Stellung des Tests innerhalb der Psychologie
Der psychologische Test
Tests sind innerhalb der Psychologie dem Zweig der Differentiellen Psychologie zuzuordnen, jenem Teilgebiet, das von dem deutschen Psychologen und Philosophen William Stern (1871-1938) eingeführt wurde. Sie beschäftigt sich mit den Unterschieden im Erleben und Verhalten zwischen einzelnen Menschen bzw. zwischen Gruppen von Menschen, versucht diese zu beschreiben und auf ihre Bedingungen zurückzuführen. Die Differentielle Psychologie wurde in ihrer Bedeutung umso größer, je mehr Psychologie im Alltag angewendet wurde (z.B. in Schulen, in Kliniken, bei Gerichten usw.).
Menschen verhalten sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Ausprägung von Fähigkeiten, Bedürfnissen und Emotionen in gleichen Situationen oft recht unterschiedlich. Um ein Verhalten vorhersagen zu können, müssen daher allgemeine Gesetzmäßigkeiten und individuelle Persönlichkeitsstrukturen berücksichtigt werden. Die Differentielle Psychologie versucht daher, die typische Ausprägung und Wechselwirkung zwischen mehreren psychischen Merkmalen (z.B. Intelligenz, Gefühle, Bedürfnisse usw.) für bestimmte Altersstufen, Geschlechter, Berufe usw. festzustellen.
PsychologInnen in Wissenschaft wie Praxis haben es daher bei ihrer Tätigkeit oft mit differentiellen Fragestellungen zu tun, wobei diese Tätigkeit unter dem Oberbegriff der Psychodiagnostik subsumiert werden kann. Unter Psychodiagnostik versteht man dabei die Gesamtheit jener psychologischen Verfahren, mit deren Hilfe die Persönlichkeit eines Menschen erfaßt werden kann. Außer den verschiedenen Testverfahren gehören zum methodischen Inventar die Anamnese, die Exploration, die Verhaltensbeobachtung und die Verhaltensanalyse. Diese Methoden werden eingesetzt bei psychiatrischen und somatisch-psychosomatisch erkrankten Personen, in der Erziehungs- und Eheberatung, in schulpsychologischen Diensten, bei forensischen Angelegenheiten, in der Berufsberatung oder bei Eignungsuntersuchungen. Dabei erfolgt die Untersuchung jeweils mit standardisiertem Material, in den meisten Fällen mit psychologischen Testverfahren.
Im Detail siehe dazu Der psychologische Test
Was ist ein Test?
Ein psychodiagnostischer Test ist vereinfacht gesprochen ein standardisiertes wissenschaftliches Routineverfahren zur Messung von psychologisch wichtigen, abgrenzbaren Merkmalen einer Person. Sie dienen vornehmlich zur quantitativen Bestimmung des relativen Grades von individuellen Merkmalsausprägungen, können aber auch qualitative Aussagen über individuelle Ausprägungen von Merkmalen ermöglichen. Psychodiagnostische Tests können als Mittel zur Querschnittsdiagnose, zur Längsschnittdiagnose und als Forschungsverfahren eingesetzt werden
Brauchbare Testverfahren müssen bestimmte Anforderungen erfüllen, die üblicherweise als Testgütekriterien bezeichnet werden:
- Objektivität
- Reliabilität (Zuverlässigkeit) und
- Validität (Gültigkeit).
Psychologische Tests müssen standardisiert sein, d.h. sie enthalten eine Testanweisung, die vorschreibt, wie der Test vorgenommen und durchgeführt werden muß. Das gleiche gilt für die Auswertung eines Tests, denn auch diese muß feste Regeln enthalten, so daß verschiedene Auswerter zum gleichen Ergebnis kommen (Objektivität).
Welche Tests gibt es?
Es gibt verschiedene Ordnungsgesichtspunkte für Tests, die sich sowohl an inhaltlichen (z.B. Fragestellung, etwa Entwicklung, Leistung) als auch formalen Kriterien (z.B. Einsatzbereich, etwa klinische, schul- oder berufspsychologische Verfahren) orientieren können. Eine klassische Gruppierung ist jene hier gewählte in
- Intelligenztests: Messen die allgemeine
Intelligenz bzw. eine spezielle Begabung im Bereich der
Intelligenz. Intelligenztests sind ungeachtet ihrer
meßmethodischen Problematik ein wichtiges Hilfsmittel der Forschung und der
psychologischen Beratung. Sie werden in fast allen
Bereichen des öffentlichen Lebens eingesetzt
(Schulberatung, Berufsberatung usw.). Ihr Nachteil besteht darin, daß sie kein richtiges Bild der
gesamten Begabungen des Menschen vermitteln können,
sondern immer nur einen Ausschnitt. Kreativität,
schöpferisches Erfinden, soziale Fertigkeiten und
künstlerische Fähigkeiten werden häufig
nicht mit einbezogen, obwohl sie für den Lebens-
oder Berufserfolg von größter Bedeutung sind.
Zwar wurden auch Tests für diese Bereiche
entwickelt, allerdings sind diese in vielen Fällen
in ihrer Interpretation genauso schwierig wie die
Definition der damit gemessenen Merkmale. Die meisten
Intelligenztests sind so angelegt, daß einzelne Intelligenzfaktoren durch eine Reihe von Aufgaben
verschiedener Schwierigkeitsgrade gemessen werden.
Intelligenzfaktoren sind z.B. Sprachverständnis,
logisches Denken, Raumvorstellung,
Wahrnehmungsgeschwindigkeit, Rechenfähigkeit und
Gedächtnisleistungen. Je mehr Aufgaben innerhalb
einer festgelegten Zeit gelöst werden, desto
höher ist die Ausprägung des betreffenden
Intelligenzfaktors. Auf diese Art lassen sich zwei Dinge
erkennen:
- der Gesamtintelligenzquotient (IQ), der angibt, welchen Rangplatz die Person innerhalb der Vergleichsgruppe einnimmt
- das Intelligenzprofil, das einzelne Stärken und Schwächen der Intelligenz einer Person erkennen läßt.
- Leistungstests: Gemessen werden motorische, sensorische oder intellektuelle Leistungen. Leistungstests erfassen die Leistungsfähigkeit einer Person. Allgemeine Leistungstests erfassen Funktionsbereiche wie Aufmerksamkeit, Konzentration, Willensanspannung, spezielle Leistungstests prüfen Funktionen und Fähigkeiten im motorischen und/oder sensorischen Bereich, erfassen räumliches Vorstellungsvermögen, Gedächtnisleistungen usw. Die meisten dieser Tests sind daraufhin konstruiert, den reaktiven Grad der Güte einer Fertigkeit zu bestimmen, die durch Lernen oder Üben erworben wurde. Die Testwerte (Ergebnisse) ergeben sich aus der Zahl der richtigen Lösungen (oder Fehler), durch die Lösungszeit oder durch die Qualität der Arbeit. Bei diesen Tests soll die Konzentrationsfähigkeit und in der Regel eine spezielle Eignung für eine bestimmte Aufgabe gemessen werden. Erreicht wird dies durch die Stellung von Routineaufgaben, die dann so schnell wie möglich gelöst werden müssen (Speed-Faktor).
- Persönlichkeitstests: Diese Testverfahren sollen jene Merkmale einer Person erfassen, die nicht Intelligenz und Leistungsvermögen des Menschen zugeordnet werden können, sondern bestimmten Eigenschaften, Einstellungen, Neigungen, Interessen usw. Die ersten wissenschaftlichen Persönlichkeitstests wurden 1919 von R.S. Woodworth und Mitarbeitern entwickelt, die anhand eines Fragebogens US-Soldaten im ersten Weltkrieg untersuchten. Zu den klassischen Persönlichkeitstests gehören die Persönlichkeitsfragebögen, die vor allem in der Forschung am häufigsten eingesetzt werden. Neben den mit Fragen und Statements arbeitenden Testverfahren gibt es unter den Persönlichkeitstests die verbalen Ergänzungsverfahren, die thematischen Apperzeptionsverfahren (z.B. Thematic Apperception Test - TAT), die Formdeutetests (z.B. Rorschach-Test), die spielerischen und zeichnerischen Gestaltungstests usw. Der wohl bekannteste ist der von dem schweizerischen Psychiater Hermann Rorschach entwickelt wurde.
Wozu werden Tests verwendet?
Psychologische Diagnostik findet ihre Umsetzung in verschiedenen Zusammenhängen und damit auch mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Die wichtigsten Anwendungsbereiche sind
- Persönlichkeitsdiagnostik (z.B. im Zusammenhang mit therapeutischen Fragestellungen)
- differentielle Fragestellungen (z.B. bei der Personalauswahl)
- Diagnose von Folgen von Hirnschädigungen (z.B. in der klinischen Praxis)
- Leistungs- und Eignungsabklärungen (z.B. in der schulischen oder beruflichen Einstufung)
- Forschung (z.B. als Erklärungsvariable für Forschungsergebnisse)
Wer Psychodiagnostik betreibt, braucht Grundkenntnisse zu Testtheorie, Anamneseerhebung, Gesprächsführung und zu Regeln der Beobachtung. Testverfahren müssen daher inhaltlich und in der Durchführung beherrscht werden. Hierzu gehört auch eine kritische Bewertung der Verfahren und eine sichere Interpretation der Resultate. Wer Psychodiagnostik macht, muß alle Informationen, die sich im Verlauf eines Diagnoseprozesses ansammeln, zu einer Synthese integrieren können. Ein Teil davon läßt sich während einer einschlägigen (meist universitären) Ausbildung theoretisch erlernen, entscheidend ist aber die praktische Erfahrung. Der Erwerb und die Verwendung psychologischer Verfahren ist in der Regel an eine entsprechende Ausbildung bzw. zertifizierte Qualifikation gebunden.
Speed-Faktor bei der Intelligenz und Leistungsmessung
Bei Menschen gilt die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung häufig als entscheidender Gradmesser für Intelligenz, was auch dadurch bestätigt wird, dass manche Intelligenztest einen Speed-Faktor eingebaut haben. Nach Vernon (1983) kann eine schnellere mentale Verarbeitung zu mehr Wissen und mehr Erfahrungen führen, die im Gedächtnis abgespeichert werden und zukünftig Vorteile bringen. Allerdings sind manche Experten der Ansicht, dass nicht die allgemeine Intelligenz sondern Subkonstrukte der Intelligenz und Kombinationen dieser Konstrukte die besten Prognosen für interindividuelle Differenzen bei kognitiven Leistungen und Real-Life-Kriterien liefern, wobei sich die operative Fähigkeit Verarbeitungskapazität (Reasoning) als derzeit bester Einzelprädiktor erwiesen hat. Viele Studien, mit denen die prädiktive Validität von Intelligenzmaßen erkundet wurde, kranken daran, dass auf differenzierte Messungen der Intelligenz verzichtet wurde und nur Ergebnisse für die allgemeine Intelligenz berichtet werden.
Allerdings haben Studien deutlich gemacht, dass für die Prognose von Real-Life-Kriterien dem Wissen zwar eine herausragende Bedeutung zukommt, Wissen aber nicht zwangsläufig der Intelligenz als Prädiktor überlegen ist, denn weder kann Wissen durch Intelligenz noch Intelligenz durch Wissen vollständig kompensiert werden, sondern beide Prädiktorgruppen sind für eine Prognose der Leistung relevant. Dabei haben sich Versuche, die Arbeitsgedächtnisfunktionen und deren Kapazitätsgrenzen zur Erklärung heranzuziehen, als fruchtbar erwiesen, wobei die Arbeitsgedächtnisfunktionen wie simultanes Speichern und Verarbeiten, Koordinieren und teilweise auch die Supervisionsfunktion als leistungsbegrenzende Faktoren bestimmt werden konnten.
Literatur
Stangl, W.(2000). Test und Experiment.
WWW: https://www.stangl-taller.at/TESTEXPERIMENT/ (01-04-08)
Stern, E. & Guthke, J. (Hrsg.). Perspektiven der Intelligenzforschung. Pabst.
Vernon, P.A. (1983). Speed of information processing and general intelligence. Intelligence, 7, 53-70.
Inhaltsübersicht Forschungsmethoden der Psychologie und Pädagogik
- Grundbegriffe des Empirismus
- Grundlagen empirischer Sozialforschung
- Messung als Modellbildung
- Gütekriterien für Wissenschaft und wissenschaftliche Forschungsarbeiten
- Gütekriterien empirischer Forschung
- Gütekriterien qualitativer Forschung
- Forschungsplanung
- Detailschema für die Projektierung einer empirische Untersuchung
- Die Beobachtung
- Das Experiment
- Der psychologische Test
- Soziometrie
- Inhaltsanalyse
- Der Fragebogen
- Das Interview
- Das standardisierte Interview
- Narratives Interview
- Die Gruppendiskussion
- Stichproben
- Einzelfallforschung
- Handlungsforschung
- Was ist Kausalität?
- Werner Stangl: Test und Experiment in der Psychologie
- Literatur und Quellen
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