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Adipositas

Die Adipositas ist eine weit verbreitete Erkrankung und ist in traditionellen Gesellschaften häufiger in der Oberschicht anzutreffen, denn diese prägt meist auch das gesellschaftliche Schönheitsideal. In unserer Gesellschaftsform findet man sie jedoch eher in der Unterschicht, denn Dicksein widerspricht unserem Schönheitsideal.

AdipositasDie OECD hat in 33 Mitgliedsländern 2010 eine Studie durchgeführt, wonach jeder zweite übergewichtig und jeder sechste Bürger fettleibig ist, ausgelöst durch ein wachsendes Nahrungsmittelangebot und sich ändernde Ernährungsgewohnheiten bei allgemein stark nachlassender körperlicher Betätigung. Die meisten Übergewichtigen leben prozentuell gesehen in den USA und Mexiko, am wenigsten gibt es in Japan und Korea, wobei auch Kinder immer stärker betroffen sind, denn schon jedes dritte ist übergewichtig.

In Österreich sind 57 Prozent der Männer und 43 Prozent der Frauen übergewichtig, zwölf bzw. 13 Prozent fettleibig, während in Deutschland 60 Prozent aller Männer und 45 Prozent der Frauen übergewichtig sind und jeder sechste an Fettsucht leidet. Die Wahrscheinlichkeit für Adipositas bei Frauen ist bei geringem Haushaltseinkommen 2,8-mal höher als bei besser situierten Frauen.

Lange Zeit wurden Adipöse als undisziplinierte Menschen angesehen, die sich gehen lassen. Heute werden genetische und organische Einflüsse als stark prägend für eine solche Entwicklung erkannt:

Evolutionär sind Menschen auf möglichst energiereiche Nahrung ausgerichtet, d. h., Lebensmittel, die einen hohen Zucker- und Fettgehalt miteinander kombinieren, werden bevorzugt, sodass süße und fette Speisen die stärksten Reaktionen im Belohnungszentrum des Gehirns auslösen. Wahrscheinlich werden Menschen schon durch die Muttermilch darauf geprägt, besonders positiv auf Nahrung reich an Kohlenhydraten und Fetten zu reagieren und das als besonders befriedigend wahrzunehmen. Die Kombination beider Energieträger verschafft daher auch später im Leben die höchste Zufriedenheit bei der Nahrungsaufnahme und sorgt für die entsprechende Beliebtheit dieser Nahrungsmittel, wobei diese Kombination in der Natur eher selten vorkommt, da die meisten natürlichen Lebensmittel entweder fett- oder zuckerreich sind. Im Gegensatz dazu zeigen verarbeitete Lebensmittel sehr oft eine hohe Fett- und Kohlenhydratgehalt, also Lebensmittel wie Pizza, Torten oder Schokoladenkekse, was vermutlich der Grund ist, dass viele Menschen von solchen Speisen nicht genug bekommen können. Diese Fett-Kohlenhydrate-Kombinationen hebelt das Sättigungsgefühl des Menschen gewissermaßen aus. Solche mehr oder minder natürlichen Vorlieben und das Überangebot an entsprechenden Speisen sind daher wesentliche Faktoren, die weltweit dafür sorgen, dass zunehmend mehr Menschen unter gesundheitsschädlichem Übergewicht leiden (DiFeliceantonio et al., 2018). Man kann pointiert formulieren, dass ein Belohnungsreiz, der in der Evolution zum Überleben der Menschheit beigetragen hat, in der heutigen Welt des Überflusses den Menschen zum Verhängnis werden kann.

Forscher haben jüngst auch gezeigt, dass sich Übergewicht speziell auf die Graue Substanz im Gehirn auswirkt, wobei diese sich vor allem aus Nervenzellen zusammensetzt und eine wesentliche Komponente des Zentralnervensystems darstellt, während die Weiße Substanz aus Nervenfasern besteht, die die verschiedenen Areale des Hirns miteinander verbinden. Diese Studien haben zwar bestätigt, dass Fettleibigkeit vor allem in der Körpermitte mit einem geringeren Volumen an grauer Substanz im Gehirn irgendwie zusammenhängt, dennoch bleibt unklar, ob diese Abweichungen in der Gehirnstruktur zu Fettleibigkeit führen oder ob Fettleibigkeit diese Veränderungen im Gehirn erst bewirkt (Stangl, 2018).

Das Fetthormon Leptin wird als Signal von Fettzellen abgegeben, die dem Gehirn mitteilen, dass der Körper mit der Nahrungsaufnahme nun aufhören sollte. Bei Menschen mit Übergewicht sind jedoch auch schon standardmäßig hohe Leptin-Werte vorhanden, und man vermutet, dass sich deren Gehirn gegenüber dem Signalhormon taubschaltet - also eine Leptin-Resistenz vorhanden ist. Eine Studie der Harvard Medical School lässt vermuten, dass es sich um einen Signalstau im Protein produzierenden Teil des endoplasmatischen Reticulums handelt, wodurch eine Art Stress entsteht, nach dem Entstehungsort als ER-Stress bezeichnet.

Adipositas bedingt ein erhöhtes Risiko für Herzerkrankungen, Zuckererkrankung, Bluthochdruck, Gelenkschäden und manche Krebsarten. Aber: Übergewicht ist nicht in jedem Fall gesundheitsschädlich. Seine Art (Fettverteilung am Körper) und die der Ernährung sind wichtige Einflussgrößen.

Diäten können über den "Jojo-Effekt" eine Adipositas aufrechterhalten oder verschlimmern. Durch sie kommt es zu einer besseren Nahrungsmittelverwertung, aber nach Ende der Diät zu einer übermäßigen Gewichtszunahme. Am Entstehen von Sucht und Entzugssymptomen ist nach neuesten Forschungen im Gehirn ein Regelkreis beteiligt, der CRF-Stress-System genannt wird (CRF = Corticotropin-Releasing-Factor). Versuche an Tieren zeigten, dass sich beim wiederholten Abbrechen einer Diät im Gehirn ähnliche Prozesse abspielen wie bei Alkohol- oder Drogensüchtigen, die nach einem Entzug rückfällig werden. Bei Menschen, die wiederholt Diäten abbrechen, kommt es vermutlich auch deshalb zu den gefürchteten Fressattacken, da sie Stress und negative Gefühle wie Ängstlichkeit meiden wollen.

Da die Adipositas gesellschaftlich unerwünscht ist, kann sie seelische Verstimmungen auslösen. Als Psychogene Adipositas werden die Formen bezeichnet, die vor allem seelische Ursachen haben. Ungefähr 5 Prozent aller Adipösen leiden an einer Heißhungerstörung (Binge-Eating-Disorder), das heißt, sie leiden an Essattacken, die durch Unlustspannungen ausgelöst werden. Ungefähr 10 % sind Nachtesser, die tagsüber ein eingeschränktes Essverhalten haben.

Immer mehr Jugendliche leiden an einer Adipositas. Häufig ist die Erkrankung mit einer depressiven Störung verbunden. Die Betroffenen leben traurig und zurückgezogen und essen vermehrt. Das Übergewicht fördert dann den weiteren sozialen Rückzug.

Nach Untersuchungen in den USA möchten Menschen lieber mit einem Blinden, einem Ladendieb oder einem Kokainabhängigen beisammen sein als mit einem dicken Menschen. In einer Studie der Universität Tübingen (Ansgar Thiel, Institut für Sportwissenschaft) zeigte man Jugendlichen im Alter von zehn bis 15 Jahren Fotografien von normalgewichtigen Jugendlichen, Kindern im Rollstuhl und fettleibigen Jugendlichen. Die ProbandInnen sollten angeben, ob sie mit den abgebildeten Personen gerne spielen würden und außerdem beurteilen, ob sie die dargestellten Kinder klug oder sympathisch finden.

Die adipösen Kinder wurden als am wenigsten sympathisch angesehen und am seltensten als Spielkameraden bevorzugt. Am sympathischsten war den Studienteilnehmern das normalgewichtige Mädchen. Die Werte der körperbehinderten Kinder lagen etwa in gleicher Höhe wie die des normalgewichtigen Jungen. Bei der Spielkameradenpräferenz lehnten die weiblichen Studienteilnehmer die adipösen Kinder noch stärker ab als die Jungen. Das normalgewichtige Mädchen hielten die meisten Befragten für das hübscheste Kind. In dieser Kategorie sind die körperbehinderten nicht öfter genannt worden als die adipösen Kinder. Als am wenigsten hübsch stuften 87,1 Prozent der Befragten die adipösen Kinder ein, allein 69,5 Prozent den Jungen.

Die übergewichtigen Kinder wurden in den restlichen Kategorien am häufigsten mit schlechten Eigenschaften in Verbindung gebracht. Die adipösen Kinder wurden nur in 2,6 Prozent der Fälle als die intelligentesten eingeordnet. Das adipöse Mädchen nannten 25 Prozent als das am wenigsten intelligente Kind, den adipösen Jungen sogar zwei Drittel. Dick wurde sehr häufig auch mit faul gleichgesetzt: Die beiden adipösen Kinder wurden zu fast 95 Prozent als die faulsten angenommen, der Junge allein schon mit 75 Prozent. Der Studienautor interpretiert, dass in diesem Alter die Sportlichkeit und Körperlichkeit bei einem adipösen Jungen als stärker beeinträchtigt wahrgenommen werde als bei einem Mädchen. Bei der Intelligenz und der Faulheit urteilten die befragten Jungen und Mädchen etwa gleich, außerdem habe es kaum Unterschiede zwischen den Befragungsergebnissen der Schüler von der Hauptschule und dem Gymnasium gegeben. Nur der adipöse Junge sei von den Hauptschülern in Sachen Faulheit minimal weniger negativ gesehen worden.

Nebst den körperlichen Risikofaktoren sind adipöse Kinder also auch von psychosozialen Auswirkungen der Adipositas betroffen. Übergewichtige Kinder werden früh mit negativen Einstellungen gegenüber ihrem Äusseren konfrontiert, schon Sechsjährige beurteilen die Erscheinung eines übergewichtigen Kindes als faul, schmutzig, dumm und unattraktiv. In einerStudie aus dem Jahr 1961, in der Abbildungen von Kindern zu bewerten waren, wurden die Zeichnungen mit den Abbildungen adipöser Kinder am negativsten beurteilt, sogar noch um ein Vielfaches negativer als vor 40 Jahren. Das heisst, die Stigmatisierung adipöser Kinder scheint in den letzten Jahrzehnten parallel zur Entwicklung eines überschlanken, gesellschaftlichen Schönheitsideals massiv zugenommen zu haben. Diese negative Etikettierung wirkt sich hemmend auf die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts sowie auf den Aufbau von sozialen Kontakten aus.

Fettleibigen besitzen offenbar einen sehr geringen sozialen Status und kaum jemand will mit ihnen spielen. Offensichtlich schließen die Befragten vom Aussehen auf die psychischen Eigenschaften (Halo-Effekt). Dicke Menschen werden als ausgegrenzt, weil sie nicht dem gängigen Schlankheitsideal entsprechen und Übergewicht wohl auch als selbstverschuldet gilt.

Finanzielle Anreize helfen beim Abnehmen

In einer Studie der Johannes Kepler Universität Linz und der Universität Innsbruck (Halla et al., in press) wurden 675 Versicherte der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaftdie die Kundenzone in Wien aufsuchten, über einen längeren Zeitraum hin untersucht. Sie hatten einen durchschnittlichen Body-Mass-Indexvon 32,5, was erheblichem Übergewicht bzw. bereits Adipositas entspricht. Für eine Frau mit 1,65 cm Körpergröße würde das 88 Kilogramm bedeuten, für einen Mann (1,80 Meter) ein Gewicht von 105 Kilogramm. 300 Teilnehmer wurden per Zufall einer Kontrollgruppe zugeteilt und nach fünf bzw. nach zehn Monaten wurde das Gewicht noch einmal kontrolliert. Für die zweite und die dritte Messung gab es 20 bzw. 40 Euro Entschädigung. Auch die beiden anderen Gruppen mit jeweils rund 175 Probanden erhielten die Aufwandsentschädigung, bekamen aber auch 150 Euro (Behandlungsgruppe 1) oder 300 Euro (Behandlungsgruppe 2) für das Erreichen einer Gewichtsabnahme von mindestens fünf Prozent als Prämie versprochen. Bis zum Ende der Studie stiegen jeweils zwischen 30 und 40 Prozent der Probanden aus. In der Kontrollgruppe haben 17 Prozent eine fünfprozentige Abnahme des Körpergewichts geschafft. In der Behandlungsgruppe 1 (150 Euro Prämie) waren es 31 Prozent und in der Behandlungsgruppe 2 (300 Euro Prämie) 50 Prozent. In der Kontrollgruppe gab es eine durchschnittliche Gewichtsabnahme um rund 1,9 Kilogramm, in den Behandlungsgruppe 1 und 2 waren es jeweils etwa minus 3,3 Kilogramm. Ein relativ kleiner finanzieller Anreiz zum Abnehmen reicht offensichtlich aus, um doppelt bis dreimal so viele Menschen zur Reduktion ihres Körpergewichts zu bringen. Übrigens: Unter den Probanden, die die höhere Prämie erhielten, kam es auch zu einem Zuwachs an Lebensqualität. Entscheidend ist offensichtlich nicht die Höhe des Anreizes, sondern, dass es ihn überhaupt gibt.

Adipositas und Berufschancen

Eine experimentelle Studie über Vorurteile von Personalentscheidern gegenüber Adipösen von Geil et al. (2012) wollte herausfinden, ob bei geschulten Personalentscheidern Vorurteile gegenüber adipösen Menschen vorhanden sind. Um mögliche Vorurteileunabhängig von anderen Einflüssen erfassen zu können, wurden Personalentscheidern sechs Fotos vorgelegt, auf denen jeweils eine Person abgebildet war, wobei alle Abgebildeten ungefähr gleich alt waren und einen vergleichbaren sozioökonomischen Status hatten, aber unterschiedliches Körpergewicht. Um Verzerrungen zu vermeiden, trugen alle Personen auf dem Foto ein weißes T-Shirt und eine Jeans. Die Studienteilnehmer hatte die Aufgabe, einzuschätzen, welchen Beruf die sechs Personen ausüben, und sollten diejenigen Personen benennen, die ihrer Meinung nach in einem Bewerbungsgespräch um eine Abteilungsleiterstelle in die engere Wahl genommen würden. In beiden Fällen schnitten die Übergewichtigen sehr schlecht ab, denn ihnen wurde weder ein Beruf mit hohem Prestige zugetraut noch wurden ebenso für eine Abteilungsleiterstelle ausgewählt. Dabei trafen die Vorurteile gegenüber Übergewichtigen besonders stark Frauen, denn nur zwei Prozent ordneten den adipösen Frauen einen Beruf mit hohem Prestige zu, und nur sechs Prozent der Befragten traute ihnen zu, bei einer Bewerbung um eine Abteilungsleiterstelle in die engere Auswahl gekommen zu sein.

 

Siehe zu Essstörungen auch

Literatur

DiFeliceantonio, A. G., Coppin, Géraldine, Rigoux, L., Edwin, T. S., Dagher, A., Tittgemeyer, M. & Small, D. M. (2018). Supra-Additive Effects of Combining Fat and Carbohydrate on Food Reward. Cell Metabolism, doi: 10.1016/j.cmet.2018.05.018.

Halla M., Pruckner G. J., Hummer M., Hackl F. (in press). The Effectiveness of Health Screening. Health Economics.

Giel, K.E., Zipfel, S., Alizadeh, M., Schäffeler, N., Zahn, C., Wessel, D., Hesse, F.W., Thiel, S. & Thiel, A. (2012). Stigmatization of obese individuals by human resource professionals: an experimental study. BMC Public Health, Jul 16;12(1):525.

Stangl, W. (2018). Stichwort: 'Adipositas'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/24/adipositas/ (2018-01-11)

http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd2007/downloads/pd-2007-08.pdf (08-12-06)

Bildquelle: OÖN vom 24.9.2010

Kommentar zur Darstellung des Diätverhaltens bei Adipositas


Hallo,

in Ihrem Adiposiatas-Artikel heißt es: "Diäten können über den "Jojo-Effekt" eine Adipositas aufrechterhalten oder verschlimmern. Durch sie kommt es zu einer besseren Nahrungsmittelverwertung, aber nach Ende der Diät zu einer übermäßigen Gewichtszunahme."

Das stimmt, aber es gibt eine Ausnahme: Bei der Portionsdiät soll man zunächst nur das Ernährungsverhalten protokollieren, und dann nach und nach korrigieren; die Portionsdiät legt also mehr Wert auf das Gewichthalten als aufs Abnehmen als solches, das sich dann schon (wie) von selbst einstellt. So, wie Sie die Problematik dargestellt haben, sieht es doch schon recht aussichtslos aus, aber man soll niemandem die Hoffnung nehmen.

Tue, 26 Mar 2013 14:06:00


Siehe auch das Spezialthema Esstörungen bei Jugendlichen mit folgenden Arbeitsblättern:



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