Schlaf und Gedächtnis
Informationsverarbeitung und Informationsaufnahme im Schlaf
Nach dem Modell der Plastizität des Cortex verändern sich die neuronalen Verbindungen durch Erfahrungen des Organismus fortwährend, es findet also eine Bildung und Unterbrechung von Verbindungen zwischen Neuronen statt. Es ist auch gut durch Forschungen belegt, dass Schlafen dazu bei trägt, zu lernen und sich Dinge langfristig zu merken. Um herauszufinden, wie sich Schlaf- und Wachzustand unterscheiden, wurden an der University of Pennsylvania Versuche mit visuellen Reizen an jungen Tieren, deren Gehirnzellen noch plastisch sind, unternommen. Dabei wurden die elektrophysiologischen und molekularen Veränderungen bei Tieren, die nach einem neuen visuellen Reiz schlafen durften mit solchen verglichen, die nicht schliefen und solchen, denen ein Auge abgedeckt worden war. Man fand dabei einen Baustein der Gedächtnisbildung, das Molekül NMDAR, das wie eine Kombination aus Lauschposten und Türwächter funktioniert: Es erhält Signale von außerhalb der Zelle in Form von Glutamat und reguliert dann seinerseits den Fluss von Kalziumionen in die Zellen. Es öffnet seinen Ionenkanal, wenn das Neuron angeregt wird und Glutamat an den Rezeptor bindet. Das Kalzium wiederum reguliert dann weitere Enzyme im Stoffwechselprozess, die letztlich die Verbindungen zwischen den Nervenzellen verstärken oder schwächen. Das Ergebnis in den Versuchen war ein reorganisierter visueller Cortex. Das alles passierte jedoch nur während des Schlafs und nicht im Wachzustand. Erst wenn das Tier einschläft, wird all das aktiv, was gebraucht wird, um die notwendigen synaptische Veränderungen zu bewirken. Blockierte man diese Enzyme künstlich, fand keinerlei Reorganisation statt und die Tiere bildeten auch keine Erinnerungen. Vermutlich ist es also bei Menschen ähnlich, dass Schlaflosigkeit negative Folgen für Einprägungsprozesse hat.
In
den REM-Phasen verbraucht das Gehirn viel Energie, im Delta- oder
Tiefschlaf hingegen geht der Verbrauch zumindest zeitweise um mehr als
25 Prozent zurück, teilweise sind sogar bis zu 40 Prozent. Demnach ist
der Energieverbrauch nicht die erste Ursache, um durch Schlaf den Energieverbrauch des Gehirns zu reduzieren.
Zwar wird bei Tieren im Winterschlaf tatsächlich eine große Menge an
Energie eingespart, doch der Winterschlaf hat mit dem gewöhnlichen
Schlaf nicht viel zu tun. Wenn Menschen schlafen und träumen, ist das
Gehirn mit einer ganzen Reihe von Aufgaben wie physische Regeneration,
Abbau von Stoffwechselprodukten oder Verdauung beschäftigt, auch läuft
das Immunsystem auf Hochtouren. Neueste Forschungen
zeigen, dass das Immunsystem imstande ist, im Schlaf zu lernen und ein
Gedächtnis für Krankheitserreger zu entwickeln. Offensichtlich nutzt das
Immunsystem den Schlaf, um ein solches Immungedächtnis zu formen.
Im Schlaf findet nach neuesten Forschungen die Festigung des Gelernten im Gehirn statt, indem es stabil in den Gedächtnisspeichern verankert wird. Im Wachzustand überlagern sich die Prozesse von Aufnahme und Entkodieren neuen Wissens, wobei dieser permanente neue Input, der auf das Gedächtnis einströmt, frische Gedächtnisspuren gleich wieder löscht, die noch nicht definitiv verankert sind. Daher braucht das Gehirn notwendigerweise beim Lernen am Tag auch längere Pausen. Der Schlaf fördert das Verankern von neu Gelerntem insofern, als neue Inhalte weder im deklarativen noch im nicht-deklarativen Bereich aufgenommen werden können, sodass nach einem erholsamen Schlaf das unmittelbar vorher Gelernte meist jederzeit ohne große Mühe abgerufen werden kann.
Nach aktuellen Untersuchungen (Viney et al., 2013) wird das Abspielen von komprimierten Informationsinhalten im Tiefschlaf durch einen speziellen Neuronentyp in Gang gesetzt. Es gibt bei der EEG-Ableitung im Tiefschlaf das Phänomen von Ripple-Komplexen, hochfrequente Gehirnwellen, die nur eine Zehntelsekunde dauern, wobei diese von den Axo-axonischen Zellen initiiert werden. Diese Axo-axonischen Zellen wirken dämpfend auf die Aktivität im Gehirn, wobei sie im Tiefschlaf plötzlich und konzertiert ihre Dämpfung für kurze Zeit stoppen. Dadurch lösen sie die hochfrequenten Ripple-Komplexe und das rasche Abspielen von Informationen aus, wobei dieser Vorgang in komprimierter Form erfolgt, also die vorhandenen Informationen vom Gehirn als relevant ausgewählt, komprimiert und ins Langzeitgedächtnis übertragen werden.
Jenkins und Dallenbach (1924) konnten erstmals experimentell nachweisen, dass Lernaufgaben, die vor einer Schlafperiode dargeboten werden, besser behalten werden als Aufgaben vor einer Wachperiode derselben Dauer. Teilnehmer an diese Experimenten lernten entweder morgens oder abends kurz vor dem Schlafengehen eine Reihe von sinnlosen Silben und wurden 1, 2, 4 oder 8 Stunden später auf ihre Erinnerung an diese Reihe getestet. Das Lernen erfolgte dabei bis zur vollständigen Beherrschung und die Überprüfung nach der Methode der behaltenen Silben. Wenn die Serien nachts gelernt worden waren, wurde die Zeit zwischen dem Lernen und der Wiedergabe im Schlaf verbracht, im anderen Fall waren die Beobachter während der dazwischen liegenden Zeit wach. Die Ergebnisse zeigten, dass die Vergessensrate im Schlaf viel langsamer war als im Wachzustand. Die Kurve für das Vergessen im Schlaf wies einen kurzen anfänglichen Rückgang auf, nach dem ein konstantes Niveau beibehalten wurde, während die Kurve für die Wachphasen die bekannte Form eines kontinuierlichen Rückgangs zeigten, der negativ beschleunigt ist. Diese Divergenz der Vergessensrate im Schlaf und im Wachzustand erklärt daher die Abweichungen, die schon in den Vergessenskurven früherer Untersuchungen gefunden wurden.
Dieser das Lernen begünstigende Effekt wurde in vielen experimentellen Untersuchungen belegt und in der Folge wurden bestimmten Schlafstadien besondere Rollen für Gedächtnisprozesse zugewiesen, insbesondere wurden dem REM-Schlaf aufgrund seiner besonderen physiologischen Veränderungen, andererseits aber auch dem Slow-Wave-Sleep (SWS) gedächtnisbegünstigende Wirkungen zugeschrieben.
Der normale Prozess der Gedächtnisbildung vollzieht sich nach Wilson & McNaughton (1994) in mehreren Teilschritten: Eine erste Speicherung von Ereignissen im Gedächtnis erfolgt durch schnelle synaptische Modifikation hauptsächlich in Neuronen des Hippocampus während des Wachzustandes. Während des nachfolgenden Tiefschlafs wird dann die Information graduell in den Neocortex transferiert. Für den Bereich des räumlichen Wissens bei Ratten konnten die Autoren ihre Annahmen bestätigen.
Die Studien von Wilson & McNaughton (1994) und von Karni et al. (1994) werden häufig als Beleg dafür herangezogen, dass im REM-Schlaf eher eine Verarbeitung von nicht-deklarativem Wissen stattfindet, während im Tiefschlaf eher deklaratives Wissen verarbeitet wird. Diese häufig beschriebene Zweiteilung des Gedächtnisses wird damit auch für die Gedächtnisprozesse getroffen, die während des Schlafes ablaufen.
Langfristiger Schlafentzug beeinträchtigt nach bisherigen Annahmen exekutierende Funktionen stärker als andere mentale Prozesse wie etwa das Aufnehmen von Informationen, doch in einer Untersuchung, bei der Probanden über sechs Tage im Schlaflabor verbringen mussten und einige Teilnehmer in zwei aufeinander folgenden Nächten wach gehalten wurden, zeigte sich hingegen, dass das Arbeitsgedächtnis bis zu 51 Stunden Schlafentzug ohne große Einbußen arbeitete, während Funktionen wie die Informationsaufnahme dagegen deutlich unter dem Schlafentzug litten (Quelle: Medical Tribune vom 9.6.2010).
Eine neuere Untersuchung (Plihal & Born, 1997) konnte diese Annahmen bestätigten: Aufgrund der ungleichen Verteilung von SWS und REM-Schlaf in der ersten und zweiten Nachthälfte nehmen Plihal und Born an, dass das prozedurale Gedächtnis mehr vom späten Schlafentzug beeinflußt wird als vom frühen Schlafentzug, während das deklarative Gedächtnis umgekehrt mehr unter dem frühen Schlafentzug als unter dem späten Schlafentzug leiden sollte, was experimentell bestätigt werden konnte.
Nach der REM-Schlaf-Gedächtnis-Hypothese ist der REM-Schlaf besonders wichtig für die Gedächtnisbildung im Schlaf, doch treten überraschenderweise bei depressiver Patienten unter medikamentöser Behandlung, die den REM-Schlaf unterdrücken, keine Gedächtnisdefizite auf. Rasch, Pommer, Diekelmann & Born (2008) ließen junge gesunde Männer abends Wortpaare lernen und motorische Hand- und Fingerfertigkeiten einüben und verabreichten ihnen nach dem Lernen entweder ein Antidepressivum oder ein nichtwirksames Placebo. Der Mangel an Traumschlaf hatte keinen störenden Effekt auf die Gedächtnisbildung im Schlaf, sondern in einem der motorischen Tests nach zwei Tagen schnitten die Probanden mit unterdrücktem REM-Schlaf sogar deutlich besser ab. Für sich genommen ist der REM-Schlaf für die Gedächtnisbildung im Schlaf also nicht erforderlich, jedoch könnten einige andere neurobiologische Prozesse, die normalerweise zusammen mit dem REM-Schlaf auftreten, durch die Gabe von Antidepressiva nicht unterdrückt werden oder sogar verstärkt werden, die dann die Gedächtnisbildung unterstützen (Rasch, Pommer, Diekelmann & Born, 2008).
Mittels eines Sprachcomputers überprüfte Kimberly Fenn (Universität Chicago, Illinois) die Fähigkeit von Testpersonen, ähnlich klingende Wörter zu erkennen, wobei eine undeutliche Aussprache des Sprachcomputers diese Aufgabe erschwerte, d.h., die Probanden mussten zunächst mühsam lernen, den Computer überhaupt zu verstehen. Je länger die Testpersonen übten, umso mehr Wörter erkannten sie richtig. Allerdings geriet das Gelernte schnell wieder in Vergessenheit, denn nach einer morgendlichen Trainingsphase verbesserte sich zunächst die Worterkennung, war aber am Abend wieder deutlich geringer. Diese Verschlechterung geschah jedoch nicht, wenn die Testpersonen innerhalb der zwölf Stunden geschlafen hatten. Diese Reduktion ließ sich jedoch durch Schlaf rückgängig machen, sodass die Probanden dann wieder genauso gut im Erkennen der Wörter waren wie unmittelbar nach der Trainingsphase.
Heute gilt als gesichert, dass verschiedene Schlafstadien unterschiedlich stark an der Informationsverarbeitung beteiligt sind. Traumerlebnisse- zumindestens diejenigen der letzten REM-Phase - können berichtet werden. Dies bedeutet, dass die Inhalte abgespeichert wurden. Dabei spielt die Hippokampusaktivität während der REM-Phasen eine Rolle. Im REM-Schlaf weisen die Menschen eine regelmäßige Hippocampus-Theta-Aktivität auf. Einfache Reaktionen, die im Wachen gelernt worden sind, können auch im Schlaf ausgelöst werden. Allerdings ist die Reaktivität in Abhängigkeit von den Schlafstadien abnehmend. Nach einem Untersuchungsergebnis von Evans (1966) können auch komplexe im REM-Schlaf gegebene Informationen noch Monate später im REM-Schlaf befolgt werden. Nach heutigen Erkenntnissen können Informationen im Schlaf aufgenommen werden. Allerdings erfolgt die Konsolidierung der Informationen nur im wachen Zustand.
Hui, Fell & Axmacher (2018) haben untersucht, welche Aktivitätsmuster im Gehirn auftreten, wenn Menschen Dinge erinnern oder vergessen bzw. wie das Gehirn zuvor Gelerntes im Schlaf erneut durchspielt und einspeichert. Dazu zeichnete man die Hirnaktivität von Epilepsie-Patienten auf, die zwecks Operationsplanung Elektroden in das Gehirn implantiert bekommen hatten. Bei dem Versuch bekamen die Probandinnen und Probanden eine Reihe von Bildern zu sehen, die sie sich einprägen sollten. Anschließend machten sie einen Mittagsschlaf. Beim Betrachten eines Bildes feuern die Nervenzellen im Gehirn auf eine bestimmte Art und Weise, die sich von Bild zu Bild etwas unterscheidet, wobei man nicht nur die Hirnaktivität während der Lernaufgabe, sondern auch während des Schlafs analysierte. Anschließend prüfte man, an welche Bilder sich die Teilnehmer nach dem Schlaf erinnern konnten und an welche nicht. Es zeigte sich, dass die Gamma-Oszillationen, die typisch für bestimmte Motive waren, nicht nur beim Betrachten der Bilder auftraten, sondern auch während des Schlafs. Das Gehirn reaktivierte offenbar die Aktivitätsmuster, und zwar sowohl für Bilder, an die sich die Probanden später erinnerten, als auch für solche, die sie später vergessen hatten. Das bedeutet, dass die vergessenen Bilder nicht einfach aus dem Gehirn verschwinden, doch entscheidend dafür, ob ein Bild vergessen oder behalten wurde, war nicht nur die Reaktivierung der bild-spezifischen Gamma-Oszillationen, sondern auch die Aktivität im Hippocampus, der für das Gedächtnis entscheidend ist. Hier kam es zu extrem schnellen Aktivitätsschwankungen (Ripples), d. h. nur wenn die Reaktivierung zeitlich gekoppelt mit den Ripples im Hippocampus auftrat, wurde ein Bild später erinnert. Dieses Phänomen trat nur in bestimmten Schlafphasen auf, aber nicht, wenn die Probanden wach waren. Ob ein Bild erinnert wird oder nicht, hing auch davon ab, wie detailliert das Bild im Gehirn verarbeitet wurde, also ob es eine oberflächliche und eine tiefe Verarbeitungsphase gegeben hatte. Die oberflächliche Verarbeitung fand während der ersten halben Sekunde nach der Präsentation des Bildes statt, die tiefere Verarbeitung im Anschluss daran. Nur wenn die Gamma-Oszillation aus der tiefen Verarbeitungsphase während der Ripples reaktiviert wurde, erinnerten sich die Probanden später an das Bild. Wurden die Oszillationen aus der frühen Verarbeitungsphase reaktiviert, führte das zu Vergessen.
Der Hippocampus ist für die Speicherung neuer
Erfahrungen im Gedächtnis verantwortlich. Bei manchen Menschen ist
diese Funktion durch Schäden am Hippocampus gestört. Theodore Berger
(University of Southern California) erfasste mit seiner Arbeitsgruppe im
Detail die Reaktionen verschiedener Regionen des Hippcampus auf
elektrische Stimulation und entwickelte dafür ein mathematisches Modell,
das die Funktionsweise des gesamten Hippocampus wiedergibt. Diese
Funktionen wurden auf einen Siliziumchip programmiert.
Bei Menschen soll der Chip auf der Schädeloberfläche angebracht und mit
dem Gehirn durch zwei Elektrodenbündel verbunden werden: eines, das die
elektrischen Signale des Gehirns an den Chip weiterleitet, und eines,
das geeignete Impulse an das Gehirn zurückgibt.
Rutishauser et al. fanden in ihren Untersuchungen, dass neue Erinnerungen von entspannten Gehirnen wesentlich effektiver gespeichert werden, als von Gehirnen, die unter Stress und Anspannung stehen. Bei den Versuchen an Parkinson-Patienten zur Überprüfung der Erinnerungsfähigkeit sollten sich diese daran erinnern, welche von bereits zuvor gesehenen 100 Bildern auch in einer zweiten Bildserie auftraten. Die Merkfähigkeit hing dabei davon ab, ob die jeweiligen Neuronen synchron zum Theta-Wellenmuster feuerten, denn war dies der Fall, konnten sich die Probanden besser an die Bilder erinnern, als bei einem asynchronen Feuern der Neuronen. Die Qualität einer Erinnerung ist also von der Synchronisation der Einprägung mit den basalen Theta-Aktivitäten abhängig.
Die Theta-Aktivität ist vermutlich auch für das Auffrischen von Erinnerungen im Kurzzeitgedächtnis relevant: Nikolai Axmacher et al. (Klinik für Epileptologie, Universität Bonn) entdeckten in Experimenten, in denen ProbandInnen Fotos von Gesichtern vorgelegt worden waren, dass das menschliche Gehirn augenscheinlich über eine Art Metronom verfügt, das die Vorgänge im Kurzzeitgedächtnis koordiniert. Die beteiligten Nervenzellen im Gehirn sind zwar nur für wenige Sekunden bis zu einer Minute aktiv, doch sie frischen die Erinnerung nach einem festen Takt auf. Dabei ändert sich die elektrische Aktivität des Hippocampus rhythmisch und das gleich in verschiedenen Frequenzen, wobei Theta-Band und das Gamma-Band in einer frequenzübergreifenden Kopplung schwingen. Der Theta-Takt bestimmt offensichtlich dabei die Zeitspanne, die dem Kurzzeitgedächtnis zur Auffrischung der im Versuch gesehenen Gesichter insgesamt zur Verfügung steht, denn die Theta-Schwingungen wurde umso langsamer, je mehr Gesichter sich die ProbandInnen merken sollten. Daraus folgt: je mehr Information das Kurzzeitgedächtnis speichern muss, desto länger braucht es auch, um diesen Inhalt immer wieder zyklisch aufzufrischen.
Nicht nur Schlafmangel generell, sondern zu viel leichter Schlaf und zu wenig Tiefschlaf beeinträchtigt das Gedächtnis und die Lernfähigkeit, denn wenn die Tiefschlafphase fehlt oder zu kurz ist, verfestigen sich Erinnerungen an zuvor Gelerntes sehr viel schlechter als bei normalen Schlafphasen. Verantwortlich dafür ist eine zu geringe Aktivität des Hippocampus, denn dieser ist in erster Linie für die Gedächtniskonsolidierung verantwortlich und überführt allmählich das Gelernte aus dem Kurz- ins Langzeitgedächtnis. Da im Alter typischerweise der Anteil leichten Schlafs ansteigt, nehmen gleichzeitig die zur Verfügung stehenden Reservekapazitäten des Gedächtnisses ab, wodurch es vor allem ältere Menschen sind, die die Auswirkungen von Störfaktoren auf das Erinnerungsvermögen am stärksten zu spüren bekommen. Matthew Walker (Universität Berkeley) bestätigte in einer Reihe neuerer Studien, dass das menschliche Gehirn Ruhephasen benötigt, um neues Wissen im Gedächtnis zu verankern, wobei es am besten funktioniert, wenn man neu erworbenes Wissen spätestens vier Stunden durch eine Ruhepause vertieft. In einem Vergleich mit einer Kontrollgruppe ohne Schlafpause war eine fast 40 Prozent höhere Leistung möglich. Eine 90-minütige Mittagspause hilft übrigens auch, die Aufnahmefähigkeit in der zweiten Tageshälfte zu bewahren bzw. zu erhöhen. Er interpretiert dieses Ergebnis damit, dass der Hippocampus während des Schlafs "ausgeräumt" wird und die Informationen im präfrontalen Cortex "verstaut" werden, damit das Gehirn frei für neue Informationen ist.
Biologinnen der Freien Universität Berlin haben den Zusammenhang von Schlaf und Gedächtnisleistung bei Honigbienen erforscht, wobei ihre Versuche nahe legen, dass auch diese Insekten ähnlich wie der Mensch gelerntes Verhalten in Ruhephasen Revue passieren lassen und dadurch die Gedächtnisinhalte konsolidiert werden.
Konsolidiert der Schlaf vor allem schwächere Assoziationen?
Nach Untersuchungen werden vor allem schwache Assoziationen während des Schlafs gestärkt, d.h., wer zum Beispiel etwas mit einem Freund besprechen will und vor dem Schlafengehen nochmals daran denkt, diesen am nächsten Tag bei einem Kaffee zu treffen, wird beim Anblick eines Cafes schon an die Absicht erinnert werden, auch wenn er sich nicht vorgenommen hat, genau hier mit dem Freund zu sprechen. Diese Verbindung zwischen Raum und Gespräch bezeichnet man als schwache Assoziation bzw. als prospektives Gedächtnis, das Dinge betrifft, die sich erst in Zukunft ereignen werden, an die man aber vorausblickend bereits denkt. Vermutlich dürfte der Hippocampus während des Schlafs bestimmte Erinnerungen, also etwa den Vorsatz, in Zukunft etwas Bestimmtes erledigen zu wollen, ohne Repetition in den Langzeitspeicher des Gehirns verschieben, von wo aus diese Information am nächsten Tag wieder abgerufen werden können (vgl. Scullin & McDaniel, 2010).
Siehe dazu im Detail auch Biologische Rhythmen.
Allerdings verhält sich das Gedächtnis in Bezug auf die Tageserinnerungen selektiv, wie in einer Studie der Harvard Universität gezeigt wurde, in der den Teilnehmern Bilder vorgelegt wurden, auf denen neutrale Objekte wie ein Auto vor einem neutralem Hintergrund, z.B. ein Haus, bzw. negativ emotional besetzte Objekte wie ein Autounfall vor einem neutralem Hintergrund zu sehen waren. Die Erinnerungen der Studenten an die zentralen Objekte der Abbildungen und die Hintergründe der Szenen wurden getrennt überprüft, um das Gedächtnis bezüglich emotionaler und neutraler Aspekte von Begebenheiten miteinander vergleichen zu können. In getrennten Versuchsgruppen wurden die Bilder nach zwölf Stunden ein zweites Mal vorgelegt. Personen, die tagsüber wach geblieben waren, hatten nach zwölf Stunden sowohl die negativen oder neutralen Objekte als auch die Hintergründe vergessen, während jene, die innerhalb des gleichen Zeitraums geschlafen hatten, sich hingegen genauso detailliert an die zentralen negativen Objekte, wie das beschädigte Auto, erinnern konnten, wie Teilnehmer, die bereits dreißig Minuten nach dem Ansehen der Bilder befragt worden waren. Die Erinnerungen an die neutralen Objekte und Hintergründe waren allerdings verblasst. Vermutlich wird während des Schlafs die Wichtigkeit oder Besonderheit von Informationen abgewogen und nur die als relevant erachteten Informationen bleiben erhalten.
Bestätigt wird dies durch Studien, die untersucht haben, nach welchen Kriterien das menschliche Gehirn entscheidet, welche Informationen zu löschen sind und welche Speicherplatz belegen dürfen oder gar müssen. Bei Gedächtnisübungen sollten sich die ProbandInnen Paare von Wörtern einprägen, wobei einer Gruppe unmittelbar nach den Aufgaben gesagt wurde, dass sie in zehn Stunden nach den Wortpaaren getestet würden, während die andere Gruppe diese Information nicht erhielt. Ein Teil aller Testteilnehmer schlief innerhalb dieser zehn Stunden, während die anderen bis zu den Gedächtnistests wach bleiben mussten. Danach wurden alle TeilnehmerInnen getestet, wobei sich erwartungsgemäß zeigte, dass diejenigen, die geschlafen hatten, besser abschnitten als die VergleichsprobandInnen. Besonders deutlich war dieser Effekt aber bei den ProbandInnen, denen vor dem Schlaf gesagt worden war, dass sie erneut geprüft würden. Offensichtlich ordnet das Gehirn im Tiefschlaf Informationen nach ihrer Wichtigkeit oder ihrem Nutzwert und speichert diese dann entsprechend sicher ab.
Neben der Festigung von Erlerntem kann Schlaf nach einer Untersuchung (Dumay, 2015) aber darüber hinaus sogar vergessene Informationen wiederbringen. In einem Versuch lernten die Probanden erfundene Wörte, eine Gruppe am Morgen, die andere am Abend. Direkt im Anschluss sollten die Personen aus beiden Gruppen möglichst viele der Wörter nennen. Die Probanden aus der ersten Gruppe gingen ihrem Tagesablauf nach, die aus der zweiten schliefen über Nacht. Nach Ablauf von zwölf Stundens zeigte sich ein deutlicher Unterschied bei den Wörtern, die die Probanden beim ersten Mal nicht erinnerten. Man schließt daraus, dass Schlaf beinahe die Fähigkeit verdoppelt, sich an zuvor bereits Vergessenes wieder zu erinnern.
Marc Scheloske beantwortete im ScienceBlog die interessante Frage, ob unser Wissen im Traum größer ist als im Wachzustand. Er kommt zu dem Schluss, dass es auf Grund der im Traum meist emotionalen Auslöser einfach zu anderen und dadurch überraschenderen Erinnerungen kommt, die im rational kontrollierten Alltag nur selten zugänglich sind. Dieses "verborgene" Wissen wäre unter geeigneten Bedingungen aber auch zugänglich gewesen, es war nur nicht "optimal" genug verknüpft und abgelegt.
Der Wachzustand baut über Tag hinweg einen Zustand immer stärkerer Erregung im Gehirn auf, sodass nach Giulio Tononi und Chiara Cirelli (Universität Wisconsin) der Nachtschlaf daher auch dazu dient, im Gehirn die synaptischen Verbindungen zwischen den Neuronen wieder etwas zu lockern, denn blieben sie zu fest verschaltet, würden sie zu viel Platz und zu viel Energie beanspruchen und das Gehirn würde allmählich in einen Zustand der Sättigung übergehen. Auch könnte das Gehirn neue Eindrücke, neue Erfahrungen und neue Inhalt am nächsten Tag gar nicht verarbeiten. Die in Bezug auf den menschlichen Schlaf entwickelte synaptische Homöostase-Hypothese besagt, dass der Schlaf der Preis ist, den Menschen für ein Gehirn zahlen, das plastisch ist und immer wieder Neues lernen kann, wobei sowohl Tiere als auch Menschen schlafen, um auch zu vergessen. Elektronenmikroskop-Aufnahmen aus dem Inneren des Gehirns von Mäusen zeigen, was in einem Gehirn jeden Tag passiert, dass nämlich die Synapsen, die Verbindungen zwischen Nervenzellen, während der Stimulation am Tag stark und groß wachsen, und dann um fast zwanzig Prozent schrumpfen, während man schläft, sodass Platz für mehr Wachstum und Lernen am nächsten Tag geschaffen wird. Ein Forscherteam sezierte dazu die Gehirne von Mäusen und verwendete dann ein Rasterelektronenmikroskop, um zwei Bereiche der Großhirnrinde zu fotografieren, zu rekonstruieren und zu analysieren. Das Team wusste aber nicht, ob sie die Gehirnzellen einer ausgeruhten oder einer wachen Maus analysierten. Als man die Messungen mit der Schlafdauer der Mäuse in den sechs bis acht Stunden vor der Aufnahme korrelierte, stellte man fest, dass einige Stunden Schlaf im Durchschnitt zu einer Verringerung der Synapsengröße um achtzehn Prozent führten, wobei diese Veränderungen in beiden Bereichen der Großhirnrinde auftraten und proportional zur Größe der Synapsen waren. Auch in weiteren Studien wurde bestätigt, dass der Zweck des Schlafs auch darin besteht, Synapsen zu verkleinern.
Suppermpool et al. (2024) konnten nun durch wiederholte Bildgebung aller exzitatorischen Synapsen an einzelnen Neuronen im Schlaf-Wach-Zustand von Zebrafischlarven zeigen, dass Synapsen während der Wachphasen entweder spontan oder erzwungen hinzugewonnen werden und während des Schlafs in einer vom Neuronensubtyp abhängigen Weise verloren gehen. Der Synapsenverlust ist jedoch am größten während des Schlafes, der mit einem hohen Schlafdruck nach längerem Wachsein verbunden ist, und am geringsten in der zweiten Hälfte einer ungestörten Nacht. Daraus lässt sich schließen, dass der schlafbedingte synaptische Verlust durch den Schlafdruck auf der Ebene des einzelnen Neurons reguliert wird und dass nicht alle Schlafperioden gleichermaßen in der Lage sind, die Funktionen der synaptischen Homöostase zu erfüllen. Ähnliches könnte auch für das menschliche Gehirn gelten, so dass Schlaf eine Art Reset für das Gehirn darstellt und Raum für das Lernen von Neuem schafft. Da im Wachzustand die Verbindungen zwischen den Gehirnzellen stärker und komplexer werden, wäre es für den Körper energetisch untragbar, wenn diese Prozesse auch im Schlaf fortgesetzt würden. Neu geknüpfte Verbindungen werden demnach vor allem in der ersten Nachthälfte wieder abgebaut, um das Lernen von Neuem am nächsten Tag vorzubereiten. Laut synaptische Homöostase-Hypothes ist Schlaf daher also jener Preis, den man für die Plastizität im Wachzustand zahlen muss, um eine unkontrollierte Potenzierung, ein verringertes Signal-Rausch-Verhältnis und eine Beeinträchtigung des Lernens durch Sättigung zu vermeiden.
Menschen träumen nicht ausschließlich während der REM-Phasen, denn weckt man Testpersonen außerhalb des REM-Schlafes, konnten sie trotzdem über Traumbilder berichten. Inzwischen schätzt man, dass 20 bis 25 Prozent der Träume sich während des Non-REM-Schlafes ereignen. Viele Schlafforscher versuchten die REM-Theorie zu retten. Allan Hobson betrachtete die Non-REM-Träume als weniger intensiv, Tore Nielsen erklärte sie zu bloßen Nachwirkungen der REM-Aktivitäten. Doch die Formel "REM-Schlaf gleich Traumschlaf" ist nicht mehr haltbar, denn werden bei einem Menschen durch einen Schlaganfall die Teile des Gehirns zerstört, die den REM-Schlaf auslösen, führt dies nicht zu einem Verlust der Traumfähigkeit. Werden hingegen andere Areale zerstört, kann es trotz intaktem REM-Areal zu Verlust der Traumfähigkeit kommen.
Eine radikale These prägte der Münchner
Hirnforscher Ernst Pöppel: Wirkliche Bedeutung hätten REM-Schlaf und
Träume nur im Mutterleib, sie dienten dem "Einfahren" des Gehirns, dem Ausprobieren der Schaltkreise.
"Die Schlafphasen, in denen die Träume auftreten, haben nur vor der
Geburt einen Zweck zu erfüllen. Nach der Geburt sind sie überflüssig."
Dafür spreche auch, dass der Anteil der REM-Phasen, in denen besonders
viel geträumt wird, nach der Geburt kontinuierlich abnimmt.
Übrigens sind Ruhephasen kein Ersatz für Schlafphasen, denn Schlaf fördert die Anpassung des Verhaltens und die zugrunde liegende neuronale Plastizität im Vergleich zum aktiven Wachzustand. Nissen et al. (2021) ließen Probanden üben, bestimmte visuelle Muster zu erkennen und zu unterscheiden. Im Anschluss war eine Gruppe wach und sah dabei Videos oder spielte Tischtennis, während eine andere Gruppe für eine Stunde schlief und eine dritte Gruppe in einem abgedunkelten Raum ohne äußere Reize und unter kontrollierten Schlaflaborbedingungen wach blieb. Die Gruppe, die geschlafen hatte, schnitt im Anschluss bei der Mustererkennung deutlich besser ab als die Gruppe, die wach und aktiv geblieben war. Sie übertraf auch die passiv-wache Gruppe, wobei der erholsame Effekt des Schlafes mit der im Non-REM-Schlaf verbrachten Zeit und mit der elektroenzephalographischen Slow-Wave-Energie korrelierte, von der angenommen wird, dass sie die Renormalisierung der synaptischen Stärke widerspiegelt. Daraus ist ableitbar, dass es der Schlaf selbst ist, der den Unterschied in den Leistungen ausmacht. Auch konnte man keinen Unterschied bei der Leistungsfähigkeit zwischen aktivem und passivem Wachsein beobachten, sodass Schlaf also mehr ist als ein Zustand reduzierter Reizinterferenz, sondern dass schlafspezifische Gehirnaktivität die Leistung durch aktive Verfeinerung der cortikalen Plastizität wiederherstellt, und damit echter Schlaf für die Erholung des Gehirns unersetzlich ist und sich für eine Leistungsverbesserung nicht durch Ruhephasen ersetzen lässt.
Während des Schlafens laufen im Gehirn also vorwiegend aktive Erholungsprozesse ab, die sich nicht durch aktive oder passive Ruheperioden ersetzen lassen.
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Im Schlaf ändert das Gehirn seine funktionale Organisation
Studien von Spoormaker et al. (2010) zeigten, dass diese Netzwerk Organisation im Schlaf verändert wird, bei welchen sich im leichten Schlaf eine verstärkte allgemeine Verknüpfung innerhalb des Gehirns zeigte, und zwar besonders zwischen weit entfernten Regionen, was nahe legt, dass sich neuronale Informationen leicht durch das ganze Gehirn ausbreiten, während lokal nur ein geringer Austausch erfolgt. Auffallend ist jedoch auch eine drastisch reduzierte Verknüpfung des sogenannten Thalamus mit allen anderen Hirnarealen. Da die Funktion des Thalamus unter anderem in der Weiterleitung von externen Reizen besteht, deutet dieser Befund auf eine Ausblendung der störenden Außenwahrnehmung während des Einschlafprozesses hin. Im Gegensatz dazu zeichnet sich der Tiefschlaf durch ein Aktivitätsnetzwerk mit einer verstärkten lokalen Clusterung und einer reduzierten Konnektivität zu weit entfernten Bereichen aus. In diesem Zustand wird Information lokal vermehrt ausgetauscht, aber nicht an entfernt gelegene Hirnregionen weitergegeben. Diese Ergebnisse zeigen erstmalig die dynamischen Änderungen in der funktionellen Netzwerkorganisation der Hirnaktivität während des Schlafes und erlauben einen neuen Einblick in dessen Funktionen. Seit Jahren wird die kritische Rolle des Schlafs in der Verarbeitung und Speicherung von aufgenommenen Informationen diskutiert. Diese Studie gibt Antworten, wann im Schlaf welche Form der Informationsverarbeitung erfolgt und wie das gesamte Aktivitätsnetzwerk des Gehirns im Schlaf organisiert ist. Victor Spoormaker: „Dem Schlaf, im Besonderen dem Tiefschlaf, wird eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung zugesprochen. Wir verarbeiten und speichern neu Gelerntes tatsächlich im Schlaf. Die Frage ist, wann genau im Schlaf solche Informationen erneut prozessiert werden und wann sie als Gedächtnisspuren in speziellen Hirnregionen abgelegt werden. Unsere Ergebnisse dokumentieren nun, dass Tiefschlaf eher ein Stadium des erneuten Prozessierens (in lokalen Clustern) ist und dass in anderen Schlafstadien wahrscheinlich die globale Weiterleitung der Informationen erfolgt.“
Einzelne Gehirnregionen sind nach dem „Kleine-Welt“ Phänomen zu Netzwerken miteinander verbunden, d.h., dass benachbarte Gebiete über viele kurze Nervenfortsätze miteinander kommunizieren, aber nur einige wenige Verbindungen zu entfernten Hirnregionen besitzen. Der Informationsaustausch erfolgt dadurch mit maximaler Geschwindigkeit bei gleichzeitig minimalem Energieaufwand.
Marie Cheour (2002, Nature, 415, S. 599) spielte schlafenden Neugeborenen 2,5 bis 5 Stunden lang die Laute 'i' und 'ü' vor. Diese trainierten Kleinkinder reagierten später deutlich stärker auf diese Vokale als 'untrainierte' Neugeborene. Die Wissenschafter maßen dazu jeweils am Abend und am Morgen eine von der Aufmerksamkeit unabhängige Reaktion im Sprachzentrum, während die Kinder unterschiedliche Vokale hörten. Die Hirnreaktion der trainierten Babys war auch dann deutlich messbar, wenn die Kinder die Vokale in ihrer typischen Lautfärbung, aber in einer anderen Tonhöhe hörten. Dieser Lerneffekt hielt mindestens einen Tag an. Neugeborene einer dritte Gruppe, denen in der Nacht die Vokale 'a' und 'e' vorgespielt worden waren, regierten auf 'i' und 'ü' dagegen ebenso wenig wie die Kinder einer Kontrollgruppe. Die Forscherin vermutet allerdings, dass diese Fähigkeit des Lernens im Schlaf im Lauf des ersten Lebensjahres verlorengeht
Alle diese Thesen und Debatten setzen freilich eines implizit voraus: dass nämlich Traum und REM-Schlaf nur zwei Aspekte eines Phänomens sind. Das ist allerdings nur eine halbe Wahrheit. Wie David Foulkes nachwies, gibt es auch "echte", erlebnisreiche Träume außerhalb des REM-Schlafs, und zwar vor allem zu Beginn des Schlafes und kurz vor dem Aufwachen.
Diese Erkenntnis ließ Mark Solms, Psychoanalytiker und Neurowissenschaftler in London, auch die Annahme vom Hirnstamm als "Traumgenerator" hinterfragen. Er analysierte Fälle von Patienten, bei denen durch Verletzungen der Pons kein REM-Schlaf auftritt. Die meisten dieser Personen berichten trotzdem von Träumen.
Die Frage lag nahe: Welche Verletzungen des Gehirns bedingen, dass die Patienten nicht träumen (aber schon REM-Schlaf erleben)? Laut Solms Recherchen - unter anderem bei Personen, die einer Lobotomie unterzogen wurden - sind zwei Regionen des Großhirns unentbehrlich für das Traumleben. Erstens ein Gebiet im unteren Parietallappen, wo Informationen aus Sinneswahrnehmungen verarbeitet werden, "geistige Bilder" entstehen. Zweitens der media-frontale Lappen: Dort siedelt man das "Belohnungssystem" an, jene "psychische Instanz", die dafür sorgt, dass wir Dinge und Erlebnisse anstreben, die mit positiven Gefühlen "belohnt" werden. Das können, etwa in der Sexualität, biologisch sinnvolle Aktivitäten sein, aber auch schädliche Abhängigkeiten, etwa von Rauschmitteln. Der Neurotransmitter, der hier vermittelt, ist nicht Acetylcholin, sondern Dopamin. Und tatsächlich verstärken Substanzen, die die Dopamin-Ausschüttung fördern, die Traumaktivität, während Dopamin-Hemmer sie herabsetzen. Diese Erkenntnisse sprechen für Freuds Traumtheorie, denn vermutlich kann man die Wünsche im Belohnungszentrum ansiedeln? dass die präfrontalen Regionen, die uns Menschen ausmachen, die zivilisierten Teile des Großhirns deaktiviert sind, paßt zu Freuds These, dass im Traum das Unbewußte mehr Freiheiten genießt als im Wachzustand.
Doch wo bleibt die Freudsche Zensur, wenn die präfrontalen Regionen stillgelegt sind? Solms meint, es sei eben doch noch Restaktivität vorhanden: "Das Über-Ich ist nur geschwächt." Fred Levin, meint, die Zensur passiert eben erst beim Erzählen des Traumes. Aufgabe der Psychoanalyse sei es, durch Assoziationen - unter striktem "Beichtgeheimnis" - dennoch etwas über die verdrängten Teile des "private self" herauszufinden, die der Traum nahe, aber eben nicht völlig offen legt. In diesem Sinn unterscheiden sich nächtliche Träume von Tagträumen primär dadurch, dass man sie auch vor sich selbst geheim hält. Auch dieser Vergleich findet sich schon in der "Traumdeutung" angedeutet.
Bei Untersuchungen, wie oft am Tag Menschen ihre Gedanken in Form von Tagträumen schweifen lassen und wie sie sich dabei fühlen, zeigte sich, dass Menschen 47 Prozent ihres Wachlebens mit Tagträumereien verbringen, selbst dann, wenn sie aktiv einer Beschäftigung nachgingen und zum Beispiel am Computer arbeiteten oder das Geschirr abräumten. In einem Drittel der Zeit dachten sie dann über irgendetwas nach, das nichts mit dem zu tun hatte, was sie gerade taten, denn entweder ließen sie im Geiste eine Begebenheit aus der Vergangenheit noch einmal Revue passieren, oder sie richteten ihre Gedanken auf ein erwartetes Ereignis in der Zukunft.
Hypnopädie ist die Vermittlung von Lernstoffen an eine in hypnotisiertem Zustand befindliche Person. Diese 1936 von A.M. Swajdostsch begründete Hypnopädie geht von einer Wächterpunkttheorie aus, nach der es möglich sein soll, die Aufnahmefähigkeit von Gehirnzellen durch Übung gegenüber spezifischen akustischen Reizen zu verbessern.
Untersuchungen zeigen übrigens, dass eine schwindende Gehirnmasse im Stirnlappen den Tiefschlaf beeinträchtigt, wobei fehlender Schlaf seinerseits dem Gedächtnis schadet. Vor allem bei älteren Menschen besteht ein direkter Zusammenhang zwischen grauer Hirnsubstanz und Schlafqualität, d. h., je weniger graue Substanz im Stirnlappen vorhanden ist, umso schlechter ist der Tiefschlaf.
Überblick Hypertext "Der Schlaf"
- Der Schlaf - Grundlagen
- Die REM-Phasen
- Wieviel Schlaf braucht der Mensch?
- Wie kann man gut schlafen?
- Schlafstörungen
- Schlafmangel
- Schlafentzug
- Schlaf, Gedächtnis und Lernen
- Im Schlaf lernen
- Schlafverhalten und Schulleistung
- Schlaf und Traum
- Schlaf und Traum bei Kindern
- Trauminhalte
- Schlafforschung
- Test zum Nachtschlaf
- Test zur Tagesschläfrigkeit
- Schlafphasenwecker
- Kurioses zum Thema Schlaf
Literatur
Scullin, Michael & McDaniel, Mark (2010). Remembering to Execute a Goal. Sleep on It!". Psychological Science.
WWW: http://pss.sagepub.com/content/early/2010/06/02/0956797610373373.abstract 89
Scheidt, Jürgen vom (1992). Traum (S. 802-807). In Asanger, Roland & Wenninger, Gerd (Hrsg.), Handwörterbuch Psychologie. Weinhein: Psychologie Verlags Union.
Spoormaker, Victor I., Schröter, Manuel S., Gleiser, Pablo M., Andrade, Katia C., Dresler, Martin, Wehrle, Renate, Sämann, Philipp G. & Czisch, Michael (2010). Development of a Large-Scale Functional Brain Network during Human Non-Rapid Eye Movement Sleep. The Journal of Neuroscience, 30, 11379-11387.
Wolfradt, U. (2006). Psychologie in Erziehung und Unterricht. Schlafverhalten, Lebenszufriedenheit und wahrgenommener Leistungsstress in der Schule, 12 – 21.
http://www.stud.uni-wuppertal.de/~ya0023/phys_psy/schlaf.htm (01-08-16)
http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/INTERNET/ARBEITSBLAETTERORD/HORMONORD/Hormone.html (01-12-18)
http://warp6.dva.de/sixcms/detail.php? id=106595&template_id=1981 (02-02-10)
http://www.netdoktor.de/feature/ chronobiologie_kinder.htm (02-08-23)
http://www.techfak.uni-bielefeld.de/GK518/
antrag/Clarenbach.html (03-05-12)
New Scientist 15.3.2003.
WWW: http://www.newscientist.com/
Bildquellen
http://brain.exp.univie.ac.at/GraphikSchlaf.doc (01-12-22)
http://www.uni-marburg.de/sleep/dgsm/rat/schlaf.jpg (02-07-27)
http://home.arcor.de/hu.gresch/dream.htm (03-01-20)
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