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Depressionen und Suizidalität im Kindes- und Jugendalter

Psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen zu erkennen bzw. rechtzeitig wahrzunehmen, kann äusserst schwierig sein, da vor allem Kinder ihre psychischen Probleme oft mit physischen Schmerzen ausdrücken, weil sie für ihren Körper im Gegensatz zu ihren Gefühlen bereits Begriffe kennen. Bei Jugendlichen ist es noch schwieriger, psychische Probleme zu erkennen, denn diese äußern sich meist nicht zu ihrer seelischen Befindlichkeit. Erschwert wird eine rechtzeitige Diagnose psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen zusätzlich dadurch, dass in vielen Fällen eine psychosomatische Komorbidität besteht, also körperliche und psychische Beschwerden gleichzeitig auftreten, wodurch psychischen Probleme meist in den Hintergrund geraten.

depression

[Foto: Werner Stangl, 2009]

Literatur zum Thema

Askelund, A. J., Schweizer, S., Goodyer, I. M. & van Harmelen, A. L. (2019). Positive memory specificity reduces adolescent vulnerability to depression. Nature Human Behaviour, doi:10.1101/329409.

Kerns, L.L. & Lieberman, A.B. (1996). Hilfen für depressive Kinder. Ein Ratgeber. Huber, Göttingen.

Rabenschlag, U. (2000). Wenn Kinder nicht mehr froh sein können. Depressionen bei Kindern erkennen und helfen. Herder, Freiburg.

Lesch, H.-P. (2000). Depressive Kinder in der Schule. Ein Beitrag zur Diagnostik der Depression im Kindes- und Jugendalter. Tectum.

 

 

Die Psychologin Silvia Schneider in einem Interview mit Anette Dowideit in der "Welt" vom 3. April 2014.

Eine Depression zu diagnostizieren, ist schon bei Erwachsenen nicht einfach, doch noch schwieriger ist dies bei jungen Menschen, denn oft überlagern altersbedingte sichtbare und auffällige Verhaltensweisen die klassischen Symptome einer Depression. Jugendliche machen während ihres Reifeprozesses zahlreiche neue Erfahrungen: Verliebtsein, Trennung, Ablösung vom Elternhaus. Dies alles bringt eine Verunsicherung mit sich, die manchmal Depressionen auslösen kann. Ältere Kinder lassen nicht traurig den Kopf hängen, sondern werden unter Umständen agressiv. Jüngere können sich dagegen zu regelrechten Angsthasen entwickeln, wobei erschwerend hinzu kommt, dass vor allem die jüngeren Kinder ihr Leiden als "Bauchweh" oder "Kopfweh" beschreiben, da die Fähigkeit fehlt, Niedergeschlagenheit zu spüren und zu benennen (vgl. Fux 2005).

Depression und Suizidalität sind komplexe psychische Phänomene und stellen oft erst die sichtbare gemeinsame Endstrecke schwieriger Entwicklungen dar. Während sich im Erwachsenenalter Depressionen und Suizidalität weitgehend überlappen, ist das Jugendalter jener Zeitraum, in dem sich suizidale Störungen zunehmend manifestieren. Suizidalität stellt im Jugendalter eines der häufigsten Symptome bei ambulanter oder stationärer psychiatrischer Behandlung (30 bis 60% der stationären jugendpsychiatrischen Aufnahmen). Depressionen treten nur selten in Reinform auf, häufig begleiten sie Suchterkrankungen, Psychosen, Zwangsstörungen oder Essstörungen, die häufig erst im Jugendalter auftreten. Die Anzahl der Depressionen nehmen bei Kindern und Jugendlichen in industrialisierten Ländern zu, vor allem bilden sich diese lebensgeschichtlich immer früher aus.

Die Zahl der Diagnosen von Depressionen bei Kindern in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen, wobei es eine Zunahme im ambulanten und stationären Bereich gibt. Das liegt auch daran, dass man, wenn ein Kind längere Zeit traurig war und sich zurückgezogen hat, das früher nicht ernst genommen hat, doch heute weiß man, dass das der Beginn einer depressiven Phase sein kann, die unbehandelt in Alkohol, Drogen, einer chronischen Depression oder gar Suizid enden kann. Bei zwei bis vier Prozent der Kinder im Grundschulalter stellen Fachärzte eine depressive Episode von mehreren Wochen oder Monaten fest, bei Jugendlichen sind es 14 Prozent, fast so viel wie bei Erwachsenen mit 20 Prozent. Grund für die hohen Zahlen bei Jugendlichen sind unter anderem neben Pubertät schulische Überforderung und vor allem Mobbing in der Schule oder in sozialen Netzwerken. Fast 30 Prozent der Schüler sind damit konfrontiert, fast die Hälfte spricht nicht darüber und schämt sich für das eigene Versagen.

Dabei ist Stress durch Belästigung und Beschimpfung ein nicht zu unterschätzender Risikofaktor für eine Depression, wobei nach Ansicht von Experten die exzessive Nutzung des Internets und damit ein veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus mit verantwortlich sein dürften. Das Hauptrisiko für psychische Störungen bleibt aber ein frühes Trauma, etwa bei Kindern, die frühe traumatische Erfahrungen hinter sich haben wie sexuellen Missbrauch oder körperliche Misshandlung. Stark gefährdet sind auch Flüchtlingskinder, die nach traumatischen Ereignissen immer oft auch ohne Eltern Zuflucht in einem fremden Land suchen, wobei besonders in diesen Fällen der Zugang zu therapeutischer Hilfe in Unterkünften und Heimen extrem erschwert ist. Man beginnt erst jetzt zu erkennen, dass diese Traumafolgen bei jugendlichen Flüchtlingen zu erheblichen psychischen Problemen führen können und daher einer frühen Behandlung bedürfen. Lange Zeit wurde angezweifelt, ob es Depressionen bei Kindern überhaupt gibt. Eine Studie der Universität Bremen an 1000 Jugendlichen, ergab jedoch, dass 18 Prozent der Befragten im Laufe ihres Leben einmal unter einer Depression gelitten hatten. Nur drei Prozent davon wurden behandelt. Studien belegen aber, dass zwischen 0,5 und 2,5 Prozent der Kinder und zwei bis acht Prozent der Jugendlichen an Depressionen leiden. Gekennzeichnet sind Depressionen durch ausgeprägte Antriebsverminderung, kognitive Beeinträchtigungen und körperliche Symptome. Depressionen bei Kindern sind schwer erkennbar, denn während Erwachsene über eine traurige Verstimmung klagen und sich zurückziehen, verhalten sich Kinder oft aggressiv und stürzen sich in Konflikte, was dem landläufigen Erscheinungsbild einer Depression entgegengesetzt scheint. Die depressive Grund-Erkrankung wird deshalb häufig übersehen. Depressionen bei bei Kindern und Jugendlich werden auch deshalb unterschätzt, da sie häufig als etwas für die Pubertät Typisches aufgefasst und deshalb kaum fachärztlich diagnostiziert und nur selten angemessen behandelt werden.

Wenn Kinder und Jugendliche psychisch erkranken, dann erkranken sie meist an Angststörungen, wobei bei kleinen Kindern am häufigsten die übersteigerte Trennungsangst auftritt, also heftiges Weinen oder Panik, wenn die Mutter sich vom Kind entfernt. Etwas größere Kinder haben eher spezifische Ängste wie Angst vor Dunkelheit oder vor Tieren. In der Pubertät ist die klassische Angststörung die soziale Phobie, d. h., sie fühlen sich unter Gleichaltrigen nicht wohl, möchten nicht auf Partys gehen, zu denen ihre Freunde gehen. Kurzfristige Phasen mit vermehrten Ängsten oder depressiven Gefühlen zu haben ist normal, behandlungsbedürftig wird eine soziale Phobie oder auch eine depressive Phase, wenn sie über einen längeren Zeitraum anhält, also mindestens über mehrere Wochen. Eltern sollten dann aufmerksam werden, wenn das Kind oder der Jugendliche über einen längeren Zeitraum nicht mehr das tun kann, was andere Gleichaltrige können. Dabei muss beachtet werden, dass in der Pubertät ein Abkapseln nicht ungewöhnlich oder per se besorgniserregend ist, also die Zimmertür abzuschließen ist für sich genommen sicher nicht krankhaft, sondern durchaus normal. Behandlungsbedarf besteht erst dann, wenn das Kind oder der Jugendliche, nicht mehr in der Lage ist, seinen Alltag altersentsprechend zu gestalten, also nicht mehr zur Schule gehen kann oder diese regelmäßig schwänzt. Zwar fühlen sich viele Eltern mitschuldig, wenn ihre Kinder psychisch krank werden, aber das Entstehen psychischer Störungen ist viel zu komplex, als dass man es allein auf ein falsches Verhalten der Eltern allein reduzieren kann.

Depressive Störungen bei Kindern und Jugendlichen können meist mit belastenden Lebensumständen in Zusammenhang gebracht werden. Depressionen sind bekanntlich weltweit die Hauptursache für Krankheiten und Behinderungen, wobei ein bekannter Risikofaktor für Depressionen die Belastung durch frühen Lebensstress ist. Schon während der Pubertät gibt es oft erste Anzeichen einer Depression, wobei psychische Störungen, die bereits bei jungen Erwachsenen auftreten, zumeist schwerer verlaufen und mit einer größeren Wahrscheinlichkeit für einen späteren Rückfall einhergehen. Askelund et al. (2019) haben nun untersucht, ob aktivierende positive Erinnerungen akute Stressreaktionen dämpfen, und in der Folge bei einer geringeren Cortisolreaktion eine verbesserte Stimmung bei jungen Menschen mit depressivem Verhalten auslösen können. Es ist bisher nicht bekannt, ob die Erinnerung an positive Augenblicke in ihrem Leben die Anfälligkeit junger Menschen für Depressionen durch niedrigeres Cortisol und weniger negative Selbstwahrnehmungen bei schlechter Laune ebenfalls reduziert. Nun fand man auch heraus, dass positive Erinnerungsarbeit mit niedrigerem Morgencortisol und weniger negativen Selbstwahrnehmungen sogar ein Jahr später verbunden war. Analysen zeigten außerdem, dass positive Erinnerungsarbeit spätere depressive Symptome reduziert, indem sie negative Selbstwahrnehmungen als Reaktion auf negative Lebensereignisse reduziert. Die positive Erinnerung dämpft offensichtlich aktiv die negative Wirkung von Stressoren im Laufe der Zeit und wirkt so als Resilienzfaktor, der das Risiko einer späteren Psychopathologie reduziert. Sich an gute Zeiten zu erinnern, macht junge Menschen offenbar widerstandsfähiger gegen Stress und weniger empfindlich für Depressionen.

Siehe auch Ängste im Jugendalter


Schwere depressive Störungen bei Kindern und Jugendlichen sind mit einer durchschnittlichen Dauer von sieben bis neun Monaten eher langwierig. Nur bei jedem zweiten Betroffenen sei nach neun Monaten keine Depression mehr nachweisbar, die Rückfallsrate ist mit 70 Prozent nach fünf Jahren hoch. Noch höhere Rückfallsraten gibt es bei jenen Kindern und Jugendlichen, die einem konfliktreichen Familienklima ausgesetzt sind.

Depressionen im Kindes- und Jugendalter treten bei wiederkehrenden negativen Erfahrungen wie Verlust und Trennung auf. Ursachen für Depressionen sind u.a. das unberechenbare Verhalten von Eltern oder Lehrern, Scheidung oder physischen und psychischen Misshandlungen, denen Kinder über einen längeren Zeitraum ausgesetzt sind. Auch genetische Faktoren und unzureichende Bewältigungsstrategien könnten Depressionen erzeugen. Depressive Störungen bei Kindern und Jugendlichen können daher meist mit belastenden Lebensumständen in Zusammenhang gebracht werden.

Damit eine dauerhafte Depression auftritt, muss zusätzlich eine individuelle Disposition, eine Verletzbarkeit (Vulnerabilität), eine verminderte Belastbarkeit vorliegen. Auch Störungen des Hirnstoffwechsels wie z. B. ein Mangel an Serotonin fördern das Auftreten depressiver Symptome.

In prognostischer Hinsicht ungünstig wirken sich belastende Erlebnisse nach Beginn der Depression aus. Ferner ist eine gute Freundschaft zu Gleichaltrigen von großer prognostischer Bedeutung. Kinder nehmen häufig die Krankheit ins Erwachsenenleben mit, wobei die Heilungschancen abnehmen und sich die Selbstmordgefahr erhöht.

Bei einer Therapie ist außer einer qualifizierten Behandlung mit Psychopharmaka auch eine begleitende Psychotherapie erforderlich. Psychiater betonen, dass auffälliger Rückzug, Nachlassen der Interessen oder Suizidgedanken eines Kindes oder Jugendlichen immer ernst genommen werden müssen. Bei Verdacht auf erhöhtes Selbsttötungsrisiko sollten die jungen Patienten stationär aufgenommen werden. Bis zu 40 Prozent der mit einer schweren depressiven Episode erkrankten Jugendlichen, entwickeln innerhalb von fünf Jahren eine manisch-depressive Erkrankung.

Suizidalität im Jugendalter

Kinder unter 10 Jahren entwickeln zwar suizidale Gedanken, setzen diese aber nur sehr selten in die Tat um. Im Jugendalter kommt es jedoch zu einem drastischen Anstieg von Suizidversuchen (Parasuizide) und Suiziden. Parasuizide treten am häufigsten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf und sind zudem bei Frauen 2-3mal häufiger.

Suizidalität resultiert aus dem Gefühl, den Belastungen des Lebens nicht gewachsen zu sein. Dabei handelt es sich in der Regel um Fehleinschätzungen, die darauf zurückführbar sind, dass belastende Situationen überbewertet und die eigenen Möglichkeiten unterbewertet werden, und dass aus diesem Missverhältnis eine vermeintliche Aussichtslosigkeit, Hilf- und Hoffnungslosigkeit entsteht. Im Jugendalter sind negative Zukunftserwartungen und eine generelle Angst, dem Leben nicht gewachsen zu sein, besonders ausgeprägt. Zu den allgemeinen psychischen Risikofaktoren gehören niedriges Selbstwertgefühl, Ängstlichkeit, Depressivität, Gehemmtheit, Hilf- und Hoffnungslosigkeit, Affektlabilität, posttraumatische Zustände und nahezu alle schweren psychiatrischen Störungen.

Die mildeste Manifestation der Suizidalität sind suizidale Stimmungen und Gedanken. Wenn suizidale Stimmungen und Gedanken länger andauern, sich von belastenden Ereignissen lösen und sich verselbständigen, sich immer wieder aufdrängen und keine Distanzierung gelingt, wenn sie zu konkreten Suizidplanungen führen oder wenn sie im Kontext mit schweren psychischen Störungen auftreten, stellen sie jedoch eine ernste Bedrohung dar.

Suizidale Handlungen im näheren Umfeld der Jugendlichen haben oft direkte ansteckende Auswirkungen (Suizide von Familienmitgliedern, engen Freunden und Verwandten sowie Idolen der Jugendkultur wie Musikern und Schauspielern = "Werther-Effekt"). Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Jugendlich bereits in einer präsuizidalen Verfassung befinden.

Ein Hauptmerkmal der meisten Parasuizide und Suizide ist ihr appellativer Charakter und zielen an sich auf Veränderung und Verbesserung, verfehlen ihren eigentlichen Zweck aber.

Alle suizidalen Äusserungen bei Jugendlichen müssen deshalb in ihrer Signalwirkung ernst genommen werden.

Wer den Verdacht hat, ein Kind sei depressiv, sollte unbedingt kompetente Hilfe bei Familienberatungsstellen oder Kinderpsychiatern suchen. Depressionen sind ernst zu nehmende psychische Erkrankungen, denn auch Kinder und Jugendliche sind im Fall einer schweren Depression selbstmordgefährdet.

Suizid ist in Österreich die zweithäufigste Todesursache nach Unfällen. Dabei findet sich in der Gruppe der 25-Jährigen die höchste Rate: 20 Prozent der Mädchen und zehn Prozent der Buben haben Erfahrungen mit suizidalen Handlungen oder an Selbstmord gedacht. Im Jahr 2006 fanden sich die höchsten Suizidraten in der Steiermark, Kärnten und Oberösterreich, die niedrigsten im Burgenland, Wien und Vorarlberg. Am stärksten nehmen die Raten seit 1986 in Wien, Niederösterreich und der Steiermark ab. Wien hat nach der Aussage von Christian Haring (Österreichischen Gesellschaft für Suizidpräventio) eine jahrzehntelange Tradition mit suizidaler Forschung.

Wie verhalte ich mich gegenüber einem depressiven Kind oder Jugendlichen

Es ist vor allem ganz wesentlich, dass depressive Kinder und Jugendliche nicht als faul oder aggressiv bezeichnet werden, sondern dass Eltern, Erzieher, etc. erkennen, dass der Jugendliche ein Problem hat. Eine große Hilfe für die Betroffenen ist, wenn die Eltern Gesprächsbereitschaft signalisieren undzuhören. Es ist wichtig, den Betroffenen das Gefühl zu geben, dass ihre Gefühle, so wie sie sind, berechtigt sind, dass man ihnen helfen kann, dass man akzeptiert, dass sie diese Gefühle haben, auch wenn es einem selber schwerfäll,t die Krankheit zu akzeptieren. Eltern wollen oft nicht wahrhaben dass ihre Kinder depressiv erkrankt sind, da in ihre Vorstellungen von einer glücklichen Kindheit nicht das Bild eines traurigen, an sich selbst zweifelnden zurückgezogenen Kindes hineinpaßt (vgl. Schäfer 1999, S. 49ff.).

Lawrence L. Kerns beschreibt in seinem Buch "Hilfen für depressive Kinder“ , dass die Stärkung der Selbstachtung des Jugendlichen eine herausragende Bedeutung hat. Kerns spezialisiert sich zwar auf Kinder, jedoch sind diese zehn Regeln auch auf Jugendliche anzuwenden.

 

Warnsignale vor Suizid werden oft missachtet

"66 Prozent aller Jugendlichen sind fälschlicherweise noch immer davon überzeugt, dass jemand, der einen Selbstmord ankündigt, diesen nicht durchführt", berichtet der Wiener Jugendpsychiater Max Friedrich über die Rohdaten einer neuen Studie zur Thematik. "Dazu kommt das Problem, dass diese Ankündigungen häufig maskiert sind", warnt er. Sätze wie "Der dritte Weltkrieg kommt sowieso sicher, und dann ist alles aus" sollten daher die Alarmglocken schrillen lassen.

Friedrich ist überzeugt davon, dass es diese aktiven Warnzeichen vor jedem Suizid gibt. Hinweise auf Probleme können aber auch Verhaltensänderungen sein: Der Jugendliche kapselt sich ab, verliert Interessen an Hobbys oder Ähnliches. Wichtigstes, aber zu selten angewandtes Mittel ist das Gespräch mit dem Betroffenen, um die Hintergründe abzuklären. Gerade Mitschüler sollten diese Botschaften ernst nehmen und sich im Zweifelsarzt an den Schularzt oder Schulpsychologen wenden. Die Schule hat nach Friedrich einen großen Anteil und man muss das gesamte Umfeld wie Mobbing oder autoritäre Strukturen in Betracht ziehen.

Nach Ansicht des Psychologen Georg Fiedler ist das Thema tabuisiert, wobei die jungen Menschen häufig nicht wissen, an wen sie sich in einer solchen Krisensituation wenden sollen. Die Aus- und Fortbildung von ÄrzInnten, LehrerInnen und SozialarbeiterInnen bzw. aller Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten, sei dringend notwendig, denn sie alle sollten Signale erkennen und Probleme ansprechen können. Jugendliche mit psychischen Problemen senden sehr wohl Signale aus, wobei oft diffuse körperliche Beschwerden und sehr unspezifische Symptome Ausdruck von psychischen Leiden sind.

Max Friedrich: FAQs zur Depression

Woran erkennt man eine Depression?

Die Depression ist definiert durch ein Stimmungstief, gekennzeichnet durch eine Traurigkeit, die nicht erlebnis- oder ereignisgesteuert ist. Auch eine Antriebsminderung kommt dazu. Wenn man am liebsten gar nicht aufstehen will, nicht weiß, wozu man lebt und sich denkt, dass eh alles ein Scheiß ist. Nämlich als Selbstgespräch - ich mit mir. Und dann können auch vegetative Erscheinungen wie Mundtrockenheit, eine Enge in der Brust oder starke Verstopfung hinzukommen.

Wie kann man sich selber helfen?

Gar nicht. Man braucht einen Partner, mit dem man aktive Gespräche führen kann. Nichts im Leben kommt von allein, aus sich selbst. Es hat sich wohl bereits ein Müllberg angesammelt in der Seele. Und den gilt's abzuarbeiten. Das Problem ist, dass Depression und Suizidgedanken bei uns so im Eck angesiedelt sind, dass einen "Psy" aufzusuchen, ob der Psychologe, Psychiater oder Psychotherapeut heißt, noch immer nicht Platz gegriffen hat.

Was sagen Sie einem Jugendlichen, der kurz davor steht, Selbstmord zu begehen?

Wollen wir nicht miteinander reden?

Was sind die Ursachen für Selbstmorde Jugendlicher?

Es gibt ein paar große Themenbereiche, die immer wieder auftauchen: Das ist die Schule mit ihren Anforderungen, Partnerschaftskonflikte mit scheinbar unlösbaren Problemen, Finanznöte oder Reaktionen auf autoritäten Erziehungsstil. Jeder Mensch in unserem Kulturkreis hatte irgendwann eine Selbstmordfantasie. Aber er hat sie nicht zu einem Zeitpunkt gehabt, in dem er eingeengt war. Hilferufe werden oft nicht gehört. So lädt sich Aggression auf. Die maximalste Aggression, die ein Mensch gegen sich selber haben kann, ist, sich umzubringen. In unserer Gesellschaft redet man immer weniger miteinander und nimmt so Veränderungen nicht mehr so leicht wahr.

Wie sollte man auf Ankündigungen reagieren?

Sofort reden. Da muss man kein Psychologe sein, das kann jeder. Das Wesentliche ist das aktive Gespräch. Dem anderen aktiv zuzuhören bedeutet, ihm die Möglichkeit zu geben, im Mittelpunkt zu stehen. Dann ist ihm schon geholfen. Der nächste Punkt ist es, Fachleute wie Schulpsychologen einzubinden. Aus einer noch unveröffentlichten Studie geht hervor, dass Jugendliche nicht anonym beraten werden wollen. Sie wollen sich jemandem "face to face" anvertrauen, erwarten sich dann aber auch die entsprechende Hilfe.

Wie könnte der Staat den Leistungsdruck der Jugendlichen mindern?

Man bräuchte nur die Schule reformieren. Aber dazu müssten wir, auch die Reformeifrigen, unseren Egoismus abbauen und uns weniger wichtig nehmen. Der Geograf meint, die Geografie ist das Wichtigste, weil man sonst Weltpolitik nicht versteht. Doch so geht es nicht. Die Schulreform müsste ganz anders aussehen. Den Sadismus müsste man aus der Schule herausbringen - den Prüfungssadismus. Überprüfen und nicht hinausprüfen sollte das Motto sein. Aber man müsste für solch eine Änderung im Team arbeiten können, Achtung vor dem anderen Menschen haben. In meiner Traumschule bekommen die Kinder auch nicht von den Medien am ersten Schultag die Entmutigung: "Morgen beginnt der Ernst des Lebens."

Was können Eltern tun, wenn sie Veränderungen bemerken und die Kinder nicht reden wollen?

Da stellt sich zuerst die Frage, warum wollen die Jugendlichen nicht reden? Fühlen sie sich missachtet, nicht angenommen oder schnell abgefertigt? Es reicht nicht heimzukommen, die Bierflasche aufzumachen und sich vor den Fernseher zu setzen. Man muss reden. Eltern müssen die Kinder wahrnehmen. Es sagen mir mehr Jugendliche, dass sie keiner versteht, als Eltern mir sagen, dass ihre Kinder nicht mit ihnen reden. Es liegt auch sehr am Angebot der Eltern.

Warum werden Depressionen bei Kindern oft nicht erkannt?

Ja, das stimmt. Kinder maskieren deutlich, vor allem psychosomatisch. Sie verdecken es mit Erbrechen, Übelkeit, Bauchschmerzen und Kopfschmerzen. "Ich habe Kopfzerbrechen, ich finde das Leben zum Kotzen, mir bleibt keine Luft zum Atmen." - Wir haben umgangsprachliche Entsprechungen für unsere psychosomatischen Leiden. Es fehlt oft an Empfängern, die das dann auch glauben.

Wenn Kinder traurig sind

http://www.nachrichten.at/nachrichten/
ooen.asp?id=268655 (02-03-06)

Bis zu 2,5 Prozent der Kinder und 8,3 Prozent der Jugendlichen leiden an Depressionen. Selbst Kleinkinder im Alter zwischen ein und drei Jahren können betroffen sein. Selbstmorde aus Depression kommen heute schon bei den Zehnjährigen vor, erklärte Max Friedrich, Vorstand der Wiener Uniklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters, bei einem Symposium im Wiener AKH. Das Leiden zeigt sich an langanhaltenden Verstimmungen, Freudlosigkeit, Interesseverlust, Antriebsminderung, Schlafstörungen. Die Häufigkeit steigt bis zur Pubertät stark an. Bei den Erwachsenen sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Allerdings dürfte bei Männern die Erkrankung wegen oft nicht erkannter Symptome seltener diagnostiziert werden. Das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern bildet sich aber schon in der Jugend heraus: Auf zwei betroffene Mädchen kommt ein Bursch. Im schlimmsten Fall enden Depressionen bei Schülern mit Selbstmord, so Friedrich, am häufigsten in den Monaten Februar und Juni. Das dürfte auf eine Verbindung zum Schulstress hindeuten. Behandeln kann man Depressionen am besten mit Antidepressiva (Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer).

Depressionen bei Kindern und Jugendlichen

http://www.nachrichten.at/drucken/330780 (05-01-28) gekürzt (W.S.)

http://www.welt.de/gesundheit/ psychologie/article13289047/ Jeder-dritte-Schueler-schwermuetig-oder-antriebslos.html (11-04-29)

 

 

In Deutschland ergab 2011 eine Gesundheitsstudie der Deutschen Angestellten-Krankenkasse und der Leuphana Universität Lüneburg bei 5840 SchülerInnen, dass jeder dritte Schüler an depressiven Stimmungen leidet, sich unverstanden oder antriebslos fühlt, wobei Haupt- und Realschüler stärker betroffen sind als Gymnasiasten. Der Anteil der Schüler mit depressiven Stimmungen steigt von 23 Prozent im elften Lebensjahr auf 33 Prozent im 18. Lebensjahr stetig an, wobei es kaum Unterschiede zwischen Buben und Mädchen gibt, nur bei Schülern mit Migrationshintergrund ist der Anteil mit 36 Prozent besonders hoch. Die betroffenen SchülerInnen verfügen häufig über ungünstige Bewältigungsstrategien im Umgang mit Problemen, indem doppelt so viele Buben und Mädchen mit depressiven Stimmungen (37 Prozent) Problemen lieber aus dem Weg gehen, anstatt sie aktiv zu lösen, wobei dieses Vermeiden erfahrungsgemäß zur Stabilisierung psychischer Probleme beiträgt. Die Ursachen liegen nach dieser Untersuchung in einem belastendem Klima in der Klasse, Schulstress und Leistungsdruck , sodass nach Ansicht der StudienautorInnen Vorbeuge- und Interventionsmaßnahmen hier ansetzen müssten, indem man die Lebenskompetenzen der SchülerInnen stärkt, Fortbildungen für LehrerInnen und Informationsangebote für die Eltern durchführt, wie diese die Gefühle ihrer Kinder in diesem Alter akzeptieren, das Gespräch suchen können bzw. schon früh die Eigenständigkeit fördern. Rituale in der Familie können einem Kind Sicherheit geben, indem man es für konkretes Verhalten und gute Leistungen lobt, aber auch sportlicher Ausgleich kann hilfreich sein.

In Österreich nehmen sich pro Jahr etwa 50 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 20 Jahren das Leben. "Wenn sich die Kinder nicht mehr am Leben erfreuen, dann ist die Gefahr groß, dass sie sich etwas antun," sagt Werner Gerstl, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie an der Landes-Frauen- und Kinderklinik. Gerade Pubertierende seien anfällig für Suizid-Phantasien. "Die meisten jungen Menschen sterben an Unfällen, an zweiter Stelle steht bereits der Selbstmord", sagt Werner Leixnering, Leiter der Jugendpsychiatrie an der Landes-Nervenklinik in Linz. "Wir sind aufgerufen, die Suizidrate zu senken. Sie ist in Relation zu den Unfällen zu hoch." Etwa ein Prozent der Kinder im Vorschulalter zeigt Anzeichen von depressiven Störungen, im Schulalter sind es bereits zwei bis drei Prozent. Bis zu fünfzehn Prozent der Pubertierenden und der jungen Erwachsenen machen depressive Episoden durch. In der Abteilung für Jugendpsychiatrie an der Nervenklinik ist ein Drittel der Patienten deshalb in Behandlung. "Bei den 12- bis 17-Jährigen gibt es einen dramatischen Anstieg der Suizidgefahr", sagt Gerstl. "Eltern finden immer weniger Zeit für ihren Nachwuchs. Wo früher gelesen und gespielt wurde, regieren heute Fernsehen und Computerspiele", begründet Gerstl den Anstieg an Depressionen im Kindes- und Jugendalter. "Gestresste Eltern haben keine Zeit mehr um die Niederlagen ihrer Kinder gemeinsam aufzuarbeiten." Auch äußere Bedrohungen wie Umweltschäden, Aids, Katastrophen oder Krieg deprimieren die Jungen. Da in den Medien viel Gewalt gezeigt werde, sinke die Hemmschwelle des Sterbens, sagt der Experte.

"Kindern und Jugendlichen fehlt meist die Fähigkeit, ihr Leid zu beschreiben." Sie zeigten oft Symptome wie Aufsässigkeit, die von der Umgebung oft falsch gedeutet würden. Deswegen käme Gerstl wie auch seinem Kollegen Leixnering eine Art "Dolmetscherfunktion" zu. In der Behandlung gelte es, den Betroffenen mittels Psychotherapie die Möglichkeit zu geben, ausführlich über ihr schlechtes Gefühl, ihre Verzweiflung zu reden, sagt Leixnering. Während bei Kindern keine Medikamente verabreicht werden, sei dies bei Jugendlichen durchaus üblich.

"Oft lösen sich Depressionen schon alleine durch die geänderte Atmosphäre in der Klinik", sagt Gerstl. Entscheidend sei, sie möglichst früh zu erkennen. "Je länger ein junger Mensch von negativen Gefühlen erfasst ist, desto schwerer ist es, ihn davon zu lösen." Deswegen setzen die beiden Experten auf Prävention: Die Eltern müssten die jungen Leute ermutigen, ihnen Gelegenheit und Zeit geben, über ihre Gefühle zu reden. Gleichzeitig müsse die Hemmschwelle gesenkt werden, fremde Hilfe anzunehmen. Interessen- und Schlaflosigkeit, Konzentrations- und Kontaktstörungen, auffälliges Verhalten kann auf Depression beim Kind hinweisen. Buben sind oft aggressiv und streitsüchtig, Mädchen neigen zu Rückzug und Gewalt gegen sich selbst. Bei jungen Patienten kommen verstärkt körperorientierte Behandlungen wie Leib- und Musiktherapie zum Einsatz. Gerstl: "Magersüchtige verlieren oft ihr Körpergefühl. Um das wiederzugewinnen wird Tanz, Bewegung und Maltherapie eingesetzt."

Die Deutsche Depressionshilfe beschreibt die Besonderheiten der Symptomatik von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen nach Altersgruppen.

Kleinkinder (ein bis drei Jahre)
Vermehrtes Weinen, ausdrucksarmes Gesicht, erhöhte Reizbarkeit, überanhänglich, Kind kann schlecht alleine sein, selbststimulierendes Verhalten wie Schaukeln des Körpers oder exzessives Daumenlutschen, Teilnahmslosigkeit, Spielunlust oder auffälliges Spielverhalten, gestörtes Essverhalten, Schlafstörungen.

Vorschulalter (drei bis sechs Jahre)
Trauriger Gesichtsausdruck, verminderte Gestik und Mimik, leicht irritierbar, stimmungslabil, auffällig ängstlich, mangelnde Fähigkeit, sich zu freuen, Teilnahmslosigkeit und Antriebslosigkeit, introvertiertes Verhalten, vermindertes Interesse an motorischen Aktivitäten, innere Unruhe und Gereiztheit, unzulängliches oder auch aggressives Verhalten, Ess- und Schlafstörungen.

Schulkinder (sechs bis zwölf Jahre)
Verbale Berichte über Traurigkeit, Denkhemmungen, Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisstörungen, Schulleistungsstörungen, Zukunftsangst, Ängstlichkeit, unangemessene Schuldgefühle und unangebrachte Selbstkritik, psychomotorische Hemmung wie langsame Bewegungen und eine in sich versunkene Haltung, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Suizidgedanken.

Pubertäts- und Jugendalter (13 bis 18 Jahre)
Vermindertes Selbstvertrauen, Selbstzweifel, Ängste, Lustlosigkeit, Konzentrationsmangel, Stimmungsanfälligkeit, tageszeitabhängige Schwankungen des Befindens, Leistungsstörungen, das Gefühl, sozialen und emotionalen Anforderungen nicht gewachsen zu sein, Gefahr der Isolation und des sozialen Rückzugs, psychosomatische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Gewichtsverlust, Schlafstörungen und Suizidgedanken. Wichtig: In dieser Altersgruppe ist zu beachten, dass viele dieser Symptome - etwa Traurigkeit und Niedergeschlagenheit - typischerweise zur Pubertät dazugehören.

Fenstersprung wegen schlechter Schulnoten. Ein Schüler schwer verletzt.

Yverdon, 20. Nov. 2002 (sga) Wegen einer schlechten Schulnote hat sich ein zwölfjähriger Schüler am Mittwochmorgen aus einem Fenster seines Klassenzimmers an der Pestalozzi-Schule in Yverdon gestürzt. Bei dem Sturz aus sieben Meter Höhe erlitt er schwere Verletzungen. Wie die Kantonspolizei Waadt meldete, wurde er mit einem Helikopter ins Kantonsspital von Lausanne geflogen. Schüler und Leheer, die das Drama mitverfolgten, erhielten psychologische Betreuung. Für die Eltern der Schüler wurde ein Nottelefon eingerichtet. Das Erziehungsdepartement hat eine Administrativuntersuchung eröffnet. Laut Polizeiangaben hat sich der Schüler nicht getraut, seinen Eltern die schlechte Note zu präsentieren. Der Lehrer habe deswegen beschlossen, die Eltern sofort selber zu kontaktieren. Der Schüler habe die kurze Abwesenheit des Lehrers zu seinem Sprung aus dem Fenster benutzt.

 

Entstanden unter Verwendung von

http://www.zentrum-rodaun.at/lesen/depressiv.html (02-02-02)

http://www.zentrum-rodaun.at/lesen/depression.html (03-06-22)

http://www.zentrum-rodaun.at/lesen/schuelerselbstmord.html (03-06-22)

Braun-Scharm, Hellmuth (o.J.). Depressionen und Suizidalität im Kindes- und Jugendalter.
WWW: http://www.kinderpsychiater.org/deprsuiz.htm (02-12-20)

Fux Christiane (2005). Depression bei Kindern.
WWW: http://www.netdoktor.de/krankheiten/fakta/depression_kinder.htm (05-10-27)

Oerter, R. & Montada, L. (1995). Entwicklunspsychologie. Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Olbrich, E. & Todt, E. (1984). Probleme des Jugendalters. Berlin: Springer.



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