Sigmund Freud
Die folgende Chronologie stammt von den illustrativen und informativen Seiten des Freudmuseums in der Wiener Berggasse (http://www.freud-museum.at/), die links zu den Jahreszahlen verweisen auf die dort angebotenen vielfältigen Informationen und historischen Daten, wobei besonders auf die Ton- und Filmdokumente verwiesen sei.
Sigismund Freud wird am 6. Mai in Freiberg, Mähren (Tschechien) geboren. |
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Die Familie Freud zieht 1860 nach Wien. |
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Beginn der Freundschaft mit Eduard Silberstein. |
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Freud macht 1873 seine Matura und beginnt sein Studium an der Universität Wien. |
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Freud studiert unter Claus und Brücke. |
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Freud promoviert 1881 zum Doktor der Medizin. |
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Er beginnt unter Theodor Meynert an der Psychiatrischen Klinik zu arbeiten. |
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Beschäftigung mit Kokain. |
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Heirat mit Martha Bernays. |
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Freud beschäftigt sich mit dem therapeutischen Einsatz von Hypnose. |
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Beginn der Freundschaft mit Wilhelm Fließ. |
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Umzug in die Berggasse 19 |
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Freud arbeitet zusammen mit Josef Breuer an den "Studien über Hysterie". |
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Zum ersten Mal gelingt es ihm, einen eigenen Traum zu analysieren. |
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Freud verwendet zum ersten Mal den Begriff "Psychoanalyse". |
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Beginn der "Selbstanalyse". |
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Publikation von "Zum psychischen Mechanismus der Vergeßlichkeit" |
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Die ersten Exemplare der auf 1900 vordatierten "Traumdeutung" erscheinen. |
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Freud beginnt die Analyse der 18jährigen Dora. |
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Gründung der psychologischen Mittwochsgesellschaft |
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Wilhelm Fließ und Freud treffen sich zum letzten Mal in Wien. |
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Gemeinsam mit seinem Bruder Alexander reist er zum ersten Mal nach Athen. |
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Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, und Bruchstück einer Hysterie-Analyse (Dora) erscheinen. |
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C.G. Jung beginnt seine Korrespondenz mit Freud. |
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Veröffentlichung von "Der Wahn und die Träume in W. Jensens 'Gradiva'". |
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In Salzburg findet der 1. Kongreß für "Freudsche Psychologie" statt. |
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Reise nach Amerika. |
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Gründung der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. |
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Alfred Adler tritt aus der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung aus. |
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Gründung der psychoanalytischen Zeitschrift "Imago". |
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Bruch mit C.G.Jung. |
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Ausbruch des Ersten Weltkrieges. |
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Besuch von Rainer Maria Rilke. |
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Der erste Teil der "Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse" erscheint. |
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Georg Groddeck schließt sich der psychoanalytischen Bewegung an. |
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Freud verliert sein gesamtes, in österreichischen Staatspapieren angelegtes Vermögen. |
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Gründung des Internationalen Psychoanalytischen Verlags. |
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Gründung des "International Journal of Psycho Analysis". |
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André Breton besucht Freud in Wien. |
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Freud arbeitet an seiner Schrift "Eine Teufelsneurose aus dem 16. Jahrhundert". |
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Erste Zeichen eines Mundhöhlenkrebses werden bei Freud entdeckt. |
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Konflikt mit Otto Rank über die Bedeutung des Geburtstraumas in der Psychoanalyse. |
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Die ersten Bände der "Gesammelten Schriften" Freuds erscheinen. |
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Zu seinem 70. Geburtstag erfährt Freud zahlreiche Ehrungen. |
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Ein von Freud mitunterzeichneter Wahlaufruf für die Sozialdemokraten Wiens erscheint in der "Arbeiter Zeitung". |
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Freud bekommt von Dorothy Burlingham eine chinesische Chow Chow Hündin namens Lin Yug (Lün) geschenkt. |
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Arnold Zweig veröffentlicht einen Essay mit dem Titel "Freud und der Mensch", worin er Freud als Befreier von religiösem und pathologischem Terror feiert. |
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Ein Herzanfall zwingt Freud, das Rauchen einzustellen. |
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Die finanzielle Situation des Internationalen Psychoanalytischen Verlags spitzt sich zu. Freud sendet einen Rettungsaufruf an die psychoanalytischen Organisationen. |
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Sándor Ferenczi lehnt das Amt des Präsidenten der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung ab, da er in vielen Punkten der psychoanalytischen Theorie nicht mehr mit Freud übereinstimmt. |
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Hitler wird Reichskanzler. |
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In Luzern findet der 13.Internationale Psychoanalytische Kongreß statt. zahlreiche deutsche Analytiker hatten zu diesem Zeitpunkt bereits den Weg in die Emigration antreten müssen. |
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Freud wird zum Ehrenmitglied der British Royal society of Medicine gewählt. |
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Thomas Mann hält im Konzerthaus die Festrede "Freud und die Zukunft". |
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Anna Freud eröffnet gemeinsam mit Dorothy Burlingham am Rudolfsplatz die "Jackson Nursery", einen Kindergarten für Kleinkinder, in dem sie ihre Studien über Aspekte kindlichen Eßverhaltens beginnt. |
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Der österreichische Kanzler Schuschnigg wird von Hitler zum Rücktritt gezwungen. Schuschnigg verspricht, dass dem am 12.März einrückenden deutschen Heer kein Widerstand geleistet wird. Am 13. März wird das "Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich" verkündet. Eine Welle von politischen Verhaftungen und antisemitischen Verfolgungsaktionen bricht los. Freuds Wohnung und die Wiener Psychoanalytische Vereinigung wird durchsucht. Anna Freud (Bild) wird einen Tag lang von der Gestapo festgehalten und verhört. |
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Am 23. September stirbt Freud in London. |
Freuds Menschenbild
Mit der Entwicklung der Psychoanalyse hat Freud die Wahrnehmung des seelisch leidenden Menschen verändert. Nachdem sogenannte Verrückte jahrhundertelang in eigens dafür eingerichteten Gebäuden eingesperrt worden waren und sich die wissenschaftliche Psychologie seiner Zeit mit der exakten Beschreibung kognitiver Phänomene beschäftigt hatte, setzt Freud sich hin, legt die PatientInnen auf die Couch und hört ihnen zu. Aufmerksam registriert er jedes Wort und jede darin enthaltene Nuance, um verborgene Bedeutungen aufzuspüren.
Sigmund Freud schockierte seine Umgebung mit der Behauptung: "Der Mensch ist nicht Herr seiner selbst." Die Existenz des Unbewußten ist jedoch bei weitem nicht Freuds Entdeckung. Lange vor Freud wurde diese Instanz von Schamanen, Medizinmännern, Heilern, Künstlern verschiedener Kulturen erkannt. Freud hat diesem Wissen ein theoretisches Interesse zugewandt und dabei erstmals die fundamentale Rolle des Unbewussten für die menschliche Entwicklung fomuliert. Den Begriff des Unbewußten hatte schon C.G. Carus eingeführt, jedoch ist Freud der Entdecker der gesetzmäßigen Dynamik des Unbewußten.
Noch heute gilt das Unbewußte als das, was der geistigen und auch emotionalen Wachheit eines Menschen nicht (oder nicht mehr) zugänglich ist. Für Freud ist das Unbewußte kein statisches Schachtelsystem mehr, wie sich die zeitgenössischen Psychologen noch das Gedächtnis vorstellten, sondern ein dynamisches Konglomerat unausgelebter, nicht eingestandener Konflikte und biographischer Daten. Freuds Unbewußtes ist der Träger verdeckter und verdrängter Wahrheiten, die aber immer wieder an die wache Oberfläche des Bewußtseins der jeweiligen Person drängen. Wie sehr das Unbewußte dem Bewußtsein immer wieder das Konzept verdirbt, beweist für Freud schon das an sich völlig harmlose Verhalten des "Sichversprechens", wenn beispielsweise die Grabrede eines Intimfeindes lautet: "Der erschütternde Verlust, den wir errungen haben..." statt "...den wir erlitten haben...".
Freuds psychischer Apparat des Menschen besteht im wesentlichen aus drei Ebenen, die sich in einem steten Kräftespiel von Trieb und Kontrolle befinden. Das ES ist die älteste psychische Instanz, birgt die ererbten Anlagen, gehorcht dem Lustprinzip und ist folglich gesteuert von den Trieben. In der Begegnung mit dem sozialen Umfeld, der Gesellschaft und allgemein der Umwelt entwickelt sich die zweite Ebene, das ICH. Das ICH stellt die bewußte Vernunft- und Entscheidungsebene dar. Das ÜBER-ICH repräsentiert die gesellschaftlich-kulturelle Ebene. Hier werden Informationen aus Erziehung und Elternhaus sowie anderer Bezugspersonen gespeichert, vor allem auch deren Moralvorstellungen. Es ist gewissermaßen Nachfolger und Vertreter der Eltern und Erzieher. Auf der ÜBER-ICH-Ebene findet sich demzufolge auch die richterliche Instanz des (erlernten) Gewissens. Allgemein wird durch das ÜBER-ICH die Persönlichkeit kontrolliert.
Das ICH befindet sich in einem permanenten Entscheidungsprozeß bis hin zum Kampf, zwischen den lustbetonten Trieben des ES und dem Kulturanspruch des ÜBER-ICH vermitteln oder gar entscheiden zu müssen. Wenn das ICH dem ÜBER-ICH das Opfer eines Verzichts auf die Lust bringende Befriedigung der Triebe gebracht hat, erwartet es, als Kind wie als Erwachsener, als Belohnung dafür von ihm geliebt zu werden.
Nach Freuds psychischem Konzept entstehen Neurosen, Psychosen und andere seelische Fehlleistungen durch die Unterdrückung von Trieben. Eine Neurose fungiert als Ersatzhandlung und stellt den Versuch des jeweiligen Menschen dar, einem größeren Übel auszuweichen, in der Regel einem Konflikt mit dem ÜBER-ICH und daraus resultierendem Liebesverlust. Die Mächtigkeit des ÜBER-ICHs spielt hierbei eine sehr entscheidende Rolle. Denn als soziales Wesen ist der Mensch extrem abhängig von gesellschaftlicher Anerkennung und dem damit verbundenen Gefühl, anderen "etwas wert zu sein". Ein sehr strenges und rigides Elternhaus beispielsweise zementiert ein übergroßes ÜBER-ICH. Kann sich die ICH-Ebene nicht stark genug mittels anderer, unterstützender Bezugspersonen entwickeln, so muß das ICH, um nicht zwischen den beiden inneren Instanzen ES und ÜBER-ICH zerrieben zu werden, einen zu großen Anteil des lustbetonten ES unterdrücken und verdrängen. Freud meinte, dass so die Grundlagen für neurotisches Verhalten geschaffen werden. Funktionelle seelische Erkrankungen stellten sich für ihn als die Ergebnisse von Kompromißbildungen zwischen dem ÜBER-ICH und verdrängten triebhaften Regungen des ES dar.
Eine gesunde Unterdrückung der Urtriebe des ES ist jedoch notwendig und ermöglicht dem Menschen erst ein zivilisiertes Zusammenleben. Jede Solidarität mit anderen Menschen bedeutet Triebverzicht. Und genau dieser Triebverzicht ermöglichte dem Menschen die Entwicklung seiner Kultur (Sublimierung). So entmündigt das ÜBER-ICH einerseits den Menschen, kultiviert ihn aber andererseits, indem es ihm hilft, die Leidenschaften und Triebe zu zähmen.
Die Psychoanalyse
Wörtlich genommen bedeutet der Begriff Psychoanalyse "Seelenzergliederung". Die Psychoanalyse ist eine Methode, welche die unbewußte Bedeutung vom Verhalten eines Menschen, seinen Träumen und Phantasien zu ergründen und durch Bewußtmachung Neurosen zu heilen versucht.
Der therapeutische Ansatz der Psychoanalyse besteht in der Überzeugung, dass aktuelle neurotische Störungen eines Menschen ihre Ursachen in der frühen Kindheit haben. Diese frühen Ursachen müssen nun aufgedeckt und erinnert werden. Die durch Erfahrung erworbene Einsicht soll dem Patienten dann helfen, die aktuelle Störung zu bewältigen. Schnell taucht beim Patienten die von Freud als "Widerstand" bezeichnete Angst auf, diese Aufdeckungsarbeit zu leisten. Kindliche Erfahrungen und Verhaltensmuster werden mit bestimmten Bezugspersonen, eben auch dem Analytiker, wiederholt. Freud bezeichnete dieses Phänomen als "Übertragung". Aufgabe des Psychoanalytikers ist es, diese neurotischen Verhaltensmuster als solche zu erkennen und dem Patienten bewußt zu machen. Das bis dahin abgespaltene Unbewußte kann nun dem ICH als Entscheidungsinstanz wieder angegliedert werden. Erst dann soll es dem Patienten möglich sein, in der aktuellen Wirklichkeit zu agieren, frei von verdrängten Verhaltensmustern und Ängsten.
Die klassische Psychoanalyse benutzt z.T. noch heute das original Freudsche Szenario: Der Patient liegt auf einer Couch und der Analytiker sitzt hinter ihm, hört vor allem zu und greift nur selten mit Äußerungen ein, die völlig wertfrei sein sollen und die Erinnerung und das Verstehen des Patienten in sich selbst vertiefen sollen.
Noch heute muß sich ein angehender Psychoanalytiker nach seiner Facharztausbildung zum Psychiater selbst einer Psychoanalyse, der sogenannten "Lehranalyse", unterziehen.
Freuds Phasen der psychosexuellen Entwicklung
- Orale Phase (1. Lebenshalbjahr)
Die Mundregion ist das primäre Bezugsorgan. Säuglinge und Kleinkinder verbringen viel Zeit damit, am Daumen oder Zehen zu lutschen. Durch den normalen Gebrauch (Essen, Trinken) oder künstliche Reizung kommt es zu einer Spannungsreduktion (Verminderung der libidinösen Triebspannung) und zu einem Auftreten von Lustgefühlen. Störungen in dieser Phase führen zu Persönlichkeitsmerkmalen, aufgrund derer viel von anderen gefordert wird. Auf die orale Phase fixierte Menschen zeichnen sich durch eine niedrige Frustrationstoleranz aus und geben schnell auf. - Narzisstische Phase (2. Lhj.)
Das Kind entdeckt den eigenen Körper und entwickelt dabei Lustgefühle (Autoerotismus). Dieses Verhalten ist die Urform der Selbstliebe (Narzissmus). Störungen in dieser Phase können im Erwachsenenalter zu Verminderung des Selbstvertrauens und der Selbstachtung führen. - Anale Phase (2.-3. Lebensjahr)
Die Lust wird in dieser Phase durch den Vorgang der Defäkation erzieltAnfangs nur durch das Ausscheiden, später auch durch das Zurückhalten der Exkremente. Es kommt zu einem spannungsvollen Zustand zwischen Hingabe und Zurückhalten. Das Kind übt in dieser Lebensphase Kontrollmechanismen ein und vollzieht die ersten Anpassungen an die Erfordernisse der Umwelt. Störungen in dieser Phase, insbesondere durch zwanghafte Sauberkeitserziehung, können zu "manischen" oder zwanghaften Persönlichkeitstypen führen. Diese zeichnen sich durch starke Unterdrückung von Aggressionen, Überkontrolliertheit, Geiz und extreme Reinlichkeit aus. Es kommt bei manischen Persönlichkeiten zu einer starken Trennung zwischen Vorstellungen und tatsächlichen Gefühlen. - Phallische Phase (4.-5. Lebensjahr)
Die Genitalien werden in dieser Phase zu erogenen Zonen. Knaben stellen fest, dass bei Mädchen der Penis fehlt und führen dies auf eine Bestrafung zurück. Daraus entwickelt sich Kastrationsangst; bei Mädchen kommt es zum Penisneid. Die Beziehung zu den Eltern ist durch den Ödipuskomplex bestimmt. Es treten Rivalitätsgefühle mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil auf, der andersgeschlechtliche wird geliebt. Auf der anderen Seite fürchtet das Kind den Verlust der Liebe des gleichgeschlechtlichen Elternteils. Dieser Konflikt wird durch die Unterdrückung der sexuellen Wünsche beigelegt. In der phallischen Phase kommt es zur Übernahme geschlechtlicher Moralbegriffe und zur Entwicklung des Über-Ich (Gewissen). Störungen in der phallischen Phase können zu einer "hysterischen" Persönlichkeitsstruktur führen. Diese ist durch ein auffälliges sexuelles Gebaren gekennzeichnet, das aber im Widerspruch zur ängstlichen, passiven Grundstruktur steht, die sexuelle Kontakte zu meiden versucht. Hysteriker sind meist selbstbewusst und energisch-impulsiv. - Latenzphase (6.-7. Lebensjahr)
Es tritt eine scheinbare Unterbrechung der sexuellen Entwicklung ein. Sexuelle Regungen werden abgewehrt und verdrängt. Spielkameraden werden vor allem beim gleichen Geschlecht gesucht. Während dieser Zeit kommt es zu einer Verinnerlichung der Anforderungen der Umwelt. - Genitale Phase 8. Lebensjahr-Pubertät
Es kommt zu einem Wiederaufleben der Sexualität und des Ödipuskomplexes, sowie zu einer Hinwendung zum anderen Geschlecht. Der beschleunigten körperlichen und intellektuellen Reifung steht eine verzögerte emotionale Reifung gegenüber. Die Pubertät ist eine stark konfliktgeladene Phase voller motorischer und innerer Unruhe.
Abwehrmechanismen des Ich
Zur Bewältigung des Triebimpuls/Abwehr-Konfliktes aber auch zur Bewältigung von Ängsten stehen dem Ich, als dem zum Handeln gezwungenen Teil der Persönlichkeit verschiedene Mechanismen zur Verfügung. Diese stellen jedoch keine optimalen Lösungen des Konfliktes dar, sondern begünstigen ein Wiederaufleben des Konfliktes zu einem späteren Zeitpunkt und führen zur Symptombildung. Die wichtigsten dieser Mechanismen sind:
- Kompensation
Kompensation ist eine Verhaltensweise, durch die psychische Mängel (z.B. Minderwertigkeitsgefühle) ausgeglichen werden sollen. Es kommt zu Handlungen, die Vollwertigkeit demonstrieren sollen, wobei das Ich leicht über das Ziel hinausschiesst, und die Mängel überkompensiert. - Verleugnung
Im allgemeinen Sinn wird darunter die Leugnung bestimmter unangenehmer Gefühle verstanden (z.B. Angst, Minderwertigkeit, Unsicherheit) vor sich selbst und der Umgebung. Die Verleugnung kann dabei sowohl durch "Wort und Handlung" als auch nur in der Phantasie erfolgen. In einem spezifischen Sinne wird "Verleugnung" als ein Abwehrmechanismus gesehen, durch den sich das Ich weigert, die Realität einer traumatisierenden Wahrnehmung (z.B. der Penislosigkeit der Frau) anzuerkennen Mittels der Verleugnung werden Fetischismus und Psychosen erklärt: während der Neurotiker die Forderungen des Es verdrängt, wird die Realität vom Psychotiker verleugnet. - Verschiebung
Verschiebung (=Substitution) ist ein Abwehrmechanismus, mit dessen Hilfe ein ursprüngliches Triebobjekt durch ein anderes (Ersatz-) Objekt ersetzt wird. Diese Vorgehensweise erfolgt, wenn die Befriedigung eines Bedürfnisses aus inneren oder äusseren Gründen unmöglich ist. Z.B. kann die aus dem Es stammende Aggression, die sich gegen ein äusseres Objekt (z.B. den Vorgesetzten) richtet, auf ein Ersatzobjekt (z.B. einen Untergebenen) verschoben werden und sich dort entladen. Andererseits kann die gegen ein äusseres Objekt gerichtete Aggression sich auch auf das Ich verschieben (Autoaggression). Schliesslich kann auch eine aus dem Über-Ich stammende und gegen das Ich gerichtete Aggression (z.B. Selbstbeschuldigung) auf ein anderes Objekt umgeleitet werden. - Isolierung
Isolierung ist ein Abwehrmechanismus, der darin besteht, einen Gedanken oder ein Verhalten zu isolieren, so dass die Verbindung mit anderen Gedanken oder mit der übrigen Existenz des Subjekts unterbrochen ist. Zu den Isolierungen gehören Pausen im Gedankenablauf, Formeln und Rituale. Isolierung ist ein für die Zwangsneurose typischer Abwehrmechanismus, wird aber auch bei Phobien (Ängsten) und als Abwehr bei der Hysterie beobachtet. - Identifikation, Introjektion, Projektion
Die Identifikation des Ich mit dem Objekt kann sowohl über die Projektion als auch die Introjektion erfolgen. Im Falle der Introjektion erfolgt eine Einbeziehung oder bewusste Einbeziehung von Personen oder einzelnen fremden Motiven und Anschauungen in das Ich. Mittels der Projektion werden Gefühle und Wünsche, die das Subjekt verkennt oder in sich ablehnt, aus dem Subjekt ausgeschlossen und in eine andere Person oder Sache hineinverlegt. Projektion ist ein bei Paranoikern und Phobikern häufig verwendeter Abwehrmechanismus. - Rationalisierung
Rationalisierung ist ein Mechanismus, durch den das Subjekt versucht, Verhaltensweisen, Gedanken, Gefühle usw., deren wirkliche Motive nicht erkannt werden, eine logische oder moralisch akzeptable Erklärung zu geben. Rationalisierung kann nur bedingt als Abwehrmechanismus gesehen werden, da sie nicht direkt gegen die Triebbefriedigung gerichtet ist, sondern eher sekundär den Abwehrkonflikt verschleiert. Rationalisierung wird bei neurotischen und psychotischen Symptomen z.B. Verfolgungswahn benutzt. - Reaktionsbildung
Als Reaktionsbildung wird ein Abwehrmechanismus bezeichnet, der an die Stelle eines verdrängten Wunsches, eine, diesem entgegengesetzte Vorstellung oder Verhaltensweise setzt. Symptomatischen Wert erhalten Reaktionsbildungen durch ihre Zwanghaftigkeit und Übertreibung, die gelegentlich zu Misserfolgen führen und Ergebnisse bewirken, die den bewusst angestrebten entgegengesetzt sind. Reaktionsbildungen können sehr spezifisch symptomzentriert sein, aber auch grössere Persönlichkeitsänderungen hervorrufen. Reaktionsbildungen werden häufig bei Zwangsneurosen und bei der Hysterie beobachtet. - Sublimierung
Sublimierung ist ein Vorgang zur Erklärung derjenigen Verhaltensweisen, die scheinbar keinen Bezug zur Sexualität haben, deren treibende Kraft aber die Sexualität ist. Insbesondere künstlerische und intellektuelle Tätigkeiten sind als Ergebnisse von Sublimierungen anzusehen. - Verdrängung
Verdrängung ist wohl der bekannteste Abwehrmechanismus. Es ist dies ein psychischer Vorgang, mit dem die mit einem Trieb verbundenen Vorstellungen ins Unbewusste abgeschoben werden. Es kommt zur Verdrängung, wenn dem Trieb entgegengesetzte Forderungen (des Über-Ich) gegenüberstehen. Zum Lustgewinn durch Befriedigung des Triebes würden sich damit Unlustgefühle gesellen. Um dies zu verhindern, werden die Triebvorstellungen verdrängt. Die Verdrängung ist sowohl ein normal-psychologischer Mechanismus, der der Bildung unbewusster Sachverhalte dient, als auch ein pathologischer Vorgang, der besonders bei der Hysterie eine Rolle spielt. Verdrängte Wünsche kommen unbeabsichtigt durch Symptome, Träume und Fehlleistungen wieder zum Vorschein. Andererseits ist es ein Ziel der psychoanalytischen Therapie, verdrängte Inhalte aus dem Unbewussten ins Bewusstsein aufsteigen zu lassen. - Vermeidung: bewußt Situationen vermeiden (z.B. bei Flugangst).
- Projektion: die Übertragung von Charakterzügen, Gedanken und Meinungen auf andere.
- Regression: Rückfall in Verhaltensweisen einer früheren Entwicklungsstufe.
- Fixierung: ein bestimmter Aspekt der Persönlichkeit verkümmert, die Unzulänglichkeit wird in den Vordergrund gestellt.
- Somatisierung: Flucht in Krankheit bei seelischer Belastung, Angst führt zu Bauchweh.
Freuds Werdegang als Wissenschaftler
1881 promovierte Sigmund Freud zum Doktor der Medizin. Eine Forschungsassistenz am Physiologischen Institut von Ernst Brückes und klinische Arbeit in der Neurologie am Allgemeinen Krankenhaus in Wien verschafften Freud grundlegende Erfahrungen in neurologischer Klinik und Diagnostik. 1985 habilitierte Freud auf dem Gebiet der Neuropathologie.
Nach seinem Medizinstudium arbeitet Sigmund Freud im physiologischen Institut von Ernst Brücke, der versucht, alle Phänomene mechanisch zu erklären. Freud verliebt sich in Martha Bernays, und möchte sie heiraten. Auf die Forderung der zukünftigen Schwiegermutter hin sucht er nach einer Stelle, mit der er für sich und seine Familie den notwendigen Lebensunterhalt verdienen kann und findet eine erste Anstellung im neuropsychologischen Labor Theodor Meinerts, der für seine hirnanatomischen Untersuchungen berühmt ist.
Eines Tages erzählt Anna, die auch unter Schluckbeschwerden leidet, sie habe gesehen, wie ein Hund aus ihrem Glas trinkt. Zu Breuers grossem Erstaunen verschwindet daraufhin das Symptom. Anna selbst nennt diese Art der freien Rede talking cure, denn zu dem Zeitpunkt ihrer Krankheit hat sie die Kenntnis ihrer Muttersprache Deutsch völlig verloren und spricht nur noch Englisch. Breuer nennt die emotionale Entladung nach dem Verschwinden ihres Symptoms eine Katharsis, was das griechische Wort für Reinigung ist. Deshalb wird Freuds Psychoanalyse auch als die kathartische Methode bekannt werden. Die Behandlung zeigt gute Erfolge, zumindest laut Breuer in Studien über Hysterie, und Anna kündigt an, die Behandlungen abbrechen zu wollen. Eine besondere Note bekommt die Geschichte der Bertha Pappenheim dadurch dass Freud die misslungene Behandlung der Anna O. zum Prototypen einer Kathartischen Behandlung erklärt. 1885 bekommt er Gelegenheit, einige Monate bei Jean-Martin Charcot in Paris zu hospitieren. Der Weg zum Erfolg beginnt sich abzuzeichnen. Die vier Monate, die er als Assistent Charcots verbringt, sind ein entscheidender Schritt für die Entwicklung der Psychoanalyse; Freud kommt zur Erkenntnis, dass bestimmte Krankheiten besser mit einer psychologischen als mit einem physiologischen Ansatz verstanden werden können. 1896, zehn Jahre nach seinem Aufenthalt in Paris, wird Freud in einem Aufsatz über die Entstehung der Hysterie, den er zu Ehren Charcots auf Französisch verfasst hat, schreiben: "Die Hysterie verhält sich in ihren Lähmungen und anderen Äusserungen, als gäbe es keine Anatomie, keinen Körper, jedenfalls keinen körperlichen Zusammenhang." Zum ersten Mal in der Geschichte der Psychiatrie wird hier die Auffassung vorgetragen, dass psychische Krankheiten nicht zwingend in Zusammenhang mit der Anatomie des menschlichen Nervensystems stehen. Zudem spricht Freud in diesem Aufsatz von "Psychoanalyse" - eine Bezeugung der Dankbarkeit Charcots gegenüber, der Freud auf die richtige Spur zum Verständnis der Seele gebracht hat.
Anschließend eröffnete Freud eine Privatpraxis. Er vertiefte seine Kenntnisse über die Hypnose und die Hypnosetechnik und studierte bei sich und seinen Patienten seelische Fehlhaltungen ohne erkennbare organische Ursachen. Freud arbeitete zusammen mit seinem langjährigen Freund, dem Arzt Josef Breuer, dessen Behandlung der Patientin "Anna O." Feud sehr faszinierte, über Hypnose und Hysterie. 1895 veröffentlichten beide gemeinsam ihre "Studien über Hysterie".
1896 prägte Freud für seine neue Behandlungsmethode der Psychotherapie den Begriff Psychoanalyse. Die nächsten 40 Jahre seines Lebens war er mit der systematischen Ausarbeitung dieser Therapiemethode und der daraus gewonnenen Erkenntnisse beschäftigt. Bis zu 12 Stunden täglich arbeitete er mit seinen Patienten (auf der so berühmt gewordenen Couch) und schrieb bis tief in die Nacht hinein die Ergebnisse des Tages nieder.
1896 behauptet Freud in seiner "Verführungstheorie", dass alle HysterikerInnen, in der Mehrzahl weiblich, in der Kindheit sexuell missbraucht worden sind. In der Pubertät, wenn sie die sexuelle Aufladung bestimmter Handlungen begriffen, würde diese Erfahrung für die Opfer traumatisch werden. Niemand weiss warum, aber nach einiger Zeit beginnt Freud, Zweifel an seiner eigenen Theorie zu hegen. Es kann doch nicht sein, dass alle seine Patientinnen durch ihren Vater, Onkel oder Bruder missbraucht wurden... Ein Jahr später schreibt Freud an seinen Freund Wilhelm Fliess: "Ich glaube meinen Neurotikerinnen nicht mehr recht". Einige Monate zuvor war Freuds Vater gestorben und Freud fiel in eine tiefe Depression. Die anschliessende Selbstanalyse nimmt ihn völlig in Anspruch. Zu guter Letzt lässt er seine Verführungstheorie fallen. Er ist weiterhin der Überzeugung, dass sexueller Missbrauch an Kindern stattfindet, aber inzwischen meint er, dass einige Patientenberichte solcher Situationen auf kindliche Phantasien von sexuellem Missbrauch zurückzuführen sind. Diese phantasierten Verführungen spiegeln dabei kindliche Wünsche, nicht reale Erlebnisse. Diese Theorie ist der erste Schritt auf dem Weg zum Ödipuskomplex, der ebenfalls auf den kindlichen Phantasien beruht.
Allerdings ließen sich nicht alle Patienten tief genug hypnotisieren. Und Freud wollte in seinem unermüdlichen Forscherdrang tieferen Aufschluß über die Entstehung der Neurose gewinnen. Um die bewußte und unbewußte Ebene des menschlichen Geistes zu ergründen, brauchte er den wachen Patienten. Allmählich entwickelte er die Methode der freien Assoziation. Er forderte seine Patienten auf, alles zu sagen, was ihnen zu einem bestimmten Thema (von Traumsequenzen bis hin zu körperlichen Symptomen) einfiel, ohne dabei Sinnzusammenhänge oder gesellschaftliche Schicklichkeitsnormen zu beachten.
Im Jahr 1900 erscheint die "Traumdeutung". Dieses Buch wird zu einem der Grundpfeiler der psychoanalytischen Theorie. Freud sieht im Traum den "Königsweg zum Unbewussten": Dort nämlich äussern sich Erfahrungen, Empfindungen, Bedürfnisse, die wir aus irgendeinem Grund nicht bewusst denken dürfen. Die Aufgabe des Therapeuten nach Auffassung Freuds und der Psychoanalyse ist deshalb, die Botschaft der Träume zusammen mit dem Patienten zu entschlüsseln. Das Unbewusste spricht zur Verschlüsselung der verbotenen Inhalte in Rätseln und verformt die realen Hintergründe der geträumten Inhalte. Manchmal werden verschiedene Personen zu einer Traumperson verschmolzen (Verdichtung), manchmal werden Gefühle und Erfahrungen von ihrem Ausgangspunkt weg in ein anderes Bild verschoben (Verschiebung). Damit der Patient sich leichter entspannen und seine Träume, verbotenen Wünsche und Vorstellungen besser äussern kann, setzt sich Freud schräg hinter die Couch, auf der der Patient während der Stunde liegt. Dies soll dem Patienten helfen, frei zu sprechen und sich auf seine Worte zu konzentrieren; zumal jeder die Tendenz hat, die Erinnerung an die schmerzhaften Erlebnisse seines Lebens zu vermeiden. Freud bezeichnet dieses Vermeiden und Ausweichen als Abwehr. Zu den Abwehrphänomenen gehören Verdrängung: der Patient "vergisst" Unangenehmes oder Verbotenes; Sublimierung: der Patient lenkt seine Wünsche in eine sozial angepasste Form um; und Projektion: der Patient versucht, seine eigenen verbotenen Impulse einer anderen Person zu unterstellen.
1902 wurde Freud zum außerordentlichen Professor der medizinischen Fakultät der Universität Wien ernannt. Seine psychoanalytischen Ideen verbreitete er jedoch ausschließlich außerhalb der Universität.
1905 veröffentlicht Freud "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie", worin dem kleinen Jungen die Neigung zugeschrieben wird, sich sexuellen Verkehr mit seiner Mutter zu wünschen und daher seinen Vater ablehnt. Dieses Drama, das angeblich jeder Junge im Alter von drei bis vier Jahren durchmacht, steht in Analogie zur antiken Tragödie des König Ödipus von Sophokles (496 406 v. Chr.). Ödipus hat, wie es das Orakel voraussagte, ohne es zu wissen, seinen Vater getötet und bekommt, weil er die Stadt Theben von der gefährlichen Sphinx befreit hat, die Witwe des Königs zur Frau. Diese ist seine Mutter, was er genausowenig weiss. Für sein heimliches Begehren wird der kleine Junge nicht belohnt. Gibt er seinen Inzestwünschen nach, wird der Vater ihn mit Kastration bestrafen. Die daraus entstehende Kastrationsangst bringt den kleinen Jungen dazu, sich den Regeln der Gesellschaft zu unterwerfen. Er identifiziert sich mit seinem mächtigen Vater und will später genauso mächtig werden, um sich in seiner Ehefrau eine Mutter zu suchen, mit der er seine Wünsche ausleben kann. Das Problem mit den Mädchen, die, weil sie keinen Penis haben, auch keine Kastrationsangst kennen, löst Freud, indem er den "Penisneid" einführt. Schon früh im Leben wird dem kleinen Mädchen die mächtige Rolle des Phallus in unserer Gesellschaft vor Augen geführt. Freud hat an dieser Theorie gegen alle Kritik zeitlebens eisern festgehalten und sich immer darauf berufen, dass er nicht den tatsächlichen Penis, sondern dessen Symbol, den Phallus, meint. Weil das Mädchen von der phallischen Macht gebannt ist, wendet es sich von der Mutter ab, die ihm dieses wesentliche Körperteil vorenthalten hat, und wendet sich dafür dem Vater zu. Und es beschliesst zu warten, bis es als Frau von ihrem Ehemann als Ersatz ein Kind geschenkt bekommt. Mit der Auffassung, dass Kinder "polymorph pervers" sind, macht sich Freud wenig Freunde. Im Wien der Jahrhundertwende wird das Kind als ein reines, engelgleiches Wesen betrachtet, das über jede sexuelle Regung erhaben ist. Freud bleibt bei seiner Meinung: "Meine Praxis zeigt mir, dass ich rechthabe." Freud beschreibt die psychosexuelle Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen als einen Prozess, der in Phasen verläuft. In jeder Phase beherrschen instinktive biologische Bedürfnisse das Verhalten. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse ist mit Lustgewinn verbunden. Während jeder der Phasen konzentriert sich die Triebenergie (Libido) auf einen bestimmten Körperbereich. Je nach dem Ausmass der Befriedigung der biologischen Bedürfnisse können sich in jeder Phase Konflikte entwickeln. Exzessive Befriedigung oder Frustration verhindern die normale Weiterentwicklung der Persönlichkeit. Dann wird von einer Fixierung auf diese Phase gesprochen.
Langsam beginnt sich das Fleisch von diesem Werk zu lösen, das Zufällige, das Alltägliche - und es bleibt das Skelett. Wir können nicht sehen, was davon noch im Jahre 1995 lebendig sein wird, und ob überhaupt noch etwas lebendig sein wird, nämlich in der Form, die er ihm gegeben hat. Fortwirken wird es, das kann man sagen.
Er hat eine Tür aufgemacht, die bis dahin verschlossen war. Es gibt Partien in diesen elf Bänden, besonders in den ersten, die muten an wie ein spannender Kriminalroman. Wie da die Theorien langsam keimen und aus den platzenden Hüllen kriechen, wie sie sich scheu ans Licht wagen, ins Helle sehen und plötzlich sehr bestimmt und fest auftreten: Nun sind sie da und leben und wirken. Die Darstellungskunst Freuds ist fast überall die gleiche: in den grundlegenden Schriften, in den kleinen Aufsätzen, so in dem wunderschönen Gedächtnisartikel für Charcot - überall ist ein klarer, methodisch ordnender Geist am Werk.
Das Modische an diesen Schriften wird vergehen; die kindische Freude der Amerikaner und sonstiger puritanisch verbildeter Völker, nun einmal öffentlich über Sexualität sprechen zu können ...das hat mit Freud nicht viel zu tun. Bleiben wird der große Erneuerter alter verschütteter Wahrheiten -der Wahrheit: Der Wille des Menschen ist nicht frei.
Die Grenzen Freuds werden in seinem Gesamtwerk erkenntlich. Er ist nicht der liebe Gott, doch hat er uns gelehrt, wieviel Krankheitsgeschichte in den gereizten Kritiken über ihn zu finden ist.
Man versteht nicht, wenn man diese Bände nicht kennt. Sigmund Freud wird am 6.Mai fünfundsiebzig Jahre alt. Wir grüßen ihn voller Liebe und Respekt. "
Kurt Tucholsky 1931 in der literarischen und politischen Zeitschrift DIE WELTBÜHNE, anlässlich der Veröffentlichung der Gesammelte Werke Freuds.
Von überall kommen seine Adepten nach Wien, um von dem grossen Meister persönlich in die Geheimnisse der Psychoanalyse eingeweiht zu werden. Freud träumt von einer verschworenen Gemeinschaft der Psychoanalytiker, deren stolzer Patriarch er werden möchte. Alfred Adler (1870-1937) ist einer der ersten Schüler Freuds. Der Beginn der freundschaftlichen Zusammenarbeit datiert auf das Jahr 1902. Zehn Jahre später ist Adler ein wichtiges Mitglied der psychoanalytischen Mittwochsgesellschaft, die sich wöchentlich im Hause Freuds trifft. Als Adler eigenständiger wird und von Freud abweichende Theorien entwickelt, kommt es zum ersten Bruch in der Bewegung. Adler beginnt seine Individualpsychologie auszuformulieren, die gleichfalls international berühmt wird. 1913 vollzieht sich der zweite Bruch innerhalb der psychoanalytischen Bewegung. Der von Freud auserkorene Kronprinz, der Schweizer Carl Gustav Jung (1875-1961), kehrt seinem Freund Freud den Rücken zu und begründet eine eigene Richtung, die als Analytische Psychologie viele Anhänger findet.
Gesellschaftliche und wissenschaftliche Anerkennung erfuhr Freud, als ihm 1920 endlich der Titel des ordentlichen Professors der Wiener Universität verliehen wurde.
Im Jahr 1923 wird bei Freud Kieferkrebs diagnostiziert und bis zu seinem Tod im Jahr 1939 wird er dreiunddreissigmal operiert. Er muss eine Prothese tragen, die ihm das Sprechen beinahe unmöglich macht. Seine Produktivität leidet nicht darunter, aber er tritt nicht mehr in der Öffentlichkeit auf, und nach einiger Zeit empfängt er auch keine Patienten mehr zur Analyse. 1923 ist für die Psychoanalyse ein wichtiges Jahr. In "Das Ich und das Es" formuliert Freud ein strukturelles Modell der Persönlichkeit, das aus Es, Ich und Über-Ich besteht. Zwischen dem Es als Sitz des Lustprinzips und dem Über-Ich, wo die Gebote und Verbote der Eltern und der Gesellschaft internalisiert werden, herrscht ein ewiger Streit. Das Ich versucht zu vermitteln, indem es das Realitätsprinzip vertritt: Das Es ist der Bereich der elementaren psychischen Energie. Es ist der Bereich der Triebe und Antriebe, welche den Menschen auf ein Objekt hinweisen. Dieser Persönlichkeitsteil kann nicht bewusst gemacht werden. Das Ich ist der durch den direkten Einfluss der Aussenwelt veränderte Teil des Es. Dabei spielen Wahrnehmungs- und Bewusstseinsprozesse eine Vermittlerrolle. Nach Freud vermittelt das Ich zwischen äusserer Realität und Es. Es repräsentiert Vernunft und Besonnenheit und wirkt bewusst kodierend auf die Triebe des Es ein. Der unbewusste Anteil des Ichs erkennt die Triebe des Es und wehrt sie ab. Die Abwehrmechanismen erlauben eine unbewusste Kontrolle der Triebneigungen. Eine zu starke Triebabwehr führt zu neurotischen Störungen. Dem psychisch gesunden Menschen ermöglicht das Ich eine Integration in seine Umwelt. Das Über-Ich als höchste Persönlichkeitsinstanz stellt die Ordnung der Aussenwelt dar. Durch Konfrontation mit den Anforderungen der Umwelt entwickelt sich das Über-Ich während der Kindheit (s. Phasen der psychosexuellen Entwicklung):
- Das Kleinkind ist narzistisch. Es ist sein eigenes Liebesobjekt. Diese Persönlichkeitsstruktur wird als Ideal-Ich bezeichnet.
- Durch die wachsende Anpassung an die Umwelt übernimmt das Kind die Anforderungen und Wertvorstellungen der Umwelt (Ich-Ideal). Es begünstigt die Triebabwehr, lädt jedoch gezielte Triebansprüche durchdringen, die ihm genehm sind.
- Das Ich-Ideal wird durch das Gewissen ergänzt. Dieses wird durch das Wertesystem der erziehenden Autoritäten (Eltern, Lehrer usw.) geformt und ist die eigentliche Quelle der Triebabwehr. Die Psychoanalyse unterscheidet zwischen zwei Gewissenskomponenten:
- eine blind-kritiklose, die sich streng an den Umgebungsnormen orientiert und
- eine reife, kritische.
Die Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums sind durch das Kräfteverhältnis zwischen Ich-Ideal und Gewissen bestimmt: dominiert das Ich-Ideal so kann sich der Mensch kreativ entfalten. Hat das Gewissen die Übermacht, so ist sein Leben neurotisch behindert.
Ein Konflikt ist dann vorhanden, wenn sich im Subjekt gegensätzliche innere Forderungen gegenüberstehen. Die Psychoanalyse versteht unter Konflikt primär den Triebimpuls/Abwehr-Konflikt: Aus dem Persönlichkeitsbereich des Es kommt ein Triebimpuls, der durch das Über-Ich abgewehrt wird. Das Ich steht zwischen beiden inneren Forderungen und gerät in Konflikt. Der Triebimpuls wird als eine Folge der Existenz von Libido im Menschen verstanden. Libido ist die von Freud postulierte (psychische) Energie, die als Substrat der Umwandlung des Sexualtriebes fungiert. Der Sexualtrieb kann dabei unterschiedliche Objekte besetzen, verschiedene Ziele (z.B. durch Sublimierung) verfolgen und seinen Lustgewinn aus verschiedenen Quellen (erogenen Zonen ) schöpfen. [C. G. JUNG betrachtet Libido jedoch als eine unspezifische seelische Energie.] Libido ist nach Freud eine spezifisch sexuelle Energie, sie geht weit über die körperliche sexuelle Erregung hinaus. Ungenügend ausgeprägte Libido verursacht die Anhäufung von Spannung auf der körperlichen Ebene, wo sie sich ohne psychische Bearbeitung in Symptome verwandelt. Dies ist die Basisaussage der Psychosomatik nach Freud.
Die Psychoanalyse als Therapieform basiert auf der Theorie, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt zwischen der gegenwärtigen psychischen Entwicklung des Menschen, seinen Wünschen und Begierden, Verhalten und Bedürfnissen, sowohl bewusst wie unbewusst, und den Erlebnissen aus seiner Vergangenheit. Die amerikanische Analytikerin Louise Kaplan erklärte den Verlauf der menschlichen Entwicklung mit dem Bild des Häkelmusters. Die Häkelnadel macht bei jedem Schritt ein neues Muster und greift dabei zurück auf vorherige Arbeitsschritte und Muster, dies häufig an besonders wichtigen Punkten. Jede Facette des alten Musters wird so in das neue Muster integriert, dass es eine neue Form und Bedeutung erhält. So besteht auch der Reichtum und die Kompliziertheit des menschlichen Lebens aus den verschiedenen Variationen, wie sie Phantasie und Wünsche durch eine immer neue Kombination aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herzustellen vermögen. Was den Menschen von anderen Tieren unterscheidet, ist die Fähigkeit, in seiner Lebensgeschichte die Bezüge zwischen den verschiedenen Zeiten herzustellen. Die Wirkung der kindlichen Phantasien auf die Gedankenwelt des Erwachsenen beinhaltet sowohl eine Regression wie auch die Umformung dieser Phantasien in eine Vorwärtsbewegung der psychischen Entwicklung. In diesem Licht müssen auch Freuds Ödipuskomplex, Penisneid, Kastrationsangst und andere analytische Konzepte gesehen werden.
Übrigens: Freuds Ansatz zur Lösung des psychischen Problems hat durchaus spiritualistische Züge, denn er vertritt einen strengen psychologischen Determinismus, d. h., alles Psychische ist immer durch Psychisches determiniert. Das Unbewusste braucht Freud auch teilweise deshalb, weil auf der Ebene des Bewusstseins diese Kontinuität in der Reihe der psychischen Erscheinungen offensichtlich fehlt. Freud betrachtet auch in Bezug auf psychogene Erkrankungen die psychischen Erscheinungen als primäre und die somatischen, die körperlichen Veränderungen als sekundäre Erscheinungen, die stets durch psychische Erscheinungen hervorgerufen werden. Dadurch ist der Freudianismus letztlich theoretisch einer spiritualistischen religiösen Weltanschauung nahe, wobei er die psychische Natur des Menschen als unveränderlich hinstellt, wobei er die Instinkte als Ursachen des menschlichen Verhaltens nicht allein im persönlichen, sondern auch im gesellschaftlichen Leben begründet sieht.
Freuds Hauptwerke
1900 erscheint Freuds Buch "Traumdeutung", welches seinen Ruf begründet. In diesem Grundlagenwerk greift Freud auf seine langjährige, 1897 begonnene Selbstanalyse und die analytische Deutung von über zweihundert Träumen zurück. Träume, Phantasien und freie Assoziationen wurden hier zum ersten Mal zum Ausgangspunkt für eine systematische und völlig neuartige Erfassung neurotischer Phänomene und unbewußter psychischer Vorgänge. Freud entschleierte den Traum letztlich als Erfüllung, mindestens aber als Ausdruck verdrängter Wünsche. In der psychoanalytischen Traumdeutung wird der Traum, die verschlüsselte Botschaft des Unbewußten, rückübersetzt. Er wird für den Patienten verstehbar, indem der unbewußte Wunsch, der ihm zugrunde liegt, deutlich wird.
Erich Fromm schreibt zur Begriffsverwendung von "bewußt" und "unbewußt" in "Drei Filter - Sprache, Logik, Gesellschaft": "Zunächst müssen wir bemerken, dass die Ausdrücke »bewußt« und »unbewußt« in verschiedenen Bedeutungen verwendet werden. In einer bestimmten Bedeutung, die man funktionell nennen könnte, bezeichnen »bewußt« und »unbewußt« einen subjektiven Zustand innerhalb des Individuums. Wenn man sagt, jemand sei sich dieses oder jenes psychologischen Gehaltes bewußt, bedeutet es, dass er von Affekten, Wünschen, Urteilen usw. »weiß«.
Unbewußt, im gleichen Sinne verwendet, bezeichnet eine geistige Verfassung, in der der Mensch von seinen inneren Erlebnissen nicht weiß; wenn er sich überhaupt keiner Empfindungen, ein-schließlich der sensorischen, bewußt wäre, wäre er genau wie ein Mensch, der bewußtlos ist. Wenn man sagt, der Mensch sei sich gewisser Affekte usw. bewußt, bedeutet das, er sei, soweit es sich um diese Affekte handelt, bei Bewußtsein; wenn man sagt, gewisse Affekte seien unbewußt, bedeutet es, er sei bewußtlos, soweit es sich um diese Affekte handelt. Wir müssen bedenken, dass »unbewußt« nicht das Fehlen jeglicher Impulse, Gefühle, Begierden, Angst usw. bedeutet, sondern nur, dass das Bewußtsein dieser Impulse fehlt. Ganz verschieden von der funktionellen Bedeutung der Bezeichnungen »bewußt« und »unbewußt«, die soeben beschrieben wurde, ist eine andere Anwendung, die bestimmte Örtlichkeiten im Menschen und gewisse, mit diesen Örtlichkeiten verbundene Inhalte bezeichnet. Das ist im allgemeinen der Fall, wenn man die Hauptwörter »Bewußtsein« und »Unbewußtes« verwendet. Hier ist das »Bewußtsein« ein Teil der Persönlichkeit mit bestimmten Inhalten, und das »Unbewußte« ist ein anderer Teil der Persönlichkeit mit anderen bestimmten Inhalten. Nach Freuds Auffassung ist das Unbewußte im wesentlichen der Sitz der Irrationalität. Nach Jungs Anschauung hingegen scheint die Bedeutung fast umgekehrt zu sein; für ihn ist das Unbewußte im wesentlichen der Sitz der tiefsten Quellen der Weisheit, während das Bewußtsein der intellektuelle Teil der Persönlichkeit ist. In dieser Sicht des Bewußtseins und des Unbewußten wird das letztere mit dem Keller eines Hauses verglichen, in dem alles angehäuft ist, was weiter oben im Gebäude keinen Platz hat; Freuds Keller enthält in der Hauptsache die Laster des Menschen, Jungs Keller hauptsächlich seine Weisheit. Wie H. S. Sullivan betont hat, ist es auch keine glückliche Lösung, den Ausdruck »das Unbewußte« im lokalen Sinne zu verwenden; die psychischen Tatsachen, um die es geht, werden damit nur mangelhaft beschrieben. Ich könnte noch hinzufügen, dass die Verwendung eines solchen Hauptwortes anstelle eines funktionellen Begriffs der allgemeinen Tendenz der westlichen Kultur der Gegenwart entspricht: alles als Dinge, die wir »haben«, aufzufassen, anstatt in Begriffen des »Seins«. Wir »haben« ein Problem der Angst, wir »haben« Schlaflosigkeit, wir »haben« eine Depression, wir »haben« einen Psychoanalytiker, so wie wir ein Auto, ein Haus oder ein Kind haben. Im gleichen Stil »haben« wir auch ein »Unbewußtes«. Es ist kein Zufall, dass viele Leute anstatt »Unbewußtes« das Wort »Unterbewußtsein« verwenden, und zwar offensichtlich deshalb, weil »Unterbewußtsein« der lokalen Auffassung besser entspricht; ich kann sagen: »Dieses oder jenes ist mir unbewußt«, aber ich kann nicht sagen: »Es ist mir unterbewußt.« Es gibt noch eine andere Verwendung des Begriffes »bewußt«, die manchmal Verwirrung stiftet. Das Bewußtsein wird mit dem überlegenen Verstand, das Unbewußte mit unreflektierten Empfindungen gleichgesetzt. Gegen diese Verwendung von bewußt und unbewußt ist natürlich nichts einzuwenden, vorausgesetzt, dass der Sinn klar ist und nicht mit den beiden anderen Bedeutungen verwechselt wird. Trotzdem erscheint diese Verwendung nicht glücklich. Die gedankliche Überlegung ist natürlich immer bewußt, aber nicht alles, was bewußt ist, ist eine gedankliche Überlegung. Wenn ich einen Menschen ansehe, bin ich seiner bewußt; ich bin mir dessen bewußt, was in mir im Zusammenhang mit diesem Menschen vorgeht. Aber nur, wenn ich mich als Subjekt von ihm als Objekt distanziert habe, ist dieses Bewußtsein mit der gedanklichen Überlegung identisch. So ist es auch, wenn ich mir bewußt bin, dass ich atme, was keineswegs das gleiche ist, als wenn ich an mein Atmen denke; ja, sobald ich an mein Atmen denke, bin ich mir meines Atmens nicht mehr bewußt. Das gleiche gilt für alle meine Handlungen, die mich zur Welt in Beziehung setzen." |
Ein Jahr später veröffentlicht Freud die "Psychopathologie des Alltagslebens", in der er verschiedenste menschliche Fehlleistungen auf ihren Sinn hin durchleuchtet.
Mit "Jenseits des Lustprinzips" legte Freud 1920 eine völlig neue dualistische (zweigleisige) Triebtheorie vor. Dieses Konzept besagt, dass es destruktive, vor allem auch selbstzerstörerische Handlungen als Phänomene eines von Freud postulierten Todestriebes gibt. Dieser Todes- oder Destruktionstrieb liegt nach Freud in einem immerwährenden Widerstreit mit der Libido, der sexuellen Triebkraft des Menschen. Das Zusammen- und Gegeneinanderwirken dieser beiden Triebe führt nach Freuds Ansicht zum dynamischen Bild des menschlichen Lebens. In zunehmendem Maße spielt die menschliche Sexualität in Freuds psychologischen Theorien eine Rolle.
1905 folgen die Publikationen von "Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten" und "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie".
[Sigmund Freud im O-Ton - Ausschnitt aus einem BBC-Interview vom 7.12.1938]
Welche Rolle spielt Freud heute?
Die ungenommene historische Leistung Sigmund Freuds ist bis heute, dass er der Einsicht in die Eigenständigkeit psychischer Vorgänge zum Durchbruch verholfen hat. Es gelang ihm, ohne die bewertende Verdammung anderer Menschen in dem neu geschaffenen Freiheitsraum der Psychoanalyse ein klares und oft hilfreiches Verständnis für zahlreiche menschliche Probleme zu schaffen.
Die moderne Psychologie verdankt Freud so gut wie nichts denn die wichtigsten Vätern der "Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen", sind z.B. Edward L. Thorndike zum Beispiel mit seinem "Law of Effect", das die Basis aller modernen Lerntheorien und auch der wirksamsten Therapiemethoden ist, die die Psychologie bislang hervorgebracht hat. Ebenso Wilhelm Wundt - der erste, der in Deutschland ein psychologisches Forschungslabor an einer Universität einrichtete und Hermann Ebbinghaus, der im 19. Jahrhundert in mühevollen Selbstversuchen die Vergessenskurve ermittelte - und damit den Grundstein für alles legte, was heute über das menschliche Gedächtnis bekannt ist (Stöcker 2006).
Freuds bleibende Wirkung läßt sich täglich in der westlichen Welt erfahren, beispielsweise an dem geduldigen bis hartnäckigen Interesse am einzelnen Menschen und seinem Familienschicksal oder der Aufmerksamkeit, die kindliche Gefühlsäußerungen heutzutage erregen. In allen Lebensbereichen begegnen wir heute dem Freudschen Ansatz, die unbewußten Ebenen der menschlichen Seele zu beleuchten: von der Kindererziehung bis hin zur Werbung, die täglich auf uns niederprasselt. Wolfgang Prinz, Direktor am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, meint, dass die Psychoanalyse keine Wissenschaft ist, sondern ein quasi-literarisches Selbst-Deutungssystem, das sich der empirischen Prüfung weitgehend entzieht. Eines, das nicht nur wissenschaftstheoretischen Grundprinzipien zuwiderläuft, sondern auch noch auf teilweise frisierten, teilweise frei erfundenen "Beobachtungen" basiert (Stöcker 2006). Ödipuskomplex und orale Phase gehören nach Meinung vieler PsycholgInnen ebenso zur pseudowissenschaftlichen Folklore wie die einem verrutschten Komma geschuldete Behauptung, Spinat enthalte besonders viel Eisen (Stöcker 2006).
Von der Psychoanalyse versprachen sich viele Anhänger, die Benachteiligungen der frühen Erziehung, die Narben der Kindheit und auch der sozialen Herkunft zu korrigieren, das Leben des einzelnen noch einmal aufzurollen und damit dem befreiten ICH vollkommene Entscheidungsfreiheit zu geben. Dem sozial- und kulturabhängigen Wesen, das wir Menschen nun einmal sind, widerspricht natürlich eine solch vollständige Loslösung vom Freudschen ÜBER-ICH bzw. der gesellschaftlichen Anbindung. Man weiß heute, dass die frühkindliche Entwicklung extrem wichtig für die Psyche des erwachsenen Menschen ist, genau wie Freud es gelehrt hat, doch heute zählt vor allem die Plastizität des Gehirns Neugeborener: Geeignete Sinneseindrücke in den ersten Lebensmonaten sind wichtig, um ein effektiv arbeitendes und womöglich kreatives Denkorgan zu schaffen.
Die Psychoanalyse dauert aufgrund der freien und ungelenkten Assoziationstechnik mehrere Jahre, also besonders lange. Im Laufe der letzten Jahre wurden zahlreiche psychotherapeutische Methoden entwickelt, die in kürzerer Zeit zum Erfolg führen sollen, da sie zielgerichteter und stärker am aktuellen Konflikt orientiert arbeiten. Letztlich sind auch sie jedoch Kinder Freuds, zumindest aber entfernte Verwandte seiner Psychoanalyse. Schon lange vor Freud war schon den großen Empirikern des 19. Jahrhunderts bekannt, dass viele Funktionen des Geistes ohne bewusstes Zutun ablaufen - nur zeichneten sie keine farbigen Bilder von in der Tiefe dämmernden Monstern, die heraufwollen ans Licht und von einem Zuchtmeister namens "Ich" im Zaum gehalten werden müssen. Das Unbewusste der modernen Psychologie und Neuropsychologie entspricht viel eher dem, was beispielsweise William James in den "Principles of Psychology" 1890 als "habit" beschrieb: "Geistig abwesende Personen gehen zuweilen auf ihr Zimmer, um sich zum Abendessen umzuziehen, legen dann aber ein Kleidungsstück nach dem anderen ab und gehen schließlich zu Bett, nur weil das die gewohnheitsmäßige Folge der ersten Bewegungen ist." Dass wir vieles tun können, ohne dass dazu bewusste Kontrolle nötig wäre, war für die Pioniere des Fachs eine Selbstverständlichkeit. Ebenso wie die Tatsache, dass Urteile und Denkprozesse von nicht-bewussten Vorgängen beeinflusst werden. Freud hat das Unbewusste nicht erfunden - er hat es nur mit Sex, Aggression und Todestrieb gefüllt und so provokativ und damit Mainstream-fähig gemacht (Stöcker 2006)
Umstritten bleibt bis heute vor allem auch die so grundlegende Bedeutung, die Freud der Sexualität des Menschen zuschreibt. Die von Freud schon dem Kleinkind zugeschriebenen sexuellen Triebe beispielsweise (Stichwort "Ödipuskomplex") werden im Rahmen der derzeitigen Offenlegung von sexuellem Mißbrauch von Kindern besonders kontrovers diskutiert. Freud wird in diesem Zusammenhang vorgeworfen, real geschehenen Kindesmißbrauch als Phantasien der Kinder missdeutet zu haben, sich somit auf die Seite der Täter gestellt zu haben. Sexuelle Gefühle für die eigene Mutter, erotische Erlebnisse beim Breichen-Essen oder die Angst, seines Geschlechtsteiles beraubt zu werden, sind weder nachweisbar noch plausibel. Versuche, die Libido als universelle Triebkraft menschlichen Verhaltens, im Gewand des Dopamin-Belohnungssystems im Gehirn als Bestätigung der Freudschen Theorie zu sehen, greif zu kurz, denn die Belohnung als allgemeines, verhaltensformendes Grundprinzip wurde von Pawlow, Thorndike, Skinner erforscht, und nicht von Sigmund Freud. Der beschränkte sich darauf, das Sexuelle als Universaltreibstoff zu postulieren - und degradierte dabei andere Belohnungen wie Nahrung oder elterliche Zuwendung zu Spielarten des Geschlechtlichen (Stöcker 2006).
Für die triebdynamischen Theorien der Aggressionsentstehung ist das Konzept Freuds auch heute noch von zentraler Bedeutung. Ursprünglich hatte Freud die menschliche Aggressivität auf einen biologisch verankerten Trieb zurückgeführt, aber später hat er sein trieb- und instinktorientierte Model mehrmals modifiziert, und entwickelte 1920 sein dualistisches Modell, bei dem sich zwei Urtriebe gegenüberstehen: Destrudo (Todestrieb) und Eros (Lebenstrieb). Nach Freud entsteht menschliches Verhalten durch das Zusammenspiel dieser beiden Triebstrebungen. Das Ziel des Todestriebes besteht darin, das Lebendige zum Tode zu führen. Normalerweise erreicht der "Thanatos" sein Ziel nicht so einfach, da sein Gegenspieler "Eros" ihn unschädlich macht, indem er ihn gegen Objekte in der Lebenswelt richtet. Unsere Aggressionen gegen die Außenwelt sind aber in der Regel nicht so stark, wofür kulturelle Zwänge verantwortlich sind, die die Instanz "Über- Ich", unser inneres Gewissen überwacht. Dadurch wird ein Ausleben der Aggressionsneigungen verhindert, was zu ihrer Sublimierung führt. Aggressionen werden demnach nach innen, gegen sich selbst gerichtet. Im "Thanatos" liegt eine ständig treibende Kraft, welche Spannung erzeugt, und die wieder abgebaut werden muß. Die einzige Möglichkeit, diese Energie zu kanalisieren, besteht daher im Versuch, die aggressiven Strebungen in moralisch annehmbare Formen zu verwandeln und sie so auf kulturell akzeptable Weise abzuleiten. Als Hilfsmittel für den Umgang mit Aggressionen nennt Freud Abwehrmechanismen wie Sublimierung, Projektion, Verschiebung oder Hemmung. In Form des Dampfkesselprinzips werden aggressive Impulse natürlicherweise permanent innerlich erzeugt, stauen sich auf und drängen nach Entladung. Dies könne auch über Ersatzhandlungen ablaufen.
Trotz zum Teil vehementer Kritik an der klassischen Freudschen Psychologie ist die Psychoanalyse auch heute neben der Gestalt- und Gesprächstherapie nicht aus der inzwischen breit gefächerten Vielfalt an Psychotherapien wegzudenken. Freud hat aber seinen Platz als Wegbereiter des Gedankens, dass man Menschen im Gespräch heilend zur Seite stehen kann, als Tabubrecher und vor allem als Ideengeber für die großen Theoretiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Lacan, Barthes, Derrida, Foucault.
Nach der modernen Hirnforschung hat Sigmund Freud in der Psychoanalyse manches vorweggenommen, was inzwischen als gesichertes neurobiologisches Wissen gilt. Das betrifft in erster Linie das Verhältnis von Es, Ich und Über-Ich sowie das Problem, wie unbewusste Prozesse unsere Entscheidungsfindung beeinflussen (vgl. Roth 2003).
Kurioses: Urne mit Freuds Asche beschädigt
Die Zeit berichtet am 15. Januar 2014, dass dreiste Diebe in London vergeblich versucht haben, eine antike Urne mit der Asche des Psychoanalytikers Sigmund Freud und seiner Frau Martha zu stehlen. Das rund 2300 Jahre alte Gefäß ist dabei schwer beschädigt worden - Freud umgab sich bekanntlich mit vielen Fundstücken aus Ägypten. Die Tat ereignete sich rund um Neujahr und die Urne soll im privaten Bereich des Krematoriums Golders Green im Nordwesten von London stehen.
Eine empfehlenswerte knappe aber anschauliche Darstellungen der Lehre Freuds findet sich im web unter
Brühlmeier, Arthur (o.J.). Die Psychoanalyse Sigmund Freuds.
WWW: http://www.bruehlmeier.info/freud.htm (03-07-12)
Weitere Quellen: Stöcker, Christian (2006). Der Überschätzte. Spiegel online vom 05. Mai 2006.
Vertiefende Literatur:
- Jones, Ernest (1982). Das Leben und Werk von Sigmund Freud. Hans Huber Verlag.
- Jung, Carl Gustav (1990). Freud und die Psychoanalyse. Walter Verlag.
- Köhler, Thomas (1995). Freuds Psychoanalyse. Eine Einführung. Kohlhammer.
- Kohut, Heinz (1993). Wie heilt die Psychoanalyse? Suhrkamp Verlag.
- Lohmann, Hans M. (1998). Sigmund Feud. Rowohlt.
- Mertens, Wolfgang (1997). Psychoanalyse. Geschichte und Methoden. Beck'sche Reihe.
- Roth, Gerhard (2003). Aus Sicht des Gehirns. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Moser, Tilmann (1976). Lehrjahre auf der Couch. Bruchstücke meiner Psychoanalyse. Suhrkamp Verlag.
- Schott, Heinz (1985). Zauberspiegel der Seele. Sigmund Freud und die Geschichte der Selbstanalyse. Vandenhoeck & Ruprecht.
- Wehr, Gerhard (1996). Gründergestalten der Psychoanalyse. Artemis.
- Zimmer, Dieter E. (1990). Tiefenschwindel. Die endlose und die beendbare Psychoanalyse. Rowohlt.
http://www.wissen.de/lernen/Sozialwissenschaften/Psychologie/13_freud_sigmund.html (00-06-07)
http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/INTERNET/ARBEITSBLAETTERORD/PSYCHOLOGIEORD/PsychologieSchulen.html
http://www.4real.ch/psy-thrp.html (01-11-17)
http://home.arcor.de/hu.gresch/dream.htm (02-11-02)
http://freud.t0.or.at/ (01-11-23)
http://bidok.uibk.ac.at/texte/aggressionen-3.html (02-01-25)
Bildquelle: http://www.sol.at/greiner-brg/media/Bilder/freud%20anna.jpg (03-01-16)
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