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Das standardisierte Interview

Man spricht von einem standardisierten Interview, wenn die Fragen vor dem Interview festgelegt worden sind und mit dem gleichen Wortlaut und in der gleichen Reihenfolge allen Befragten gestellt werden. Die Fragen eines standardisierten Interviews können offen oder geschlossen gestellt werden.

Das wesentlichste Argument zugunsten des standardisierten Interviews ist sehr einfach: Man sollte nicht zweierlei Maß verwenden. Wenn es darum geht Unterschiede oder Zusammenhänge zwischen Befragten im Hinblick auf eine Gruppe von Variablen aufzuzeigen, kann nie entschieden werden, ob die Unterschiede, die sich zwischen den Befragten herausstellen, auf die Unterschiede der Messtechnik oder auf die Unterschiede in den zu messenden Einstellungen etc. zurückgehen. Wenn Interviewer mit einem nicht-standardisierten Instrument die Befragung durchführen, verändern sich Wortlaut und die Reihenfolge der Fragen beträchtlich. Es hat sich wiederholt herausgestellt, dass geringfügige Veränderungen im Wortlaut der Fragen bedeutsame Veränderungen in der Häufigkeit der gegebenen Antworten bewirken können. Einstellungen, die ein Befragter äußert, werden immer zu einem beträchtlichen Ausmaß Funktion der Fragen sein, die ihm gestellt worden sind. Befürworter des nicht-standardisierten Interviews halten es hingegen gerade für wichtig, das Vorgehen von einem zum anderen Fall anzugleichen. Sie weisen darauf hin, dass gleiche Worte für verschiedene Versuchspersonen durchaus Unterschiedliches bedeuten können. Wenn man eine standardisierte Frage stellt hat man also noch lange nicht ihre Bedeutung für die Befragten standardisiert. Die Vertreter der Bedeutungsäquivalenz meinen, dass es besser sei, Wörter zu gebrauchen, die gleichwertige Bedeutung für unterschiedliche Befragte haben, und das selbst dann, wenn die Wörter objektive nicht ident sind.

Anwendungsmöglichkeiten

Das Interview bzw. der Fragebogen ist ein allgemein verbreitetes Mittel der Sozialforschung, das bei einer Vielzahl von Projekten, aber auch bei einzelnen Phasen eines Projektes unterschiedlich eingesetzt werden kann.

Die "Kunst" der Operationalisierung

Das Problem der Operationalisierung stellt sich beim Interview im wesentlichen als Problem der Auswahl und der richtigen Formulierung von Fragen dar.

Ein dabei oft gemachter Fehler besteht darin, daß bestimmte Begriffe der Theorie in allzu direkte Fragen übersetzt werden. Wenn ein Untersuchungsziel darin besteht, etwas über die Bestimmungsgründe einer gegebenen Einstellung herauszufinden, so könnte man den Befragten doch einfach fragen: "Warum haben sie das getan" oder "Warum denken sie so". Die Schwächen dieser einfachen Frage nach den "Warum" sind von P. LAZARSFELD (1953) zutreffend beschrieben worden. Er hat darauf hingewiesen, welche Vielzahl von Bezugssystemen auf diese Weise ans Licht gebracht werden könnten, von denen u.U. nur wenige mit dem Untersuchungsziel in Verbindung stehen könnten. In vielen Fällen besteht die schlimmste Schwäche dieses Verfahrens darin, daß man im Grunde von den Befragten erwartet, ein Wissenschaftler zu sein. Ein weiteres Grundproblem bei der Frageformulierung besteht darin, sich zu versichern, daß Fragen für den Befragten eine möglichst klare Vorstellung vom Diskussionsgegenstand erzeugen. Häufig wird in solchen Fällen eine Filterfrage verwendet, die es erlaubt, bestimmte Personen herauszufiltern und bestimmte weitere Fragen an sie zu unterlassen.

Delphi-Studie

Bei einer Delphi-Studie werden ausgesuchte ExpertInnen in einem mehrstufigen Verfahren zu einem komplexen Phänomen befragt (vgl. Häder & Häder 2000; Linstone & Turoff 2002). Besonders geeignet sind Delphi-Befragungen für die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit des Eintretens verschiedener Szenarien in Bildungsentwicklungen. Meist beginnt eine Delphi-Studie mit einer offenen, mündlichen Befragung einer kleineren Gruppe von FachexpertInnen über mögliche Szenarien und Faktoren zukünftiger Entwicklungen. Unter Ergänzung durch bestehende Theorien wird dann auf dieser Basis meist ein Fragebogen entwickelt, der einer größeren Gruppe von ExpertInnen zur Einschätzung vorgelegt wird. Nach dem ersten Ausfüllen des Fragebogens wird den teilnehmenden ExpertInnen das Ergebnis aller Befragung in geeigneter Form anonym zurückgemeldet. Dies geschieht mit dem Auftrag, den Fragebogen noch einmal auszufüllen und dabei die eigene Meinung nach Möglichkeit zu revidieren, so dass ein größtmöglicher Konsens entsteht. Der Vorteil der Delphi-Befragung liegt in der strukturierten Konsensfindung zu bestimmten Fragen, ohne dass dieser Prozess durch Faktoren wie Status der Befragten verzerrt wird. Kritisch scheint, dass durch diesen rekursiven Prozess ein Konsens erzeugt wird, der unter Umständen unter den Experten gar nicht besteht.

Literatur:
Häder, M. & Häder, S. (Hrsg.). (2000). Die Delphi-Technik in den Sozialwissenschaften. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Linstone, H. A. & Turoff, M. (Hrsg.). (2002). The Delphi Method: Techniques and Applications. New Jersey: Science and Technology University.

Quellen

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WWW: http://www-gewi.kfunigraz.ac.at/edu/studium/materialien/meth.doc (98-01-03)
Stangl, Werner (1997). Zur Wissenschaftsmethodik in der Erziehungswissenschaft. "Werner Stangls Arbeitsblätter".
WWW: http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/INTERNET/ARBEITSBLAETTERORD/Arbeitsblaetter.html
Fronhoff, Claudia (1999). Das Interview.
WWW: http://www.ku-eichstaett.de/docs/PPF/FGPaed/arbeiten/fronh2.htm (99-11-01)
Flick, U. (Hrsg.) (1991). Handbuch der qualitativen Sozialforschung. München: Psychologie Verlags Union.
Herrmanns, H. (1991). Narratives Interview (S. 182-185). In U. Flick (Hrsg.), Handbuch der qualitativen Sozialforschung. München: Psychologie Verlags Union.
Hildum, D. C., & Brown, R. W. (1956). Verbal reinforcement and interviewer bias. Journal of Abnormal and Social Psychology, 53, 108-111.
Hopf, C. (1991). Qualitative Interviews in der Sozialforschung: Ein Überblick (S. 177-182). In U. Flick (Hrsg.), Handbuch der qualitativen Sozialforschung. München: Psychologie Verlags Union.
Mayring, P. (1996). Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken. München: Psychologie Verlags Union.
Strauss, A. L. (1991). Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Datenanalyse und Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung. München: Wilhelm Finck.


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