Die Beobachtung
ist eine der zentralen Datenerhebungsmethoden in der empirischen Sozialforschung und bezeichnet die visuelle und/oder auditive Betrachtung von Geschehnissen wie sozialen bzw. interaktiven Prozessen und Situationen sowie Handlungsabläufen. Beobachtungen können in verschiedener Hinsicht kategorisiert werden: nach einem hohen oder geringen Strukturierungsgrad, teilnehmend oder nicht-teilnehmend, offen oder verdeckt.
Die Beobachtung
Beobachtungen sind ein wesentlicher Teil des täglichen Lebens. Im Gegensatz zu den alltäglichen sind wissenschaftliche Beobachtungen systematisch und objektiv. Sie sind ein spezifischer Zugang zu sozialen Phänomenen, bei dem Daten über die Untersuchungsobjekte nicht auf deren direkter Auskunft beruhen (Befragung, narratives Interview), sondern indirekt durch den Forscher oder durch von ihm instruierte Personen erhoben werden.
Die Beobachtung bezieht sich dabei im allgemeinen auf Verhaltens-, Handlungs- und Interaktionsformen, also auf overte, manifeste Phänomene. Gleichwohl spielt die Wahrnehmungs- und Aufnahmekapazität der ForscherInnen bzw. der eingesetzten BeobachterInnen eine wichtige Rolle.
Wissenschaftliche Beobachtung ist also ganz allgemein das aufmerksame, planmäßige und zielgerechte Wahrnehmen von Vorgängen, Ereignissen, Verhaltensweisen von Lebewesen (Menschen und Tieren) in Abhängigkeit von bestimmten Situationen. Ziel der Beobachtung ist es, den Gegenstand des jeweiligen Interesses möglichst genau zu erfassen. Sie ist eine grundlegende Methode der Datengewinnung und Faktensammlung. zum Zeitpunkt des Geschehens. Eine solche Beobachtung beschreibt bzw. rekonstruiert soziale Wirklichkeit einer Forschungsfrage anhand einer eindeutig beschreibbaren Methode.
Die Beobachtung ist neben der Befragung, dem Experiment und der Inhaltsanalyse eine der vier wesentlichen empirischen Forschungsmethoden.
Klassifikation von Formen der Beobachtung
Zu unterscheiden ist zunächst zwischen der Beobachtung
- künstlich hergestellter Situationen (sozialpsychologische Experimente, etwa arrangierte Gruppendiskussionen, deren Verlauf analysiert wird) und derjenigen
- natürlicher Situationen (Analyse von Gruppenstrukturen bei Jugendgangs), die nicht spezifisch auf den Forschungszweck hin arrangiert worden sind.
Beobachtungsverfahren lassen sich weiter unterscheiden nach dem Grad der Standardisierung, dem die Protokollierung der Beobachtungen unterworfen ist.
In den oben erwähnten experimentellen Settings, aber durchaus auch in natürlichen Situationen wie etwa Klassenzimmern, Gerichtssälen usw. kommen häufig standardisierte, detaillierte und spezialisierte Codierschemata zum Einsatz, in die die beobachtende Person Einträge macht (Art, Häufigkeit und Länge der Beteiligung einzelner Personen am Gruppengeschehen). Es muss also vor der Untersuchung festgelegt werden, was beobachtet werden soll, d.h. was im Hinblick auf die Forschungsfragestellung wichtig erscheint (Kategorisierung).
In diesem Kontext der standardisierten Beobachtung ist dann näher ist zu unterscheiden zwischen Erhebungsverfahren, bei denen die einzelnen Handlungszüge der Akteure erhoben werden, und solchen, bei denen summarische Beurteilungen ihres Handelns/Verhaltens mittels Rating-Verfahren vorgenommen werden.
Weiterhin wird unterschieden, ob von vornherein nur bestimmte Phänomene (Verhaltensweisen, Eigenschaften etc.) erhoben werden sollen, oder ob der Anspruch besteht, alle Verhaltensweisen nach einen bestimmten Schema zu klassifizieren. Das wohl bekannteste und auch heute noch gelegentlich gebrauchte Kategoriensystem wurde von Bales (1951) unter dem Namen "Interaction Proceß Analysis" veröffentlicht.
Der Grad der Vorstrukturierung der Beobachtung kann jedoch soweit abnehmen, dass zunächst gleichsam der Anspruch erhoben wird, alles zu beobachten bzw. - weil dieser Anspruch selbstverständlich nicht einlösbar ist - aus dem untersuchten Phänomen heraus die wichtigen und festzuhaltenden Dimensionen der Beobachtung zu entwickeln. Dazu werden zunächst ausführliche schriftliche oder mündliche Protokolle der Beobachtungen angefertigt, die erst im Laufe der Untersuchung auf spezifische Dimensionen hin strukturiert werden.
Eine weitere Unterscheidung betrifft den Grad der Einbindung des Forschers oder der Forscherin in das Untersuchungsfeld. Man spricht von nicht-teilnehmender Beobachtung, wenn die ForscherInnen selbst nicht aktiver Bestandteil des Beobachtungsfeldes sind. Oft - gerade im Bereich der offenen Beobachtung in natürlichen Settings - ist B. aber nur durch eine mehr oder weniger aktive Teilnahme im Untersuchungsfeld möglich (teilnehmende Beobachtung). Ein besonderes moralisch-ethisches (aber auch methodisches) Problem ergibt sich ferner dadurch, dass entschieden und verantwortet werden muss, ob eine Beobachtung offen, d.h. mit Wissen und Zustimmung der Beobachteten, oder aber verdeckt, d.h. ohne deren Wissen erfolgt. Haupteinsatzfeld der teilnehmenden Beobachtung sind ethnologische oder ethnographische Analysen besonderer sozialer Gruppen oder Situationen.
Siehe auch Beispiel für eine systematische nicht teilnehmende Beobachtung
Fehlerquellen
Sie können entweder beim Beobachter, beim Instrument oder bei der Situation liegen. Ein großes Problem ist die Tatsache, dass soziales Verhalten abstrakt ist, Beobachtetes muss nicht mit der "Realität" übereinstimmen.
Als wichtige Probleme gelten die methodische Kontrolle der Beobachtungsleistung (sehen die ForscherInnen nur, was sie sehen wollen?) und - bei der teilnehmenden Beobachtung - das sogenannte going native, d.h. eine Überidentifikation mit dem Untersuchungsfeld, die letztlich zum Verzicht auf wissenschaftiche Analyse führen kann.
Das Kontrollproblem kann u.U. durch eine Ergänzung der Beobachtung durch andere Methoden der Datenerhebung reduziert werden. Vor allem empfiehlt sich nicht nur eine intensive (Selbst)Schulung der BeobachterInnen, sondern eine Überprüfung von Inter- und Intra-Rater-Reliabilität.
Weiters gibt es die sogenannten systematischen Fehler, die schon in der Vorbereitungsphase der Beobachtung auftreten. (z.B. ungeschickte Auswahl der Beobachtungsform). Um solche Fehler zu vermeiden, sollte nach der theoretisch geplanten Beobachtung ein Pre-Test vorgenommen werden. Er stellt eine Stichprobe dar, die oft zur Revision des Schemas und zur weiteren Schulung des Beobachters führt.
Fehler durch den Beobachter entstehen durch mangelnde Schulung, mangelnde Objektivität und durch zu hohe Anforderungen an den Beobachter.
Schritte der systematischen Beobachtung
Operationale Definition der Beobachtungskategorie
Will man zum Beispiel aggressives Verhalten beobachten, so muss man zuerst festlegen, was man genau unter "aggressiv" versteht. Man kann die beobachtbaren Verhaltensweisen beispielsweise auch mit "einen anderen treten", "jemanden an den Haaren ziehen" oder "mit jemanden laut schreien" bezeichnen. Die Operationalisierung dient dazu, dass jede andere Person zu dem selben Beobachtungsergebnis kommt.
Durchführung einer Beobachtung
Wenn man genau wissen will, wie oft jemand aggressiv ist, müßte man ihn ständig beobachten. Das ist natürlich in der Praxis nicht möglich. Man legt daher einen Zeitraum fest, in dem das Verhalten der bestimmten Person beobachtet wird. Es ist aber sehr wichtig, dass die Beobachtung immer unter den gleichen Bedingungen stattfindet. Nachdem genau festgelegt wurde in welchem Zeitraum und in welcher Situation man beobachtet, wird ein Beobachtungsbogen erstellt, auf dem die beobachtbaren Verhaltensweisen in ihrer Häufigkeit eingetragen werden. Durch den Beobachtungsbogen ist es sehr leicht möglich das Verhalten zu analysieren.
Literatur
Bales, R. F. (1951). Interaction Process Analysis. Chicago: Chicago University Press.
Friedrichs, J. (1985). Methoden der empirischen Sozialforschung. Opladen.
Grümer, K. (1974). Beobachtung. Stuttgart: Teubner.
König, R. (1972). Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung. Köln.
Mees, U. & Selg, H. (Hrsg.) (1977). Verhaltensbeobachtung und Verhaltensmodifikation. Stuttgart: Klett.
Quellen
Bortz, Jürgen & Döring, Nicola (2006): Forschungsmethoden und Evaluation. Heidelberg: Springer.
Kromrey, Helmut (2009). Empirische Sozialforschung. Stuttgart: Lucius.
Stigler, Hubert (1996). Methodologie.
Vorlesungskriptum. Universität Graz.
WWW: http://www-gewi.kfunigraz.ac.at/edu/studium/materialien/meth.doc (98-01-03)
Stangl, Werner (1997). Zur Wissenschaftsmethodik in der
Erziehungswissenschaft. "Werner Stangls
Arbeitsblätter".
WWW: http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/INTERNET/ARBEITSBLAETTERORD/Arbeitsblaetter.html
ILMES - Internet-Lexikon der Methoden der empirischen
Sozialforschung.
WWW: http://www.lrz-muenchen.de/~wlm/ilm_b3.htm (01-11-12)
Stichwort Befragung. Eval-Wiki: http://www.eval-wiki.org/glossar/Befragung (11-08-21)
Inhaltsübersicht Forschungsmethoden der Psychologie und Pädagogik
- Grundbegriffe des Empirismus
- Grundlagen empirischer Sozialforschung
- Messung als Modellbildung
- Gütekriterien für Wissenschaft und wissenschaftliche Forschungsarbeiten
- Gütekriterien empirischer Forschung
- Gütekriterien qualitativer Forschung
- Forschungsplanung
- Detailschema für die Projektierung einer empirische Untersuchung
- Die Beobachtung
- Das Experiment
- Der psychologische Test
- Soziometrie
- Inhaltsanalyse
- Der Fragebogen
- Das Interview
- Das standardisierte Interview
- Narratives Interview
- Die Gruppendiskussion
- Stichproben
- Einzelfallforschung
- Handlungsforschung
- Was ist Kausalität?
- Werner Stangl: Test und Experiment in der Psychologie
- Literatur und Quellen
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