Inhaltsanalyse, content analysis
Unter den Vorläufern der heute gebräuchlichen Inhaltsanalyse kann man verschiedene textanalytische, textvergleichende, auch hermeneutische Ansätze nennen (Gesetzes-, Bibel- und Zeitungsanalysen), graphologische Auswertungen bis hin zur Traumdeutung Freuds. Die kommunikationswissenschaftlichen Grundlagen einer quantitativ orientierten Analyse von Massenmedien unter dem Begriff content analysis werden in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA durch Paul F. Lazarsfeld und Harold D. Lasswell gelegt. Das erste Lehrbuch dieser Methoden schrieb Berelson 1952. Danach erfolgte eine interdisziplinäre Erweiterung und Differenzierung, wo sich der methodische Ansatz auch auf Linguistik, Psychologie, Soziologie, Geschichtswissenschaft, Kunstwissenschaften verbreitete. Die Vorgehensweisen wurden verfeinert, es erfolgte eine Einordnung in Kommunikationsmodelle, der Einbezug der Analyse auch non-verbaler Merkmale, Kontingenzanalysen, Bewertungsanalysen, wobei in den letzten Jahren sich auch eine automations- bzw. computerunterstützte Inhaltsanalyse entwickelt hat, wobei die Codezuweisungen meist auch durch das Programm erfolgen.Was ist eine Inhaltsanalyse?
Mittels der Methode der Inhaltsanalyse werden Texte und Bilder, aber auch TV- und Radiosendungen einer quantitativen oder qualitativen Analyse unterzogen. Insbesondere werden oft Gruppendiskussionen zum Gegenstand von Inhaltsanalysen. Dabei werden Kommunikationsinhalte jeder Art nach festgelegten Regeln in Kategorien klassifiziert. In dieser konventionellen Inhaltsanalyse wird mit erfahrenen und geschulten Kodierkräften gearbeitet.
Bei der quantitativen Inhaltsanalyse werden für jede Dimension Analysekategorien entwickelt, denen das vorliegende Material zugeordnet wird. Auf dieser Basis erfolgt die statistische Auswertung, z. B. als Gruppen- und Zeitvergleich.
Die qualitative Inhaltsanalyse bezieht auch Kommunikationsinhalte, die nicht explizit ausgesprochen werden, in die Analyse ein. Durch eine systematische Interpretation wird die inhaltliche Bedeutung von Aussagen ermittelt, ohne das Material auf quantifizierbare Aussagen zu reduzieren.
Dabei wird zunächst nach Sichtung des Materials ein System von Kategorien festgelegt, anhand dessen durch die interpretativen Techniken der Zusammenfassung, Explikation und/oder Strukturierung Aussagen aus dem Text herausgefiltert werden.
Bei der Analyse von explorativen Einzelinterviews und Gruppendiskussionen wird zumeist das Instrumentarium der qualitativen Inhaltsanalyse eingesetzt.
Die meisten Verfahren der herkömmlichen ("quantitativen") Inhaltsanalyse beruhen darauf, das (teilweise: gemeinsame) Auftreten bestimmter Worte zu erfassen, zu quantifizieren und zu zählen. Es kann aber auch um andere Textmerkmale gehen, etwa grammatikalische Konstruktionen, rhetorische Wendungen.
Fast noch mehr als bei anderen sozialwissenschaftlichen Verfahren ist hier der Gegensatz zwischen "qualitativen" und "quantitativen" Verfahren tendenziell nur scheinbar: Insoweit Inhaltsanalysen nicht ausschließlich im Zählen von Worten, Satzkonstruktionen etc. bestehen, kommt auch eine quantitative Analyse nicht ohne qualitative Elemente aus, ja hat diese fast stets zur Voraussetzung. Daher geht es meist nur um unterschiedliche Akzentsetzungen: Qualitative Analysen versuchen, den Prozeß des Verstehens bzw. der hermeneutischen Analyse und der Explikation von Sinn möglichst umfassend nachzuvollziehen, während quantitative Analysen eher versuchen, die erfassten Sinngehalte in Form von Häufigkeiten bzw. Assoziationsmustern auszuwerten, um so zu statistisch analysierbaren Vergleichen, Trendmustern etc. zu kommen. Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2000) eröffnet einen Weg zu theorie- und regelgeleiteter sowie methodisch kontrollierter Auswertung qualitativer Daten, wobei ein zentrales Anwendungsgebiet in der Hypothesenfindung und Theoriebildung besteht. Die qualitative Inhaltsanalyse zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur die Aufdeckung gegenstandsbezogener Einzelfaktoren, sondern auch die Konstruktion der möglichen Zusammenhänge zwischen mehreren Faktoren ermöglicht. Ein Vorteil dieses Verfahrens liegt in der Möglichkeit, sowohl qualitative als auch quantitative Analyseschritte miteinander zu verbinden, denn sie ist an einschlägige quantitative Gütekriterien anschlussfähig, die in der sozialwissenschaftlichen und psychologischen Forschung lange Zeit nicht ausreichend in die Praxis umgesetzt wurden.
In der qualitativen Inhaltsanalyse kann man nach Mayring (1997) vier Formen unterscheiden:
- Die zusammenfassende Inhaltsanalyse, die das Textmaterial zu einem Kurztext unter Beibehaltung der wesentlichen Inhalte reduziert,
- die induktive Kategorienbildung, die Entwicklung von Kategorien (oder Codes) anhand des Textmaterials, unter die die Inhalte oder sonstigen Textmerkmale subsumiert werden können,
- die explizierende Inhaltsanalyse, die versucht, die untersuchten Inhalte so gut wie möglich - auch unter Hinzuziehung sonstigen Materials, Hintergrundwissens usw. - verständlich zu machen, und
- die strukturierende Inhaltsanalyse, die das Textmaterial unter bestimmten Kriterien analysiert, um spezifische Aspekte besonders herauszuheben.
Im Detail: Die qualitative Inhaltsanalyse folgt einem systematischen Ablaufmodell, bei dem zwischen spezifischen Techniken unterschieden wird. Es handelt sich dabei um die drei Grundformen der zusammenfassenden, explizierenden und strukturierenden Inhaltsanalyse. Das Ziel der explizierenden Inhaltsanalyse besteht darin, zusätzliches Material wie etwa alle Arten von Hintergrundinformationen wie lexikalische- oder Literaturquellen an den zu analysierenden Text heranzutragen, um einen höheren Verständnisgrad erreichen zu können. Dies gilt insbesondere für unklare Textstellen. Das Explikationsmaterial soll systematisch und kontrolliert gesammelt und im Forschungsprozess transparent gemacht werden. Das Ziel der strukturierenden Inhaltsanalyse liegt im Herausfiltern bestimmter Kriterien, die die Gesamtheit des Textmaterials vollständig abbilden sollen. Wurden diese Kriterien zuvor festgelegt, erfolgt dieser Schritt über eine deduktive Vorgehensweise. Neu auftretende Inhalte können dabei zur induktiven Bildung von Kategorien führen. Auf diese Weise kann schrittweise ein Kategoriensystem entwickelt werden, das die zentralen Inhalte des Textmaterials in komprimierter Form abbildet. Dabei kommt es in Abhängigkeit von der Forschungsfrage und der Zielsetzung der Analyse zu einer formalen, inhaltlichen, typisierenden oder skalierenden Vorgehensweise. Bei der zusammenfassenden Inhaltsanalyse wird das Textmaterial so weit reduziert, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben und ein überschaubarer Kurztext entsteht. Die Basis für dieses Verfahren bildet die Psychologie der Textverarbeitung. Dabei werden einzelne zusammenfassende, reduktive Prozesse unterschieden. Damit diese Form der Inhaltsanalyse gelingen kann, wurden Verfahrensregeln entwickelt, zu denen die Paraphrasierung, die Generalisierung und verschiedene Formen der Reduktion gehören.
Eine quantitative Inhaltsanalyse besteht aus folgenden Schritten: Nach der Festlegung der Fragestellung ist zunächst das relevante Datenmaterial (z.B. Zeitungen, Zeitschriften, Bücher) festzulegen:
- Welcher Zeitraum ist interessant?
- Welche Textsorten) und gegebenenfalls ein Verfahren zur Stichprobenziehung auszuwählen.
- Welche Analyseeinheiten sind zu definieren (z.B. Sätze, Abschnitte, Seiten, zusammengehörige Texte usw.)
Als Beispiel das Ablaufmodell deduktiver Kategorienbildung (Mayring 2000):
Sodann ist ein Kodierschema zu entwickeln, welches definiert oder umschreibt, welche Worte oder andere Textmerkmale wie "einzuordnen" sind. Dies ist schon deshalb notwendig, weil die menschliche Sprache mehr oder wenig metaphorisch ist. Jedes Kategorienschema sollte möglichst in einem Pre-Test geprüft und gegebenenfalls modifiziert werden. Das folgende Beispiel eines Kodierleitfaden für das zu kodierende Ausmaß des Selbstvertrauens stammt aus Mayring (2000).
Kategorie |
Definition |
Ankerbeispiele |
Kodierregeln |
K1: hohes Selbstvertrauen |
Hohe subjektive Gewissheit, mit der Anforderung gut fertig geworden zu sein, d.h. - Klarheit über die Art der Anforderung und deren Bewältigung, - Positives, hoffnungsvolles Gefühl beim Umgang mit der Anforderung, - Überzeugung, die Bewältigung der Anforderung selbst in der Hand gehabt zu haben. |
Sicher hats mal ein Problemchen gegeben, aber das wurde dann halt ausgeräumt, entweder von mir die Einsicht, oder vom Schüler, je nachdem, wer den Fehler gemacht hat. Fehler macht ja ein jeder. Ja klar, Probleme gabës natürlich, aber zum Schluß hatten wir ein sehr gutes Verhältnis, hatten wir uns zusammengerauft. |
Alle drei Aspekte der Definition müssen in Richtung hoch weisen, es soll kein Aspekt auf nur mittleres Selbstvertrauen schließen lassen Sonst Kodierung mittleres S. |
K2: mittleres Selbstvertrauen |
Nur teilweise oder schwankende Gewissheit, mit der Anforderung gut fertig geworden zu sein |
Ich hab mich da einigermaßen durchlaviert, aber es war oft eine Gratwanderung. Mit der Zeit ist es etwas besser geworden, aber ob das an mir oder an den Umständen lag. Weiß ich nicht. |
Wenn nicht alle drei Definitionsaspekte auf hoch oder niedrig schließen lassen |
K3: niedriges Selbstvertrauen |
Überzeugung, mit der Anforderung schlecht fertig geworden zu sein, d.h. - wenig Klarheit über die Art der Anforderung, - negatives, pessimistisches Gefühl beim Umgang mit der Anforderung, - Überzeugung, den Umgang mit der Anforderung nicht selbst in der Hand gehabt zu haben. |
das hat mein Selbstvertrauen getroffen; da hab ich gemeint, ich bin eine Null &endash; oder ein Minus. |
Alle drei Aspekte deuten auf niedriges Selbstvertrauen, auch keine Schwankungen erkennbar |
Dann werden die ausgewählten Texte nach diesem Schema verschlüsselt (kodiert), die Daten aufbereitet und ausgewertet.
Unter den praktischen Problemen der Inhaltsanalyse ist sicher das Problem der Reliabilität zu nennen, d.h. der Zuverlässigkeit der Einordnungen der Textbestandteile in die vorgegebenen Kategorien. Es ist sowohl damit zu rechnen, dass ein und dasselbe zu verkodende Element von verschiedenen Personen verschieden beurteilt wird, als auch damit, dass ein und dasselbe zu verkodende Element von der selben Person zu verschiedenen Zeitpunkten verschieden beurteilt wird. Zur Prüfung, wie groß die erste Fehlerart ist, sollte die Inter-Coder-Reliabilität, für die Prüfung der zweiten Fehlerart die Intra-Coder-Reliabilität geprüft werden.
Die wichtigsten "klassischen" Verfahren der quantitativen Inhaltsanalyse sind:
- Die Frequenzanalyse besteht darin, in den Untersuchungseinheiten die Häufigkeit des Auftretens bestimmter Merkmale festzustellen. Aus diesen Häufigkeiten wird im allgemeinen auf die Intensität oder die Art geschlossen, mit der über bestimmte Themen kommuniziert wird.
- In der Valenzanalyse soll zusätzlich auch erfaßt werden, welche Bewertungen mit den betreffenden Untersuchungsgegenständen verbunden werden, ob also z.B. im untersuchten Material bestimmte Personen, Themen usw. eher positiv, neutral oder negativ beurteilt werden.
- Die Intensitätsanalyse zählt im Unterschied zu einer Frequenzanalyse nicht nur das Vorkommen von Begriffen , Themen oder anderen interessierenden Merkmalen gezählt, sondern es wird auch erfaßt, wie stark im Analysematerial Wertungen zum Ausdruck kommen.
Im Unterschied zu einer Valenzanalyse werden diese Wertungen also nicht nur nach ihrer Richtung (z.B. positiv oder negativ), sondern nach ihrer Intensität beurteilt. So enthält die Aussage "Ab und zu mag ich Opern ganz gerne" eine schwächere Wertung als die Aussage "Oper ist für mich das einfach das Größte". - Bei der Kontingenzanalyse wird erfaßt, welche Merkmale zusammen im Ausgangsmaterial auftreten. Dabei interessiert man sich vor allem dafür, ob bestimmte Merkmale häufiger gemeinsam auftreten, als es zufällig zu erwarten wäre.
Literatur
Berelson, B. (1952). Content analysis in communication research. Glencoe, Ill.: Free Press.
Mayring, P. (2000). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim: Deutscher Studien Verlag,.
Merten, K. (1983). Inhaltsanalyse. Einführung in Theorie, Methode und Praxis. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Rust, H. (1983). Inhaltsanalyse. Die Praxis der indirekten Interaktionsforschung in Psychologie und Psychotherapie. München: Urban & Schwarzenberg.
Scheibler, P. (2017). Qualitative Inhaltsanalyse.
https://studi-lektor.de/tipps/qualitative-forschung/qualitative-inhaltsanalyse.html (17-11-21)
Wirth, W. & Lauf, E. (Hrsg.) (2001). Inhaltsanalyse: Perspektiven, Probleme, Potentiale. Köln: Herbert von Halem Verlag.
Wittkowski, J. (1994). Das Interview in der Psychologie. Interviewtechnik und Codierung von Interviewmaterial. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Quellen
Stigler, Hubert (1996). Methodologie. Vorlesungskriptum. Universität Graz.
WWW: ftp://gewInhaltsanalysekfunigraz.ac.at/pub/texte/meth.doc (98-01-03)
Stangl, Werner (1997). Zur Wissenschaftsmethodik in der Erziehungswissenschaft. "Werner Stangls Arbeitsblätter".
WWW: http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/INTERNET/ARBEITSBLAETTERORD/Arbeitsblaetter.html
http://www.lrz-muenchen.de/~wlm/ilm_i5.htm (00-11-11)
Mayring, Philipp (2000). Qualitative Inhaltsanalyse. Forum Qualitative Sozialforschung. On-line Journal.
WWW: http://qualitative-research.net/fqs/fqs-d/2-00inhalt-d.htm (01-11-26)
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- Werner Stangl: Test und Experiment in der Psychologie
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