Psychologische Erklärungsmodelle: Rowell Huesmanns soziale Entwicklungstheorie
Rowell Huesmanns soziale Entwicklungstheorie geht davon aus, dass soziales Verhalten zu einem großen Teil durch Programme kontrolliert wird, die schon während der frühen Entwicklung eines Menschen gelernt werden. Bei der Beobachtung des Verhaltens anderer Personen enkodiert das Kind die Ereignissequenzen in Skripts. Solche Skripts umfassen die in der Umwelt auftretenden Ereignisse, die Verhaltensweisen, mit denen auf diese Ereignisse reagiert werden soll, sowie die wahrscheinlichen Ergebnisse dieses Verhaltens und werden aus dem Gedächtnis abgerufen, wenn die aktuelle Situation den Bedingungen gleicht, unter denen das Skript ursprünglich enkodiert wurde. Nachdem das Skript abgerufen wurde, evaluiert das Kind die Angemessenheit dieses Verhaltens aufgrund von internalisierten Normen und antizipierten Konsequenzen und handelt dementsprechend, worauf es dann für seine Reaktion entweder belohnt oder bestraft wird (enaktives Lernen). Ein Kind, das während der Sozialisation keine Normen internalisiert hat, die aggressivem Verhalten widersprechen, oder glaubt es sei normal sich so zu verhalten, wird sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit aggressiv verhalten (Eron 1994).
Durch die beiden Prozesse des Modellernens und des enaktiven Lernens wird einerseits die Struktur der gespeicherten Skripten modifiziert, andererseits nimmt die Stärke der Enkodierung eines Skripts und dessen Verflechtung mit anderen kognitiven Schemata zu. Skripten die durch die Generierung positiver Konsequenzen während ihrer Erprobung im Verhaltensrepertoire des Kindes verbleiben, werden immer resistenter gegen Modifikationen (Huesmann & Miller 1994). Nach dieser Theorie entwickeln Kinder, die aggressiven Episoden in den Medien (Fernsehen, Kino, Computerspiele) ausgesetzt werden, Skripts, die in den entsprechenden Situationen aggressive Reaktionen vorsehen. Wenn das Kind keine sozialen Normen internalisiert hat, die solchen Verhaltensweisen widersprechen, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass es sich auch in der Realität aggressiv verhält.
Berkowitz' kognitive Neoassoziationstheorie
Nach Leonard Berkowitz (1994) können emotionale Zustände als assoziatives Netzwerk beschrieben werden, in welchem spezifische Gefühle, physiologische Prozesse, motorische Reaktionen, Gedanken und Erinnerungen miteinander verknüpft sind. Aversive Ereignisse führen laut Berkowitz zu negativem Affekt, der seinerseits entweder Kampf- oder Fluchttendenzen auslöst. Werden die aggressionsbezogenen Tendenzen aktiviert, breitet sich die Aktivierung über die Verknüpfungen im Netzwerk aus und führt zu einem Priming der entsprechenden Knoten. Mit diesem Ansatz kann somit auch aggressives Verhalten erklärt werden, das gar nie verstärkt wurde oder in keinem erkennbaren Zusammenhang mit Handlungen des Opfers steht, z.B. erhöhte Aggressivität bei unangenehm hohen oder tiefen Temperaturen.
Diese Theorie sagt also voraus, dass das Betrachten aggressiver Szenen in den Medien und in der Realität zu einer Aktivierung aggressiver Gedanken, Gefühle und gewalttätiger Verhaltenstendenzen führt und somit - zumindest kurzfristig - die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens erhöht.
Literatur
Bandura, A. (1979). Sozial-kognitive Lerntheorie. Stuttgart: Klett-Cotta.
Dollard, J., Doob, L.W., Miller, N.E., Mowrer, O.H. & Sears, R.R.
(1939). Frustration and Aggression. New Haven: Yale University-Press.
Freud, S. (1920). Jenseits des Lustprinzips. Gesammelte Werke, Bd. XIII. London: Imago Press.
Lorenz, K. (1963). Das sogenannte Böse. Wien: Borotha-Schoeler.
Nolting, H.P. (1978). Lernfall Aggression. Reinbek: Rowohlt.
Petermann, F. & Petermann,U. (1978). Training mit aggressiven Kindern. München: Urban & Schwarzenberg.
Schwind, H.-D. & Baumann, J. (Hrsg.).(1990). Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt. Berlin: Duncker & Humblot.
Selg, H., Mees, U. & Berg, D. (1997). Psychologie der Aggressivität (2., überarb. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
Inhaltsverzeichnis
Theorien zur Erklärung - Genetischer Ansatz - Ethologisches Konzept - Huesmann und Berkowitz - Lernpsychologische Erklärung - Katharsishypothese - Psychoanalytische Erklärung - Frustrationshypothese - Exkurs - Amok - ein interkulturelles Phänomen - Selbstverletzung - Wahrnehmung in der Familie - Familie - Hooliganismus - Medienwirkung - Medien-Forschung - Elterntipps - Selbstverletzendes Verhalten - Trainingsprogramm - Schule - Literatur
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