[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Ich habe, glaube ich, die Zwischenstufe zwischen Tier und Homo Sapiens gefunden. Wir sind es.
Konrad Zacharias Lorenz

Psychologie der Entwicklung

Es ist anzunehmen, dass sich unsere genetische Ausstattung seit den letzten 30 bis 40.000 Jahren nur unwesentlich, wenn überhaupt, verändert hat. Jedenfalls nicht mehr als es der Streubreite der genetischen Ausstattung der heute lebenden Menschen entspricht. Das bedeutet aber auch, dass ein Baby Höhlen bewohnender Steinzeiteltern so werden würde wie wir, wenn es von Geburt an in unserer Gesellschaft aufgezogen würde, vielleicht ein Studium aufnähme oder eine Geigenvirtuosin würde. Umgekehrt würden unsere Kinder, wären sie den Damaligen anvertraut, so geworden wie deren Kinder.
Wolf Singer

Die kognitive Entwicklung - Die moralische Entwicklung



Familienhandbuch Wassilios E. Fthenakis & Martin R. Textor

Zahlreiche Texte zur Thematik der kindlichen Entwicklung finden sich im von Wassilios E. Fthenakis & Martin R. Textor herausgegebenen Online-Familienhandbuch [http://www.familienhandbuch.de/]

Aus der Lehre … Psychologie des Jugendalters

Siehe dazu auch Entwicklung "Szenarien zur Entwicklungspsychologie"

Was ist Entwicklung?

Unter Entwicklung versteht man im Allgemeinen einen Prozess der Entstehung, der Veränderung bzw. des Vergehens.

Es gibt drei Prinzipien der Entwicklungspsychologie

1. Das Prinzip des Wachstums,

2. das Prinzip der Reifung,

3. das Prinzip des Lernens.

Das Prinzip des Wachstums und Veränderung der Körperstruktur und zwar der Veränderung in Bezug auf Form, Größe, Anzahl, Lage und Position. Ausdruck Reifung bezeichnet die Entwicklung von Reflexen, Instinkten oder anderen unerlernte Verhaltensweisen. Die Prinzipien des Lernens beziehen sich außer auf den Bereich des traditionellen Konditionierens und der Extinktion auch auf den Bereich des schulischen Lernens und anderer Umwelteinflüsse (vgl. Zimbardo 1983, S. 102).

Empfohlene Literatur

Barbara Vollmayr

Kindheit und Jugend

(gekürzt und ergänzt, W.S.)

Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder getötet, ausgesetzt, geschlagen, gequält und sexuell mißhandelt wurden.

Aus der Antike wissen wir wenig über die Kindheit, nur die jugendlichen Freunde der Griechen kennen wir aus der Literatur. Immerhin haben Platon und Aristoteles die Erziehung gefördert, von ihnen kommt das Gymnasium, das Körper und Geist ertüchtigen sollte. Von den Römern sind Kinderfiguren - vor allem Grabstelen - erhalten. 374 erließ Rom ein Gesetz zur Pflege von Kindern. Mit dem Einbruch der Barbaren verschwand diese Kultur.

Nicht nur in der Antike, sondern auch in der mittelalterlichen Kunst finden sich kaum Darstellungen von Kindern. Das mangelnde Interesse am Kinde zeigt sich auch im Umgang mit ihnen. So wurden sie unzureichend gepflegt, misshandelt, ausgesetzt, versklavt, getötet und sexuell ausgebeutet. Die Forschung geht davon aus, dass etwa die Hälfte aller Kinder in dieser Zeit in einem Zustand zwischen Leben und Tod dahinvegetierten und viele früh starben.

Siehe dazu die Arbeitsblätter zur Geschichte der Erziehung.


Im Mittelalter endet die Kindheit im Alter von sieben Jahren. Kinder sind angezogen wie Erwachsene, müssen mitarbeiten, schlafen im gleichen Raum mit den Erwachsenen, erleben Sexualität, Triebhaftigkeit und Obszönitäten der Älteren, werden missbraucht. Kinder sind auch gerichtlich haftbar. Noch 1780 wurden in England zweihundert Kinder für "Verbrechen" mit dem Tode bestraft, so wurde ein siebenjähriges Mädchen wegen Diebstahl eines Unterrocks gehängt. Die Erwachsenen scheinen wenig Empathie für Kinder gehabt zu haben. Eltern ließen ihre Kinder nicht nur im Haushalt, im Betrieb und auf dem Felde arbeiten, sie verkauften sie auch. In der Erfindung der Buchdruckerkunst um 1450 sieht die Forschung eine Wende für Kindheit und Jugend. Fünfzig Jahre nach der Erfindung waren bereits mehr als 8 Millionen Bücher gedruckt. Wer lesen konnte, galt als gelehrt, das heißt auch erwachsen. Zunehmend wurde auch Kindern das Lesen gelehrt. Durch die notwendige Strukturierung des Buches wurde auch das Denken strukturiert. Im 16. Jahrhundert errichtete England freie Schulen, in denen auch Mädchen unterrichtet wurden.

Mit dem Gedanken der Aufklärung im 18. Jahrhundert übernimmt der Staat zunehmend die Verantwortung. Der Philosoph John Locke schreibt in einem Essay "Gedanken über Erziehung", der kindliche Geist ist eine tabula rasa, eine unbeschriebene Tafel, das Kind kann nur durch Erziehung zum rechten Menschen werden. Jean Jacques Rousseau vertritt in seinem Roman "Emile" die Ansicht, das Kind sei ein "glücklicher Wilder", es müsse sich weitgehend frei entfalten, alle Verderbnis komme von der Kultur. Übrigens: Rousseau als Person kann, was Kindererziehung betrifft, aus heutiger Sicht aber nur als schlechtes Beispiel dienen, denn er zeugte mit seiner Freundin, die er erst im Alter ehelichte, fünf Kinder und lieferte alle im Waisenhaus ab, da er nicht bereit war, sie zu erziehen und ihnen die nötige familiäre Wärme zu bieten. In den damaligen Einrichtungen wurden diese Kinder gefüttert und nur notdürftig betreut, wobei Rousseau aber sicherlich wusste, dass von diesen Kindern auf Grund des Liebesentzugs viele starben und ein Großteil lebenslange psychische Schäden erlitt.

Die geistigen Erben von Locke und Rousseau sind später Fröbel, Pestalozzi, Montessori, Piaget und viele andere.

Im 18., besonders aber im 19. Jahrhundert verbreiteten sich die Schulen in Europa, zunächst nur für bürgerliche, bald auch für untere Schichten. Um 1850 erfüllte sich die Idee der Kindheit in der westlichen Welt. Das heißt: Schule und Lesen verändern die Gesellschaft. Kinder werden erzogen, sie bilden eine von den Erwachsenen abgegrenzte Gesellschaft. Kinder und Jugendliche gewinnen an Wert, es gilt, sie zu schützen vor Gewalt und Sexualität und es entwickelt sich Schamgefühl.

Die Industrialisierung mit ihrer großen Armut, dem Zug der Menschen in die Städte, der Bevölkerungsexplosion war ein Feind der Kindheit. Dostojewski schildert in seinem gesamten Werk immer wieder auch das Elend der Kinder, Charles Dickens "David Copperfield" ist ein Junge, der unter Gaunern klauen muss für sein Leben, und im "Germinal" von Emile Zola arbeiten Kinder unter entsetzlichen Bedingungen im Bergwerk. In den Schulen gab es zunehmend Straf- und Disziplinierungsmaßnahmen, aber auch in den Klosterschulen wurde gezüchtigt.

Im 20. Jahrhundert lernt in der westlichen Welt jedes Kind Schreiben, Lesen und Rechnen. Freilich bis in die sechziger Jahre erhalten nur Privilegierte eine höhere Bildung. Die meisten Jugendlichen werden mit 14 Jahren in den Arbeitsprozess eingeführt. Noch nach dem Kriege lernen die Jugendlichen in einer 48-Stunden-Woche Unterordnung neben fachlichen Fähigkeiten und gelten Anfang zwanzig, wenn sie ihren sehr bescheidenen Lebensunterhalt selbst verdienen, als erwachsen.

Bei fortschreitender Demokratisierung nehmen auch die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu. Analog den Menschenrechten werden die Pflichten nur den Eltern beziehungsweise dem Staat zugesprochen.

In der Macht der Medien, insbesondere des Fernsehens, sehen viele eine eminente Beeinflussung der Kinder und Jugendlichen. Neil Postman, der New Yorker Philosoph, spricht sogar von einem Verschwinden der Kindheit. Er sieht mit dem Fernsehen, in dessen Programm im allgemeinen keine Unterscheidung zwischen Erwachsenen und Kindern gemacht wird, eine Verletzung der kindlichen Tabus, der Geheimnisse der Erwachsenenwelt wie im Mittelalter. Die Kinder werden früh in die Welt der Erwachsenen eingeführt, in der es keine Tabus des Bösen, des Kriminellen, des Sexuellen, der Promiskuität oder Homosexualität, des Inzest oder der Triebhaftigkeit mehr gibt.

Nach einer Untersuchung von Laurence Steinberg (Temple-University, Philadelphia) an tausend ProbandInnen im Alter von zehn bis 30 Jahren können Jugendliche zwar klug argumentieren, sind aber zugleich albern wie Kinder, d.h., die emotionale Entwicklung hinkt der intellektuellen Entwicklung hinterher. Die Intelligenz sei bis 16 Jahre schon ziemlich abgeschlossen, die Reifung der Gefühle dauert jedoch wesentlich länger, was zur Folge hat, dass Jugendliche prinzipiell überlegte Entscheidungen treffen können, ihnen aber die emotionale Reife fehlt, um verantwortlich zu handeln.
Quelle: American Psychologist 2010

Die neueste Entwicklung zur Jahrtausendwende wird von der Sehnsucht nach der ewigen Kindheit getrieben und führt zu einer Infantilisierung der Erwachsenen: Erwachsene bevorzugen Kinderlieder, fahren mit BMX-Rädern und essen Babynahrung. Spielkonsolen und Computerspiele werden zu einem Großteil von Erwachsenen für sich selbst gekauft, Frauen schlüpfen in Gummistiefel mit kindlichen Motiven wie Smarties und Smileys. Psychologen deuten das als Abschottung von der Wirklichkeit. Vermutlich ist bereits ein Drittel der Erwachsenen der Verkindlichung unserer Gesellschaft verfallen, wodurch sie sich zu Scheinjugendlichen entwickeln und sich jugendliche Scheinwelten aufbauen. Dahinter verbirgt sich eine Sinnkrise auf Grund fehlender Leitbilder und Lebensziele, die durch das Verbleiben oder Wiedereintauchen in die Kinderwelt zu kompensieren versucht wird. Der Soziologe Benjamin Barber beschreibt diesen neuen Konsumenten im Dauerzustand des Halberwachsenseins: "Weder kid noch adult, sondern kidult, ein Wesen mit erwachsener Kaufkraft, aber kindischem uniformen Geschmack." Problematisch ist diese Entwicklung vor allem für die tatsächlich Jungen, denn wenn alle Erwachsenen quasi Jugendliche sind, gibt es für Jugendliche keinen Anreiz mehr erwachsen zu werden und auch nichts, wogegen sie sich auflehnen können.

Der körperliche Alterungsprozess setzt mit etwa 25 Jahren ein, von da an geht es bei Reaktionsfähigkeit, Mobilität, Flexibilität und geistiger Gewandtheit bergab, sodass schon Mittdreißiger starr wie Hochbetagte sein können. Das Altern verläuft jedoch gesünder, wenn es mit positiven Inhalten verbunden ist: Weiterbildung, sportlichen Aktivitäten, Leben in sozialen Netzwerken und engen menschlichen Beziehungen. Wer sich nicht sportlich betätigt, baut rasch ab. Auch mit dem Lieben hören viele viel zu früh auf, daher ist bewegt leben, lebenslang lernen, Sex haben, solange es geht, die optimalen Vorzeichen für ein gesundes Leben bis ins hohe Alter. Damit sollte man wohl früh beginnen.

 

Modelle

Die Forschung nimmt sich im 20. Jahrhundert der Kindheit und Jugend an. Über die Psychoanalyse pathologischer Erwachsener analysiert Sigmund Freud das Kind. Er spricht dem Kind Sexualität zu und behauptet mit anderen Forschern seiner Zeit, dass die ersten Jahre der Kindheit entscheidend für das weitere Leben des Individuums sind. Besonders die marxistische Theorie, aber auch die Behavioristen postulieren, alle Menschen seien von Geburt an gleich, aus jedem lasse sich Beliebiges, auch ein Beethoven machen. Der frühkindlichen Erziehung wird großer Wert beigemessen, und in der Folge davon wird beim Versagen einer Person der Mutter alle Schuld zugewiesen. Nach Freud verursachen die Verletzungen des kindlichen Narzissmus Aggression. Nun wurde die antiautoritäre Erziehung propagiert. Man glaubte, lasse man das Kind frei gewähren, entwickelten sich ausgeglichene, aggressionsfreie Menschen. Das Gegenteil war der Fall. Alexander Mitscherlich weist nach, dass dem Kind Grenzen, nicht nur zur Sozialisation sondern auch zur eigenen Orientierung, gesetzt werden müssen. Heute wird zunehmend der Genetik, der angeborenen emotionalen Intelligenz, eine wichtige Rolle in der Charakterbildung zugesprochen. Jugendliche haben heute vor dem praktischen Leben eine sehr lange Ausbildungs- und Schonzeit, sie übernehmen erst sehr spät Selbstverantwortung. Schüler werden ständig einseitig intellektuell bewertet, selektiert.

Bestimmte psychische Störungen sind das Ergebnis kindlicher Traumatisierung bei entsprechender genetischer Disposition, also keineswegs allein das Resultat von Konditionierungsprozessen, die irgend wann einmal im Leben stattfanden. Dies bedeutet natürlich nicht, dass Konditionierungsprozesse keine Rolle beim Erwerb der Störungen spielen, entscheidend aber ist offensichtlich eine frühkkindliche Traumatisierung, die die Gehirnentwicklung in irgendeiner Weise so beeinflusst. Diese Erkenntnisse sind auch eine Rehabilitation Freuds.

Quellen

Vollmayr, Barbara (o.J.). Kindheit und Jugend - Ihre Geschichte und Gegenwart.
WWW: http://home.t-online.de/home/binomi/kindheit.htm (02-07-28)

http://www.nachrichten.at/drucken/332290 (05-02-04)

Zimbardo, P.G. (1983). Psychologie. Berlin, Heidelberg, New York. Tokyo: Springer-Verlag.

Siehe ergänzend dazu

Werner Stangl: Die Psychologie des Jugendalters - Ein historischer Überblick

Merkens, Hans (o.J.). Jugendforschung. In Wassilios E. Fthenakis & Martin R. Textor (Hrsg.), Online-Familienhandbuch.
WWW: http://www.familienhandbuch.de/cms/Kindheitsforschung-Jugendforschung.pdf (02-07-29)

Zach, Ulrike & Künsemüller, Petra ( (o.J.). Die Entwicklung von Kindern zwischen dem 6. und dem 10. Lebensjahr: Forschungsbefunde. In Wassilios E. Fthenakis & Martin R. Textor (Hrsg.), Online-Familienhandbuch.
WWW: http://www.familienhandbuch.de/cms/Kindheitsforschung-6bis10.pdf (02-07-29)

Psychologie der Entwicklung Entwicklungspsychologie

[Quelle: http://www.geocities.com/Pipeline/8331/evolut.jpg] 


[Quelle: unbekannt] 

Zwei Erweiterungen um das Missing Link

Missing Link

[Quelle: unbekannt] 

Missing Link

[Quelle: unbekannt] 

POP IMAP Vergleich

[Quelle: unbekannt] 

lucy[Quelle: https://www.google.at/search; Google ehrt Lucy, den besterhaltenen Australopithecus afarensis, mit einem Doodle, denn am 24. November 1974 wurde das berühmte Fossil entdeckt.] 



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