Das Lernen an der Universität
Selbständig und systematisch zu lernen ist eine grundlegende Anforderung des Studiums. Im Unterschied zur Schule, in der Lehrer, Schulbücher und Lehrplan weitgehend die Organisation und Steuerung der Lernaktivitäten übernommen haben und in der der Schüler/die Schülerin zu einer relativ geschlossenen, überschaubaren Lerngruppe gehört, sind die Studierenden an der Universität in sehr hohem Maß auf sich selbst gestellt. Dies beginnt bei der Auswahl der einzelnen Lehrveranstaltungen, der Bestimmung des zu bearbeitenden Lernstoffes, der Entwicklung wissenschaftlicher Arbeitstechniken und der Organisation des Lernens.
Je nach der Strukturiertheit des gewählten Studienfaches kann man dabei einem mehr oder weniger vorgegebenen Weg folgen oder muß sich erstmals damit beschäftigen, welche Wege einem überhaupt zur Verfügung stehen und welche man gehen möchte. Gleichgültig ob es sich um einen hoch- oder niedrigstrukturieren Studiengang handelt, es geht im Endeffekt immer darum, eine gute Balance zwischen Struktur (Studien- und Semesterplanung, Wochen- und Tagesablauf) und Freiraum (spontanen Aktiviäten, z.B. Pausen, Leute treffen, Ausgehen etc.) zu finden. Sowohl zu wenig wie auch zu viel Struktur kann zu Schwierigkeiten führen: im Extrem verliert man sich entweder in einem chaotischen Lebenswandel oder fühlt sich in seiner Planung total eingesperrt.
Die Fähigkeit, sowohl den anstehenden Anforderungen als auch den eigenen Interessen und Neigungen gerecht zu werden, muß erlernt, immer wieder aufs neue erprobt und auf die jeweilige Situation abgestimmt werden. So erfordern Prüfungsvorbereitungszeiten beispielsweise mehr Struktur, während es in der vorlesungsfreien Zeit auch wichtig ist, einmal unbeschwert locker lassen zu können.
Insgesamt geht es darum, einen eigenen Arbeits- und Lernstil zu finden. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Bedingungen der "Massenuniversität" dies nicht gerade erleichtern. Zum Teil übervolle Hörsäle, Distanz zu den Lehrenden, begrenzte persönliche Anleitung, wenig Rückmeldung über Lernfortschritte und nur ein loser Bezug zu den anderen Studierenden können das Studieren zu einer schwierigen Aufgabe machen und bewirken, dass man sich im Studium leicht verliert.
Eine Studie von Foerst et al. (2017) zeigte auch, dass viele StudentInnen zwar gute und richtige Lernstrategien kennen, diese aber in der Praxis nicht anwenden. StudentInnen werden an der Universität mit einem ganz anderen Lernumfeld konfrontiert als in der Schule, d. h., sie sollten autonom arbeiten und sich selbst organisieren, wozu Kompetenzen notwendig sind, die man als selbstreguliertes Lernen bezeichnet. Dabei geht es darum, sich Lernziele zu setzen, den Lernprozess zu planen und zu strukturieren, sich die entsprechenden Ressourcen zu suchen, seinen Fortschritt zu überwachen, sich zu motivieren und die entsprechenden Ergebnisse zu bewerten. Selbstreguliertes Lernen erfordert demnach viele verschiedene Lernstrategien wie etwa das Planen der Herangehensweise, das Strukturieren des Lerninhalts, Belohnungen nach der Erreichung eines Ziels oder das Stellen realistischer Ansprüchen zur Vermeidung von Frustration. Nach Foerst et al. (2017) kennen die meisten Studenten viele Lernstrategien, allerdings wenden viele ihr Wissen nicht praktisch an, denn auch wenn sie eine Strategie als für sie nützlich eingeschätzen, wenden sie diese nicht für ihr eigenes Lernen an. Als Gründe nennen sie unter anderem Zeitmangel und die Nutzlosigkeit in der konkreten Situation bzw. dass sie die Anwendung dieser Lerntechniken als zu mühsam empfinden.
Wichtig ist zu sehen, dass viele Studierende unter diesen Schwierigkeiten leiden, dies also kein individuelles Problem darstellt, und dass sich dagegen etwas tun läßt.
Vor Lernbeginn sollte man einige Gedanken darauf verwenden, welcher Lernzugang für welchen Lerninhalt angemessen ist (nach Kugemann o.J.):
- Welche Art der Reproduktion ist notwendig oder wenigstens zu erwarten?
Beispiel Skifahren: gut über die Piste zu kommen oder eine Abhandlung darüber schreiben oder nur beim Apres-Ski sachverständig mitreden.
Beispiel Studium: eine mündliche Prüfung oder eine schriftliche Klausur oder eine praktische Leistungsprobe wie ein Experiment? - Welcher Lernzugang ist vorgesehen bzw. möglich?
- Wie ist folglich die Zugangs-Wiedergabe-Beziehung? (Unmittelbar, intermodal). Welcher Aufwand ist damit allgemein verbunden?
- Wie groß ist die Vertrautheit mit Umsetzungen dieser Art? Wie groß ist die Vertrautheit mit dem vorgesehenen Lernzugang? (Kenntnis und Übung der dort verwendeten Codes, Umfang des Erfahrungsschatzes auf diesem Gebiet)
- Wie groß ist die Anschaulichkeit des vorgesehenen Lernzuganges? (Maximal bei aktivem Handeln in Realsituationen, sinkt mit wachsender Abstraktion kontinuierlich bis zu einem Minimum bei rein begrifflich verankerten Zeichensystemen, z.B. logischen Symbolen; außerdem individuell unterschiedlich, abhängig vom Ausmaß an Erfahrungen, die mit den benutzten Abstraktionen verknüpft sind).
- Wie flexibel ist der vorgesehene Lernzugang? (In welchem Ausmaß kann der Lernende die Zeitpunkte von Beginn und Ende und die Ablaufgeschwindigkeit bestimmen, Inhalte auswählen, die Reihenfolge ändern, Teile wiederholen bzw. überspringen).
Für eine bestimmte Problemstellung ist der Lernzugang optimal, bei dem die Relation von Aufwand zu Nutzen am günstigsten ist. Die Punkte 3 und 4 beeinflussen dabei den Aufwand, die Punkte 5 und 6 den Nutzen. Da die Aufwandpunkte 3 und 4, aber auch die Nutzungspunkte 5 und 6 von der individuellen Lerngeschichte und Lebenssituation abhängen, ist einleuchtend, dass der ideale Lernzugang für einen bestimmten Inhalt nicht allgemein verbindlich festgelegt werden kann.
Checkliste
Die folgende Checkliste kann erste Anregungen geben, den eigenen Arbeits- und Lernstil zu reflektieren und weiter zu entwickeln
- Aktivierungsniveau: Ist mein Aktivierungsniveau (müde, entspannt, angeregt, aufgeregt) dem jeweiligen Lernstoff angepasst? Kenne und nutze ich Möglichkeiten der Kurzentspannung, um ein gutes Aktivierungsniveau herzustellen? Einfache Rituale helfen bei der Aktivierungssteuerung.
- Arbeitsplan: Habe ich einen erstellt? Gibt er mir die Sicherheit, dass ich sowohl meine kurz- wie längerfristigen Ziele erreichen kann? Habe ich sogenannte "Jokertage" eingeplant, d.h. Tage, die zwar terminlich aber nicht inhaltlich festgelegt sind und mir so einen gewissen Spielraum geben, das eine oder andere zu vertiefen?
- Arbeitsplatz: Bibliothek? Zu Hause? Machmal auch im Freien? Was ist ein guter Platz für mich? Wie kann ich Störfaktoren ausschalten? Arbeitszeit: Kenne ich meine guten Arbeitszeiten und richte ich mich auch danach? Berücksichtige ich das Nachlassen der Leistungsfähigkeit nach längeren Arbeitsphasen und zu bestimmten Tageszeiten (vorallem am frühen Nachmittag und am späten Abend)? Fördert mein Arbeitsplatz mein Lernen?
- Bewegung: Verschaffe ich mir genügend körperliche Bewegung - sei sie mehr oder weniger sportlich, zum Ausgleich oder zur Entspannung? Behalte ich diese gerade auch in Stresszeiten bei?
- Ernährung: Weiß, ich welche Nahrungsmittel mir gut tun? Esse ich ausgewogen und gesund? Gehe ich behutsam mit Alkohol, Kaffee und Nikotin um?
- Freizeit: Plane ich genügend Erholungsphasen ein? Erlaube ich mir dabei, richtig abzuschalten? Gedächtnis: Habe ich eine Vorstellung davon, wie das menschliche Gedächtnis funktioniert? Berücksichtige ich dieses Wissen beim Lernen?
- Gruppenarbeiten: Nutze ich die Vorteile von Arbeitsgruppen, wie gemeinsames Erarbeiten von Themen, klären und diskutieren von Sachverhalten, sich gegenseitig abhören? Motiviert mich die Zugehörigkeit zu einer Gruppe bei der Einzelarbeit?
- Konzentration: Habe ich realistische Vorstellungen von meinem Lernvermögen?
- Kann ich Belastendes für eine Weile auf die Seite stellen?
- Lernkanäle: Nehme ich den Lernstoff über unterschiedliche Eingangskanäle (sehen, hören, handeln) auf?
- Lernziele kennen: Ist mir die Bedeutung des Lernstoffes einsichtig?
- Weiß ich, was ich zur Zeit lernen will?
- Habe ich mir klare und erreichbare Zwischenziele gesetzt?
- Lesetechniken: Wende ich spezielle Lesetechniken für wissenschaftliche Literatur an, um die Arbeitseffektivität zu erhöhen?
- Pausen: Plane ich kleine und große Pausen ein? Halte ich Pausenanfang und Pausenende ein?
- Selbstverstärkung: Plane ich meine Arbeitseinheiten so, dass ich ein Bewusstsein für mein Vorwärtskommen und die dabei erzielten Erfolge bekomme? Spreche ich mit mir selbst in einer anerkennenden und aufmunternden Weise? Stelle ich mir kurz- und langfristig für meine Bemühungen etwas Schönes in Aussicht (kleine Belohnungen, Feierabend, Ferien). Beende ich eine längere Arbeitsphase mit einem positivem Lernerfolg?
- Vermeidungsverhalten: Bin ich mir darüber im klaren, durch welche Aktivitäten ich mich der Arbeit entziehe? Welchen kurzfristigen Gewinn verschaffe ich mir durch mein Vermeidungsverhalten und welche langfristigen Nachteile entstehen daraus?
- Warmlaufphasen: Berücksichtige ich, dass man zum Lernbeginn eine Anlaufsphase benötigt? Fange ich mit leichten Arbeiten an? Verschaffe ich mir einen Überblick über den Stoff der Lerneinheit?
- Wiederholung: Wiederhole ich den Lernstoff in jeweils zeitlich größer werdenden Abständen?
- Wissenschaftliches Arbeiten: Habe ich mir die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens angeeignet? Was brauche ich noch, um mich sicher zu fühlen?
- Wochenplan: Gehe ich beim Erstellen eines Wochenplans vom Ist-Zustand aus oder lasse ich mich von einem ehernen, aber für mich unerreichbaren, Ideal leiten? Habe ich dabei auch Zeit für Alltägliches wie z.Bsp. Einkaufen oder Unvorgesehenes, z.B. Zahnarztbesuch oder defektes Fahrrad vorgesehen? Habe ich Freizeit und freie Tage eingeplant? Bietet der Wochenplan mir einen guten Rahmen für alle meine Aktivitäten? Habe ich ein gutes Gefühl, wenn ich meinen Wochenplan betrachte?
- Was kann weiterhelfen? Weitere Möglichkeiten, sich vertieft mit dem Thema Lernen zu beschäftigen, geben die Einführungsveranstaltungen an den jeweiligen Instituten sowie der Besuch von speziellen Kursen zum Thema Lernen wie z.B. "Lernen lernen" und "Umgang mit Lernschwierigkeiten und Prüfung", die von der Zentralen Studentenberatung angeboten werden. Auch die Volkshochschule hat u.a. ein vielfältiges Kursangebot. Last not least kann es sich auch lohnen, den einen oder anderen "Lernratgeber" durchzuarbeiten.
Lernen in der Uni-Bibliothek
Dass man übrigens in einer Bibliothek besonders gut lernen kann rührt daher, dass es sich um ein Ambiente mit arbeitsamen Gästen handelt. In einer Studie von Desender et al. (2016) wurde experimentell nachgewiesen, dass wenn man neben einem Menschen arbeitet, der sich voll auf eine Aufgabe konzentriert, dass man dann selbeer mit mehr Einsatz bei seiner eigenen Arbeit ist. In der Studie saßen jeweils zwei Teilnehmer nebeneinander und absolvierten Reaktionstests unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades. Wenn dabei Person A an einem sehr schweren Test arbeitete, strengte sich dann auch Person B bei seiner nur mittelschweren Aufgabe ebenfalls mehr an. Es wirkt daher ansteckend, wenn sich andere Menschen in der Umgebung geistig anstrengen.
Literatur
Desender, K., Beurms, S. & Van den Bussche, E. (2016). Is mental effort exertion contagious? Psychonomic Bulletin & Review, 23, 624-631.
Foerst, N. M., Klug, J., Jöstl, G., Spiel, C. & Schober, B. (2017). Knowledge vs. Action: Discrepancies in University Students' Knowledge about and Self-Reported Use of Self-Regulated Learning Strategies. Frontiers in Psychology 8, 1288, doi: 10.3389/fpsyg.2017.01288.
Siehe auch Lernen an der Universität: Das Lernen bei StudentInnen und Lernen an der Universität: Motivation und Lernerfolg bei StudentInnen.
Siehe dazu auch:
Edith Püschel & Hans-Werner Rückert:
Studieren ohne Lust und Ziel
und
Hans-Werner Rückert:
Aufschieben kurz und knapp
Quelle: http://www.soccer-zocker.de/edgar/27nn.htm (04-09-29)
Quellen
Studienberatung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
WWW: http://www.uni-heidelberg.de/ (02-11-08)
Metzger, Ch. (2001). Lern- und Arbeitsstrategien. Ein Fachbuch für Studierende an Universitäten und Fachhochschulen. Aarau: Sauerländer.
Hitchhiker (o.J.). Lernen im Studium.
WWW: http://third.informatik.uni-kl.de/~hh/node7.html (99-07-07)
Kugemann, Walter F. (o.J.). Lernen mit Texten. 7.1 Die verschiedenen Lernzugänge.
WWW: http://db.odl.org/vhb-lust/inhalt.htm (04-02-02)
http://www.personal.euv-frankfurt-o.de/de/personal/lehre/richtlinien/lerntips.html (03-02-02)
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