Tropen der Rhetorik *)
"Sophismen" sind nach Aristoteles Scheinargumentationen, genauer: Elemente einer Beweisführung, die zu verdeckten Fehlschlüssen führen. Beruhen entweder auf täuschenden Fragestellungen oder auf Schlussfehlern oder führen absichtlich zu Paradoxien; im weiteren Sinn auch jede der logischen Folgerichtigkeit entbehrende Schlüsse.
Allgemein haben Tropen die Aufgabe, die in der alltäglichen "Normalrede" üblichen Negativ-Wirkungen des Ausdrucks zu vermeiden: Ermüdung des Zuhörers durch Länge, Wiederholung, Unanschaulichkeit, Ungeschicklichkeit oder Gleichförmigkeit des Ausdrucks.
Durch eine motivierende, fesselnde Form der Spache soll zunächst einmal Aufmerksamkei erregt und die Bereitschaft des Zuhörers gesichert werden, dem Redner bei seinen Gedanken wenn möglich bis zum Schluß zu folgen.
Hierin liegt aber auch ihre besondere sophismatische Eignung. Einmal können der Wahrheitsgehalt und die Schlüssigkeit etwa bei einer fesselnden, glanzvollen Rede ganz in den Hintergrund treten, ja mit den rhetorischen Effekten schlicht verwechselt werden. Zum andern können Tropen - z. B. der Witz - vorhandene Probleme unangemessen außer Streit stellen, Diskussionen in einem gemessen am Klärungsbedarf sachlich unrichtigen Sinne vorstrukturieren und unerwünschte Erkenntnisse und Begriffe hintanhalten, also Funktionen der Sprach- und Begriffsregulierung übernehmen, die dem Erkenntnisbedarf der Adressaten nicht entsprechen. Schlicht formuliert: sie legen für die Gedanken der Zuhörer eine falsche Fährte und dienen mehr oder weniger der Täuschung.
Die folgende Zusammenstellung entstammt einer Arbeit von Christian Gizewski (1999), der sich in profunder Weise mit den Möglichkeiten der Rhetorik auseinandersetzt.
1. Figuren der Häufung und der Wiederholung
Palillogie, Iteration: Die Wiederholung von Worten, Silben oder Buchstaben am Anfang oder am Ende mehrerer Sätze oder Wortfolgen (Reim) macht insbesondere Schlagworte eingrägsam und lenkt durch die sicher, weil sprichwortartig und erprobt wirkende Formelhaftigkeit von der Überprüfung eines evtl. problematischen Inhalts ab. Unter diese Kategorie fallen:
- Anaphora:
Beispiele: "Ein Volk, ein Reich, ein Führer". "Fressen, Ficken, Fernsehen". Wer nie sein Brot mit Tränen aß, Wer nie die kummervollen Nächte.... (Goethe) - Epiphora:
Beispiele: "Cuius regio, eius religio". "Frieden schaffen ohne Waffen". "Mens sana in corpore sano". - Symploke:
Beispiel: "Mitgefangen, mitgehangen".
Dihairesis (als Tropos), Distributio: Die
Charakterisierung eines Gegenstandes durch akkumulierende
Aufführung seiner Bestandteile gibt dieselben
Möglichkeiten der sophismatischen Fehlleitung wie die
Periphrase.
Beispiel: "Von der Maas bis an die Memel,
von der Etsch bis an den Belt".
Hendiadyoin: Ähnliche Funktion wie bei der (tropischen) Dihairesis, wobei die Kürze, die Zweierzahl und eine eventuelle Alliteration einprägsam und prägnant wirken.
Beispiele: " Glanz und Gloria", "Arbeit und Brot". "All ihr Bitten und Flehen half nichts".
Synathroismos, Congeries: Die Aneinanderreihung
formal gleichartiger Satzglieder weist auf ihre fest
gefügte inhaltliche Zusammengehörigkeit hin und
kann daher auch dazu mißbraucht werden,
Nicht-Zusammengehöriges zusammenzubringen oder
Unwesentliches mit Wesentlichem zu verbinden oder
kategorische Bekenntnisse auszusprechen.
Beispiele: "...we hold these truths to be
self evident, that ..., that ..., that ... ." "Blut,
Schweiß und Tränen".
2. Figuren der Spannungserzeugung oder -steigerung
Klimax, Antithese, Antimetabole, Oxymoron und Paradoxon sind Spielarten spannungsgeladener, oft dramatischer oder witziger Gedankenführung, die wegen der Unerwartetheit und kategorisch formulierter Unmittelbarkeit der Entgegensetzungen auch besonders eingrägsam ist. Die stufenartige Steigerung einer gedanklichen Reihung gibt die Möglichkeit, Prozeß-Konsequenzen, Handlungs- und Leidensformen dramatisch und prägnant zusammenzufassen und dabei ggf. Notwendigkeiten und Erwartungen zu suggerieren.Gegenüberstellungen eignen sich für die Verdeutlichung von Grundideen oder für den energischen Angriff auf Positionen, die in ihrer Selbstverständlichkeit oder Üblichkeit unanfechtbar erscheinen. Sie sind im übrigen seit der Antike Inbegriff der "urbanitas", des "asteion", d. h. eines eleganten, überlegenen Argumentationsstils, und der philosophischen "Dialektik" innerlich nahe verwandt. Sie eignen sich daher aber auch besonders gut für sophismatische Zwecke, weil der äußere Glanz der Argumentation von ihren ggf. vorliegenden inneren Schwächen perfekt abzulenken vermag.
Klimax, Gradatio:
Beispiele: "En roi penser, vivre et
mourir". "Ecclesia martyrans, militans, triumphans".
Antithese, Oppositio:
Beispiel: "Liebet eure Feinde, segnet, die
euch fluchen". "Lieber ein Spatz in der Hand als eine Taube
auf dem Dach".
Antimetabole, Commutatio:
Beispiele: "Arbeiten, um zu leben. Nicht
leben, um zu arbeiten".
Oxymoron:
Beispiele: "Summum ius, summa iniuria".
"Nur Ungleichheit schafft Gleichheit".
Paradoxon:
Beispiele: "Si vis pacem, para bellum".
"Der Klügere gibt nach". "Ein halbleeres Glas ist
immerhin halbvoll".
3. Figuren der Gleichsetzung von Ungleichem
Ein Bild, Gleichnis oder Symbol dient der Veranschaulichung eines Grundgedankens oder eines konkreten, aber komplexen Phänomens durch eine einfacher faßliche, formal in den wichtisten Bezügen gleiche und anschauliche Struktur. Das bringt es notwendig mit sich, dass diese in irgendeiner Hinsicht "schief" zu sein pflegt, d. h. in ihrer Struktur nur teilweise zu dem zu erklärenden Gegenstand paßt, in anderer - und möglicherweise durchaus wichtiger Hinsicht - aber nicht. Hier setzen die erheblichen Täuschungs- und Selbsttäuschungsmöglichkeiten an, die insbesondere auch in einer nicht-sprachlichen Bild-Semantik gegeben sind.
Unter diese Kategorie fallen:
Allegorie, Analogon, Simile:
Beispiel: "Der bürokratische
Sozialstaat ist wie ein Zoo mit vielen Tieren und
noch mehr Wächtern".
Metapher, Translatio:
Beispiel: "der Staatsorganismus ",
ein "Black-Box "-Problem.
Symbol (tropisch), Signum: "Heil Hitler", "Rot Front".
Synekdoche, Pars pro toto oder Genus pro specie: Kurzgefaßte, bestimmte Aspekte oder Teile eines
Gegenstandes in den Mittelpunkt rückende
Charakterisierungen, bringen auch die Möglichkeit der
"verkürzenden" Darstellung mit sich. Das ist die
für "Schlagworte" und wiederum für die
Bild-Semantik typische Sophismatik.
Beispiel: "der deutsche Michel".
Metonymie, Denominatio: Die Bezeichnung eines
Gegenstandes durch eines seiner Attribute bietet dieselben
sophismatischen Möglichkeiten wie die Synekdoche.
Beispiel: "die Demokratie" statt: "der
Staat".
Autonomasie: Die Identifikation eines Eigennamens mit einem Begriff birgt in sich die Möglichkeit und damit auch die Gefahr einer Personalisierung von Sachbezügen und - positiver oder negativer - Imagebildung für Personen, insbesondere des politischen Lebens. Beipiele: "der eiserne Kanzler"," die stählerne Lady".
Periphrase: Die Umschreibung eines Begriffs oder
abstrakten Tatbestands durch eine exemplarische, typische
Konkretion gibt die Möglichkeit ihrer Fehlauswahl oder
Verzerrung.
Beispiel: "Jener Vorgang der
Zusammennagelns zweier Gesellschaften, den man
Wiedervereinigung nennt". "The Sauerkrauts", die "Birne von
Oggersheim".
Prosopopoiia, Personificatio: Die Gleichsetzung
von Völkern, sozialen Strukturen, Gruppen oder
Schichten mit konkreten oder fiktiven Personen erfüllt
ähnliche Funktionen wie die Metapher, ist aber wegen
der Möglichkeiten des Witzes oder einer
personenbezogenen Dramatik für die Verdeckung von
Sophismen noch geeigneter als jene. Die Personifikation von
Sachverhalten ist ein oft angewandtes Mittel medialer
Darstellung.
Beispiele: der "Stalinismus",
"Ludwig Erhardts Wirtschaftswunder", "Hitlers Krieg".
4. Figuren der Verkleinerung oder
Vergrößerung
Tapeinosis, Diminutio, Depretiatio: Das Schlecht-
oder Klein-Reden von Sachverhalten, die für Adressaten
der Rede größere Bedeutung haben, ist eine
Möglichkeit, Fehlschlüsse zu erzeugen und
Unwahrheiten zu übermitteln, ohne die Sachverhalte
zunächst konzedieren oder rechtfertigen zu
müssen.
Beispiele: "Null-Wachstum", "eine kleine radikale
Minderheit", "das Geisel-Drama".
Euphemismos, Amplificatio: Umgekehrte Wirkung wie
die Tapeinosis hat der Euphemismos.
Beispiele: "Die große
französische Revolution", Friedrich der Große".
"Der Produktivkräfte im Sozialismus wachsen mehr und
mehr".."Zu den unverbrüchlichen Wahrheiten des
historischen Materialismus gehört, dass die
Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen ist".
5. Figuren des Richtigkeits- oder
Rationalitätsscheins
Praestigia (auch paestigiae [pl.] oder paestigium, gr. psephopaixia; dt. Übersetzung: Blendwerk, Gaukelspiel; etymologisch mit dem in Politik, gesellschaflichem Verkehr und Werbung so wichtigen Terminus "Prestige" zusammenhängend): Von den vielfältigen Möglichkeiten, dem Redner oder der von ihm vertretenen Sache durch nebenher und unbemerkt zugeordnete, bloß äußerliche Attribute den Schein des Ehrwürdigen, Vertrauenswürdigen, auf Kenntnis und Erfahrung Aufbauenden, moralisch Integren, sorgfältig Vorbereiteten etc. zu verleihen, können nach dem Prinzip "Des Kaisers neue Kleider" erhebliche Täuschunswirkungen ausgehen, wenn oder soweit dem äußerlichen Schein kein angemessener Inhalt entspricht: "Prof. Ludwig Erhard"; "der moderne Lebensstil"; "die demokratische Streitkultur", "die Leistungsträger der Gesellschaft".
Erotema: Die Frageform läßt es formell
wahrheitsgemäß offen, ob eine Behauptung der
Wahrheit entspricht oder eine Forderung begründet ist,
aber sie bringt sie in die Diskussion ein und setzt auf ihre
latenten Folgewirkungen bei dem nicht weiter
prüfkomptenten oder -bereiten Zuhörer. Jedes
Sophisma läßt sich mit ihr evtl. eine Zeitlang
"auf redliche Weise" verdecken.
Beispiel: "Es muß erlaubt sein,
öffentlich zu fragen, ob sich ein Politiker wie ...
nicht allein aufgrund der gegen ihn mittlerweile auch aus
seiner eigenen Partei erhobenen Vorwürfe genötigt
sehen sollte, zurückzutreten, um einem unbelasteten
Nachfolger eine unbelastete Amtsführung in dieser
kritischen Zeit zu ermöglichen".
Pysma: Die selbstgestellte Frage nach dem Inhalt
des Diskussionsgegenstandes oder nach dem Vorgehen in einer
Diskussion, die selbst beantwortet wird, suggeriert
Offenheit und Wahrheitsbezogenheit des Redners,
läßt ihm aber alle Möglichkeiten auch
mißbräuchlicher Verkürzung oder Verzerrung
der Wahrheit über einen Gegenstand.
Beispiel: "Sollten wir nicht einmal
ausführlich über das Wie und nicht in der
altbekannt unergiebigen Weise über das Ob der
(europäischen Einigung, Abtreibung, Zuwanderung)
diskutieren?
Paraleipsis, Praeteritio: Das ausdrücklich
erwähnte Übergehen von Aspekten, die an sich zur
Erörterung einer Sache gehören, erzeugt den Schein
sachlicher Konzentration, bietet aber - zumindest bei
Weglassung von Wichtigem - dieselbe sophismatische
Mißbrauchsmöglichkeit wie das Pysma.
Beispiel: "Ich übergehe hier aus
Zeitgründen die schwierige Frage, ob..." "Dazu
wäre noch viel zu sagen".
Polysyndeton: Die Zusammenfassung vieler formal
gleichartiger Sätze oder Satzglieder mit derselben
Verbindungspartikel erzeugt den Eindruck eines reichen
Erfahrungsschatz des Redners oder eines Alternativenreichtum
seines Denkens, kann aber auch mißbraucht werden, um
solche vorzutäuschen oder von einem wichtigen, aber
nicht miterwähnten Aspekt abzuzlenken.
Beispiel: "und, und, und". "oder...,
oder..., oder...".
Epanorthosis, Correctio: Die Selbstberichtigung
zeigt Offenheit und Wahrheitsbemühtheit der
Argumentation an, die jedoch nicht überall im
Argumentationsgang gegeben sein müssen. D. h.: die
Figur kann auch zur Verdeckung eines Sophismas an anderer
Stelle dienen, insbesondere wenn sie demonstrativ eingesetzt
wird.
Beispiele: "Zweifellos wirft der Begriff
der Übergangsepoche auch grundsätzliche Fragen
für die materialistisch-historische Epochenbildung auf.
Aber es steht fest und ist bei intensiver Untersuchung der
komplexen Sachverhalte auch nachweisbar, dass ... ".
"Ich beziehe mich ausdrücklich mit ein, wenn ich sage:
wir alle haben Fehler gemacht (sind schuldig, haben eine
Verantwortung etc.)".
Praemunitio, Occupatio, Concessio, Fictio: Mit der
Vorwegnahme von Einwänden kann der Redner versuchen,
diese so zu verzerren, dass ihre Widerlegung leichter
fällt. Zugleich betont er wie bei der Epanorthosis
seine Offenheit und Wahrheitsbemühtheit, sodass
seine sophismatischen Absichten Deckung erhalten.
Beispiele: "Es könnte nun einer
einwenden, ...". "Zu einigen denkbaren Fragen will ich
gleich sagen, ...".
Aporia, Dubitatio: Das vorsichtige Ausdrücken von Bedenken, insbesondere Selbsteinwände, und der Hinweis auf den Meinungscharakter des Vorgetragenen deuten auf ein abwägendes und aufnahmebereites Urteilsvermögen hin, können aber mißbräuchlich auch zur Einführung und Verstärkung sophismatischer Argumentation unter dem Mantel der Scheinredlichkeit führen: "Ich frage mich, ob ...". "Ich denke, dass...". "Ich gehe davon aus, dass..." .
Epitrope, Permissio: Ähnliche Wirkung wie bei
der Dubitatio.
Beispiel: "Zweifellos ist ... ein
kenntnisreicher, verdienstvoller Mann. Aber das
schließt nicht aus, dass er sich in seine
Fachkompetenz verrennt".
Ellipse, Omissio: Das Auslassen von Satzgliedern, die sonst üblich sind, kann außer zur Abkürzung unrationeller Längen auch der Prägnanzsteigerung oder der Beteuerung und dem formelhaften Ausdruck von Wünschen dienen. Es ist aber auch u. U. geeignet, einen Gedanken unangemessen zu verkürzen: "Wanderer, kommst du nach Spa ...".
6. Figuren des Witzes
Geloion, Ridiculum: Indem der Witz eine bestimmte
Erwartung durch eine unerwartete Konfrontation mit ihrer
Nichterfüllung auflöst oder relativiert, lenkt er
die Aufmerksamkeit von der Berechtigung der
Erwartungshaltung ab und suggeriert auf zugleich
einprägsame Weise den Grund der Nichterfüllung
oder Relativierung als zutreffend. Der Witz ist einer der
wichtigsten Träger sophismatischer Effekte in
konfrontativen, insbesondere politischen
Argumentationgängen, wo er auch in den Formen des
Sarkasmus, der Ironie oder der Satire auftritt.
Beispiel: "Die SPD kann nicht eine Faust
ballen, wenn sie überall ihre Finger drin hat".
Hyperbel, Superlatio: Die Überspitzung eines
Grundgedankens schirmt ihn gegen Widerspruch ab oder macht
ihn durch Witz eingrägsam. Die Überspitzung wird
entweder nicht zugegeben, oder die Täuschung beruht
darauf, dass der Zuhörer von einer genaueren
Musterung der Übertreibung durch Witz abgelenkt
wird.
Beispiel: "Der unsterbliche Name Stalins
wird immer im Herzen des Sowjetvolkes und in den Herzen der
Werktätigen der ganzen Welt leben". Oder: "Viel Feind,
viel Ehr".
Ironie, Dissimulatio, Illusio: Die bedeutungsvolle
Anspielung auf das Gegenteil dessen, was gerade gesagt wird,
ermöglicht die Ablenkung vom Wahrheitsgehalt des
Gemeinten, weil die Anspielung Sicherheit suggeriert,
zumeist Witzwirkung hat und den Rezipienten mit
Deutungsarbeit beschäftigt.
Beispiel: "Es genügt in dieser Sache
nicht, keine Meinung zu haben. Man muß auch
unfähig sein, sie auszudrücken".
7. Figuren der persönlichen Anspache oder des
begründenden Zitats
Argumentatio ad personam: Die Konfrontation des
Zuhörers mit einem direkten oder indirekten
Unwerturteil über seine Person für den Fall,
dass er bestimmte Auffassungen des Redners nicht teilt,
ist eine häufig angewandte Figur sophismatischer
Argumentation. Funktion dieser rhetorischen Figur ist im
Vordergrund, längere Argumentationsgänge durch
Hinweis auf Autoritäten, bekannte
Diskussionszusammenhänge und Grundkenntnisse
abzukürzen, im Hintergrund aber öfters auch,
Diskussionsbedürftiges zu umgehen.
Beispiele: "Wer etwas von Geschichte
(Wirtschaft, Politik) versteht, ist sich klar darüber,
dass ...". "Alle ernstzunehmenden Wissenschaftler sind
der Meinung, dass ..."
Homologie, Confessio: Die Abgabe eines Bekenntnisses, das der Sache nach stets an ein Publikum gerichtet ist, in feierlich und aufrichtig gemeinter oder wirkender Weise kann auch zum Zwecke der Täuschung eingesetzt werden: "ich komme aus einem Elternhaus, in dem [...] Überzeugungen allgegenwärtig waren"; "ich habe schon immer die Auffassung vertreten, dass ..."; ich verspreche hiermit, dass ..."; "ich werde nicht rasten und ruhen, bis ...".
Apostrophe, Allocutio: Das Richten einer Frage an
jemand, der sie nicht beantworten kann oder soll,
täuscht Offenheit und Interesse an der
Auseinandersetzung, damit auch Sicherheit der eigenen
Position vor, affirmiert aber in Wirklichkeit die im
Hintergrund der Frage stehende Überzeugung vor einer
Zuhörerschaft Dritter ohne Auseinandersetzung und in
eine Richtung.
Beispiele: "Wollt ihr den totalen
Krieg?"
Etopoiia, Sermocinatio: Indem er fremde Personen
zitiert oder fiktiv reden läßt, kann ein Redner
u. U. auch davon ablenken, dass er eigene Gedanken
vorbringt oder fremde Gedanken aus dem Zusammenhang
reißt. Ferner kann er seinen Gedanken ohne
argumentativen Nachweis einen Autoritätsschein geben,
der ggf. als Deckung auch für Fehlschlüsse und
Wahrheitsverzerrungen dienen kann.
Beispiele: Nun gibt es aber nicht wenige
und gering zu achtende Leute, die sagen ...". "Es gibt einen
bekannten Ausspruch des großen [Soundso],
welcher sagte:...".
8. Figuren der Leidenschaft oder der Nüchternheit
Aposiopese, Reticentia: Das Abbrechen von
Ausführungen weist darauf hin, dass die Mittel der
Sprache versagen oder weiteres Reden sinnlos ist, etwa aus
Gründen eines überwältigenden Gefühls
oder weil irgend jemand dies nicht verstehen würde. Die
Möglichkeiten sophismatischen Mißbrauchs sind
dieselben wie bei der Paraleipsis.
Beispiele: "Mir fehlen die Worte". "Was
soll man da noch sagen?".
Ekphonesis, Exclamatio: Die emotionale,
bewußt begründungslose und Widerspruch eigentlich
nicht duldende Mitteilungsform des Ausrufs weist auf die
Selbstverständlichkeit oder die Rezeptionsnotwendigkeit
einer Ansicht oder Wertung hin.
Beispiele: "Gott mit uns"."Ich bin ein
Berliner". "Super".
Brachylogie, Präzision, Prägnanz: Durch
akzentuierte Kürze der Formulierung kann die
Mehrdeutigkeit oder das Gewicht einer Mitteilung oder eine
Kompetenz zu kategorischen Feststellungen oder das
Bemühen, die Aufmerksamkeit des Zuhörers nur
für etwas ganz Wesentliches in Anspruch zu nehmen, zum
Ausdruck gebracht werden. Indem diese Aspekte den
Zuhörer mehr beanspruchen oder interessieren als
mitgeteilte Unrichtigkeiten, kann sophismatischen Tendenzen
Deckung zuteilwerden.
Beispiele: "Nie wieder Krieg". "Alle Macht
den Räten"."Business as usual".
Litotes: Die Untertreibung, etwa durch doppelte
Verneinung eines Tatbestands, erzeugt einmal den Eindruck
von Schlichtheit und Zurückhaltung und steigert dadurch
die Glaubwürdigkeit einer Aussage, zum andern steigert
sie ihre Bedeutung, ohne doch der äußeren
Sprachform nach unrichtig zu werden. Sie ist deshalb als
Deckung für sophismatisches Vorbringen u. U. besonders
geeignet.
Beispiel: "Der Bewerber um dieses Amt ist
ein nicht gerade unerfahrener Politiker, der sich auf nicht
wenigen Gebieten der Kommunal- und Landespolitik
bewährt hat".
Emphase: Die besondere Betonung bestimmter
Bedeutungshintergründe von Worten und Sätzen, die
üblicherweise nicht-komplex verwendet werden, treten
häufig in den hervorgehobenen Passagen einer Rede, etwa
am Anfang oder am Ende, auf und geben auch die
Möglichkeit, mit dem Anschein des autoritativen Zitats,
des Feierlichen, des Bekenntnisses oder des essentiell
Durchdachten ausgestattete Sophismen zu verbreiten.
Beispiele: "Im Deutschen lügt man,
wenn man höflich ist." "I have a dream". "I am a
Berliner".
Epanalepsis, Geminatio: Die Verdopplung
beziehungsreicher Worte hat eine ähnliche Funktion wie
die Emphase.
Beispiele: "Deutschland, Deutschland
über alles". "Alle, alle kamen".
Asyndeton: Die grammatikalische Unverbundenheit
von Sätzen ist eine Spielart der Brachylogie und der
Litotes und hat daher ähnliche Wirkungen wie diese
Tropen. Sie unterstreicht die Zusammengehörigkeit von
Dingen, auch wenn deren Zusammengehörigkeit evtl.
problematisch oder bestritten ist, auf demonstrative
Weise:
Beispiele: "Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit". "Veni, vidi, vici".
9. Andere Figuren
Eine Anzahl von Tropen i. w. S. - wie z. B. die Syllepsis, das Hysteron Proteron, das Zeugma, das Anakoluth, das Epitheton ornans, der Pleonasmus - sind ebenfalls für sophismatische Zwecke disponiert, brauchen aber an dieser Stell nicht erörtert zu werden, weil eine Vollständigkeit hier nicht angestrebt werden kann, sondern nur systematische Übersicht und ihre Veranschaulichung.
Gideon Burtons (Brigham Young University)
"Forest
of Rhetoric - silva rhetoricae"
WWW: http://humanities.byu.edu/rhetoric/ (02-10-02)
Zusammenstellung nachChristian
Gizewski (1999). Täuschung als Erfolgsprinzip
öffentlicher Argumentation: ein praktisches Erbe
antiker Rhetorik.
WWW: http://www.tu-berlin.de/fb1/AGiW/Scriptorium/S16.htm
(01-11-26)
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