ausgeprägt. Entscheidungen werden nicht wie in der vorausgegangener Stufe analytisch getroffen sondern intuitiv. Der Begriff der Intuition bildet die zentrale Kategorie des Lernmodells. Intuition oder Know-how bezeichnen somit ein Verstehen, das sich mühelos einstellt, wenn eine aktuelle Situation vergangenen Ereignissen ähnelt. Intuition oder Know-how sind daher weder wildes Raten noch übernatürliche Inspiration, sondern eine Fähigkeit, die wir immerzu bei jeder alltäglichen Handlung anwenden. Experten lösen daher weder Probleme noch treffen sie Entscheidungen, sie handeln einfach.

Zusammenfassung nach Klimsa, Paul (1993). Lernpsychologische Perspektiven. Zur kognitions- und lernpsychologischen Voraussetzungen der Nutzung neuer Medien. In Paul Klimsa (Hrsg.), Neue Medien und Weiterbildung. Weinheim: Deutscher Studienverlag.

Literatur:
Dreyfus, Hubert L. & Dreyfus, Stuart (1986). Mind Over Machine. Free Press.

Lebenslinien einiger Psychologen, die sich mit Lernen beschäftigten

Lernpsychologen Psychologen die sich mit Lernen beschäftigten

Bildquelle: http://www.uni-oldenburg.de/sport/bww/Lehre/Lrntheo/behavior.html

"Klassische" Literatur zum Thema Lernen

Edelmann, W. (1995). Lernpsychologie. Weinheim: Psychologie-Verlags-Union.
Hilgard, R. E. & Bower, G. H. (1975). Theorien des Lernens. Stuttgart: Klett.
Lefrancois, G. R. (1994). Psychologie des Lernens. Berlin: Springer.
Schermer, F.F. (1998). Lernen und Gedächtnis. Stuttgart: Kohlhammer.

 

Eine komplette Lernumgebung zum Thema "Lernpsychologie" der Universität Essen (Ansgar Plassmann & Günter Schmitt) bietet neben den klassischen Inhalten wie Behaviorismus und Kognitivismus auch Einführungem in die Psychologie, Wahrnehmungspsychologie sowie die biologischen Grundlagen des Lernens (Systemvoraussetzungen Internet Explorer 5 oder 6 bzw. Netscape 6, aktiviertes JavaScript).

Wolfgang Pohl, der Autor zahlreicher webpages zum Thema "Lernen", die sich vor allem an SchülerInnen und auch interessierte Laien richten, hat für die Diskussion praktischer Fragen zum Thema Lernen die "Mailingliste Lernen" eingerichtet.

Quellen: http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/INTERNET/ARBEITSBLAETTERORD/LERNTECHNIKORD/Lernen.html (01-01-20);
http://www.lrz-muenchen.de/~xristophoros/lernarten.doc (00-03-10)



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