Magersucht - Anorexia Nervosa
Kaum eine andere psychische Störung ist in den letzten Jahren so häufig in der Presse erwähnt worden wie die Anorexie. Immer wieder wird von "Berühmtheiten", insbesondere von Models oder Schauspielerinnen behauptet, sie seien magersüchtig. Das Phänomen der hungernden Frauen war schon im Mittelalter bekannt. Die Anorexia mirabilis, wobei die wundersame Appetitlosigkeit bei jungen Frauen auftrat, die aus religiösen Gründen fasteten. Nicht wenige wurden als Heilige verehrt, die bekannteste von ihnen ist Katharina von Siena. Obgleich es viele Parallelen zu den heutigen Magersüchtigen gibt, existieren auch grundlegende Unterschiede. Die mittelalterliche Asketin strebte danach, durch Fasten die Schönheit der Seele zu vervollkommnen im Sinne eines religiösen Ideals. Die heutige Anorektikerin strebt eher nach einer Vollkommenheit des Körpers im Sinne eines gesellschaftlichen Schönheitsideals (siehe zu dieser Darstellung die korrigierende Reaktion einer Userin).
Zu den mögliche Ursachen siehe dazu auch Arten von Essstörungen.
Das Krankheitsbild der Anorexia nervosa ist erstmals bereits 1873 beschrieben worden, die Diagnose wird aber erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts häufiger gestellt, wobei nicht eindeutig gesagt werden kann, ob die Krankheit in der heutigen Gesellschaft tatsächlich häufiger auftritt, oder ob die gestiegene Aufmerksamkeit dazu führt, dass die Krankheit häufiger diagnostiziert wird. Wörtlich übersetzt bedeutet Anorexie "Appetitverlust oder -verminderung" - eine irreführende Bezeichnung, da nicht unbedingt der Appetit, sondern in erster Linie das Eßverhalten gestört ist. Der Zusatz "nervosa" weist auf die psychischen Ursachen der Essstörung hin. Die an dieser Störung leidenden Frauen haben keinen Appetitmangel, sondern bekämpfen ihren Hunger.
Die Anorexia nervosa ist dadurch gekennzeichnet, dass die betroffenen Frauen sich weigern, ein altersentsprechendes Normalgewicht zu halten (Körpergewicht 15 und mehr Prozent unter dem erwarteten Gewicht bzw. ein Body-Mass-Index von 17,5 oder weniger). Zentrales Leitmotiv ist der Wunsch nach extremer Schlankheit und Selbstbestimmung. Alle Versuche der Umwelt zu helfen werden als unzulässige Einflussnahme abgewehrt. Häufig besteht eine intellektuelle und körperliche Überaktivität, trotz vorhandener körperlicher Einschränkungen. Übrigens ergab eine Befragung von 800 Frauen im Alter von 18 bis 65 Jahren durch Tracy Tylka (2011), dass die Haltung von Frauen zum eigenen Körper allerdings nur bedingt von ihrer eigenen Wahrnehmung abhängt, vielmehr messen sie sich selber daran, wie das Urteil von Freunden und Bekannten aus ihrem Umfeld ist, d.h., sie schauen zuerst, ob andere ihren Körper akzeptieren, um dann zu bestimmen, ob sie ihn selbst auch schätzen.
Die Unterscheidung der Anorexie von der anderen bekannten Essstörung, der Bulimie, ist im Einzelfall oft schwierig. Zwar sind beide Krankheitsbilder jeweils durch typische Merkmale gekennzeichnet (die Anorexie durch starken Gewichtsverlust, die Bulimie durch das Auftreten von Eßanfällen und Maßnahmen zur Gewichtsreduktion z.B. Erbrechen), der Übergang ist jedoch fließend. Bei vielen Patientinnen tritt eine Mischung von Symptomen auf, man spricht dann von einer Bulimanorexie.Gemeinsames Merkmal magersüchtiger Mädchen und Frauen ist nicht die Appetitlosigkeit (Anorexia nervosa), sondern die Angst vor dem Essen, gekoppelt an eine panikartige Furcht vor Gewichtszunahme.
Ausgelöst wird die Magersucht häufig während der Pubertät, wenn der Körper des jungen Mädchens weibliche Formen zu entwickeln beginnt. Die innere Verunsicherung, die Zweifel und die Ängste, die diese Veränderung mit sich bringt, wird häufig an der äußeren Erscheinung, dem Gewicht festgemacht. Magersüchtige Mädchen beginnen an ihrem Körper zu leiden, fühlen sich, selbst bei bedrohlichem Untergewicht, zu dick. In der Regel nehmen sie über lange Zeit hinweg nur minimale Mengen niederkalorischer Nahrungsmittel zu sich, z.B. pro Tag zwei Möhren und einen Apfel, und erreichen damit ein extrem niedriges Gewicht. Das extreme Hungern ist für die Betroffenen von unterschiedlicher Bedeutung. Oftmals sind die Mädchen und Frauen von einem asketischen Stolz erfüllt, überlegen zu sein und nicht so schwach wie die anderen, die sich mit "schlechten" Nahrungsmitteln vollstopfen. Das Überlegenheitsgefühl geht oft einher mit einem starken Ehrgeiz und einer erstaunlichen Leistungsfähigkeit in Schule, Beruf oder Sport. Dabei haben sie einen ausgeprägten Willen, ihren Körper zu beherrschen. Körpersignale wie Hunger, Müdigkeit oder Kälteempfinden werden entweder fehlgedeutet oder ihnen wird nicht entsprochen. Die Sehnsucht nach Zuwendung und Geborgenheit wird unterdrückt. Grundsätzlich fällt es den anorektischen Frauen schwer, ihre Symptomatik als Krankheit anzuerkennen. Je länger die Magersucht besteht, desto wahrscheinlicher wird es, dass es durch das aufgestaute Eßverlangen zu "Freßanfällen" kommt. Diese Eßattacken werden entweder durch künstlich herbeigeführtes Erbrechen, durch Abführmittel oder durch Einläufe bekämpft. Die aus der Magersucht entstandene Eß-Brechsucht wird nun in der Fachsprache als Bulimanorexie bezeichnet. Körperliche Folgeerscheinungen: Ausbleiben der Menstruationsblutung Chronische Verstopfung Niedrige Pulsfrequenz Niedrige Körpertemperatur Stoffwechselstörungen.
Die Anorexia nervosa ist durch einen absichtlich selbst herbeigeführten oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust charakterisiert. Am häufigsten ist die Störung bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen; heranwachsende Jungen und junge Männer sind wie Kinder vor der Pubertät und ältere Frauen bis zur Menopause wesentlich seltener betroffen.
Obwohl die Ursachen der Anorexia nervosa noch wenig faßbar sind, wächst die Überzeugung, dass vor allem eine Interaktion soziokultureller und biologischer Faktoren sowie auch unspezifische psychologische Mechanismen und die Vulnerabilität der Persönlichkeit eine Rolle spielen. Mit der Erkrankung ist eine Unterernährung unterschiedlichen Schweregrades verbunden, die sekundär zu endokrinen und metabolischen Veränderungen sowie anderen körperlichen Funktionsstörungen führt. Es bleiben einige Zweifel, ob die charakteristische endokrine Störung durch die Unterernährung und als direkte Folge der verschiedenen zugrundeliegenden Verhaltensweisen (z.B. eingeschränkte Nahrungsauswahl, exzessive Sportbetätigung und Änderung der Körperbeschaffenheit, induziertes Erbrechen und Abführen mit der Folge von Elektrolytentgleisungen) aufzufassen ist, oder ob andere noch ungeklärte Faktoren eine Rolle spielen.
Medizinische Definition
Dilling, H. et al. (Hrsg.) (1993). Auszug aus der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10). Bern: Huber, S. 199-200.
- Tatsächliches Körpergewicht mindestens 15 % unter dem erwarteten (entweder durch Gewichtsverlust oder nie erreichtes Gewicht) oder Quetelets-Index von 17,5 oder weniger. Bei Patienten in der Vorpubertät kann die erwartete Gewichtszunahme während der Wachstumsperiode ausbleiben.
- Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch:
a. Vermeidung von hochkalorischen Speisen; sowie eine oder mehrere der folgenden Verhaltensweisen;
b. selbst induziertes Erbrechen;
c. selbst induziertes Abführen;
d. übertriebene körperliche Aktivitäten;
e. Gebrauch von Appetitzüglern oder Diuretika. - Körperschema-Störung in Form einer spezifischen psychischen Störung: die Angst, zu dick zu werden, besteht als eine tiefverwurzelte überwertige Idee; die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.
- Eine endokrine Störung auf der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse. Sie manifestiert sich bei Frauen als Amenorrhoe und bei Männern als Libido- und Potenzverlust. (Eine Ausnahme ist das Persistieren vaginaler Blutungen bei anorektischen Frauen mit einer Hormonsubstitutionsbehandlung zur Kontrazeption.) Erhöhte Wachstumshormon- und Kortisolspiegel, Änderungen des peripheren Metabolismus von Schilddrüsenhormonen und Störungen der Insulinsekretion können gleichfalls vorliegen.
- Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die Abfolge der pubertären Entwicklungsschritte verzögert oder gehemmt (Wachstumsstopp; fehlende Brustentwicklung und primäre Amenorrhoe beim Mädchen; bei Knaben bleiben die Genitalien kindlich). Nach Remission wird die Pubertätsentwicklung häufig normal abgeschlossen, die Menarche tritt aber verspätet ein.
Diagnostische Leitlinien
Qutelet-Index: W/H^2
W = Körpergewicht in Kilogramm
H = Körpergröße in Metern, ab dem 16. Lebensjahr.
Bezogen auf die Gesamtbevölkerung tritt die Anorexie jedoch relativ selten auf. Bei Frauen in der Altersspanne vom 15. bis zum 25 Lebensjahr, die als Risikogruppe für Magersucht gelten, findet sich die Erkrankung allerdings bei ca. 1% der Betroffenen. Es sei erwähnt, dass nur etwa 5% der Erkrankten Männer sind. Anorexie beginnt oft schon in der frühen Jugend, häufig kurz nach dem Einsetzen der ersten Menstruation. Neben diesem Erkrankungsgipfel um das 14. Lebensjahr, tritt die Störung auch etwa im 18. Lebensjahr gehäuft auf.
Bei der Entstehung der Anorexie wirken verschiedene Faktoren zusammen, die sich gegenseitig beeinflussen. In der Graphik sind diese Einflüsse zusätzlich visuell dargestellt.
Biologische Einflüsse
Man vermutet, dass bei vielen anorektischen Patientinnen eine Störung derjenigen Hirnregion vorliegt, die der Steuerung des Eßverhaltens, der sexueller Aktivität und der Menstruation dient. Es ist allerdings auch möglich, dass die Funktionsstörung dieser Hirnregion erst im Laufe der Erkrankung, z.B. als Folge des Gewichtsverlustes, auftritt und zur Aufrechterhaltung der Störung beiträgt, aber nicht ihre eigentliche Ursache ist. Für eine biologische Verursachung der Magersucht sprechen jedoch Untersuchungen, die zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der eineiige Zwilling von einer anorektischen Patientin ebenfalls an Magersucht leidet, etwa 50% beträgt. Bei zweieiigen Zwillingen liegt diese Wahrscheinlichkeit bei unter 10%. Diese Ergebnisse belegen, dass eine genetische Veranlagung an der Entstehung der Anorexie beteiligt ist.
Psychologische Einflüsse
Die Tatsache, dass Anorexie besonders häufig während der schwierigen Entwicklungsphase der Pubertät beginnt, hat zu der Ansicht geführt, dass die Erkrankung auftritt, wenn die junge Frau sich von der Bewältigung der alterstypischen Anforderungen überfordert fühlt. Während der Pubertät entwickelt sich das Mädchen zur Frau und muß eine entsprechende neue Identität finden. Fühlt sich die Betroffene davon überfordert, entsteht ein tiefes Gefühl der Unsicherheit. Die psychoanalytische (triebtheoretische) Erklärung versteht daher die Magersucht als eine Form der Abwehr sexueller Wünsche und als die Möglichkeit, psychosexuelle Entwicklungskrisen in der Pubertät zu beenden, um damit in die scheinbar heile Kinderwelt zurückzukehren. Anzeichen dafür sind, dass der Körper bei der Magersucht teilweise um seine sekundären Geschlechtsmerkmale beraubt wird. So wird die sexuelle Signalwirkung des Körpers reduziert. Ebenso bestätigt das Ausbleiben der Monatsblutung die oben genannte These. Sexuelle Regungen werden bei Magersüchtigen häufig nicht oder angstbesetzt wahrgenommen.
Für viele Patientinnen scheint der Versuch, Kontrolle über ihr Körpergewicht ausüben zu können, ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Das Körpergewicht wird eine wichtige Quelle für ihr Selbstwertgefühl. In den Familien anorektischer Patientinnen sind häufig bestimmte Verhaltensmuster festgestellt worden. Die Patientinnen werden oft von ihren Eltern stark behütet, d.h. dass auch in der Familie nicht angemessen auf die Entwicklung des Kindes zur Frau reagiert wird. Ebenso scheinen Konflikte in der Familie in vielen Fällen nicht angesprochen zu werden. Allerdings handelt es sich bei diesen Feststellungen um reine Beschreibungen typischer familiärer Verhaltensmuster; es ist durchaus möglich, dass diese nicht die Ursache, sondern die Folge der Erkrankung sind. Hier setzt das familiendynamische Erklärungsmodell an, betrachtet das System Familie als Ganzes und untersucht die Interaktionen zwischen den Familienmitgliedern. Die Magersüchtigen werden unter dieser Perspektive nicht isoliert betrachtet, sondern im Familienkontext, z. B. die Beziehung zu Eltern und Geschwistern. Magersucht tritt häufig in Familien mit starken Bindungen auf, in denen ein großes Harmoniebestreben herrscht. In diesem Familiensystem haben Magersüchtige als Symptomträger eine wichtige Funktion. Die Krankheit kann zur Aufrechterhaltung des Familienzusammenhaltes sowie der Ableitung von Spannungen und Konflikten dienen. Die Anforderungen an die Familienmitglieder sind in solchen Bindungsfamilien sind in der Regel sehr hoch.
Das Krankheitsbild der Anorexie ist gerade für die Eltern sehr besorgniserregend, was dazu führen kann, dass sie ihr Kind schützen und von Konflikten fernhalten möchten. Gesellschaftliche Einflüsse In westlichen Gesellschaften hat sich das Schönheitsideal seit Anfang der 60er Jahre immer mehr in Richtung eines sehr schlanken Körpers entwickelt. Paradoxerweise ist es auf der anderen Seite durch relativen Wohlstand und ein Nahrungsüberangebot gleichzeitig zu einem Anstieg des Durchschnittsgewichts gekommen. Übergewicht wird insbesondere bei Frauen gesellschaftlich sehr negativ bewertet. Übergewichtige Männer werden als stattlich bezeichnet, Frauen hingegen als fett. Durch Werbung und Filme erhält man den Eindruck, dass nur schlanke Frauen erfolgreich und beliebt sind, dicke Frauen sind entweder graue Mäuse oder "Ulknudeln". Gerade junge Frauen, die während der Pubertät körperliche Veränderungen durchlaufen und erst ein Gefühl für ihren "neuen" Körper entwickeln müssen, können durch dieses Schlankheitsideal stark verunsichert werden.
Häufigkeit, Grundlagen und Ursachen der Magersucht
New Scientist, 2355, S. 18
Bei anorektischen Patientinnen kommt es zu einer Störung der Wahrnehmung des eigenen Körpers. Aufgrund einer "Überangepaßtheit" in der Kindheit entwickeln einige Magersüchtige später ein Ohnmachtsgefühl gegenüber dem eigenen Körper, und können nur über die Kontrolle des eigenen Körpers und der Überwindung der Hungergefühle sich selbst erleben. Aus diesem Grund gewinnt die Beschäftigung mit dem Körpergewicht an enormer Bedeutung. Auch wenn sie im Laufe der Erkrankung schon extrem viel Gewicht verloren haben, überschätzen sie ihren Körperumfang und halten sich für zu dick. Verändertes Eßverhalten Infolge der verzerrten Wahrnehmung des eigenen Körpers, bemühen die Betroffenen sich, ihr vermeintlich zu hohes Gewicht zu reduzieren. Zu diesem Zweck nehmen sie nur geringe Mengen an Nahrung zu sich und vermeiden Lebensmittel, die viele Kalorien enthalten. Manche Patientinnen verweigern zeitweise die Nahrungsaufnahme komplett. Häufig nimmt das Essen einen zentralen Stellenwert im Leben der Betroffenen ein. Sie verwenden viel Energie darauf, Hungergefühle zu unterdrücken oder bereiten mit großem Eifer wahre Festmahle für andere zu, an denen sie aber selbst nicht teilnehmen. In Hinblick auf die Veränderungen des Eßverhaltens lassen sich zwei Gruppen von anorektischen Patientinnen unterscheiden: Etwa 50% der Patientinnen halten ausschließlich Diät, bei den anderen treten aber auch bulimische Symptome (Eßanfälle und selbst herbeigeführtes Erbrechen) auf. Bei Betroffenen, die zu der letzteren Gruppe gehören, beginnt die Störung meist später, sie haben vor der Erkrankung ein höheres Gewicht, die Körperschema-Störung ist meist stärker ausgeprägt und sie sind häufig depressiver als Patientinnen mit einer rein anorektischen Symptomatik. Gewichtsverlust Neben der strengen Diät setzen viele Anorektikerinnen zusätzlich Appetitzügler, Abführmittel und sportliche Betätigung ein, um abzunehmen. Durchschnittlich verlieren anorektische Patientinnen 45-50% ihres Ausgangsgewichts. Liegt das Körpergewicht um mindestens 15% niedriger als das Normalgewicht, wird die Diagnose der Anorexie gestellt. Viele Patientinnen magern bis auf 30 Kilogramm ab. Körperliche Veränderungen Durch den Gewichtsverlusts und die Mangelernährung kann es zu schwerwiegenden körperlichen Schäden kommen. Aufgrund von hormonellen Störungen bleibt die Menstruation meist aus. Bei Beginn der Störung vor der Pubertät wird die körperliche Entwicklung meist stark verzögert. Auch Verlangsamung des Herzschlags, niedriger Blutdruck, Absinken der Körpertemperatur, Hautprobleme, flaumartige Behaarung des Rückens, Muskelschwäche, Haarausfall und Wassereinlagerung im Gewebe können als Folgen der Anorexie auftreten. Der Mineralstoffhaushalt ist in der Regel gestört. Diese körperlichen Befunde werden durch die Mangelernährung verursacht und verschwinden meist vollständig, wenn sich das Eßverhalten langfristig normalisiert hat. Durch die konstante Mangelernährung wird der Energieverbrauch herabgesetzt. Infolgedessen führt normale Nahrungsaufnahme unter diesen Umständen kurzfristig zu einer Gewichtszunahme.
Untersuchungen am Columbia University Center for Eating Disorders zeigten, dass in Abhängigkeit vom Ernährungsstatus sich auch die Gehirnmasse abbaut und nach einer Hungerperiode wieder aufbaut. Man verglich die Gehirnscanbilder von gesunden jungen Frauen mit denen von weiblichen Patienten, die wegen Magersucht stationär in Behandlung waren, und es zeigte sich, dass Frauen, die gerade hungerten, deutlich weniger Gehirnvolumen aufwiesen als ihre gesunden Geschlechtsgenossinnen, wobei das Ausmaß der Reduktion von der Dauern des hungerns abhing. Als die magersüchtigen Frauen also unter dem Einfluss der Therapie wieder normal zu essen begannen, nahm ihr Hirnvolumen wieder zu.
Psychische Veränderungen
Bei anorektischen Patientinnen steht das beharrliche Streben, dünner zu werden im Vordergrund. Verbunden damit besteht eine extreme Angst vor einer Gewichtszunahme. Schon eine Zunahme von wenigen Gramm, die aufgrund des gesenkten Energieverbrauchs ja schon nach recht geringer Nahrungsaufnahme folgen kann, löst regelrechte Panik aus. Das führt zu einem erneuten Versuch, das Essverhalten (noch strenger) zu kontrollieren. Die Patientinnen befinden sich also in einem regelrechten Teufelskreis. Häufig zeigen sich bei den Betroffenen auch depressive Symptome und starke Reizbarkeit.
Ein Kennzeichen der Anorexie ist auch, dass die kognitive Flexibilität der Betroffenen so eingeschränkt wird, dass sie umso schwerer an ihrem Verhalten leiden, je mehr Verhaltensänderungen von ihnen gefordert sind, d. h., die Betroffenen halten starr an ihren gewohnten Verhaltensweisen fest und können sich nicht so gut auf neue Situationen einstellen. Studien haben gezeigt, dass eine Quelle für den Verlust an Flexibilität im autonomen Nervensystem liegen könnte. Man untersuchte Magersüchtige und Gesunde zwischen 17 und 33 Jahren, wobei die ProbandInnen in einem Reaktionstest am Computer zwar alle ähnliche Reaktionszeiten zeigten, doch bei den Magersüchtigen änderte sich dabei die Hautleitfähigkeit nicht, wenn sie einmal einen Fehler machten. Das weist darauf hin, dass ihr autonomes Nervensystem nicht adäquat reagiert, d. h., während ein gesunder Mensch erschrickt, wenn er einen Fehler macht und sein Nervensystem hochgefahren wird, um es beim nächsten Mal besser zu machen, geschieht das bei Magersüchtigen nicht.
Quelle:
http://www.magersucht-online.de/ursachen.htm (03-01-13)
Symptomatik
Empfehlung: DVD Ana Ex
Die DVD des Instituts für systemische Therapie "Ana Ex" bringt Betroffenen, ihren Angehörigen und Fachleuten dieses ernste Thema spielerisch näher und unterstützt bei der Bewältigung der Krankheit. "Ana Ex" kann auch in der Präventionsarbeit, Jugendarbeit, Schule und in der Angehörigenbegleitung genutzt werden. "Ana Ex" unterstützt die Methode der Externalisierung, d.h., sie hilft den Betroffenen, sich von den "problembehafteten" Beschreibungen ihres Lebens zu lösen und macht Ressourcen sichtbar, die ermöglichen, als Familie, Gruppe, oder Team gegen das Symptom vorzugehen. "Ana Ex" ist die personifizierte Anorexie, verkörpert von einer Puppe. Im Gespräch mit einer Therapeutin plaudert sie aus der Schule und beantwortet bereitwillig Fragen. Welchen Einfluss hat sie auf das Leben junger Menschen? Wer unterstützt sie, wenn sie ihre Macht vergrößert? Welche Strategien setzt sie ein, um das betroffene Mädchen, den betroffenen Jungen von anderen zu isolieren? Weniger bereitwillig als viel mehr widerwillig antwortet "Ana Ex", wenn es um ihre Schwachpunkte, um ihre Feinde, um ihr Scheitern geht. Doch dank des hartnäckigen Nachfragens der Therapeutin verrät sie, wie Betroffene, deren Familien und Helferinnen erfolgreich den Kampf gegen sie gewinnen können.
Die Behandlung von Anorektikern hängt eng mit der Entwicklung der Familientherapie zusammen. Es hat sich bestätigt, dass Essstörungen oft mit gestörten Familienbeziehungen einhergehen und die essgestörten Töchter - seltener Söhne - stellvertretend für die ganze Familie ein Krankheitssymptom entwickeln. Anorektiker leben häufig in Familien, in denen es ein Ideal des Familienzusammenhalts, der Aufopferung und Harmonie gibt. Die eigenständige Entwicklung eines Familienmitgliedes ist häufig real oder in der Phantasie problematisch. In der anorektischen Erkrankung gelingt eine Distanzierung von der Familie und von wichtigen Bezugspersonen, ohne diese zu verlassen.
Das Mittel der Wahl in der Behandlung der Anorexie ist die Psychotherapie, wobei eine speziell geschulte Therapeutin oder ein Therapeut konsultiert werden sollte, da die körperliche Situation in die Therapie mit einbezogen werden muss, denn eine Verleugnung von Untergewicht kann lebensgefährlich werden. Bei einem BMI unterhalb von 15 (Jugendliche 14,5) ist eine stationäre internistische Akutbehandlung zur Ernährung notwendig. Bei einem schweren Verlauf der Erkrankung sollte eine stationäre psychotherapeutische Behandlung eingeleitet werden.
Die Therapie der Anorexie ist in zwei Abschnitte unterteilt. Vordringlichstes Anliegen ist zunächst eine Gewichtszunahme, um den körperlichen Folgeschäden entgegenzuwirken. Insbesondere wenn das Körpergewicht unter 75% des Normalgewichts liegt, die körperliche Verfassung lebensbedrohlich ist oder aufgrund der depressiven Verstimmung Selbstmordgefahr besteht, sollte die Behandlung zunächst im Krankenhaus stattfinden. Da bei anorektischen Patientinnen oft nur wenig Einsicht hinsichtlich der Schwere ihrer Erkrankung besteht, müssen bei körperlicher Lebensbedrohung oft zunächst Nährstoffe durch Infusion zugeführt werden. Bei starkem Untergewicht und fortschreitender Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann eine Einweisung in ein Krankenhaus lebensrettend sein. Lebensgefahr kann nicht nur durch die Abmagerung entstehen, sondern auch durch den Missbrauch von abführenden und harntreibenden Mitteln. Der Missbrauch führt zu starken Störungen des Elektrolythaushaltes.
So bald wie möglich sollten die Betroffenen die Verantwortung für ihre Gewichtszunahme aber selbst übernehmen. Dabei kann es sinnvoll sein, bestimmte Belohnungen abzusprechen, die sie für Erfolge bei der Ernährungsumstellung erhalten. Langfristig kann eine Normalisierung des Gewichts jedoch nur erreicht werden, wenn auch die Ursachen der Anorexie behandelt werden.
Auch bei Magersüchtigen, deren Gewichtsabnahme nicht lebensbedrohlich ist, kann es sein, dass der chronische Hungerzustand erst beseitigt werden muss, bevor eine geeignete Therapie beginnen kann. Hunger beeinflusst das Denken und Handeln und kann es soweit verstellen, dass eine sinnvolle Therapie unmöglich ist. Magersüchtige dürfen hierbei allerdings nicht gezwungen werden bis zum Normalgewicht zuzunehmen. Eine erzwungene Gewichtszunahme kann zu Depressionen und Suizidgefährdung führen. Häufig ist die ambulante Psychotherapie ein guter Weg der Bewältigung von Magersucht, wobei es die Möglichkeit gibt, an einer Einzel- oder Gruppentherapie teilzunehmen. Oftmals kann erst nach Notmaßnahmen diese psychotherapeutische Behandlung im eigentlichen Sinne beginnen, wobei aufgrund der Vielfalt der Faktoren, die an der Entstehung der Störung beteiligt sein können, auch die Therapie verschiedene Komponenten umfassen sollte: In der Therapie sollen die Patientinnen die Richtigkeit ihrer Vorstellungen zur Bedeutung von Gewicht und Figur überprüfen. So soll z.B. eine Betroffene hinterfragen, ob Schlankheit tatsächlich mit beruflichem und privatem Erfolg im Zusammenhang steht. Hat man auf diesem Weg herausgefunden, was die Patientin sich vom Schlanksein erhofft, kann mit ihr besprochen werden, auf welche andere Weise sie diese Ziele erreichen kann. Sie lernt, dass ihr Selbstwertgefühl nicht allein von ihrem Gewicht abhängt. In der körperorientierten Therapie sollen die Betroffene ein besseres Gefühl für ihren Körper bekommen, so dass sie auf ihre Körpersignale (z.B. Hunger) angemessen reagieren und ihren Körperumfang realistisch einschätzen können. Generell soll mit anorektischen Frauen die Bewältigung von Problemen geübt werden. Dabei werden gemeinsam mit der Patientin verschiedene Lösungsalternativen entwickelt, die sie bei alltäglichen Schwierigkeiten anwenden kann, bei denen sie sonst auf ihr gestörtes Essverhalten als Mittel der Bewältigung zurückgegriffen hat. Die familienorientierte Therapie wird insbesondere bei jüngeren Anorektikerinnen eingesetzt, die noch in ihrer Familie wohnen. Dabei soll die Familie darauf hingewiesen werden, wie sie auf das gestörte Essverhalten der Patientin reagiert. In diesem Zusammenhang kann es hilfreich sein, wenn der Therapeut an Mahlzeiten in der Familie teilnimmt. Manchmal beschäftigen die Familienmitglieder sich so stark mit der Anorexie, dass sie sich um andere Probleme nicht mehr kümmern können oder wollen. Die Betroffene erhält auf diese Weise die ungeteilte Aufmerksamkeit, und die Familienmitglieder müssen sich nicht mit sich und ihren eigenen Konflikten beschäftigen. Wird diese Reaktionsweise, die zu der Aufrechterhaltung der Störung beitragen kann, unterbrochen, tritt häufig eine Besserung ein. Gerade die Eltern erleben es meist als sehr erleichternd, wenn sie im Umgang mit der Erkrankung ihres Kindes von einem Therapeuten unterstützt werden.
Prognose
Nach einer Behandlung zeigt sich bei etwa 30% der Patientinnen eine vollständige Besserung, d.h. sie erreichen zumindest annähernd das Normalgewicht und haben regelmäßig ihre Menstruation. Bei 35% lässt sich zwar eine Gewichtszunahme feststellen, der Bereich des Normalgewichts wird allerdings nicht erreicht. Das Krankheitsbild bleibt bei ca. 25% der Betroffenen chronisch bestehen. Etwa 10% sterben infolge der Anorexie. Auch nach einer Gewichtsnormalisierung hält bei vielen Betroffenen die verzerrte Einstellung zu Gewicht und Figur an. Generell sind die Besserungschancen aussichtsreicher, wenn die Erkrankung früh begonnen hat. Bei einem sehr frühen Beginn vor dem 11. Lebensjahr ist die Voraussage dagegen deutlich schlechter.
Therapie der Magersucht
In einer Spielsituation störte eine Mutter ihre Tochter ständig beim Spielen. Sobald das Kind aufgehört hat zu spielen, fordert die Mutter das Kind sofort wieder auf weiter zu spielen. In einem Gespräch vertrat dann die Mutter die Meinung, dass das Kind möglichst selbstständig entscheiden muss, was es spielen will und wann es das will. Das sind jedoch völlig unterschiedliche Aspekte, die die Mutter hier vertritt. Auf der einen Seite, will die Mutter mitspielen, mit Macht haben, will als Gleichaltriger im Spiel agieren. Auf der anderen Seite, soll das Kind selbstständig entscheiden was es macht. Das Mädchen entwickelte in der Pubertät möglicherweise aufgrund dieses Konfliktes eine Anorexie. In weiteren Gesprächen stellte sich heraus, dass die Mutter ihre Rolle als "Mutter" eigentlich gar nicht will. Es kommt ihr vor als ob ihre Tochter ihr diese Rolle aufgezwungen hat. Das Hauptinteresse dieser Mutter galt also nicht dem Wohl und der Erziehung ihrer Tochter, sondern die Mutter will sich gegenüber ihrer Tochter profilieren, als die Bessere, Mächtigere dastehen. Dementsprechend kamen "expressed emotion" zum tragen. Die Mutter schimpfte mit ihrer Tochter, setzte sie herab und missachtete sie.
Reaktion auf diese Webseite
Sehr geehrter Herr Stangl,ich habe mich mit Interesse durch ihre Seite mit den verschiedensten Unterpunkten durchgelesen. Doch an einer Stelle ist es mir sauer aufgestoßen. Sie schreiben:
"Die mittelalterliche Asketin strebte danach, durch Fasten die Schönheit der Seele zu vervollkommnen im Sinne eines religiösen Ideals. Die heutige Anorektikerin strebt nach Vollkommenheit des Körpers im Sinne eines gesellschaftlichen Schönheitsideals."
Das können Sie wirklich nicht so stehen lassen. Für Außenstehende mag das vielleicht so aussehen und die Idee dieses Beweggrundes mag durch die heutigen Medien auch verstärkt werden, aber diese Sichtweise ist äußerst oberflächlich. Heutige AnorektikerInnen mögen nach der Vollkommenheit des Körpers streben, aber nicht weil die gesellschaftlichen Schönheitsideale es so vorgeben.
Es ist viel mehr die einzige Art und Weise seine Wünsche und Gefühle noch auszudrücken oder mit Problemen umzugehen. Der Körper ist ein Gebiet, das man alleine kontrollieren kann. Eine der wenigen Kontrollen, die einem ein Außenstehender kaum nehmen kann. Die meisten AnorektikerInnen haben nie gelernt mit Problemen offen umzugehen. Zusammen mit dem oft vorhandenen Hang nach Perfektionismus klammert man sich an diese Art von Kontrolle. Die Tatsache, dass sich die Magersucht über die Nahrungsaufnahme ausgedrückt und nicht bspw über selbstverletzendes Verhalten oder Drogenmissbrauch oder Ähnliches, kann durchaus daher kommen, dass es in den Medien so breitgetreten wird. Aber mehr Einfluss haben die Medien nicht.
Man wird nicht magersüchtig, um so zu sein wie die sogenannten Stars und Sternchen. Die Betroffenen, die durch die Medien in die Krankheit getragen wurden, hatten auch schon vorher verschiedenste Probleme. Diese haben sich allerdings erst durch die anschließende Magersucht gezeigt. Psychisch vollkommen stabile und normale Menschen werden von solchen "Trends" nicht beeindruckt.
Ich würde Sie bitten, den von mir zitierten zweiten Satz zumindest so weit zu ändern, dass sich die heutigen Beweggründe von den damaligen unterscheiden. Die vielen verschiedenen, individuellen und teilweise unbekannten Ursachen können gar nicht alle aufgezeigt werden. Wenn Sie sich noch weiter informieren möchten, möchte ich sie doch auf folgenden Seite verweisen, die in meinen Augen und den Augen vieler Betroffener die Krankheit mit allen ihren Facetten wirklich widerspiegelt: www.pure.ana.de.vu
Mit freundlichen Grüßen
F. W.
Quelle:
http://gd.tuwien.ac.at/uni/skripten/skriptenforum/psychologie/skripten/kidi1_ws0102.doc
Siehe auch das Spezialthema Esstörungen bei Jugendlichen mit folgenden Arbeitsblättern:
- Arten von Essstörungen
- Die Rolle der Erziehung bei Essstörungen
- Risikogruppen für Essstörungen
- Körperkult Jugendlicher und Ernährung
- Schulische Präventionsmöglichkeiten bei Essstörungen
- Präventionsprogramme bei Essstörungen
Quellen:
Imgart, Hartmut (2002). Essstörungen.
WWW: http://www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/texte/essstoerungen1.html (04-10-22)
http://wwwm.htwk-leipzig.de/~schweika/Drogenprojekt/Gruppe3/Ordner1/Kauf3.html (00-04-27)
http://www.informatik.fh-luebeck.de/icdger/f50_0.htm (00-04-27)
http://www.magersucht.de/ (03-01-13)
Tylka, Tracy (2011). WOMEN’S BODY IMAGE BASED MORE ON OTHERS’ OPINIONS THAN THEIR OWN WEIGHT.
http://researchnews.osu.edu/archive/intuitive.htm (11-03-29)
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