Selbstverletzung
Als Selbstverletzung (SVV) bezeichnet man die wiederholte Gewebeschädigung am eigenen Körper durch Schneiden, Verbrennen oder ähnliches ohne suizidale Absicht. Selbstverletzungen stellen nach der geltenden Lehrmeinung keine eigenständige Krankheit dar, sondern bilden lediglich ein Symptom. Aufgrund eines vorhandenen Suchtpotentials erscheint diese Betrachtung allerdings fraglich. Man unterscheidet
- Offene Selbstverletzung:
Sie bezeichnet den Umstand, dass sich der Betroffene selbst Verletzungen beibringt und weiß, was er getan hat, und es einer Vertrauensperson gegenüber zugibt.
Kulturell akzeptierte Selbstschädigungen in Form von ungesunder Ernährung, Abmagerungskuren, exzessivem Sport, Zigaretten- und Alkoholkonsum, Tatoos und Piercings nehmen eine Sonderstellung ein. Sie werden hier nicht mit einbezogen, weil sie in der Regel einen anderen, nicht psychopathogenen Ursprung haben. - Artifizielle Störung:
Hierbei täuschen die Betroffenen durch Manipulationen am eigenen Körper, beispielsweise Injektionen von toxischen Substanzen oder Schmutzwasser, Krankheitssymptome vor und sind der Überzeugung, dass die Folgeerkrankung keinesfalls auf eine Handlung von ihnen selbst zurückzuführen ist. Vergleiche dazu auch Münchhausen-Syndrom und Hospital-Hopper-Syndrom. - Simulation:
Hierbei handelt es sich um Selbstverletzungen, die zu einem bestimmten Zweck vorgenommen werden, zum Beispiel um nicht an einer Klassenarbeit teilnehmen zu müssen, um bedauert zu werden oder bei Strafgefangenen, um aus dem Vollzug heraus auf die Krankenstation verlegt zu werden.
Menschen, die sich selbstverletzen, stehen unter einem hohen emotionalen Druck. Gefühle richten sie nicht gegen andere Menschen oder Gegenstände, sondern gegen sich selbst. Betroffene nehmen häufig eine innere Leere wahr, können sich selber nicht mehr spüren, oder bestrafen sich durch Selbstverletzungen selbst. SVV kann als eine (hilflose) Art von Selbstfürsorge betrachtet werden, weil es dazu dient Druck, Spannung und Stress abzubauen und weitere Gefährdungen, vor allem Suizid, abzuwenden. Das Hinzufügen von körperlichen Schmerzen überdeckt seelischen Qualen und emotionale Leere und wirkt dadurch befreiend. SVV ist in der Regel kein Mittel um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Selbstverletzungen treten fast immer vergesellschaftet mit (mindestens) einer weiteren psychischen Störung oder Krankheit auf, was man Co-Morbidität nennt. Sie können ihren Beginn aber auch in akuten Krisensituationen nehmen. Den Betroffenen ist bei weitem nicht immer ist klar, warum sie sich verletzen. Erkrankungen, mit denen gemeinsam SVV auftreten kann, sind:
- Depressionen
- Traumatisierungen
- Angststörungen
- Essstörungen
- Zwangsstörungen
- Drogen- und Alkoholabhängigkeit
- Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typ (BPS)
- Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS)
- sich ritzen
- schneiden
- verbrennen
- verbrühen
- verätzen
- kratzen
- sich beißen
- sich schlagen
- Haare ausreißen
- mit dem Kopf gegen die Wand schlagen
- sich (versuchen) die Knochen brechen
- die Wundheilung verhindern etc.
Die häufigste Methode sind Schnitte in die Haut mit scharfen Gegenständen wie Rasierklingen, Skalpellen, Scherben oder Messern. Die beschädigten Körperteile sind vor allem die Extremitäten, bei Rechtshändern ist der linke Arm bevorzugt und da wiederum der Unterarm, bei den Beinen die Oberschenkel. Weitaus seltener ist der Rumpf betroffen, hier vor allem Bauch und Brust , wobei diese Verletzungen stärker verborgen und nicht selten heftiger sind als die an den Armen und Beinen. Im weiteren, aber noch seltener betroffen sind das Gesicht und der Genitalbereich.
Die manchmal angegebenen Zahlen sind alle unter Vorbehalt zu betrachten, da sie zum Teil geschätzt sind oder sich auf einzelne Gruppen beziehen und daher keine objektiven bzw. statistisch abgesicherten Ergebnisse liefern können. Sie geben aber sehr wohl deutliche Tendenzen wieder.
Quelle:
Rote Linien. Kontakt- und Informationsforum für SVV-Angehörige.
http://hp2.rotelinien.de/ (05-01-28)
Rote Linien ist eine Internet-Initiative, die von einer Angehörigen zum Thema Selbstverletzung ins Leben gerufen wurde. Sie richtet sich zum Zweck der Selbsthilfe vorrangig an die Familien, an Partner und an Freunde von autoaggressiven Menschen.
Schutz vor negativen Einflüssen
Neue Medien und Selbstverletzung
Nach neueren Untersuchungen können sich Menschen in virtuellen sozialen Netzwerken mit psychischen Leiden anstecken, wobei das auch für Störungen gilt, die zur Selbstverletzung oder Selbsttötung führen können. Das Phänomen der "sozialen Ansteckung" durch Medien ist nicht neu, aber die Möglichkeiten durch die neuen Medien wurden stark erweitert. So gibt es Gruppen mit Jugendlichen, die sich selbst verletzen, wobei die Ritzer Fotos ihrer Wunden austauschen. Solche Online-Gemeinschaften bilden eine verschworene Clique, die jedem Neuankömmling das Gefühl gibt, dass er seine Lust an der Selbstverstümmelung getrost ausleben kann. Wie die Psychologen Janis Whitlock, Jane Powers und John Eckenrode (Cornell University) ermittelt haben, gab es im Jahr 1998 lediglich eine einzige Netzgemeinschaft mit 91 Mitgliedern zum Thema Selbstverstümmelung. Im Jahr 2002 waren es bereits 28, derzeit sind es um die 400. Eine solche Störung breitet sich schnell aus, wenn es den entsprechenden Resonanzboden gibt.
Quelle:
Westerhoff, Nikolas (2010). Zeig mir deine Wunde.
WWW: http://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-zeig-mir-deine-wunde-1.1004092 (10-09-25)
Siehe auch die Studie “Saving and Empowering Young Lives in Europe – SEYLE”
Inhaltsverzeichnis
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