[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Geschichte der Kindererziehung *)

Literatur

 

Brezinka, Wolfgang (1995). Erziehungsziele, Erziehungsmittel, Erziehungserfolg. München: Reinhardt.

Bumsenberger, Karin (2001). Merkmale und Struktur elterlichen Erziehungsverhaltens. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Johannes Kepler Universität Linz: PPP der jku.

DeMause, L. (1992). Hört ihr die Kinder weinen. Eine psychologenetische Geschichte der Kindheit. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Engfer, A (1988). Sozioökologische Determinanten des elterlichen Erziehungsverhaltens. In K.-A. Schneewind & T. Herrmann (Hrsg.), Erziehungsstilforschung. Theorien, Methoden und Anwendung der Psychologie elterlichen Erziehungsverhaltens (S. 123-160). Bern - Stuttgart - Wien: Verlag Hans Huber.

Lukesch, H (1976). Elterliche Erziehungsstile. Psychologische und soziologische Bedingungen. Stuttgart - Berlin - Köln - Mainz: Kohlhammer.

Mohrs, T. (2010). „Kinderwille ist Kälberdreck“ – Die Geschichte der Kinderrechte. Freidenker. 69, 3-8.

Petzold, M (1999). Entwicklung und Erziehung in der Familie. Familienentwicklungspsychologie im Überblick. Hohengehren: Schneider.

Scheuerl, H (1985). Geschichte der Erziehung. Ein Grundriß. Stuttgart - Berlin - Köln - Mainz: Verlag W. Kohlhammer.

Schneewind, K.-A (1980). Elterliche Erziehungsstile: einige Anmerkungen zum Forschungsgegenstand. In T. Herrmann & K.-A. Schneewind (Hrsg.), Erziehungstilforschung. Theorien, Methoden und Anwendungen der Psychologie elterlichen Erziehungsverhaltens (S 19-30). Bern - Stuttgart - Wien: Verlag Hans Huber.

Schneewind, K.-A (1991). Familienpsychologie. Stuttgart - Berlin - Köln: Kohlhammer.

Tenorth, H.-E (1988). Geschichte der Erziehung. Einführung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung. Grundlagentexte Pädagogik. Weinheim - München: Juventa Verlag.

Wahl, K. & Hees, K. (Hrsg.) (2007). Helfen „Super Nanny“ und Co.?: Ratlose Eltern, Herausforderung für die Elternbildung. Berlin: Scriptor.

Kein Halt, keine Geborgenheit: Woran Kinder psychisch leiden.
WWW: http://www.nachrichten.at/ratgeber/
familie/art124,271983 (09-10-07)

Siehe auch
Wertewandel in der Kindererziehung - Neuere Entwicklungen in der Kindererziehung
Auswirkungen von Schichtunterschieden auf die Erziehung - Mögliche Ursachen dieser Unterschiede
Erziehungsstile - Begriffsbestimmung und Begriffsabgrenzungen
Grenzen und Auswirkungen der Erziehung

Praktische Tipps zur Kindererziehung


Bevor sich seit dem 19. Jahrhundert Kinderrechte und Kinderschutz entwickelten, musste überhaupt erste eine Vorstellung von einem Phänomen wie Kindheit entstehen. Kinder galten lange Zeit als unreife, unfertige und vor allem untergeordnete Wesen, deren Willen und Wünsche im Zweifel belanglos waren und die man als Erwachsener nicht ernst zu nehmen brauchte. Umgekehrt oblag den Eltern nach diesem Verständnis zwar einerseits die Obhut und Fürsorge für ihre Kinder, andererseits war aber klar, dass die Eltern nach ihren eigenen Maßstäben zu beurteilen hatten, was für ihre Kinder das Beste war, da die Kinder ja definitionsgemäß dazu nicht in der Lage waren (Mohrs, 2010).  Im Mittelalter und am Anfang der Neuzeit – in den niederen Schichten noch länger – waren Kinder annähernd mit den Erwachsenen vermischt, sobald man ihnen zutraute, dass sie ohne die Hilfe der Mutter oder der Amme auskommen konnten. Die Entdeckung bzw. Erfindung der Kindheit erfolgte erst ab der Neuzeit. Im Mittelalter wurden die ganz Kleinen zwar auch schon gehätschelt, aber sie verblieben in einer gewissen Anonymität. Damals wurden sehr viele Kinder geboren, wobei die meisten von ihnen bald starben, sodass angesichts der hohen Sterblichkeit die Erwachsenen einem bestimmten Kind keine besondere Bedeutung beimaßen. Sobald die Kinder etwa das heutige Volksschulalter erreicht hatten, traten sie übergangslos in die Erwachsenenwelt ein, d. h., sie wurden als kleine, defizitäre Erwachsene betrachtet - was sich auch in der bildlichen Darstellung als kleine Erwachsene nachvollziehen lässt -, lebten und lernten mit den Großen, kleideten sich wie sie. Kinder waren unvermeidlich und ökonomisch relevant, denn sie wurden von den Erwachsenen als Besitz gesehen, samt ihrer Arbeitskraft, wobei schon Vierjährige arbeiten mussten.

Über viele Jahrhunderte war die Geschichte der Kindererziehung eine Geschichte der Gewalt, wobei auch im christlichen Abendland bis weit in die Neuzeit hinein als Teil der natürlichen gottgegebenen Ordnung galt, dass Kinder rechtlos und gegenüber ihren Eltern zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet waren, in rechtlicher Hinsicht in aller Regel Eigentum des Vaters. Ebenso ging mit dem Erziehungsrecht der Eltern das Recht zur körperlichen Züchtigung einher, die als legitimes und probates Mittel der Erziehung betrachtet wurde, nicht nur im Elternhaus, sondern auch in der Schule und anderen Erziehungsanstalten. Dieses Recht wurde bekanntlich häufig nicht für erzieherische Zwecke eingesetzt, sondern auch zur Befriedigung der sadistischen Lust an der Unterdrückung der Kinder durch entsprechend veranlagte Erwachsene (Mohrs, 2010).

Je weiter man in der Geschichte der Kindheit zurückgeht, desto unzureichender war die Pflege und Fürsorge für Kinder, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind getötet, ausgesetzt, geschlagen, gequält und sexuell missbraucht wurde. Manche Historiker bezeichnen die bis in die Spätantike reichende Phase der Kindheitsgeschichte als infantizide Phase, also die Phase des Kindesmordes etwa zur Geburtenkontrolle, wobei ein größerer Teil der Kinder auf unterschiedlichste Art und Weise getötet wurde, denn man hat sie einfach ertränkt oder in großen Gefäßen vergessen. Erst im Mittelalter ging man dazu über, unerwünschte Kinder oder solche, die man nicht mehr ernähren konnte, etwa in Klöster wegzugeben, doch wurde die Kindestötung aber bis ins 17. Jahrhundert inoffiziell geduldet und häufig praktiziert. Wichtig wurde die Kindheit als Lebensphase in Europa erst seit dem 16. Jahrhundert verbunden mit der Idee, man müsse Kinder erziehen, ihre Seele und ihren Geist formen. Die körperliche Gewalt ging zurück, dafür nahm aber die psychische zu, denn der kindliche Wille galt als bedrohlich und musste gebrochen werden. Erst die Pädagogen der Aufklärung haben dieses Bild von Erziehung nachhaltig verändert. Aber auch wenn die Kindheit für die Humanisten der Aufklärung wichtig war, war sie dennoch nur Mittel zum Zweck, eine auf das Leben der Erwachsenen orientierte Übergangs- und Lernzeit, die vor allem deswegen so wichtig war, weil die Kinder in diesem Alter leichter formbar waren. Erst in der Zeit der Reformpädagogik begann man, die kindlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Erziehung zu stellen.

Man kann nach Petzold  (1999, S. 9ff) sozialgeschichtlich gesehen sechs Entwicklungsphasen unterscheiden:

In der ersten Phase der Geschichte, der Kindheit, hatten Kinder keinen eigenen gesellschaftlichen Wert. Diese Epoche war gekennzeichnet durch eine allgemeine soziale Akzeptanz des Kindermords. Es war üblich, unerwünschte Kinder auf unterschiedlichste Art und Weise zu töten, man ertränkte sie einfach oder steckte sie in große Gefäße, in denen sie dann "vergessen" wurden und verhungerten. Sie dauerte etwa von der Antike bis zum 4. Jahrhundert.

Im Mittelalter, genauer gesagt vom 4. bis zum 13. Jahrhundert, wurden unerwünschte Kinder oder solche, die zu ernähren eine Familie nicht in der Lage war, nicht mehr getötet, sondern für immer weggegeben, z. B. in Klöster. Allgemein lebten die Kinder der höheren Schichten mehr mit den Bediensteten als mit ihren Eltern zusammen, während sie in den unteren sozialen Schichten schon früh zu harter Arbeit herangezogen wurden, um die Familie ernähren zu helfen. Im Mittelalter unterteilte man das Lebensalter von Kindern in drei Stufen: Die Infantia dauerte von der Geburt bis zum Ende des 6. Lebensjahres, wobei bis dahin die Eltern ermahnt wurden, sich gut um das abhängige Kind zu kümmern. Die Pueritia dauerte bei Mädchen vom 7. bis zum 12. Lebensjahr und bei Buben vom 7. bis zum 14. Lebensjahr. Anzeichen für das Verlassen dieser Entwicklungsstufe war eine gute Ausprägung des Sprachvermögens, erweiterte soziale und moralische Empfindungen und das beachtliche logische Denkvermögen. Auch im Mittelalter betrachtete man Mädchen in diesem Alter als früher reif als gleichaltrige Buben. Man betrachtete sie in diesem Alter als eigenständige Mitglieder der Gesellschaft und konnte sie verheiraten. Ab dem 7. Lebensjahr begann auch für manche Kinder die Ausbildung. Die Adolescentia, das Jugendalter, setzte ab dem 12. bzw. dem 14. Lebensjahr ein, wobei man ihnen ab diesem Alter einen vermehrten Drang der Jugendlichen zur Sünde feststellte.

Ehe und Familie wurden in der Renaissance zum Adressaten konfessionell geordneter Erziehungsvorstellungen. Erziehung wurde vor allem Sache dieser Instanz, nicht mehr die Kirche, wie man es später noch im katholischen Bereich wird finden können.  Die protestantischen Erziehungsstraktate und -praktiken stärkten die Gewalt des Hausvaters als nicht nur ökonomische, sondern auch religiöse Autorität. Außerdem wurde die eigenständige Rolle der Frau durch die protestantischen Erziehungskonzepte aufgewertet (vgl.  Tenorth  1988, S. 65).

Im 18. Jahrhundert erkannte man erstmals in der Kindheit eine eigene Lebensperiode, die gegenüber Normen und Traditionen der Erwachsenen ihren eigenen Wert hatte. Kindheit wurde hier nicht bloß „entdeckt“, sondern als Konstrukt überhaupt erst „entworfen“, was auf fatale Weise pädagogischen Allmachtsphantasien Vorschub leistete. Der Wandel der Kindesnatur hing von kulturellen und sozialen Bedingungen, unter denen vor allem Erwartungen, die die Erwachsenen an ihre Kinder herantrugen, eine prägende Rolle spielte, ab. Eigene Reservate für Kinder erhielten den Zweck, vom Ernstleben der Erwachsenen abgehoben solchen kindlichen Bedürfnissen zu dienen, auf die die übrige Gesellschaft sonst keine Rücksicht nahm. Hierzu gehörte einerseits der Prozeß der Verschulung und andererseits ein vom Leistungsdruck der Erwachsenen abgehobenen Spielraum des unschuldigen Kindsein-Dürfens (vgl.  Scheuerl  1985, S. 89ff).

Ab dem 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der ganze Bereich der Bildung und Ausbildung gesellschaftlich neu gestaltet und enorm ausgebaut. Nun ist die Sozialisation des Kindes ein zentrales Thema gesellschaftlicher Aufgaben geworden. Es setzte sich zunehmend der Gedanke durch, dass ein Kind nicht nur körperlich "herangezogen" werden und ein wenig Anleitung erhalten, sondern die komplizierte Gesellschaft kennenlernen und in sie eingegliedert werden müßte, um in ihr existieren und überleben zu können.

Man kann sogar sagen, dass das Kind eine Entdeckung des 19. Jahrhunderts ist. Die Einsicht in der Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit des Kindes führt dazu, dass sich die Familie um das Kind herumgruppiert und sich die Gesellschaft von da an in die familiäre Sphäre einerseits und die gesellschaftliche Sphäre andererseits polarisiert (vgl.  Schneewind  1980, S. 127).

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts war als oberster Wert die Unterstützung und Förderung des Kindes bei der Entwicklung zu einer individuellen Persönlichkeit zu erkennen. Dies setzte ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Eltern und Kindern voraus. Ein Machtgefälle musste vermieden werden, da sich das Kind sonst nicht seiner persönlichen Art entsprechend entwickeln konnte. Im Rahmen dieser modernen Ideologie kam den Eltern die Rolle zu, dem Kind bei seiner persönlichen Entwicklung zu helfen. Disziplinierende Maßnahmen sollten unterbleiben, da sie das Kind nicht unterstützten und förderten, sondern es behinderten.

Aktuell werden in Fernsehsendungen pädagogische Szenarien breitenwirksam aufbereitet, z.B. Die Supernanny oder Die Supermama, wobei diese Sendungen davon ausgehen, dass ein Bedürfnis der Eltern nach Beratung und Hilfe vorliegt. Sie geben vor, dass sie den Eltern Hilfe in Erziehungsfragen erteilen können, wobeidieses Affektfernsehen mit Dramatisierungseffekten oder mit „worst-case“ Szenarien arbeitet, denn schließlich muss das zugrundeliegende pädagogische Konzept zum Erfolg führen, wobei zur Erhöhung der Wirksamkeit semidokumentarisch reale Eltern und Kinder, also keine Schauspieler, in ihren alltäglichen erzieherischen Konfliktsituationen gezeigt werden. Oft kommt es in diesem Zusammenhang sogar zur Vorführung und Diskriminierung der Kinder und Eltern, denn das Kind in dieser Inszenierung ist primär böse, verhaltensgestört, nervig und die Eltern machen primär Fehler (Wahl & Hees, 2007).

Erziehung und Kultur

Was durch Erziehung bezweckt wird, hängt von den Persönlichkeitsidealen ab, die in einer Gesellschaft und in ihren Untergruppen gelten. Vom gesellschaftlichen Gesichtspunkt aus betrachtet ist die Erziehung in erster Linie ein Mittel, um den Fortbestand einer Gesellschaft und ihrer Kultur zu sichern.

Betrachtet man die Erziehung nicht vom Gesichtspunkt der Gesellschaft, sondern vom Individuum, d.h. von der Person des Zu-Erziehenden und ihrer Vervollkommnung aus, dann zeigt sich auch dabei, dass die als Ideal gesetzten psychischen Dispositionen nicht beliebig sind, sondern den im Lebensraum des Educanden jeweils geltenden Normen entsprechen (vgl.  Brezinka 1995, S. 169f). 

Laut Kagan sind die Art der subjektiven Kodierung des Kindes die entscheidenden Konsequenzen familiärer Erfahrungen, wenngleich bislang noch nicht geklärt ist, wie die Übertragung eines externen Ereignisses in eine subjektive Interpretation stattfindet. Es mag sein, dass einer der kritischen Faktoren hierbei kulturelle Unterschiede bezüglich der kindseits wahrgenommenen elterlichen Erziehungsziele sind (vgl. Schneewind 1991, S. 85).

Die Schlußfolgerung, dass elterliche Feindseligkeit und strikte Kontrolle zu aggressivem Verhalten bei Kinder führt, erscheint innerhalb eines spezifischen kulturellen Kontext plausibel. Ein als feindselig klassifiziertes Elternverhalten muß nicht in jedem Fall zu denselben Konsequenzen führen, wenn es in einer anderen Kultur oder Subkultur geäußert wird. Ein anschaulicher Beleg dafür ergibt sich aus einer Untersuchung von Familien in den USA, dass farbige Mädchen, deren Mütter in hohem Maße aggressive und feindselige Disziplinierungspraktiken verwendeten, durchsetzungsfähiger und unabhängiger in ihrem Verhalten waren als eine Kontrollgruppe von weißen Mädchen und ihren Müttern. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, dass mit den eher autoritären Erziehungspraktiken die Absicht verbunden war, bei diesen Mädchen eine gewisse überlebenssichernde Härte zu entwickeln. Dies hat zur Folge, dass diese Mädchen das Verhalten ihrer Mütter nicht als einen Ausdruck der Zurückweisung, sondern eher als einen Beweis ihrer liebevollen Fürsorge wahrnahmen (vgl. Schneewind 1991, S. 85).

Kinder in Gesellschaften mit hohem soziopolitischen Pluralismus (wie in den USA, Deutschland, ...) entscheiden sich in Situationen kollidierender Normorientierungen viel weniger erwachsenen- oder autoritätsorientiert als Kinder, die in Gesellschaften mit niedrigen soziopolitischen Pluralismus (wie z.B. in Rußland, ...), aufwachsen (vgl. Engfer 1980, S. 125).

Erziehungsnormen, -einstellungen und -praktiken werden selbst als integrierender Bestandteil von Kulturen betrachtet und - unter einer solchen Annahme - als Determinante ihrer selbst. Das heißt, dass sich in verschiedenen Gesellschaften - im Sinne eines Gefüges von Menschen - unterschiedliche Erziehungsstile herausgebildet haben (vgl. Lukesch 1976, S. 29).

Die Geschichte der Kindererziehung ist ein Alptraum, aus dem wir gerade erst erwachen. Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, desto unzureichender wird die Pflege der Kinder, die Fürsorge für sie, und desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder getötet, ausgesetzt, geschlagen, gequält und misshandelt wurden (vgl.  deMause 1992, S. 12). Nicht nur in der Antike, sondern auch in der mittelalterlichen Kunst finden sich kaum Darstellungen von Kindern. Das mangelnde Interesse am Kinde zeigt sich auch im Umgang mit ihnen. So wurden sie unzureichend gepflegt, misshandelt, ausgesetzt, versklavt, getötet und ausgebeutet. Die Forschung geht davon aus, dass etwa die Hälfte aller Kinder in einem Zustand zwischen Leben und Tod dahinvegetierten und viele starben. Im Unterschied zu heute war die gesellschaftliche Akzeptanz der Beziehungen von Erwachsenen mit Kindern weitaus größer, da sie mit religiösen Argumenten und alten Mythen gerechtfertigt wurden und somit teilweise legal waren. Dies belegen die Schriften der Sumerer, Babylonier, Israeliten sowie die Überlieferungen der Griechen und Römer (Salhab 2004).

Die Gewalt in der Erziehung hat sich gewandelt, ist aber immer noch ein zentraler Problembereich. Die Psychoanalytikerin Alice Miller glaubte, dass die Erzählungen ihrer Patienten über Misshandlungen und Missbrauch niemals deren Phantasien entspringen, sondern stets realen Erfahrungen. Fast alle Kinder erfahren durch Erwachsene Herabsetzung, Ignoranz und Gewalt, aber wird ein Kind geschlagen und seelisch verletzt, dann lernt es selber zu schlagen und zu verletzen, während das beschützte und respektierte Kind lernt, Schwächere zu respektieren und zu beschützen. Kinder ahmen nur das nach, was sie am eigenen Leib erfahren. Ohne Therapie und ohne Auseinandersetzung mit dem Erlebten werden aus misshandelten oder vernachlässigten Kindern rachsüchtige und hartherzige Erwachsene, wobei es keinen Sinn macht, Appelle zur richtigen Erziehung an die Eltern zu richten. Die Erwachsenen müssen sich selber klarmachen, was ihnen an Schmerzen in ihrer Kindheit zugefügt worden war. Miller zeigte, welche Auswirkungen Gewalt gegen Kinder haben kann, und mahnte, dass seelischer, körperlicher und sexueller Missbrauch lebenslange Folgen für die Menschen haben kann. Alice Miller 1923 als Alicja Rostowska in Lemberg geboren, studierte Philosophie, Psychologie und Soziologie und machte danach eine Ausbildung zur Psychoanalytikerin. Ihre wichtigsten Bücher sind "Das Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst" und "Am Anfang war Erziehung".

Psychische Leiden der Kinder in einer veränderten Welt

Am Rande der Tagung "Die Kraft der Familie: Das Geheimnis geglückter Beziehungsentwicklung in der Kindheit“ gab Michael Merl, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Kinderklinik Linz, den OÖN ein Interview, in welchem er analysiert, woran Kinder heutzutage psychisch leiden.

Zu wenig Halt

„Kinder und Jugendliche haben oft große Schwierigkeiten, weil ihre Entwicklung nicht mehr so stattfinden kann, wie sie es eigentlich brauchen würden“. Viele Eltern könnten ihrem Nachwuchs nicht die erforderliche Geborgenheit im Leben geben, weil sie selbst mit vielerlei Problemen zu kämpfen hätten.

Unsichere Eltern

Mütter und Väter geraten heutzutage viel öfter als früher in Situationen , in denen sie nicht mehr wüssten, wie Erziehung geht, wie man Kinder führt. „Ich will hier nicht der Großfamilie das Wort reden, aber dort lernte man natürlich ganz automatisch, wie manche Dinge im Leben funktionieren.“

Wegwerf-Gesellschaft

Die moderne Gesellschaft nimmt Dinge vorweg, die Kinder für eine gesunde Entwicklung brauchen. „Wir leben in einer Kultur, in der man nicht mehr lernt, etwas zu erarbeiten und dann zu schätzen. Früher wurde viel gebastelt, gebaut oder gemeinsam hergestellt. Heute kauft man alles fertig – und wenn es kaputt ist, wirft man es wieder weg.“

Keine Erlebnisräume

Kindliche Erlebnisräume sind oft nicht mehr vorhanden. „Als ich ein Kind war, lernten wir beim Räuber-und-Gendarm-Spiel, wie es ist, sich zu bekriegen, zu streiten und danach wieder zu versöhnen. Wir lernten leben“.

Spiegelneuronen

Durch die neuen Kommunikationsformen wie Simsen und Chatten verlieren Jugendliche eine immens wichtige Fähigkeit. „Sie sehen nicht mehr, wie die Botschaften, die sie senden, bei ihrem Gegenüber ankommen. Sie erkennen die Freude oder die Enttäuschung im Gesicht des anderen nicht“. Es wichtig ist, die Reaktion des Kommunikationspartners zu erkennen, zu fühlen, zu erspüren. „Dafür sind so genannte Spiegelneuronen in unserem Gehirn verantwortlich. Diese Verbindungen sind zwar da – wenn sie aber nur selten genützt werden, verkümmern sie, und wir verlieren die Fähigkeit, Gefühle bei anderen Menschen zu erkennen.“

Zu wenig Gemeinsamkeit

„Familien tragen viel dazu bei, wie Menschen werden. Gibt es zum Beispiel keine gemeinsamen Zeiten, keine gemeinsamen Mahlzeiten mehr, ist auch keine Gelegenheit mehr da, über den Tag, die Schwierigkeiten zu reden. Die Kultur der aktiven Auseinandersetzung mit den anderen geht verloren“. Genau diese Zeiten wären wichtig, weil Kinder so die nötige Geborgenheit bekommen und sich hier den Schutz holen, den sie brauchen, wenn sie in Schwierigkeiten sind.

Quelle: Einige dieser Arbeitsblätter zur Erziehung entstammen der Studie von Karin Bumsenberger "Merkmale und Struktur elterlichen Erziehungsverhaltens" und werden hier für die Verwendung in Lehrveranstaltungen vorgehalten.



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