Der Umgang mit schwierigen Texten: Ein Leitfaden
Das raff ich nie:
Vom Umgang mit schwierigen Texten.
WWW: http://www.uni-bielefeld.de/
Universitaet/Einrichtungen/ZSB/
studientechniken11.html (02-11-30)
Auf der Seite sind neben diesem Leitfaden zahlreiche empfehlenswerte Texte zum Studieren versammelt:
http://www.uni-bielefeld.de/
Universitaet/Einrichtungen/
ZSB/techniken.html
Was also tun? Das wichtigste ist, dem Text gegenüber die Oberhand zu behalten: Nicht der Text schafft einen, sondern man will den Text schaffen. Wie es manchmal auch bei handwerklichen Tätigkeiten vorkommt, steckt man fest, kommt mit dem vorhandenen Werkzeug und der eingeplanten Zeit nicht weiter. Man muß also entscheiden, ob man aufgibt, weil der Aufwand zu hoch ist oder ob man die Aufgabe irgendwie doch hinbekommen will. Wenn man den Text "knacken" will, muß man neu planen (z.B. mehr Zeit investieren) und das notwendige Handwerkszeug besorgen.
Die folgenden Schritte sollten als Anregung für das individuelle Vorgehen verstanden werden und treffen - wie alle anderen Anregungen auf diesen Seiten zur Lerntechnik - auf den Einzelfall nur teilweise zu.
Lektüre-Vorbereitung
- Trage alles zusammen, was du vom Autor und vom Text weißt (gelesen bzw. gehört hast oder aus dem Tonfall, mit dem man in der Uni darüber spricht, ahnst). Notiere es!
- Kläre, zu welcher Fachdisziplin, akademischen Schule, historischen Zeit der Text gehört. Daraus kannst du ableiten, mit welchem Fachvokabular du rechnen mußt, welche Sorte von Anspielungen vorkommt und aus welchem Lebensbereich Beispiele stammen bzw. hilfreich sind.
- Besorge dir gegebenenfalls ein entsprechendes Fachwörterbuch, sieh im Lexikon nach, ob du etwas über Autor oder Thema findest, und überlege, ob du jemanden kennst, der/die sich besser auskennt als du und im Zweifelsfall gefragt werden kann.
- Notiere am besten in Form von Fragen, was du bei der Lektüre des Textes herausbekommen möchtest:
- Was willst du klären?
- Was willst du mit dem Text machen?
- Welche Fragen soll der Text beantworten?
Erste Lektüre
- Lege einen Textabschnitt fest, an dem du deine Möglichkeiten erproben willst. Lies nie ohne vorherige Zeitbegrenzung. Für die meisten Theorie-Text-Leser sind 90 Minuten Lektüre eine leistbare Spanne. Markiere größere Sinn-Abschnitte, deren Bearbeitung in 1/2 Stunden abgeschlossen sein soll. Je nach Geübtheit und Schwierigkeitsgrad des Textes kann der Umfang dieser Abschnitte zwischen 1/2 und 10 Seiten schwanken. Ermittle deine eigene Norm. Nimm dir nach 90 Minuten Lektüre irgend etwas anderes vor. Setze mit einem neuen Anlauf erst nach einer größeren Pause oder am nächsten Tag ein.
- Lies einen Teilabschnitt einmal ganz durch, möglichst ohne länger zu unterbrechen; laß ruhig einzelne Punkte im Dunkeln und versuche nur, herauszubekommen, worum es hier "im Ganzen" grob geht.
- Hebe dabei wichtig Erscheinendes durch Unterstreichungen hervor.
- Benutze eventuell für verschiedene Gesichtspunkte verschiedene Farben (nicht mehr als drei). Unterstreiche sparsamst!
- Leg dir ein "Vokabelheft" an (evtl. in Karteikarten-Format)! Schreibe heraus (jeweils ein Stichwort auf eine Seite/Blatt):
- für dich dunkle Begriffs-Wörter (Terme),
- unbekannte Namen,
- nicht vertraute Wendungen, unverständliche Wort-Verbindungen.
- Sieh den Text nach Definitionen durch, die die Bedeutung eines Ausdrucks zu erläutern versuchen (Hilfe: Gliederung, Sachregister). Schlag in Wörterbüchern, Fachlexika, historischen Darstellungen nach!
- Frag, wenn gerade verfügbar, andere Leute (Kommilitonen, Lehrende), ob sie dir mit ihrem Wissen bei der Klärung helfen können.
- Trage die gefundenen Ergebnisse in dein "Vokabelheft" ein. Überprüfe die Erläuterungen, indem du sie anstelle des Stichworts in den Text einsetzt. Falls nötig, grenze die Bedeutung ein oder erweitere sie (notiere dies im "Vokabelheft"). Manchmal muß man ganze Sätze in die eigene Sprache übersetzen, um hinter den Sinn zu kommen.
- Versuche, den Text in kleinere, überschaubare Sinneinheiten aufzugliedern unter der Fragestellung: wann fängt ein neuer Gedanke an?, wann wird ein neuer Aspekt des Themas behandelt? (Hilfen: Absätze, formale Gegenüberstellungen, numerierte Aufzählungen). Notiere die Grenzen solcher Sinneinheiten im Text selbst!
- Suche nach kurzen und treffenden Überschriften für diese Sinneinheiten.
- Schreib die so ermittelte innere Gliederung heraus. Versuche dabei die Überschriften so auszuformulieren, dass ein Bild vom Gedankengang und seinen Schwerpunkten entsteht.
- Untersuche nun in den einzelnen Sinneinheiten:
- was ist jeweils die behauptete These?
- welche Sätze und Hinweise enthalten Argumente, Begründungen und Fakten zur Stützung der These?
- was sind bloße Erläuterungen des Gemeinten?
- was sind Abgrenzungen gegen mögliche Mißverständnisse und andere Positionen?
- Ein sehr wichtiger Punkt: Formuliere die These mit eigenen Worten und notiere diese "Übersetzung".
- Suche selbst passende Erläuterungen und Begründungen, wenn im Text keine oder nur unzureichende gegeben sind.
- Nun die Systematisierung: Nach der Untersuchung der einzelnen Sinneinheiten vergleiche die notierten Thesen:
- gibt es Wiederholungen? - Fasse sie zu einer einzigen These zusammen (Beseitigung von Redundanz)
- gibt es gleichrangige Thesen? - stelle sie nebeneinander
- gibt es Thesen, die offenbar Teile von anderen sind? - Ordne über und unter (Strukturierung)
- gibt es Widersprüche zwischen den Thesen? - Notiere sie (Konsistenzprüfung)
- gibt es eine Hauptthese, der du alle übrigen Thesen unterordnen kannst? - Versuche eine Ableitung (Hierarchisierung).
- Siehst du eine Möglichkeit, die Thesen, Argumente und Begriffe in ein ordnendes Modell (Schema, System) zu bringen? Zeichne es auf. Experimentiere mit verschiedenen Schemata.
Zweite Lektüre
- Wenn du dir den Text auf diese Weise zugänglich gemacht hast, ist - nach einer Pause - oft eine zweite Lektüre erforderlich, die es ermöglicht, das Aufgenommene zu verarbeiten und kritische Distanz zu gewinnen. Ziel dieser Phase ist die kritische Prüfung des Textes auf in ihm formulierte (oder implizit vorausgesetzte) Antworten zu der eigenen Problemfrage.
- Aus der ersten Lektüre besitzt du eine ausführliche Gliederung mit stichpunktartigen Übersetzungen der Hauptabschnitte. Wiederhole das Erarbeitete anhand dieser Gliederung (Rekapitulation).
- Nimm die zu Beginn an den Text formulierten Fragen hinzu. Mit ihnen läßt sich nun klar unterscheiden, welche Textpassagen für die weitere Beschäftigung wichtig und welche weniger bedeutend sind.
- Lies die für deine Zwecke herausgehobenen Abschnitte jetzt noch einmal sehr gründlich und stelle ein Exzerpt her.
Bilanz
- Der Text ist nun unter einem ersten Aneignungsinteresse (Problemfrage) "erschlossen" . Jetzt ist fällig, zu fragen, was der Text effektiv gebracht hat.
- Zuerst die Minusbilanz
- Stimmen die Behauptungen und Argumente des Textes mit meinen sonstigen Erfahrungen, Vorwissen und Überzeugungen überein?
- Welche Aspekte des Themas des Textes (und meines Interesses daran) wurden ausgeblendet/vernachlässigt?
- Gibt es auffällige Widersprüche und Sprünge in der Argumentation? Gibt es Zusammenhänge zwischen diesen Widersprüchen und den Ausblendungen?
- Was wissen wir über die Interessen des Autors?
- Was spricht insgesamt gegen die Position und die Thesen des Textes?
- Jetzt zu den positiven "Erträgen"
- Siehst du Zusammenhänge zu früher gelesenen und anderen Texten?
- Gibt es Anwendungen in anderen Studien- und Arbeitsfeldern?
- Welche im Text diskutierten Bücher, Aufsätze usw. erscheinen besonders wichtig und aufschlußreich? Mach einen Lektüreplan.
- Setze Prioritäten.
- Diese letzte Teilprüfung wird umso wichtiger und folgenreicher je mehr du schon gelesen hast. Im Falle vernünftigen und glücklichen Umgangs mit dem Text steht am Schluß eine komplizierte Vernetzung zwischen diesem Text, anderen Texten und den eigenen Orientierungsinteressen.
- Dein Bild von der Welt und von den Beziehungen zwischen anderen Bildern von der Welt ist komplizierter (reicher) und kritischer (unterscheidungsfähiger) geworden.
Siehe dazu auch Sinn und Unsinn des Markierens
Marginaltitel - Gliederung - Exzerpt
Wie man Texte analysiert - Leitfragen
Vor allem in den Sprachwissenschaften gibt es eine lange Tradition des Umganges mit Texten. Die folgenden Ausführungen und Herangehensweisen beziehen sich aber nicht nur auf literarische Texte, sondern können auch im Hinblick auf wissenschaftliche Texte nützlich sein. Zunächst sollte man beachten, dass Texte immer in einen größeren Zusammenhang gehören. Sie beziehen sich mit ihrem Inhalt auf einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Sie haben einen Verfasser oder Produzenten, der veranlasst wurde, den Text zu verfertigen. Hinter seinem Text steht eine Absicht, die der Verfasser einem oder mehreren Empfängern oder Rezipienten übermitteln will. Der Text wird dem Rezipienten durch ein Medium übermittelt und wirkt auf ihn. Anhand der folgenden Leitfragen kann man versuchen, sich einem Text zunächst formal zu nähern, wobei zu beachten ist, dass sich nicht alle Fragen sich an jeden Text stellen lassen!
- Fragen zur Produktion
- Herkunft des Textes: Wer hat den Text geschrieben? Wo ist er zu finden? In welcher Zeit, zu welchem Anlaß und unter welchen Umständen ist er entstanden oder verbreitet worden?
- Absicht des Autors: Welchen Zweck verfolgt der Verfasser? Wird das Ziel ausdrücklich formuliert? Erscheint es nur zwischen den Zeilen? Stimmt die ausdrücklich genannte Intention mit der unausgesprochenen überein?
- Bestimmung der Textsorte: Handelt es sich um einen informierenden, einen kommentierenden oder einen appellativen Text? Welche Textsorte innerhalb der genannten Abgrenzungen liegt vor? Welche inhaltlichen, sprachlich- stilistischen und formalen Kennzeichen deuten darauf hin?
- Fragen zum Inhalt
- Erfassung des Themas: Welcher Sachverhalt oder welches Problem wird behandelt? Kommt das Thema im Titel oder Untertitel in vollem Umfang zum Ausdruck? An welcher Stelle im Text wird es formuliert?
- Untersuchung des Aufbaus: In welche übergreifenden Abschnitte lässt sich der Text gliedern? Wie wird der Sachverhalt strukturiert? Wie verläuft die Gedankenfolge? Welche Überschriften eignen sich für die einzelnen Teile? Lässt sich der Aufbau in einer schematischen Skizze verdeutlichen?
- Beschreibung des Verfahrens: Gibt der Verfasser Tatsachen wieder, stellt er Thesen auf, oder formuliert er Fragen? Enthält der Text Wertungen? Welche Argumente bringt der Verfasser zur Erhärtung seiner Aussagen? Aus welchen Bereichen stammen seine Beispiele? Wo werden Zitate eingebaut? Geht der Autor deduktiv oder induktiv vor? Ist der Text dialektisch entworfen?
- Fragen zur Form (Sprache und Stil)
- Semantischer Bereich: Welchen Wortschatz wählt der Verfasser? - Achten Sie vor allem auf die Verwendung von Fach- und Fremdwörtern, auf das Vorherrschen bestimmter Wortarten und auf die Wahl der Personalpronomina!
- Syntaktischer Bereich: Welcher Satzbau wird bevorzugt? - Achten Sie besonders auf die Häufigkeit von Aussage-, Frage- und Ausrufesätzen und das Vorkommen hypotaktischer und parataktischer Konstruktionen!
- Rhetorisch-poetischer Bereich: Welche rhetorischen oder poetischen Mittel verwendet der Autor? - Achten Sie auf rhetorische Figuren bzw. Tropen sowie Vergleiche, Metaphern, Bilder usw.
- Zusammenfassung: Wie lässt sich der Stil insgesamt beschreiben? Welche Funktion erfüllen die genannten sprachlichen und stilistischen Mittel im Textganzen? - Achten Sie auf die Sprachschicht, die Verständlichkeit, die Gesamtcharakteristik (Idiolekt).
- Fragen zur Rezeption
- Wahl des Mediums: Stammt der Text aus einem Buch, einer Zeitschrift, einer Zeitung (Abonnements- oder Boulevardblatt)? Wurde er ursprünglich optisch oder/und akustisch vermittelt? Handelt es sich um ein Medium der individuellen oder der Massenkommunikation?
- Wirkung des Textes: Wendet sich der Autor an den Verstand oder an das Empfinden, an die Einsicht oder das Gewissen? Will er auf die Triebsphäre wirken und unbewusste Wünsche oder Vorstellungen wecken? Soll der Leser/Hörer zum Handeln veranlasst werden? Stimmt die Wirkung mit der Absicht des Autors überein?
- Bestimmung des Adressatenkreises: An weiches Publikum wendet sich der Autor aufgrund von Inhalt, Form und Sprache? Spricht er mehr ein Individuum, eine Gruppe oder ein großes Publikum an? Ist die angesprochene Zielgruppe identisch mit der tatsächlich erreichten?
- Übergeordnete Fragen
- Einordnung des Textes: Welchen Stellenwert hat der Text im Publikationszusammenhang, im Werk des Verfassers, in bezug auf eine bestimmte Problematik oder Textsorte? Lässt er sich einer geistigen Strömung oder Epoche zuordnen? Kennen Sie ähnliche oder entgegengesetzte Texte, Standpunkte, Wirkungen?
- Stellungnahme zum Text: Erfüllt der Text seinen Zweck? Entspricht er den Erwartungen der angesprochenen Leser/Hörer? Wie ist er zu beurteilen nach logischen, ethischen und ästhetischen Gesichtspunkten? Wie lassen sich kontroverse Einstellungen begründen? Kann man das Problem durch ein Für oder Wider entscheiden? Ist eine weitere Differenzierung (Berücksichtigung bestimmter Voraussetzungen) notwendig? Wie lautet Ihr persönliches Urteil?
Siehe auch Verbesserung der Lesegeschwindigkeit und Wie man Exzerpte anfertigt
Quellen
Stary, Joachim & Kretschmer, Horst (1999). Umgang mit wissenschaftlicher Literatur. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Werder, Lutz von (1994). Wissenschaftliche Texte kreativ lesen. Kreative Methoden für das Lernen an Hochschulen und Universitäten. Berlin.
FIM Psychologie Erlangen: vhb Kursangebot 'Lernen und Studieren'.
http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/INTERNET/ARBEITSBLAETTERORD/LERNTECHNIKORD/5SchritteMethode.html (02-11-08)
http://www.RZ.UniBw-Muenchen.de/~s11bwild/list/meta.htm (99-08-15)
http://www.uni-bielefeld.de/Universitaet/Einrichtungen/ZSB/studientechniken11.html (02-11-30)
http://www.thomasgransow.de/Arbeitstechniken/Texte_analysieren.htm (03-06-02)
http://www.thomasgransow.de/Arbeitstechniken/Lesen.htm (03-06-02)
http://www.thomasgransow.de/Arbeitstechniken/Exzerpieren.htm (03-08-31)
http://www.ib.uni-bremen.de/wiss__Arbeiten/Texte_lesen/texte_lesen.html (03-08-31)
http://rosenbauer.de/psych.htm (05-10-03)
inhalt :::: nachricht :::: news :::: impressum :::: datenschutz :::: autor :::: copyright :::: zitieren ::::