Lernpsychologische Erklärung von Aggressionen
Mit Hilfe des klassischen Konditionierens kann man vor allem affektive Reaktionen (Ärger/Wut) und die Bildung negativer Einstellungen erklären. Wenn uns z.B. jemand heftig geärgert hat, genügt schon die Nennung seines Namens, um wieder einen Affekt auszulösen.
Bedeutsamer als das klassiche Konditionieren ist jedoch das Lernen am Erfolg, denn ein Verhalten, das mehrmals zum Erfolg führt, wird beibehalten und bei passender Gelegenheit wiederholt.
Besondere Bedeutung kommt dem Lernen am Modell zu, denn durch das Beobachten von Modellen, die sich aggressiv verhalten, können vor allem Kinder genau dieses Verhalten lernen. Manche Eltern, manche Erzieher sind aggressiv, und alle Massenmedien bieten eine Vielfalt aggressiver Modelle an. Das Risiko ist daher groß, dass noch ungefestigte Menschen die vorgeführten Aggressionen als Mittel zu Problemlösungen "erkennen" und bei Bedarf einsetzen (bei gefestigten, reflexiven Persönlichkeiten können aggressive Modelle eher einen Bumerangeffekt bewirken).
Es geht beim Lernen am Modell jedoch insgesamt weniger um Imitation als darum, dass erfolgreiche aggressive Modelle allmählich Einstellungen verändern, Gefühle gegen Gewalt abstumpfen lassen, bei anderen aber auch Ängste vor Gewalt erhöhen. Entgegen den Annahmen der Katharsishypothese befreit das Beobachten von Gewalt nicht von eigenen Aggressionsneigungen. Besonders fatal wird der Konsum von Mediengewalt für solche Kinder, die in ihrer Familie auch reale Gewalt erfahren. Diese doppelte Dosis von Gewalterleben steigert die Wahrscheinlichkeit abweichender Entwicklungen bis hin zur Kriminalität.
Nach lernpsychologischer Sichtweise werden Aggressionen, wie jedes andere Verhalten auch, gelernt. Es gibt demnach keine Triebe und auch keine spezifischen Auslöser, die Aggressionen hervorrufen, sondern es handelt sich laut Bandura um Lernprozesse. Zur Erklärung können dieselben Lernprinzipien herangezogen werden, die auch für das Erlernen anderer sozialer Verhaltensweisen gelten. Für das Erlernen von Aggressionen spielen daher sowohl Verstärker als auch die klassischen Konditionierungskonzepte (Signallernen, operante und instrumentelle Konditionierung) eine große Rolle:
- Positive Verstärkung: Mit Aggression wird ein Ziel, z.B. Anerkennung erreicht.
- Negative Verstärkung: Ein bedrohliches Verhalten wird durch aggressives Verhalten erfolgreich verringert beziehungsweise beseitigt.
- Selbstverstärkung: Wenn aggressives Verhalten von Kindern geduldet wird, wirkt die "stillschweigende Zustimmung " verstärkend.
Ausgehend von Albert Banduras klassischem Ansatz des Modelllernens, das sich am klassischen (Pawlow) und operanten (Skinner) Konditionieren orientiert, haben zahlreiche andere Autoren versucht, weitere differenzierte Modelle zur Erklärung des Erlernens aggressiven Verhaltens zu entwickeln.
Wenn man auch den lernpsychologischen Standpunkte vertritt, kann man weder relevante angeborene Faktoren (z.B. die größere Kraft beim männlichen Geschlecht, die physische Aggressionen begünstigt) noch gesellschaftliche Einflüsse vernachlässigen. Psychologische Theorien allein können nicht alle Aggressionen hinreichend erklären. Sie können nur einen bescheidenen Beitrag leisten, wenn es z.B. gilt, Krieg und Frieden (Friedensforschung) zu analysieren,
Siehe dazu im Detail Lernen am Modell
Rowell Huesmanns soziale Entwicklungstheorie
Rowell Huesmanns soziale Entwicklungstheorie geht davon aus, dass soziales Verhalten zu einem großen Teil durch Programme kontrolliert wird, die schon während der frühen Entwicklung eines Menschen gelernt werden. Bei der Beobachtung des Verhaltens anderer Personen enkodiert das Kind die Ereignissequenzen in Skripts. Solche Skripts umfassen die in der Umwelt auftretenden Ereignisse, die Verhaltensweisen, mit denen auf diese Ereignisse reagiert werden soll, sowie die wahrscheinlichen Ergebnisse dieses Verhaltens und werden aus dem Gedächtnis abgerufen, wenn die aktuelle Situation den Bedingungen gleicht, unter denen das Skript ursprünglich enkodiert wurde. Nachdem das Skript abgerufen wurde, evaluiert das Kind die Angemessenheit dieses Verhaltens aufgrund von internalisierten Normen und antizipierten Konsequenzen und handelt dementsprechend, worauf es dann für seine Reaktion entweder belohnt oder bestraft wird (enaktives Lernen). Ein Kind, das während der Sozialisation keine Normen internalisiert hat, die aggressivem Verhalten widersprechen, oder glaubt es sei normal sich so zu verhalten, wird sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit aggressiv verhalten (Eron 1994).
Durch die beiden Prozesse des Modellernens und des enaktiven Lernens wird einerseits die Struktur der gespeicherten Skripten modifiziert, andererseits nimmt die Stärke der Enkodierung eines Skripts und dessen Verflechtung mit anderen kognitiven Schemata zu. Skripten die durch die Generierung positiver Konsequenzen während ihrer Erprobung im Verhaltensrepertoire des Kindes verbleiben, werden immer resistenter gegen Modifikationen (Huesmann & Miller 1994). Nach dieser Theorie entwickeln Kinder, die aggressiven Episoden in den Medien (Fernsehen, Kino, Computerspiele) ausgesetzt werden, Skripts, die in den entsprechenden Situationen aggressive Reaktionen vorsehen. Wenn das Kind keine sozialen Normen internalisiert hat, die solchen Verhaltensweisen widersprechen, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass es sich auch in der Realität aggressiv verhält.
Berkowitz' kognitive Neoassoziationstheorie
Nach Leonard Berkowitz (1994) können emotionale Zustände als assoziatives Netzwerk beschrieben werden, in welchem spezifische Gefühle, physiologische Prozesse, motorische Reaktionen, Gedanken und Erinnerungen miteinander verknüpft sind. Aversive Ereignisse führen laut Berkowitz zu negativem Affekt, der seinerseits entweder Kampf- oder Fluchttendenzen auslöst. Werden die aggressionsbezogenen Tendenzen aktiviert, breitet sich die Aktivierung über die Verknüpfungen im Netzwerk aus und führt zu einem Priming der entsprechenden Knoten. Mit diesem Ansatz kann somit auch aggressives Verhalten erklärt werden, das gar nie verstärkt wurde oder in keinem erkennbaren Zusammenhang mit Handlungen des Opfers steht, z.B. erhöhte Aggressivität bei unangenehm hohen oder tiefen Temperaturen.
Diese Theorie sagt also voraus, dass das Betrachten aggressiver Szenen in den Medien und in der Realität zu einer Aktivierung aggressiver Gedanken, Gefühle und gewalttätiger Verhaltenstendenzen führt und somit - zumindest kurzfristig - die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens erhöht.
Psychoanalytische Aggressionstheorien (Freud, Adler)
Ursprünglich wurde von Sigmund Freud der Versuch unternommen, die menschliche Aggressivität auf einen biologisch verankerten Trieb zurückzuführen. Freud entwickelte 1920 sein dualistisches Modell, bei dem sich Destrudo (Todestrieb) und Eros (Lebenstrieb) als Urtriebe gegenüberstehen. Nach Freud entsteht menschliches Verhalten durch das Zusammenspiel dieser beiden Triebstrebungen. Das Ziel des Todestriebes besteht darin, das Lebendige zum Tode zu führen. Normalerweise erreicht der "Thanatos" sein Ziel nicht so einfach, da sein Gegenspieler "Eros" ihn unschädlich macht, indem er ihn gegen Objekte in der Lebenswelt richtet. Unsere Aggressionen gegen die Außenwelt sind aber in der Regel nicht so stark, wofür kulturelle Zwänge verantwortlich sind, die die Instanz "Über- Ich", unser inneres Gewissen überwacht. Dadurch wird ein Ausleben der Aggressionsneigungen verhindert, was zu ihrer Sublimierung führt. Aggressionen werden demnach nach innen, gegen sich selbst gerichtet. Im "Thanatos" liegt eine ständig treibende Kraft, welche Spannung erzeugt, und die wieder abgebaut werden muß. Die einzige Möglichkeit, diese Energie zu kanalisieren, besteht daher im Versuch, die aggressiven Strebungen in moralisch annehmbare Formen zu verwandeln und sie so auf kulturell akzeptable Weise abzuleiten. Als Hilfsmittel für den Umgang mit Aggressionen nennt Freud Abwehrmechanismen wie Sublimierung, Projektion, Verschiebung oder Hemmung. In Form des Dampfkesselprinzips werden aggressive Impulse natürlicherweise permanent innerlich erzeugt, stauen sich auf und drängen nach Entladung. Dies könne auch über Ersatzhandlungen ablaufen.
Alfred Adler betrachtet Aggression als einen Trieb oder Instinkt zum Kämpfen, der auf einer allgemein biologischen Grundlage alle Bereiche motorischen Verhaltens beherrscht. Im Gegensatz zu Freud, der den Aggressionsinstinkt der "Libido", dem Lustprinzip zuschreibt, bedeutet er für Adler eine zentrale Rolle innerhalb der individuell- dynamischen Prozesse. Wird dieser Aggressionstrieb durch Einflüsse der Umwelt unterdrückt, entsteht beim Individuum Angst. Beim durchschnittlichen Menschen zeigt sich, laut Adler, dieser Aggressionsinstinkt meistens in veränderter Form, beispielsweise als Sport, aber auch, nach kultureller Transformation, als Hilfsbereitschaft oder Altruismus. In späteren Theorien Adlers kommt der Aggression nur mehr eine untergeordnete Stellung zu. Sie wird nicht mehr als rein biologischer Instinkt betrachtet. Adler versteht nun vielmehr darunter eine teilweise bewußte teilweise unbewußte Tendenz zur Bewältigung alltäglicher Schwierigkeiten und Konflikte. Dadurch erhält Aggression in Adlers Theorie rein reaktiven und instrumentellen Charakter.
Aggressionsminderung durch Katharsis
Die Katharsis-Theorie geht davon aus, dass beobachtete Gewaltdarstellungen etwa in Medien die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens vermindern. Die Katharsis-Theorie ist keine eigenständig entwickelte Theorie, sondern greift auf das psychoanalytische Triebmodell der Aggression zurück.
Freud legte 1920 in "Jenseits des Lustprinzips" eine völlig neue dualistische Triebtheorie vor, die besagt, dass es destruktive, vor allem auch selbstzerstörerische Handlungen als Phänomene eines Todestriebes gibt. Dieser Todes- oder Destruktionstrieb liegt nach Freud in einem immerwährenden Widerstreit mit der Libido, der sexuellen Triebkraft des Menschen. Das Zusammen- und Gegeneinanderwirken dieser beiden Triebe führt nach Freuds Ansicht zum dynamischen Bild des menschlichen Lebens. Nach dieser Vorstellung müßte aggressives Verhalten also zu einer Reduktion der Intensität aggressiver Gefühle und Handlungen führen. Somit könnte die natürliche Aggression eines Menschen durch symbolische Handlungen auf sozial verträgliche Weise abgebaut werden. Empirische Befunde zeigen aber mehrheitlich, dass reales aggressives Verhalten nicht zu einer Katharsis führt, sondern die Wahrscheinlichkeit aggressiven eher Verhaltens erhöht, was für die kognitiven und lerntheoretischen Ansätze spricht (Mummendey, 1996).
Die Katharsisthese, die sich bis auf Aristoteles zurückführen läßt, findet ihre zweite Quelle in der von Josef Breuer und Sigmund Freud entwickelten expressiven Psychotherapie oder Katharsistherapie, in der die Hypnose dazu verwendet wurde, den Widerstand gegen das Auftreten des Verdrängten zu überwinden und dadurch das Abreagieren unterdrückter Affekte zu ermöglichen. Anhänger der Katharsisthese, die zumeist von der Existenz eines angeborenen Aggressiontriebes ausgehen, behaupten, durch das dynamische Mitvollziehen von an fiktiven Modellen beobachteten Gewaltakten in der Phantasie werde die Bereitschaft des Rezipienten abnehmen, selbst aggressives Verhalten zu zeigen (Postulat der funktionalen Äquivalenz der Aggressionsformen).
Von der Katharsisthese gibt es mehrere Varianten.
- Zuerst wurde behauptet, jede Form der Phantasieaggression habe kathartische Effekte.
- Dann wurde argumentiert, ein in der Phantasie erfolgendes Mitvollziehen aggressiver Akte reduziere nur dann Aggression, wenn der Rezipient emotional erregt oder selbst zur Aggression geneigt sei.
- Eine dritte Variante legt das Schwergewicht auf inhaltliche Aspekte und postuliert das Auftreten kathartischer Effekte, wenn Schmerzen und Verletzungen des oder der Aggressionsopfer(s) in aller Ausführlichkeit gezeigt würden.
Alle drei Formen der Katharsisthese können als empirisch widerlegt betrachtet werden. Eine durch das Ansehen violenter Medieninhalte bewirkte Aggressivitätsminderung auf Grund des Abfließens des Aggressionstriebs erfolgt nicht. Inzwischen ist auch Seymour Feshbach (1989, S. 71), der die Katharsisthese lange Zeit vertreten hat, von seiner Position abgewichen und wertet die vorliegenden Befunde neu: "Die Ergebnisse zeigen mir, dass die Bedingungen, unter denen eine Katharsis auftreten kann, nicht alltäglich sind, während die aggressionsfördernden Bedingungen sehr viel häufiger vorkommen."
Allerdings stellte Jürgen Grimm (1996) in einer 1993/94 durchgeführten Studie fest, dass der Konsum von Spielfilmgewalt zumindest kurzfristig eine Aggressionsminderung bewirken kann. Die reaktive Aggressivität seiner Probanden, d. h. die Neigung, in verschiedenen sozialen Situationen selbst mit Gewalt zu reagieren, war nach dem Filmerlebnis vermindert. Dieser Befund steht jedoch vollkommen isoliert da. Zudem stellte Grimm außerdem eine Stimulation von Aggressionsangst durch die Thematisierung von Gewalt fest. Die Aggressionsreduktion kann daher auch mit Hilfe der Inhibitionsthese erklärt werden, derzufolge beim Rezipienten durch die Beobachtung gewalttätiger Verhaltensweisen Aggressionsangst ausgelöst wird, die die Bereitschaft vermindert, selbst aggressiv zu handeln.
Unter Verwendung von
Kunczik, Michael & Zipfel, Astrid (o.J.). Wirkungen von Gewaltdarstellungen.
WWW: http://www.medienpaedagogik-online.de/mf/4/00677/ (05-11-21)
Literatur:
Feshbach, S. (1989). Fernsehen und antisoziales Verhalten. Perspektiven für Forschung und Gesellschaft. In Groebel, J. & Winterhoff-Spurk, P. (Hrsg.), Empirische Medienpsychologie. München.
Grimm, J. (1996). Das Verhältnis von Medien und Gewalt - oder welchen Einfluß hat das Fernsehen auf Jugendliche und Erwachsene? In Bundesminister des Innern (Hrsg.), Medien und Gewalt. Bonn.
Mummendey, A. (1996). Aggressives Verhalten. In: W. Stroebe, M. Hewstone & G. M. Stevenson (Hrsg.), Sozialpsychologie. Eine Einführung (S. 421-452). Berlin: Springer.
Ethologisches Instinktkonzept (Lorenz)
In Konrad Lorenz' Trieblehre gibt es vier bedeutende Triebe, darunter den Aggressionstrieb, der mehrere biologische Funktionen erfüllt. Nach Lorenz gilt weder tierische noch menschliche Aggression reaktiv. Aggressionen werden nicht zu jedem Zeitpunkt geäußert, sondern sie haben arterhaltende Funktion und sollen, in Form von Flucht oder Angriff, in erster Linie das Überleben sichern. Lorenz definiert Aggression als den den auf den Artgenossen gerichteten Kampftrieb von Tier und Mensch, wodurch er zwischenartliche Auseinandersetzungen explizit ausschließt. Auch spricht Lorenz davon, dass sich die Aggressionsenergie ständig neu nachbildet, und nach Abfuhr drängt, die von auslösenden Reizen stark abhängt. Sollten solche Reize zu lange ausbleiben, kann es zu sogenannten "Leerlaufhandlungen" kommen; die Aggressionen laufen auch ohne spezifischen äußeren Reiz ab. Wie populär dieses "Dampfkesselmodell" ist, zeigt sich in Redewendungen wie "Der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt", "Dampf ablassen" oder "Mir platzt gleich der Kragen".
Lorenz, der viel mit Tierversuchen experimentierte, führt einen folgenschweren Analogieschluß durch, indem er sein an Tieren (hauptsächlich Graugänsen) beobachtetes Verhalten einfach linear auf den Menschen überträgt. Beim Menschen soll sich der Aggressionstrieb besonders verhängnisvoll auswirken, da ihm die neuzeitliche Zivilisation kaum sinnvolle Entladungsmöglichkeiten biete. In der Folge entstünden beim Menschen Störungen in der physischen wie auch psychischen Gesundheit. Lorenz schlägt zur Regulierung des Aggressionstriebes vor, die Energie auf Ersatzhandlungen umzuleiten.
Neueste Forschungen zeigen, dass die emotionalen Seiten der Persönlichkeit wie etwa Aggression wohl ontogenetisch entstehen, also in der Individualgeschichte. Zwar haben sie einen genetischem Hintergrund, allerdings ist nicht die Art, sondern das Individuum die Einheit der Selektion. Siehe dazu Vögel mit Persönlichkeit
Lorenz, Konrad (1983). Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
Frustrations- Aggressionstheorie (Dollard)
Im Gegensatz zu den Triebtheorien versuchten Dollard und seine Mitarbeiter (Doob, Miller, Mowrer und Sears) die im psychoanalytischen Konzept enthaltenen dynamischen Eigenschaften ohne die verschwommene und unnötige Annahme eines Aggressionstriebes zu erhalten. Sie nahmen auch keinerlei Bezug auf einen inneren, emotionalen Zustand des Individuums. Frustration wurde lediglich als äußerer Terminus eines Reizes, nämlich der Behinderung von Zielreaktionen betrachtet, was hinsichtlich der Mehrdeutigkeit und Unfassbarkeit menschlichen Verhaltens wohl eher unzulänglich ist. Die von Dollard entwickelte Theorie besagt in ihrer strengsten Form:
- Frustration führt in jedem Fall zu irgendeiner Form von Aggression.
- Das Auftreten von Aggression setzt in jedem Fall eine vorhergegangene Frustration voraus.
Frustrationen erhöhen den Erregungszustand eines Menschen, was sich physiologisch gut nachweisen lässt. Dieser Erregungszustand kann unter anderem durch aggressives Verhalten in den Normalbereich zurückgeführt werden, sodass subjektiv eine spürbare Erleichterung eintritt. Das hat nach den Gesetzen des Lernens zur Folge, dass in ähnlichen Situationen entsprechende Reaktionen wiederholt werden, um diesen Zustand der Erleichterung wieder zu errreichen. Experimente haben aber auch ergeben, dass der durch die Frustration entstehende Erregungszustand auch anders Verhaltensweisen, etwa durch Gespräche oder Lachen abgebaut werden kann. Eine Erregung, auch wenn sie als Wut erlebt wird, führt nur dann zu einer Aggression, wenn ein besonderes Objekt oder ein Sachverhalt vorhanden sind, welche durch besondere Reize die Aggression provozieren.
Als Frustration gilt in diesem Erklärungsmodell die Störung einer bestehenden zielgerichteten Aktivität, und Aggression wird als Verhaltenssequenz verstanden, die auf eine Verletzung einer Person oder eines Organismussurrogats (Ersatzobjekt) abzielt. In einer späteren Weiterentwicklung wurde auf eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen offener Aggression und dem Anreiz zur Aggression (instigation to aggression) besonderes Augenmerk gelegt. Daher heißt es hier: Frustration schafft Anreize zu irgendeiner Form von Aggression. Es kommt daher nach diesem erweiterten Konzept nur dann zur Aggression, wenn der durch Frustration erlangte Reiz zur Aggression in der Hierarchie der unterschiedlichen Reize an oberster Stelle steht. Stehen andere Reize dieser Hierarchie an oberster Stelle, so wird Aggression zumindest zeitweilig verhindert und durch andere Verhaltensweisen ersetzt. Daraus geht hervor, dass je mehr nicht- aggressive Reaktionen durch lang andauernde Frustrationen gelöscht werden, es wahrscheinlicher wird, dass die Möglichkeit einer aggressiven Verhaltensweise immer stärker ist.
Aus pädagogisch-psychologischer und aus soziologischer Sicht ist von Bedeutung, dass aggressives Verhalten stets das Ergebnis eines Lern- und Sozialisationsprozesses darstellt. Aggressionen werden, wie fast alle komplizierten menschlichen Verhaltensweisen, erlernt (z.B. durch Verstärkung aggressiver Verhaltensweisen oder Lernen am Modell). So kann ein Kind z. B. lernen, dass aggressives Verhalten häufig zum Erfolg führt oder das aggressive Modell einer Erziehungsperson zeigt dem Kind eine derartige Verhaltensweise. Aggressive Handlungen, die in einem Spiel zum Erfolg führten, werden mit größerer Wahrscheinlichtkeit erneut auftreten. Schon Kinder werden häufig zu aggressiven Handlungen im Sport angeleitet, um etwa den Erfolg einer Mannschaft zu erhöhen, sodass z.B. ein Fußballspieler sehr schnell, dass "hartes Einsteigen" lernt, wenn er damit erfolgreich sein kann. Die Bekräftigung, die im Zurückweichen des Gegners oder im Lob des Trainers aber auch der Zustimmung durch Zuschauer zum Ausdruck kommt, verstärkt die aggressiven Verhaltensweisen.
Behandlung von Aggressionen durch eine Gehirn Computer Schnittstelle
In den 60er Jahren versuchte der Physiologe José Manuel Rodriguez Delgado in Experimenten an Affen und anderen Tieren zu zeigen, dass sich mit gezielt platzierten Elektroden im Gehirn starke emotionale Zustände wie Aversionen aber auch starke Glücksgefühle hervorrufen lassen. Unter dem Eindruck des Spanischen Bürgerkriegs beschäftigt Delgado vor allem, ob und wie sich aggressives Verhalten beeinflussen lässt. Er glaubte damit eine Methode gefunden zu haben, die er öffentlichkeitswirksam an einem Kampfstier demonstrierte. Jose Delgado stand dabei in einer Arena einem Stier gegenüber, hält in der Hand eine Art Fernbedienung, mit der er das Verhalten durch elektrische Stimulation fernsteuern konnte. Er sah in der elektrischen Hirnstimulation großes Potential für die Therapie neurologischer Krankheiten wie Epilepsie, Schizophrenie oder Depression, denn er hoffte, das Gehirn durch wiederholtes Ausschalten einer unerwünschten Verhaltensweise dazu bringen zu können, umzulernen und das Fehlverhalten abzulegen. Delgado war damit der erste, der eine Gehirn-Computer-Schnittstelle benutzte, um die Gehirnaktivität eines Schimpansen durch eine Art Neurofeedback zu modulieren, wobei mit einer abgewandelten Form dieser Methode heute bestimmte Formen der Epilepsie behandelt werden. Per Elektrostimulation brachte Delgado aber nicht nur einen Stier dazu, mitten im Angriffs zu stoppen, sondern er wollte diese Technik auch als Zivilisationsmittel einsetzen, um unliebsames Sozialverhalten der Menschen per Fernsteuerung auszuschalten.Gehirnmarker für Aggression: P3
Eine Studie von Petersen et al. (2018) soll übrigens Marker im Gehirn identifiziert haben, der mit Aggressionen bei Kleinkindern in Zusammenhang steht. Kinder, die über kleinere Ausschläge bei den Gehirnwellen P3 verfügen, wenn sie mit einer veränderten Situation konfrontiert werden, sind angeblich aggressiver als jene mit größeren Spitzen. Die P3-Welle gehört zu einer ganzen Reihe von Gehirnwellen, die entstehen, wenn eine Menschen Veränderungen in der Umwelt bewerten und entsprechend auf sie reagieren, etwa auch bei veränderten Signale in einer sozialen Interaktion. Sobald dargebotenen Reize mit einer Aufgabe verknüpft und dadurch relevant werden, lösen sie eine P300-Reaktion aus, wobei diese im Allgemeinen aus zwei Komponenten, die sich überlagern können, besteht: aus der P3a und der P3b. Die P3a, mit größter Amplitude fronto-zentral an der Scheitellinie, kann von seltenen Reizen ausgelöst werden, die eigentlich ignoriert werden sollen und sind vermutlich Ausdruck einer Orientierungsreaktion. Ähnliche P3a-artige Potentiale werden von neuartigen, in der Aufgabe undefinierten Reizen ausgelöst und von seltenen Reizen, auf die man ausdrücklich nicht reagieren soll. Studien hatten gezeigt, dass Menschen, die mit geringeren Ausschlägen dieser Wellen auf Veränderungen der Umwelt reagieren, dazu neigen, aggressiver zu sein.Man hält daher P3 bei Aggressionen für einen Schlüsselindikator, der gleichzeitig aber auch mit Depressionen und Schizophrenie in Verbindung steht. Mit dieser Methode möchte man frühzeitig Kinder identifizieren, bei denen das Risiko eines aggressiven Verhaltens besteht.
Literatur
Bandura, A. (1979). Sozial-kognitive Lerntheorie. Stuttgart: Klett-Cotta.
Delgado, José M. R. (1971). Gehirnschrittmacher: Direktinformation durch Elektroden. Frankfurt, Berlin: Ullstein.
Dollard, J., Doob, L.W., Miller, N.E., Mowrer, O.H. & Sears, R.R. (1939). Frustration and Aggression. New Haven: Yale University-Press.
Freud, S. (1920). Jenseits des Lustprinzips. Gesammelte Werke, Bd. XIII. London: Imago Press.
Lorenz, K. (1963). Das sogenannte Böse. Wien: Borotha-Schoeler.
Nolting, H.P. (1978). Lernfall Aggression. Reinbek: Rowohlt.
Petermann, F. & Petermann,U. (1978). Training mit aggressiven Kindern. München: Urban & Schwarzenberg.
Petersen, I. T., Hoyniak, C. P., Bates, J. E., Staples, A. D., & Molfese, D. L. (2018). A longitudinal, within-person investigation of the association between the P3 ERP component and externalizing behavior problems in young children. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 59, 1044-1051.
Schwind, H.-D. & Baumann, J. (Hrsg.).(1990). Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt. Berlin: Duncker & Humblot.
Selg, H., Mees, U. & Berg, D. (1997). Psychologie der Aggressivität (2., überarb. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
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