[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Kurzüberblick:
Psychotechnische "Schulen"

Die Zauberformeln der postmodernen Sozialwissenschaften sind eingängig: nicht selten verkoppeln sie Diagnose, Versprechen und Handlungsappell.
Wolfgang Müller-Funk
In den letzten Jahrzehnten hat sich eine unüberschaubare Vielfalt psychotechnischer "Schulen" entwickelt, in denen eine ebenso unüberschaubare Unmenge an unüberprüften, unüberprüfbaren oder schlicht unseriösen Verfahren eingesetzt werden, die zumindest dem Namen nach aus Fachbereichen der Psychologie und Psychotherapie stammen bzw. stammen könnten. Damit will man offenbar von jenen Ansehen profitieren, das die Psychologie in der Öffentlichkeit genießt.

Tatsächlich wurzeln viele dieser Methoden in der wissenschaftlichen Psychologie, allerdings werden diese losgelöst aus ihrem ursprünglichen Kontext häufig - insbesondere in unkundigen Händen von Menschen, die den fachlichen Rahmen der Ursprünge nicht kennen - zu gefährlichen und potentiell schädigenden Werkzeugen. Nicht zuletzt ruinieren solche "Techniker" oder "Handwerker" auch den Ruf der gesetzlich geschützten Psychologie, da sich viele Adepten auf die ihnen manchmal nur dem Namen nach bekannten Wurzeln in der Fachwissenschaft berufen, aus denen ihre Methoden vorgeblich stammen. Besonders beliebt ist hier das "namedropping", also das beiläufige Fallenlassen von Namen bzw. das Vereinnahmen bekannter PsychologInnen, wobei häufig tote bevorzugt werden, da sich diese nicht mehr dagegen verwahren können - dies trifft besonders auf NLP zu.

Als Psychotechniken kann man mit Streif (2001) jene vermeintlich therapeutischen Verfahren bezeichnen, "die sich i.d.R. Bruchstücken des psychologischen und/oder medizinischen Wissens sowie vereinfachter Bestandteile etablierter Psychotherapien bedienen und diese mit unwissenschaftlichen, nicht selten pseudoreligiösen und esoterischen Inhalten zu einer angeblich neuen und unfehlbaren Heilmethode vermengen".

Erkennbar sind diese Psychotechniken daran, dass

Zu den Psychotechniken sind betrüblicherweise die meisten der "aktuellen" pseudowissenschaftlichen "Therapieverfahren" zu rechnen, die heute in exklusiven Veranstaltungen, aber leider manchmal auch von Vertretern etablierter Studien- und Therapieschulen angeboten werden. Siehe hierzu auch die "Gebrauchsinformation" zu manchen eher randständigen Theorien aus dem Umkreis der Kommunikationspsychologie. Aufgrund einiger Reaktionen von UserInnen dieser Seiten, insbesondere von einigen "VertreterInnen" der hier kritisch beleuchteten Schulen, wurde eine Seite mit Psychotechnische "Schulen" - Reaktionen eingerichtet.

Allen hier genannten Verfahren ist zu eigen, dass sie auf falschen Annahmen zu Natur und Psychologie des Lebens und der Gestaltung sozialer Gemeinschaften beruhen, eine unseriöse Diagnostik anbieten und in ihren Konsequenzen bestenfalls wirkungslos, häufig aber durch Behandlungsaufschub und Fehlbehandlung eher schädlich sind (vgl. Streif 2001). Solche "Fast-food-Angebote" der Psychotechnik ziehen immer wieder Menschen an, die auf der Suche nach Hilfe sind. Dabei geraten sie immer häufiger an "Klein-Gurus", die lediglich Interesse am schnellen Geld, beziehungsweise an der Ausübung von Macht haben.

Kinesiologie und Edu-Kinestetik

Nach einer Eigendefinition ist die Kinesiologie "eine Synthese von Traditioneller Chinesischer Medizin, Akupressur, Chiropraktik, westlichen Wissenschaften, Ernährungs- und Bewegungslehre. Seit Anfang der 80er Jahre entwickelte sich die Kinesiologie in Europa und wird in vielen Ländern der Welt erfolgreich an Universitäten in der Vorsorgemedizin, Chiropraktik, Psychologie, Pädagogik, Musik, Sportwissenschaft und Tiermedizin gelehrt. Kinesiologie umfasst Richtungen wie Touch for Health, Applied Physiologie, Three in One Concepts, Edu-Kinesthetik, Transformationskinesiologie (TK), Wellness-Kinesiologie, Health Kinesiologie, Systemische Kinesiologie, Psychokinesiologie und Sehtraining" (Forstner-Billau o.J.).

Die zentrale Methode der "Angewandten Kinesiologie" ist der vom US-Chiropraktiker George Goodheart von älteren Verfahren entlehnte "Muskeltest", bei dem ein Tester einen einzelnen Muskel des Getesteten durch Handauflegen und Druck auf den ausgestreckten Arm der Testperson danach "befragt", ob dieser "an-" oder "ausgeschaltet ist. Mit Hilfe dieses Tests, bei dem die Voraussetzungen der TesterIn nach Dennison nur in der "Liebe" zur getesteten Person und der eigenen "Zentriertheit" bestehen und nicht in besonderen Kenntnissen (Dennison 1992, S. 29), werden dann alle möglichen Befunde, zum Beispiel über wirksame Medikamente, Lebensmittelunverträglichkeiten, aber auch Lernstörungen, bei denen dann bestimmte "Gehirnpunkte" befragt werden, diagnostiziert (vgl. Breitenbach & Keßler 1997). Man scheut sich auch nicht, eine lange namhafte Tradition zu bemühen: "Vor 2000 Jahren verwendete der griechische Arzt Hippokrates das Muskeltesten, um neurologische Verletzungen an Soldaten zu untersuchen. Vor über 500 Jahren nutzten es die Maya-lndianer um festzustellen, ob das Wasser an einer bestimmten Stelle trinkbar war. Im 19. Jahrhundert wandten es die französischen Neurologen Charcot und Babinsky an" (Ohne Autor o.J.). Beliebt ist auch das "Haarezupfen", das der Feststellung dient, ob der Körper genug Flüssigkeit hat. "Mit dem Zupfen an den Haaren wird die Haut gereizt, und bei zu wenig Wasser im Körper genügt dieser Reiz, um Stress zu erzeugen, der mit dem Muskeltest messbar gemacht wird. Außerdem ist es für die Gültigkeit der Messergebnisse erforderlich, dass die getestete Person genügend Wasser hat. Abhilfe kann bei Bedarf mit stillem Mineralwasser geschaffen werden (Forstner-Billau o.J.).

In Kombination mit anderen Techniken, von Farbwirkungen bis zur angeblichen Änderung des genetischen Codes, können dabei angeblich alle Probleme des menschlichen Lebens mit einfachen Mitteln bewältigt werden. Die dieser esoterischen Gauklerübung unterstellten physiologischen Gründe sind wissenschaftlich völlig unhaltbar. Der Muskeltest eignet sich weder zur Diagnose von psychischen Störungen noch irgendeiner anderen körperlichen oder geistigen Erkrankung. Klinische Tests haben eindeutig ergeben, dass der "Muskel-Test " nicht mehr Aussagekraft hat als ein Würfelspiel, wobei die Armkraft unwillkürlich vom Blick und von den Gedanken des Getesteten beeinflusst wird, dem Gegendruck des Testers an immer anderen Stellen des Armes (Hebelwirkung) und anderen Faktoren. Breitenbach & Keßler (1997) haben in einem Doppelblindversuch mit 99 sprach- und lerngestörten Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren den Muskeltest anhand zweier Aussagen der Edu-Kinestetik auf seine Verläßlichkeit als Diagnoseinstrument überprüft und belegt, dass der Muskeltest aus empirischer Sicht derzeit kein valides diagnostisches Verfahren ist. Ebenfalls muß darauf hingewiesen werden, daß momentan auch nur mangelhafte emprische Belege für die Effektivität edukinestetischer Förderung vorliegen, wobei immer von einem Hawthorne-Effekt ausgegangen werden muss. Zum Glück gilt aber: "Die Methoden (…) sind so einfach, dass man damit (an und für sich) nichts falsch machen kann. Solange man nicht mit Gewalt an den verschiedenen Muskeln zerrt, passiert den Muskeln kein Unheil. Und die verschiedenen Stärkungsmethoden wirken nur bei Blockaden. Wenn eine Blockade beseitigt ist, schadet eine weitere Stärkung nicht" (Forstner-Billau o.J.).

Zu allem Überdruss fließen in diese Techniken Versatzstücke aus unterschiedlichen theoretischen und esoterischen Zusammenhängen ein (z.B. Neurophysiologie, Psychomotorik, Tai Chi, Akupunktur, Aura- und Chakra-Arbeit etc.). Die Begründung der Methoden besteht daher in einem Sammelsurium von Begriffen und Modellen, die mehr oder weniger korrekt aus unterschiedlichen Ansätzen entliehen und zu einem stark verkürzten eigenen Modell rekombiniert werden. Dabei wird auf eine genaue Auseinandersetzung mit den Quellen weitgehend verzichtet, vermutlich auch deshalb, da sie den meisten auch unbekannt oder vermutlich unverständlich sind.

Die Liste der Anwendungsmöglichkeiten ist auf Grund dieses esoterischen Mischmasch natürlich nicht enden wollend (zusammmengefaßt das Angebot einer einzigen website): bei chronischen Schmerzen, Verspannungen, Schwächen, Funktionsstörungen in Muskeln, Organen und Energiefluss in den Meridianen, Austesten von versteckten Allergien und Unverträglichkeiten auf Lebensmittel, Medikamente, Wasch- und Pflegemittel, Umweltgiftbelastungen, Schwermetallbelastungen (Amalgam), Autoabgase, berufsbedingte Schadstoffe, Strahlenbelastungen, elektromagnetische Belastungen, Narben als Störfelder, Süchte, Austesten von verträglichen Nahrungsmitteln und Medikamenten, die optimale Dosierung von Vitamin und Mineralstoffbedarf, bei Leistungs-, Konzentrations- und Lernstörungen, gute Koordination und Integration der beiden Gehirnhälften, stressfreies Lernen, Lesen, Sehen und Hören, Lernblockaden auflösen, Gehirntraining …

Vor der Anwendung solcher kinesiologischer Verfahren in Diagnose und Therapie wird seitens psychologischer und medizinischer Fachverbände sowie der Gesundheitsbehörden gewarnt. Die von Dennison nach 1960 eingeführte Lehre der "Edu-Kinestetik", eine auf den oben genannten Ideen der Kinesiologie beruhende Gymnastikform, machte aus den unsinnigen Annahmen und kruden Diagnosen der Kinesiologie ein florierendes Geschäftsmodell, das an sich wirkungslose Bewegungsübungen zur Therapie erklärt. Nach Dennison & Dennison (1995) ist Edu-Kinestetik eine Methodik, die Lernenden dazu verhilft, durch bestimmte Bewegungen und Berührungen die im Körper verborgenen Potentiale und Fähigkeiten "herauszuholen und jederzeit verfügbar zu machen". Nach Auffassung der Edu-Kinestetik entstehen Lernblockaden dadurch, daß Kinder sich zu sehr bemühen und dabei den Gehirnintegrationsmechanismus, der für ein vollständiges Lernen erforderlich ist, ausschalten. Die Edu-Kinestetik verspricht nun durch spezielle Brain-GymÜbungen den Lernenden Zugang zu den "unzugänglichen", "blockierten" Teilen des Gehirns, so daß das Lernen nun ungestört erfolgen kann. Als wichtige Übungen können dabei die "liegende Acht", die "Denkmütze" und "Überkreuzbewegungen" angesehen werden. Diese Übungen werden durchgeführt, bevor die Kinder an eine gestellte Aufgabe herangehen. Sie sollen die "Integrationsfähigkeit" des Gehirns fördern und auf diese Weise Lernblockaden aufheben oder lindern. Edu-Kinestetik soll Ausgeglichenheit verschaffen, den Menschen vor dem Lernen "anschalten" und dafür sorgen, daß man während des Lernens im Gleichgewicht bleibt (Dennison 1995, S. 157).

Welcher wohl auch dem Laien nachvollziehbare Unsinn in diesem Zusammenhang verbreitet wird, läßt sich aus Fragmenten einer Seminarankündigung entnehmen:

"Der Schwerpunkt liegt auf dem Überkreuzen der Mittellinie, die die linke logische Gehirnhälfte und die rechte kreative Gehirnhälfte mit der jeweiligen Körperseite verbindet. Durch gezielte körperliche Übungen, die sehr einfach auch von Kindern und älteren Menschen ausgeübt werden können, wird über das Corpus Callosum die Bahnung hergestellt. Die neuronale Verknüpfung der beiden Gehirnhälften über die Mittellinie ermöglicht das Sehen mit beiden Augen, das Hören mit beiden Ohren und koordinierte Körperbewegungen. Jede dieser Fähigkeiten ist die Grundlage zu Stressfreiem Lernen und anderen Aktivitäten. Die Augen-Hand-Koordination ermöglicht flüssiges Schreiben. Diese bilateralen Fähigkeiten der rechten und linken Gehirnhälfte arbeiten dann im Zusammenspiel mit dem Mittelhirn (Oben-Unten-Dimension) und dem Hirnstamm (Vorne-Hinten-Dimension). (...) Die Fokussierung (Hinten-Vorne-Dimension) des Hirnstammes wird in Verbindung mit Zielen ausgetestet. Ist diese Fähigkeit vorhanden, kann vorausschauendes Denken angeborene, instinktive Überlebensreflexe lenken. Die Zentrierung (Oben-Unten-Dimension) des Mittelhirns wird ebenfalls in Verbindung mit Zielen ausgetestet. Diese Fähigkeit dient der Balance, abstraktes Denken und Emotionen zu integrieren und erlerntes Wissen mit der eigenen Persönlichkeit zu verbinden. Erst wenn alle drei Dimensionen des Gehirns miteinander kommunizieren, ist Stressfreies Lernen möglich".

Kennzeichnend für Psychotechniken ist auch das Erfinden immer neuer Begriffe, unter denen "derselbe Wein" verkauft wird - so findet man unter dem Titel "LEAP (Learning Enhancement Advanced Program): das Spezialprogramm für Lern- und Teilleistungsstörungen" folgende Charakteristik:

  • Weltweit einmaliges Spezialprogramm zur Beseitigung von Lern- und Teilleistungsstörungen (Lesen/Rechtschreiben/    Rechnen/Konzentration) und zur Erweiterung der Lern- und Konzentrationsfähigkeit
  • Wirkungsvolle Beseitigung von Legasthenie
  • Deutliche Effizienzsteigerung aller Fähigkeiten des Gehirns
  • Sondierung des Corpus Callosum
  • Auflösen des tiefen Switchings
  • Sondierung der Gehirn- und Körperdominanzmuster
  • Sondieren von Faktoren, die die interhemisphärische Integration beeinträchtigen
  • Sondieren spezifischer Gehirnareale: Hippocampus, Broca-, Wernickezone, ...
  • Beurteilung von Umgebungsfaktoren und deren beeinträchtigendem Einfluss auf die Gehirnintegration
  • Korrekturen, die die interhemisphärische Kommunikation eröffnen
  • Balancierung der Wernicke- und Broca-Funktionen
  • Balancierung limbischer Funktionen Lokalisierung von Gestalt- und Logikfunktionen über kinesiologische Verfahren
  • Visuelle Integrationverfahren
  • Auditive Integrationsverfahren
  • Audio-visuelle Integration
  • Balancierung vestibulärer Funktionen
  • Korrektueren für Alphabet, Verschmelzung und Zahlen
  • Balancierung von Augenmuskelfunktionen
  • Balancierung des auditiven und visuellen Kurzzeitgedächtnisses
  • Farbenblindheit
  • Balancieren verschiedener Typen von Lesestörungen
  • Leseverständnis
  • Rechtschreibprobleme
  • Balancierung verschiedenster Probleme mit Mathematik und Rechnen
  • Balancierung der Funktionen für die Ausführung verschiedener Leistungen: Bildvervollständigung und Ergänzung, Ordnen nach Ähnlichkeiten, räumliches Arrangieren von Dingen nach bildlicher und/oder verbaler Vorgabe

Wie auch der Laie erkennen kann, handelt es sich um dieselben typischen Irrlehren, Unkenntnisse, Missdeutungen und Vorurteile, auf denen auch die Kinesiologie beruht. Geradezu erheiternd ist das Umsichwerfen mit Bezeichnungen von Gehirnarrealen: Corpus Callosum, Hippocampus, Broca-, Wernickezone.

BTW: auch bei Tieren ist die Kinesiologie anwendbar, allerdings wird der Muskeltest bei Stellvertretern gemacht, was wohl eine Annäherung an Hellinger darstellt ;)

Der Kinderpsychologe Heinz Zangerle glaubt, dass Schulfitness-Angebote aus dem Repertoire der Esoterik im Trend liegen, da sie die schnelle Lösung versprechen: Verbesserung der kindlichen Konzentration durch Bewegung aus der Edu-Kinestik, Legasthenikertherapie durch Bachblüten, Behandlung von Aggressionen mit Qui-Gong und Reduzierung diffuser Ängste mit Aromatherapie. Es liegt am Lehrer, für den Rosenquarz am Schülerpult zu sorgen und die individuell günstigste Mondphase für den Prüfungstermin zu beachten (vgl. Wiese-Gutheil 2002). Klaus Samac konnte in einer österreichischen Studie (1997) empirisch nachweisen, dass Edu-Kinestetik die Schulleistungen nicht fördert, indem er zur Überprüfung der von Kinesiologen behaupteten Hypothese, Edu-Kinestetik fördere Schulleistungen, eine Versuchs- und eine Kontrollgruppe aus der dritten Schulstufe mit einem standardisierten Schulleistungstest in Mathematik und Deutsch vortestete. Die Stichprobengröße betrug insgesamt 350 Probanden. Ein Brain-Gym-Übungsprogramm wurde in Zusammenarbeit mit einer in Kinesiologie ausgebildeten Ergotherapeutin ausgearbeitet. Mit den Schülerinnen und Schülern der Versuchsgruppe wurden diese Übungen für die Dauer von zehn Wochen durch die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer durchgeführt. Im Anschluss wurden wieder beide Gruppen getestet. Mit Hilfe der multivariaten einfaktoriellen Kovarianzanalyse mit zweifach abgestuftem Faktor konnte ein Einfluss der Edu-Kinestetik in Form von Brain-Gym nicht nachgewiesen werden. Die Versuchs- und die Kontrollgruppe unterschieden sich nicht signifikant voneinander.

Alfred Kohnert (o.J.) von der Forschungsgruppe "Instruktion und Interaktive Medien" berichtet von einem Artikel im Grundschulmagazin (10/96), in welchem sich unter der Rubrik Lehrerfortbildung folgende Empfehlung fand: "Wasser trinken. Wasser leitet elektrische Energie sehr gut. Alle elektrischen Potentiale und chemischen Aktionen des Gehirns, des peripheren Nervensystems und des Rückenmarks sind abhängig von einer guten elektrischen Leitung. Nur so können Nachrichten zwischen den Empfängerorganen und Gehirn hin- und hergegeben werden. Als Grundregel gilt: Über den Tag verteilt sollten 20 g Wasser pro Kilogramm des Körpergewichts getrunken werden. Aus persönlicher Erfahrung kann ich berichten, daß Schüler, die während des Vormittags, d.h. zu Beginn der Unterrichtsstunden, Wasser trinken, erfrischter und wacher sind." Dieser Vorschlag ist nicht nur medizinisch gefährlich - beim Einhalten dieser Empfehung würden die Kinder an Austrocknung sterben -, sondern auch hirnphysiologischer Unsinn, da die Reizleitung nach völlig anderen Kriterien erfolgt.

Weiterführende Literatur

Schachtsiek, Christine & Kant, Christoph (Hrsg.) (1997). "Eddi fragte mich, ob ich bereit sei für die Befreiung meiner Bahnen". Texte und Materialien zur Diskussion von Edu-Kinestetik und Brain Gym. Berichte zur Sondererziehung und Rehabilitation Nr. 5. Fernuniversität Hagen.
WWW: http://www.uni-koblenz.de/~proedler/res/ata.pdf (02-06-20)

Die in diesem Sammelband vorgestellten Arbeiten geben einen differenzierten Überblick über die Edu-Kinestetik, wobei die pädagogische Kritik durch Offenlegung des edu-kinestetischen Menschenbildes aufzeigt, daß sich hinter der ganzheitlichen Fassade vom Lernen durch Bewegung ein simplifizierendes, mechanistisches Bild vom Menschen verbirgt.

Breitenbach, Erwin & Keßler, Bernd (1997). Edu-Kinestetik aus empirischer Sicht - eine empirische Überprüfung des Muskeltests. Sonderpädagogik 27 (1), 8-18.
WWW: http://www.uni-wuerzburg.de/gbpaed/mixed/edoz/breitenbach/ed-kinestetik.html (02-10-19)
http://www.uni-koblenz.de/~proedler/res/edukin.pdf (04-06-09)

In dieser Arbeit wird die inhaltliche Beziehung zwischen Edu-Kinestetik und Lernstörungen aus der Sicht der Edu-Kinestetik erläutert, bisherige empirische Forschungen, die sich mit diesem Zusammenhang auseinandersetzen, werden referiert und kritisch bewertet. Der Muskeltest, eine Grundlage edukinestetischer Förderung wird im Detail beschrieben und im Licht vorliegender empirischer Forschung betrachtet. In einem Doppelblindversuch mit 99 sprach- und lerngestörten Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren wird der Muskeltest anhand zweier Aussagen der Edu-Kinestetik auf seine Verläßlichkeit als Diagnoseinstrument überprüft.

Neurolinguistisches Programmieren - NLP

Diese aus verschiedenen Quellen von Richard Bandler und John Grinder zusammengesetzte Psychotechnik praktiziert Verhaltenskonditionierung nach Pawlow auf einfachstem Niveau und verbrämt sie bisweilen mit tiefenpsychologischen Vorstellungen und familientherapeutischen Schlagworten. Dazu trägt auch die nirgends belegte "Geschichte" bei, als sich die Begründer fragten warum einige Startherapeuten über beinahe magische Fähigkeiten zu verfügen scheinen, sie aber angeblich nicht an andere weitergeben konnten (was nach Faktenlage offenkundiger Unsinn ist, denn alle drei Therapierichtungen leisten auch heute noch äußerst erfolgreicher psychologische Arbeit). Wußten die Meister selbst nicht, was sie eigentlich machten? Daher analysierten sie mit kaum dokumentierten Methoden das Vorgehen von Fritz Perls (Begründer der Gestalttherapie), Virginia Satir (Familientherapeutin) und Milton Erickson (Hypnotiseur) und gaben bekannt, sie hätten die "Struktur der Magie" (so ihr Buchtitel) enträtselt. Darin führten sie aus, daß Menschen die Welt verschieden erleben, weil sie unterschiedliche Repräsentationssysteme benutzen: Manche bevorzugen Bilder, anderen sind Gefühle wichtiger. Das Geheimnis der Magier sei, daß sie sich ihren Klienten anpaßten: Denkt der Klient in Bildern, sprechen sie mit ihm eine visuelle Sprache ("Ich sehe Ihr Problem ..."). Ist er gefühlsorientiert, folgen sie ihm ("Ich habe das Gefühl, dies ist jetzt sehr wichtig"). Wie der Klient denkt, läßt sich angeblich zum einen aus seinen Formulierungen ableiten ("Mein Leben sieht leer aus"). Videos und Texte, die sich mit der NLP-Arbeit an mentalen Bildern befassen, zeigen, daß NLP-Trainer wie Bandler (1985) nach dem Muster verfahren, daß sie angenehme Erfahrungen mit Farbe und Helligkeit usw. verbinden und deren Intensität bei unangenehmen Erinnerungen reduzieren. Oft versuchen sie auch in therapeutischer Absicht, eine Gruppe von Submodalitäten zu verändern, indem sie Bilder mit Klängen und Gefühlen verbinden um die Wirkung zu verstärken oder abzuschwächen.

Submodalitäten

Visuell

  • Assoziiert (durch die eigenen Augen gesehen) oder dissoziiert (sich selbst betrachtend). Bist du in dem Bild oder siehst du dich in dem Bild?
  • Standort (z.B. links oder rechts, oben oder unten). Wo ist das Bild?
  • Abstand der Person vom Bild
  • Größe. Ist es groß oder klein?
  • Tiefe. 2 dimensional oder 3 dimensional?
  • Farbe. Bunt oder schwarz-weiß?
  • Kontrast, Klarheit. Klar oder verschwommen?
  • Helligkeit. Hell oder dunkel?
  • Bewegung (wie in einer Film- oder Diavorführung). Ist das Bild bewegt wie ein Film oder steht es still?
  • Geschwindigkeit (schneller oder langsamer als üblich)
  • Anzahl (Geteilter Bildschirm oder mehrere Bilder)
  • Rahmen. Ist ein Rahmen um das Bild?

Auditiv

  • Stimme oder Geräusch?
  • Aus welcher Richtung kommt das Geräusch?
  • Lautstärke. Laut oder leise?
  • Ton (weich oder hart)
  • Tonhöhe. Hell oder dunkel?
  • Entfernung. Von nah oder von fern?
  • Dauer. Anhaltend oder unterbrochen?
  • Mono oder Stereo?
  • Geschwindigkeit (schneller oder langsamer als normal)
  • Transparenz (klar oder getrübt )

Kinästhetisch

  • Emotion oder taktile Empfindung?
  • Gewicht (leicht oder schwer)
  • Druck (hart oder weich)
  • Ort. Wo ist das Gefühl?
  • Fläche. Groß oder klein?
  • Form. Welche Form hat es?
  • Textur, Konsistenz. Rauh oder glatt oder wie?
  • Bewegung. Still oder fließend?
  • Intensität. Stark oder eher schwach?
  • Dauer. Konstant oder mit Unterbrechungen?
  • Temperatur. Warm oder kalt?

Olfaktorisch

  • Wie riecht es?

Gustatorisch

  • Wie schmeckt es?


Quellen:
http://www.grube-trainings.de/
www.grube-trainings.de/
Idealgewicht/submods.htm (03-06-28)
O'Connor, J. & Seymour, J, (1990). Introducing Neuro Linguistic Programming. Mandala, London.
Zu Beginn haben TeilnehmerInnen an NLP-Seminaren große Schwierigkeiten mit den Submodalitäten, denn die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Helligkeit, Klarheit, Kontrast, Ton, Klangfarbe oder Lautstärke ist individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt und viele TeilnehmerInnen entscheiden sich meist willkürlich, nur um sich in diesem Kontext nicht zu blamieren oder einfach bloß um weitermachen zu können. Trotz des Fehlens an empirischer Stützung der Theorie der primären Repräsentationssysteme bzw. sogar der expliziten empirischen Widerlegung wird dennoch an diesem Modell festgehalten, "weil es funktioniert", wie NLP-Anhänger immer wieder feststellen und auf die zahlreichen Videos und Berichte verweisen. Aber: NLP-Trainingsvideos spiegeln stets die Arbeit von NLP-Überzeugten mit werdenden NLP-Anhängern in NLP-Kursen wider. Diese "Darsteller" kennen bzw. erlernen natürlich allmählich den Prozess, die Terminologie und sind bzw. werden immer vertrauter mit diesen scheinbar wissenschaftlich fundierten Konzepten, Erwartungen und Grundhaltungen - aus der Sicht der Psychologie handelt es sich um simples Shaping und Chaining in Verbindung mit einem verbalen Tokensystem, was vereinfacht gesprochen Manipulation darstellt, da genau die hier dargestellte psychologische Erklärung verschwiegen wird, sondern vielmehr darauf als gesicherte psychologische Erkenntnis verwiesen wird. Offensichtlich hat sich auch bisher kaum der Effekt der Hawthorne-Studien herumgesprochen, der vermutlich ebenfalls der "Wirksamkeit" dieser Methoden zugrundeliegt (s.u.). Weniger höflich formuliert: NLP produziert ein in sich abgeschlossenes System von Vorstellungen, was man gemeinhin im Psychojargon auch als "Wahnsystem" bezeichnen könnte.

Zum anderen wollen Bandler und Grinder herausgefunden haben, wie sie aus der Blickrichtung eines Klienten sein Repräsentationssystem erkennen können: Wer beispielsweise nach links oben schaut, erinnert sich an Gesehenes, denkt also in Bildern. Wer dagegen nach rechts unten blickt, beschäftige sich mit Körperwahmehmungen oder Gefühlen. In Untersuchungen über die Repräsentationssysteme wurde diese Theorie eindeutig widerlegt, denn was die Augen zeigten, stimmte nicht mit dem überein, was die Sprache angeblich verriet. Allerdings hielten Klienten Therapeuten für vertrauenswürdiger, wenn diese nach NLP-Art ihre Sprache auf das vermeintliche Repräsentationssystem abstimmten, d.h., dass eine Form der Konditionierung stattgefunden hat. Wenn allerdings die Therapeuten gezielt ein anderes Repräsentationssystem benutzten, faßten die Klienten ebenfalls Vertrauen (vgl. Paulus 1994). Offenbar gefiel es ihnen, daß die Therapeuten so oder so auf sie eingingen - in der Psychologie seit langem als Hawthorne-Effekt bekannt (siehe Kasten links).

Eine wichtige Rolle spielen im NLP die Submodalitäten (siehe Kasten rechts), die sie als Komponenten der Sinneswahrnehmung definieren, also z.B. den Kontrast oder die Größe eines inneren Bildes, die Lautstärke der Töne, die Intensität eines Gefühls. Veränderungsstrategien der Submodalitäten stehen daher im Mittelpunkt der Klientenarbeit des NLP, alles aus dem naiven Glauben heraus, daß die Änderung nur einer Submodalität eine Veränderung insgesamt bewirken könnte. Aber so genau wisse man das nicht, denn Bandler und Grinder prüften niemals experimentell und kontrolliert nach, ob ihre Theorie auch stimmt, sondern "entwickelten" immer neue therapeutische Methoden, wobei sie Elemente verschiedener therapeutischer Schulen einbauten.

An Stelle von Belegen für die Wirksamkeit ihrer Methoden präsentierten sie Erfolgsgeschichten (Beispiel: Der Fall Leslie), was ein typisches Merkmal der hier beschriebenen psychotechnischen Richtungen zu sein scheint. So will einer der beiden einen Prozeß gewonnen haben, indem er das Repräsentationssystem des Richters analysierte. Auf den Nimbus der Wissenschaft verzichten Bandler und Grinder jedoch in ihren ersten Publikationen nicht, denn diese enthielten noch eindrucksvolle Diagramme von grammatikalischen Tiefenstrukturen und hochmathematisch aussehende Formeln. Bandler und Grinder gaben auf Befragung aber offen zu, daß ihre Lehren nicht "wahr" seien, also überprüft werden könnten, sondern nur Modelle der Wirklichkeit liefern, sodass es gleichgültig wäre, ob sie stimmen oder nicht, denn wichtig wäre nur, dass sie "funktionieren". Nach dieser "Philosophie" darf jeder vorgehen, wie er will, und behaupten, was er will - Hauptsache, er ist am Schluß vom Ergebnis seiner Kunst überzeugt. Dieses "Glaubenbekenntnis" kann man in Diskussionen mit Vertretern des NLP immer wieder erleben, indem diese bei ihrer Argumentation alle ihre Behauptungen gleich in Frage stellen und notfalls auch das Gegenteil behaupten. Rupprecht Weerth, nach eigener Aussage ein Befürworter des NLP, kommt zu folgendem Resümee der Kritik: "1. Die NLP-Theorie ist lückenhaft und z.T. wissenschaftlich nicht haltbar;... 2. Die NLP-Techniken sind zum großen Teil anderen Therapie-Methoden entnommen und in der angewendeten Form anfechtbar; die behauptete durchgreifende Wirkung ist nicht genügend belegt... 3. Das NLP-Modell weist Widersprüche auf und beinhaltet Gefahren..." (Weerth 1992, S. 221; zit. nach Bördlein 2001).

Naiverweise wird von VertreterInnen des NLP das "Positive Denken" ("Wer Erfolg erwartet, der bekommt Erfolg. Wer Misserfolg erwartet, der bekommt Misserfolg") als wesentliche Handlungsstrategie empfohlen und in Verkennung der tatsächlichen Forschungsergebnisse zu diesem Phänomen missinterpretiert. Ziel des positiven Denkens sei es, durch Autosuggestionen das (Unter)Bewusstsein zu beeinflussen, sodass nach der "self-fulfilling prophecy" positives Denken auch zu positiven Effekten führte. Dabei wird von der ebenfalls naiven Vorstellung ausgegangen, der Mensch sei programmierbar und es gäbe für alle Menschen die eine "richtige" oder "falsche" Programmierung. Diese "Methode des Positiven Denkens" wird daher von vielen PsychologInnen zu Recht kritisiert, wobei nicht in Frage gestellt wird, dass eine positive und optimistische (Lebens)Einstellung tatsächlich erfolgreicher und glücklicher machen kann und wünschenswert wäre, sondern die Wirksamkeit der Methodik sowie das zugrundeliegende (selbst)manipulative Menschenbild. Seligman schreibt: "Positives Denken besteht oft darin, sich Dinge einzureden wie "Jeden Tag, in jeder Weise, geht es mir besser und besser" und das auch - ohne jeden Beweis oder trotz dagegensprechender Beweise - zu glauben. Wenn Sie an solche Sprüche wirklich glauben können - bravo! Der Punkt geht an Sie. Vielen gebildeten und in kritischem Denken geschulten Menschen gelingt diese Art der Selbstüberhöhung jedoch nicht."

NLP beruht letztlich auf einer kruden Vorstellung, dass man sich selbst und seine Mitmenschen mit erlernten Tricks steuern und beeinflussen kann, was als Prinzip hinter allen intentionalen Verhaltensänderungen von Menschen steht. Mittels der Methode des "Ankerns" sollen die Klienten positive Empfindungen bewusst speichern und jederzeit wieder abrufen können. Den Klienten wird vermittelt, sie müssten sich, etwa in einem Verkaufsgespräch, auf ihr Gegenüber einstellen, indem sie sich dessen Auftreten anpassen - ein Verfahren indirekter Hypnose ("Pacing"). Sollte diese Art der Manipulation gelingen, bei der das Selbst anscheinend vorübergehend aufgegeben wird, kann damit dem Gegenüber unmerklich der eigene Wille aufgezwungen werden (guter "Rapport"), d.h., das Gegenüber reagiert dann so, wie es von ihm gewünscht wird. Nach Niels Birbaumer (Universität Tübingen) handelt es sich bei der Modeerscheinung NLP schlicht um eine "Psychosekte", wobei sich Teilnehmer an NLP-Kursen kaum enttäuscht äußern könnten: "Erst zahlt man Tausende von Mark für so ein Seminar - und muß dann zugeben, daß es nicht geholfen hat. Da käme man sich doch lächerlich vor." Viele NLP-Schüler sind möglicherweise auch deswegen nicht enttäuscht, weil sie vorher nur diffuse Erwartungen hatten. Da der Werkzeugkasten des neurolinguistischen Programmierens eine ganze Reihe von Begriffen wie "Chunken", "Kalibrieren" oder "Reframing" enthält, die stark an den Scientology-Jargon erinnern, haben manche NLP-Schulen in letzter Zeit ihre Strategien geändert. Damit die Unternehmen auch weiterhin ihre Mitarbeiter zu solchen Kursen anmelden, bekommen diese Seminare unverfänglichere Titel, in denen die Abkürzung NLP nicht mehr auftaucht (vgl. Heller 1997).

Wenn man den normalen Ausbildungsgang für NLP prüft, dann wird deutlich, dass hier oberflächlichstes psychologisches Wissen im Schnelltempo verbreitet wird, sodass auch dem Laien klar sein muss, dass hier von einer fundierten Auseinandersetzung mit den Phänomenen des Psychischen vollkommen fehlen muss. Hier die Beschreibung der typischen NLP-Ausbildung (Hervorhebungen von mir):

In den ersten 20 Vollzeit-Tagen seiner Ausbildung lernt ein NLP-Teilnehmer erst einmal die Grundlagen, die er dann als "NLP-Practitioner" oft zunächst sehr "technisch" anwendet. Im zweiten Teil (20 Tage) wird dann aufbauend auf den Erfahrungen die flexible und individuelle Anwendung gelehrt und praktiziert. Der "NLP-Master-Practitioner" versteht es dann i.d.R. schon sehr gut, die einzelnen Bestandteile flexibel zum Wohle seines Klienten bzw. seiner Seminar-Teilnehmer einzusetzen. Practitioner und Master-Practitioner darf man erst als "NLP-Lehrtrainer" ausbilden. Die vorgenannten Ausbildungsgänge werden von der DVNLP (Deutscher Verband für NLP) zertifiziert.

Wenn man im Internet die unzähligen Seminarangebote prüft und die Versprechen liest, die etwa schon zertifizierte NLP-Practitioner abgeben, die jedes Angebot eines seriösen Psychotherapeuten bei weitem übertreffen, dann wird klar, dass es hier bloss darum geht, vom Kuchen auf dem Psychomarkt ein möglichst großes Stück abzubekommen. Jeder geprüfte Tennislehrer benötigt eine umfangreichere Ausbildung, um auf seine "Klienten" losgelassen zu werden - der muss in der Regel wenigstens einen Erste-Hilfe-Kurs besuchen. In Diskussionen mit Vertretern des NLP erstaunt und erschreckt immer wieder die unreflektierte Überzeugung von der Richtigkeit der eigenen Methoden, wobei das manchmal an die Riten von Schamanen erinnert, die durch monotones Wiederholen von bestimmten Formeln sich selbst und ihre Klientel beeinflussen wollen. Besonders auffällig ist das auch im Umgang mit Kritik, da selten darauf konkret eingegangen wird, sondern durch einen Schwall an simplen Formeln alles relativiert und niederzureden versucht wird, bis scheinbar alles nur mehr eine Sache der individuellen Auslegung und Einstellung ist.

Da fast alle Methoden des NLP aus der Verhaltenstherapie entlehnt wurden und daher in langjähriger Forschung und Praxis erweiterte Erkenntnisse der frühen behavioristischen Studien von Pawlow, Watson, Wolpe, Eysenck und Skinner enthalten und somit wirksame therapeutische Interventionen begründen können, müssen NLP-Behandlungen gewisse kurzfristige - z.T. nicht ungefährliche - Effekte zugesprochen werden. Dies gilt vor allem dann, wenn diese Methoden nicht auf psychisch stabile Persönlichkeiten treffen, die mit solchen Belastungen umgehen können. Die "Diagnostik" im Dunstkreis des NLP ist schlicht und basiert letztlich auf der subjektiven Wahrnehmung von positiven oder negativen Emotionen der Person durch einen NLP-"Therapeuten". Während das NLP bzw. die Neurolinguistische Psychotherapie (NLPt) in Österreich zugelassen sind, gelten sie in Deutschland nicht als Heilverfahren und dürfen nicht im Rahmen der öffentlichen Betätigung als Arzt, Psychotherapeut oder Heilpraktiker ausgeübt werden.

Wie unbedarft NLP etwa an das Phänomen Angst herangeht, kann die Antwort auf folgende Anfrage in einer Zeitschrift illustrieren (die Rechtschreibung des Originals wurde beibehalten; W.S.):

Frage: Kann man mit NLP-Techniken Angst besiegen?

Antwort: Ja, versuchen sie es mit Veränderung der Submodalitäten:

  1. Wo genau sitzt die Angst, wenn Sie sie gerade spüren?
  2. Atmen sie 10x langsam durch den Bauch ein und aus und lassen sie dabei diese Angst eine Gestalt oder ein Symbol werden:
  3. Was macht Ihnen bei der Gestalt/beim Symbol am meisten Angst?
  4. Finden Sie die wichtigsten "Angstmacher" heraus, machen Sie ruhig zwischendurch kurze Notizen um dann sofort wieder tief durch zu atmen und die Augen zu schließen.
  5. Nun verändern Sie die Angst machenden Submodalitäten der visualisierten Figur oder des Symbols. Z. B: Ein Ungeheuer grell rot mit giftigen Zähnen und schwarzem Bart.
    1. lassen Sie das grell rot auf grau verblassen.
    2. visualisieren Sie, wie die giftigen Zähne einer nach dem anderen ausfallen o. Ä.
    3. Lassen Sie den Bart grau werden und ev. die Haare ausgehen o. Ä.
    4. Wenn es eine schaurige Stimme gibt, lassen Sie sie zu einer Micky Maus Stimme werden. Einen Riesen lassen sie zum Gartenzwerg werden usw.

So lange verändern. bis sie sich nicht mehr fürchten bzw. der Angst ins Gesicht schauen können, ohne Angst zu haben. Bitten Sie ihr Unbewußtes, ihnen die Botschaft der Angst zu entschlüsseln. Wenn sie verstanden haben, was die Angst bedeutet hat und Ihnen eigentlich sagen wollte, lassen Sie sie immer kleiner werden und am Horizont, falls das paßt, wie eine kleine Supernova verglühen. Auf diese Weise kann man mit allen unangenehmen Gefühlen verfahren. Wichtig ist die dahinter liegende Botschaft zu verstehen und zu berücksichtigen, falls nötig. Vom 12.-14. September beginnt die NLP Practitioner Ausbildung, wo Sie neben vielen tollen Dingen und Techniken auch genau das lernen. Näheres unter www.***.at.

Vermutlich kann man bei einem solchen therapeutischen Ansatz verstehen, dass es einem Fachpsychologen angst und bange wird, wobei gegen diese Angst wohl keine Submodalitäten mehr helfen ;-)

Weiterführende Literatur

Bördlein, Christoph (2003). Das "Neurolinguistische Programmieren" (NLP) - Hochwirksame Techniken oder haltlose Behauptungen? Ein Essay.
WWW: http://www.boerdlein.gmxhome.de/nlpmemo.html (03-01-19)

In dieser immer wieder ergänzten und erweiterten Arbeit findet sich der jeweils aktuelle Stand zur wissenschaftlichen Haltbarkeit der Positionen des NLP.

Familienaufstellung nach Hellinger

Bert Hellinger:
"Bei der Psychotherapie ist die Vorgehensweise ganz einfach. Es geht einem da wie einem guten Führer. Ein guter Führer sieht, was die Leute wollen, und das befiehlt er."
Weber, Guntram (1999). Zweierlei Glück. Die systemische Psychotherapie Bert Hellingers.
Pinkl, Gabriele (o.J.). Respekt statt Macht. Kritische Anmerkungen zur "Familienaufstellung nach Hellinger".
WWW: http://www.info.weltanschauungsfragen.de/
a-z/Hellinger.html (03-10-12)
Bei der Familienaufstellung nach Bert Hellinger - der keine anerkannte Ausbildung zum Psychotherapeuten absolviert hat - handelt es sich um ein systemisch-familientherapeutisch anmutendes Verfahren, das in der Gruppe durchgeführt wird. Theorie und Methodik der Familienaufstellung gehen zurück auf die Mehrgenerationen-Perspektive der systemischen Familientherapie, auf die Methoden der Familienrekonstruktionsarbeit und vor allem das Stellen von Familienskulpturen, die wichtiger Bestandteil der Systemischen Therapie sind. Innerhalb Systemischer Therapie und Beratung wird das Individuum u. a. als familiengeprägtes Wesen verstanden, dessen Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten durch die Geschichte der vorhergehenden Generationen, durch überkommene Regeln, Muster und Loyalitäten stark mitbestimmt werden. Techniken wie die Genogrammarbeit oder das Stellen von Familienskulpturen sollen dem Einzelnen neue Bewertungsmöglichkeiten der Familiengeschichte und damit zusätzliche eigene Verhaltensmöglichkeiten eröffnen. Dazu bedarf es eines Therapeuten, der weiß, dass er nicht die "wahre" Sicht kennen kann, der den KlientInnen und ihrer Sichtweise mit empathischer Sensibilität und Respekt begegnet, ihre Autonomie achtet sowie Vielfalt und eine Erweiterung von Handlungsoptionen auf Seiten der KlientInnen fördert. Simon und Retzer (1998) verwehren sich gegen einen Vergleich der Aufstellungen mit der Systemischen Therapie im eigentlichen Sinne, denn Hellingers Vorgehen hat mit der Systemischen Therapie praktisch nichts gemeinsam: "Bert Hellingers Methoden (haben, W.S.) mit der systemischen Therapie nichts gemeinsam. Wer beide in einem Atemzug nennt, betreibe Etikettenschwindel". Sie begründen ihre Behauptung folgendermaßen: ". . . da Bert Hellinger davon auszugehen scheint, einen direkten (phänomenologischen) Zugang zur Wahrheit zu haben, meint er die Ordnung oder Unordnung der Familie zu sehen. Deswegen macht er sich daran, Ordnung zu schaffen. Er stellt die "Lösung" für die Familie, das heißt, er verändert die Positionen der Stellvertreter der Familienmitglieder, so wie er es - nach deren Feedback - für richtig hält. Manchmal läßt er rituelle Sätze sprechen. Damit ist die Angelegenheit erledigt, die Protagonisten können sich wieder setzen, der nächste bitte".

Bert Hellingers Methode des "Familienstellens" erfreut sich besonders bei Anbietern auf dem Esoterikmarkt zunehmender Beliebtheit. In Bert Hellingers "Ordnungen der Liebe" findet sich die Kernthese: Es gebe "Ordnungen, die der Liebe in menschlichen Beziehungen vorgegeben sind. Daher gelingt uns diese Liebe nur, wenn wir um ihre Ordnungen wissen". Diese Ordnungen gelten als faktische Realitäten, die es anzuerkennen gilt. Wer sich nicht daran hält, gerät in dramatische schicksalhafte Verstrickung. Krisen und Krankheiten entstehen dort, wo jemand liebt, ohne die Ordnungen der Liebe zu kennen. Daher beginnt die Lösung und Heilung mit der Einsicht in diese Ordnungen, die durch die Aufstellung zu erlangen ist.

Beim Familienstellen - häufig in einem Seminar mit bis zu 500 KlientInnen, deren Probleme angegangen werden sollen - bekommen diese drei Fragen gestellt:

Daraufhin wählt der Klient aus den Anwesenden Stellvertreter für sich und seine Familienangehörigen aus und stellt diese so im Raum auf, wie die Familienstrukturen nach seinem Empfinden beschaffen sind. Hellinger gibt dabei vor, wer alles "gestellt" werden soll und die KlientInnen Klient korrigieren die Stellung und Blickrichtung zueinander, bis sie diese stimmig finden, und setzen sich wieder. Nun kommt der Therapeut ins Spiel. Er befragt die Stellvertreter nach ihren Gefühlen, was ihnen Angst macht, zu wem sie sich hingezogen oder abgestoßen fühlen. Daraufhin ändert er die Aufstellung, stellt Personen um, fragt eventuell den Klienten nach Einzelheiten oder nicht aufgestellten Familienmitgliedern. Wenn der Therapeut empfindet, dass die Aufstellung ausgewogen ist, stellt er den Klienten an die Stelle seines Stellvertreters und lässt die Situation wirken. Neben der Ordnung ist bei Hellinger die "Verstrickung" ein Schlüsselbegriff und meint damit "Zusammenhänge, die man nicht ableiten kann", bzw. Zusammenhänge, die nur Hellinger durch die Aufstellung "sieht" (vgl. Wiemann 2000).

Hellinger lässt dann nicht selten den Klienten an Eltern oder Ausgestoßene Worte wie "Ich gebe dir die Ehre" nachsprechen. Er geht von einer starken Verbindung der Familienmitglieder untereinander aus, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind. Ein früher Tod eines Familienmitgliedes wirkt sich demnach tiefgreifend aus. Die Überlebenden stehen vor dem Schuldgefühl, warum sie leben dürfen und der Verstorbene sterben musste. Wenn jemand schwere Schuld verdrängt, kann ein anderes Familienmitglied diese Schuldgefühle übernehmen. Da dieses aber die Schuld nicht begangen hat, bleibt ihm die Sühne verwehrt und es muss darunter leiden. Auch Kinder würden sich aus Treue gegenüber ihren Eltern nicht getrauen, glücklicher als jene zu leben, was man z.B. daran ersehen könne, dass die Anzahl der Ehejahre bis zur Scheidung oft die gleiche wie bei den Eltern sei. Besonderes Augenmerk richtet Hellinger auf nicht vorhandene Familienmitglieder, Verstorbene oder Ausgestoßene, ehemalige Partner und ungeliebte Verwandte. Dabei gebe es feste Rangordnungen, die durch die Zeit bestimmt werden: wer zuerst da war, hat Vorrang vor dem, der später kommt. So habe in einer Partnerschaft die erste Beziehung immer Vorrang vor der zweiten, der Erstgeborene vor dem Zweitgeborenen usw. Für die Praxis des Familienstellens ist die Theorie des "wissenden Feldes" von grundlegender Bedeutung. Sie besagt, dass die Stellvertreter, die ja keinerlei weitergehende Informationen über die von ihnen repräsentierte Familie haben, dennoch geheimnisvollen Zugang zu dem Wissen der durch sie vertretenen Personen hätten. Sie stehen nicht nur stellvertretend, sondern fühlen und reagieren oft auch so. Die Stellvertreter bei Hellinger irren sich daher nie, denn sie sind identisch mit der wirklichen Familie. Die "Aufstellung" und das, was die Rollenspieler fühlen, was Hellinger den Rollenspielern suggeriert, wird zum Dogma und als absolut und wahr hingenommen, was im Gegensatz zu jeder seriösen Familientherapie steht. Hat sie Hellinger auf der Bühne umgruppiert, so meint er, wird sich auch die echte Familie draußen hierdurch ändern. Die KlientInnen äußern sich in ganz bestimmten immer wiederkehren Codes wie: "Hinter mir ist es warm", "Meine rechte Seite ist heiß", "Es ist gut", "Es ist ein gutes Gefühl so", manchmal auch: "Mein Herz klopft", "ich schwitze", meine Knie zittern", "Es ist jetzt viel besser so", "Ich habe schwere Arme", "einen Kloß im Bauch, groß und fest", oder: "Dort ist das Licht" (vgl. Wiemann 2000).

Emphatisch statt empathisch

Die Hellinger'sche Aufstellung, welche mit der Familientherapie nach Virginia Satir kaum mehr etwas gemein hat, erfüllt viele Kriterien einer stark an Sektenpraktiken erinnernden Manipulationstechnik: Hellinger, selbst ohne berufliche Therapiequalifikation, kommt im Kreis seiner Anhänger ein guruhafter Status zu, der sich u.a. in therapeutisch sehr fragwürdigen Massenveranstaltungen zeigt; seine Arbeit beruht auf einem reaktionären und autoritären Gesellschafts- und Familienbild, das Frauen und Kinder herabsetzt; das Bemühen um ein Verständnis des individuellen Schicksals tritt hinter das pseudoreligiöse Gebot einer natürlichen, quasi-göttlichen Ordnung zurück; das Ziel der Familienaufstellung ist nicht die Verwirklichung und Heilung des einzelnen, sondern die autoritäre Wiederherstellung einer vom Therapeuten willkürlich vorgegebenen Ordnung. Die Familienaufstellung nach Hellinger ist keinesfalls geeignet, irgendeine Form psychischer oder gar physischer Erkrankung bzw. deren Ursachen zu ermitteln. Hellinger verschreibt direktiv Lösungen, konfrontiert KlientInnen mit apodiktisch vorgetragenen Interpretationen und Anweisungen, und wer seinen "Lösungen" nicht folgt, wird wie ein Schulkind zurück auf seinen Platz verwiesen. Hellinger ignoriert das strukturell in jeder Therapeut-Klienten-Beziehung enthaltene Macht-Abhängigkeits-Verhältnis bzw. bedient sich dessen bewusst. Die Werte eines humanistischen Menschenbildes, die dem systemischen Ansatz innewohnnende Klientenzentriertheit, das Respektieren von Abwehr, das Berücksichtigen von Phasen im therapeutischen Prozess werden (bewusst?) ignoriert, wie man aus den zahlreichen Videos sehen kann, welche die Methode dokumentieren und verbreiten.

Richten manche Psychotechniken keinen großen Schaden an, solange sie nicht alternativ und in schädigender Absicht eingesetzt werden, ist vor den dilettantischen, jedoch psychisch destruktiven Folgen der pseudotherapeutischen Interventionen Bert Hellingers ausdrücklich zu warnen. Deshalb beurteilt die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) die publikumswirksame Praxis des Familienaufstellens nach Bert Hellinger als "ethisch nicht vertretbar" und "gefährlich für die Betroffenen". Die Kritik der DGSF (2003) richtet sich vor allem gegen "Ultra-Kurz-Events", die eine Gefährdung von Klienten darstellen, da Familien ohne ausreichende therapeutische Rahmung und persönliche Beziehung zum Therapeuten "aufgestellt" würden. Hellinger vertritt sein Vorgehen mit einer Absolutheit, die die Selbstbestimmung der Klienten enorm einschränkt, während er sich geichzeitig einer kritischen Diskussion seiner Vorgehensweisen entzieht. Obwohl Hellinger selbst keine Schüler ausbildet, gibt es mittlerweile einige Dutzend Therapeuten, die "Familienaufstellungen nach Hellinger" anbieten. Hellinger selbst fühlt sich für diese Epigonen nicht zuständig, unternimmt aber andererseits auch nichts, um seine Methode schützen zu lassen. Stöhr (1999) berichtet über ein Seminar im Berliner Dom, in dem die Technik der Familienaufstellung nach Hellinger geübt wurde. Ethisch nicht vertretbar und gefährlich sind auch die Verallgemeinerungen und Vereinfachungen von aus dem Kontext einer bestimmten Familienaufstellung herausgerissenen Aussagen, die "kleine Hellingers" zu bewertenden und normativen Leit- und Lebenssätzen umformulieren. Oft besteht die Lösung in der Wiederherstellung konservativer Strukturen, d.h. die Kinder müssen die Eltern respektieren, die Frau den Mann usw. Dies sollen sie oft auch durch einen Satz den Repräsentanten ihrer Familie gegenüber zum Ausdruck bringen. Es sind immer wieder dieselben Sätze, die Hellinger "verordnet": "Ich gebe Dir die Ehre" ist wohl Hellingers Lieblingssatz, gemessen an der Verwendung in den protokollierten Aufstellungen. In Verbindung mit einer Verneigung vor der Stellvertreterin der Mutter dient er z.B. als "Behandlung" gegen Rückenschmerzen (Hellinger 1996, S. 68). Hellinger selbst liefert im Interview mit "Psychologie heute" einige weitere erschreckende Beispiele für sein Vorgehen, z.B. bei sexuellem Mißbrauch: "Ich habe sie sagen lassen: ´Papa, ich habe es gerne für dich gemacht`" (Krüll & Nuber 1995, S.23).

Hellinger ist wegen seiner rigiden und häufig auch unerwarteten Urteile offensichtlich für viele attraktiv, befriedigt er mit seinen Massenveranstaltungen doch auch ein voyeuristisches Bedürfnis, indem er Gut und Böse bestimmt, beschuldigt und plötzliche Entlastung erteilt. Hellinger bietet mit der Familienaufstellung kein im Sinne einer wissenschaftlichen Psychologie seriöses Therapiekonzept an, sondern Wunderheilung und manchmal sogar ein die KlientInnen gefährdendes Wahnsystem. Das offensichtlich bei vielen vorhandene Bedürfnis, nicht selbst über sich bestimmen zu müssen oder zu können, sich lieber "höheren Mächten, höheren Gesetzmäßigkeiten" unterzuordnen, wird von Bert Hellinger und seinen Adepten in gefährlicher Weise befriedigt, wobei er dafür in kurzer Zeit einfache Lösungen bietet (vgl. Wiemann 2000).

Dabei ist diese Faszination Bert Hellingers nur schwer nachvollziehen. Sicherlich hängt sie auch damit zusammen, dass wir in einer zunehmend unübersichtlich werdenden Welt gerne jemand hätten, der sagt, was wirklich richtig ist. Eine Familientherapie dauert zwischen sechs bis 30 Stunden, während Hellinger für seine "Lösungen und Ordnungen" nur etwa 20 Minuten benötigt, wobei er damit eine Grundannahme der Systemischen Beratung missachtet, dass die Lösung die Familie, die Klienten selbst hat, und BeraterInnen nur bei der Suche danach helfen. Es gibt mittlerweile so viele selbsternannte Hellinger-Schüler, die ohne fundierte therapeutische Ausbildung in Schnellseminaren, die ein Wochenende oder eine Woche dauern, unverantwortlich mit Menschen oft in bedrohlichen Notsituationen "spielen". Aussagen von Anbietern, dass der Markt die Spreu vom Weizen trennen würde, sind nicht nur blauäugig sondern im Bereich von psychischen Problemen auch unverantwortlich. Der Markt hat seine eigenen Gesetze, und die sind nun einmal nicht vorwiegend ethisch motiviert. Man kann daher nicht solche Seminare anbieten, ohne sich dafür zu interessieren, welche Ausbildungen die ReferentInnen haben. Und in einer Zeit, in der auch "Pfusch" teuer verkauft wird, würde es sich wohl auch lohnen, wenn man nicht nur die Ausbildungen, sondern auch die Persönlichkeit und den ethischen Hintergrund von Referenten mehr in Frage stellen würde (vgl. Pinkl o.J.).

Weiterführende Literatur

Bördlein, Christoph (2001). Das sockenfressende Monster in der Waschmaschine. Eine Einführung ins skeptische Denken. Aschaffenburg: Alibri.

Fehlinger, Margarete (1998). Familien am Schachbrett Skulptur-Rekonstruktion-Aufstellung - Umstrittene Methoden in der Familientherapie. Wiener Zeitung vom 18.12.

Wiemann, Irmela (2000). Die "systemische Familientherapie Therapie nach Bert Hellinger" - eine gefährliche Heilslehre.
WWW: http://www.sgipt.org/kritik/helling/Hellinge.pdf (02-07-21)


Siehe auch im Überblick die Arbeitsblätter zu den Psychotherapeutischen Schulen und Psychoanalytische Schulen bzw. die "Gebrauchsinformation" zu manchen eher randständigen Theorien aus dem Umkreis der Kommunikationspsychologie.

Quellen

Baertz, Hans-Hermann (2003). BAERTZ Seminare & Coaching - Was genau ist NLP?
WWW: http://www.baertz.de/was_genau_ist_nlp.htm (03-06-27)

Bandler, R. (1985). Using your Brain for a Change. Utah: Real People Press.

Bördlein, Christoph (2001). Das "Neurolinguistische Programmieren" (NLP) - Hochwirksame Techniken oder haltlose Behauptungen? Schulheft, 103 , 117-129.

Breitenbach, Erwin & Keßler, Bernd (1997). Edu-Kinestetik aus empirischer Sicht - eine empirische Überprüfung des Muskeltests. Sonderpädagogik 27 (1), 8-18.
Auch im WWW: http://www.uni-wuerzburg.de/gbpaed/mixed/edoz/breitenbach/ed-kinestetik.html (02-10-19)

Dennison, Paul E. & Dennison, Gail E. (1995). Brain-Gym - Lehrerhandbuch. Freiburg i. Br.: Verlag für angewandte Kinesiologie.

Forstner-Billau, Robert (o.J.). Was ist Kinesiologie?
WWW: http://www.forstner-billau.at/detail/kinesiologie.htm (03-02-22)

Heller, Markus (1997). Für viel Geld auf Effizienz getrimmt. Stuttgarter Zeitung Nr. 56, 08.03.97.

Hellinger, Bert (1996). Ordnungen der Liebe. Ein Kurs- Buch. Heidelberg: C. Auer.

Kohnert, Alfred (o.J.). Wassertrinken, damit Hirnströme besser fließen (!?).
WWW: http://www.iim.uni-giessen.de/tips/instruktion/Edukinesiologie.htm (05-03-11)

Krüll, M. & Nuber, U. (1995). "Wenn man den Eltern Ehre erweist, kommt etwas tief in der Seele in Ordnung". Interview mit Bert Hellinger. Psychologie Heute, 22 (6), 22-26.

Lamprecht, Harald (2002). Der Guru der Therapeuten. Familienstellen nach Bert Hellinger.
WWW: http://www.confessio.de/therapie/hellinger/therapeutenguru.htm (02-11-21)

Paulus, Jochen (1994). "Was wir Euch erzählen, ist gelogen". DIE ZEIT Nr. 31, 29.07.94, S. 23.

Samac, Klaus (1992). Edu-Kinestetik fördert Schulleistungen nicht.
WWW: http://stud.paedak-krems.ac.at/~ksamac/Post_Edu-Kin.pdf (04-06-08)

Simon, F.B. & Retzer, A. (1998). Bert Hellinger und die systemische Psychotherapie: Zwei Welten. Psychologie Heute, 25 (7), 64-69.

Streif, Johannes (2001). Entbehrlich.
WWW: http://www.therapaed.de/entbehrlich.htm (02-06-20).

Stellungnahme der DGSF zum Thema "Familienaufstellungen"
WWW: http://www.dgsf.org/dgsf/berufspolitik/hellinger.htm (03-06-21)

Stöhr; F.-M. (1999). Familienaufstellung nach B. Hellinger.  Ein Erfahrungsbericht von einem Seminar im Berliner Dom. Materialdienst der EZW, 62 (7), 211-219.

Wiese-Gutheil, Doris (2002). Esoterik erreicht die Kinderzimmer. Evangelisches Frankfurt, Mai/Juni 2002, 26, Jahrgang, Nr. 3.
WWW: http://www.evangelischesfrankfurt.de/archiv/archiv_04_15.htm (02-06-21)



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