[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Das Johari-Fenster

Menschen, die immer daran denken,
was andere von ihnen halten, wären sehr überrascht,
wenn sie wüssten, wie wenig die anderen über sie nachdenken.
Bertrand Russel

"Gebrauchsinformation"

Selbst- und Fremdwahrnehmung

Im Alltag machen wir uns relativ schnell ein Bild von anderen Menschen, wobei dieses nur teilweise das Ergebnis sorgfältiger Beobachtung und Auswertung dessen ist, was wir in Erfahrung bringen können. Vielmehr entwickeln wir auf der Grundlage von Erfahrungen spontan ganz bestimmte Urteile, Eindrücke. Wir verallgemeinern das Beobachtbare, ordnen das Wahrgenommene in gedächtnismäßig gespeicherte Schemata, Raster und Schubladen ein, ergänzen das Wahrgenommene durch Annahmen und Denkgewohnheiten.
Wann immer wir es mit anderen Menschen zu tun haben, machen wir uns also spontan ein Bild von ihnen: welche Eigenschaften sie besitzen, welche Bedeutung sie für uns haben. Jeder Freund, Bekannte, Nachbar, aber auch Personen, die uns auf der Strasse begegnen, werden in irgendeiner Form, sei es in bezug auf ihr Aussehen, ihr Auftreten von uns beurteilt. Gleiches gilt für Gruppen von Menschen, wie die eigene Familie oder den Kollegenkreis.
Im Alltag treffen wir immer wieder mit uns unbekannten Menschen zusammen und wollen wissen, welche Absichten und Motive sie verfolgen, welche Interessen sie haben. Zu wissen, was andere, mit denen wir umgehen, an Absichten verfolgen, ist für uns häufig sehr wichtig. Zu wissen, was andere an Interessen haben, hilft uns, uns adäquat zu verhalten, uns auf sie einzustellen, ihr Verhalten zu verstehen, es womöglich vorauszusehen, uns vor Überraschungen zu schützen.

Siehe dazu auch
Die vier Seiten einer Nachricht.
Ein Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation

Besonders wichtig ist dieses Wissen dort, wo mehrere Menschen zusammenarbeiten müssen, also in Gruppen. Menschen, die sich vorher weder kannten noch viel miteinander zu tun hatten, werden erst durch gruppendynamische Prozesse zu einer Gruppe. Über verschiedene Phasen führen diese entweder zu konformen gut zusammenarbeitenden Gruppen oder zu solchen, die sich gegenseitig durch Konkurrenzverhalten, Neid und sonstige Spannungen behindern. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Wahrnehmung des Einzelnen durch die Gruppe. Vier Bereiche können hier unterschieden werden:

Für ein Feedback relevant, sind vor allem Quadrant B und D. Durch ein Feedback im Sinne eines Vergleichs von Selbstbild und Fremdbild kann sich, sofern das Feedback angenommen und kostruktiv reflektiert wird, der "unbewußte" Bereich verkleinern. Gleichzeitig wird der "offene" Bereich vergrößert. Das kann zu einer positive Veränderung der Beziehungen zu anderen Menschen führen, da die Wirkung, d.h. das Fremdbild, vermehrt den Absichten, d.h. dem Selbstbild, entspricht.

Das Ziel persönlicher Weiterentwicklung kann es z.B. sein, den blinden Fleck zu erhellen. Eine Möglichkeit ist der Einsatz von Persönlichkeitsmodellen, etwa der Transaktionsanalyse. Mit dieser kann das eigene Verhalten bewusster gemacht werden, indem man sich Gedanken über die eigenen Wertvorstellungen und Normen macht. Einen weiteren Ansatzpunkt, blinde Flecken zu verringern bietet das Feedback. Durch geeignetes Feedback-Geben können Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdbild bewusst gemacht werden. Auf die Frage "Wie habe ich auf die anderen gewirkt?" können dann Antworten gefunden werden.

Das "Johari-Fenster" (nach den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham, University of California) verdeutlicht, dass "Selbstwahrnehmung" und "Fremdwahrnehmung" sich nicht entsprechen, sondern dass es Bereiche des Verhaltens gibt, in denen anderen unbeabsichtigt Mitteilungen über die eigene Person gemacht werden, während große Bereiche der eigenen Wahrnehmung verborgen bleiben. 

Das, was vom Verhalten einer Person jeweils wahrgenommen wird, ist also nur ein Bruchteil dessen, was für sie in einer sozialen Situation Bedeutung hat. Auch dem oder der Einzelnen selbst sind wesentliche Aspekte des eigenen Verhaltens nicht bekannt und bewußt oder zugänglich. 

In einer neuen Gruppe ist Quadrant A sehr klein und es sind wenig freie und spontane Aktionen zu registrieren. Ist das schon die Regel, so wird eine Situation der Unsicherheit, der Spannung oder gar Angst, so wie sie häufig auch am Beginn von Lernprozessen in Gruppen besteht, das freie, aktive Verhalten zusätzlich einengen. Um es in der Graphik auszudrücken: Der Bereich des "freien Handelns" ist zugunsten des Bereichs des "Verbergens" und des "Blinden Flecks" eingeschränkt.

Für eine kommunikative Gruppe ist es unerläßlich diesen Bereich wachsen zu lassen. Die Veränderung eines Quadranten verändert auch alle anderen. Ein vertrauensvolles Klima kann dagegen sowohl den Bereich des "Vermeidens und Verbergens" reduzieren als auch die Chance bieten, durch Kontakte mit anderen Gruppenmitgliedern mehr über sich selbst, über den "Bereich des Blinden Flecks" zu erfahren und damit dem Bereich des "freien Handelns" größeren Raum zu geben.

Dieses entspannende und vertrauensvolle Klima, das einzelne möglichst umfassend in den Gruppenprozess mit einbezieht, stellt sich jedoch erst durch intensive Kontakte der Teilnehmenden untereinander und durch Vertrautheit mit den verschiedenen Aspekten dessen her, was die Gruppe prägt. Erst wenn in Bezug auf Ziele und Normen, die Struktur und die Stellung in der Gruppe ein alle Mitglieder befriedigender Konsens hergestellt ist, kann ein gutes Gruppenklima und die umfassende Aktivität aller Mitglieder erwartet werden.

Dieses Analyseschema des Johari-Fensters kann nicht nur auf Einzelpersonen sondern auch auf Gruppen in Sicht auf andere, z.B. übergeordnete Gruppen angewendet werden.

Es lassen sich häufig verschiedene Phasen der Gruppenarbeit beobachten, die aber nicht zwingend in dieser Reihenfolge durchlaufen werden müssen:

Self-Other Knowledge Asymmetry Model

Simine Vazire (2010) hat in Bezug auf die vier Quadranten des Johari-Fensters das Self-Other Knowledge Asymmetry (SOKA) Model entwickelt - Modell der Assymetrie von Selbst- und Fremdeinschätzungen - entwickelt. Nach diesem Modell haben andere Menschen gegenüber einem selbst vor allem Vorteile bei der Einschätzung gut beobachtbarer Eigenschaften, die weder besonders erwünscht noch unerwünscht in der Gesellschaft sind. Menschen sind zwar relativ gut über ihre innersten neurotischen Züge wie etwas Ängstlichkeit informiert, doch in Sachen Intelligenz und Kreativität sind eher Freunde und sogar Fremde die besseren Sachverständigen. Mit dem SOKA-Modell wollte Vazire zeigen, dass Freunde und Bekannte zwar Gefühle und Ängste nicht unbedingt lesen können, denn diese können Menschen gut verbergen und überspielen, sie sind aber treffsicherer als diese selbst, wenn es um Merkmale geht, die auch nach außen sichtbar werden wie Intelligenz und Kreativität. Nach Vazires Ansicht hat das Selbst vor allem ein Problem damit, besonders wünschenswerte oder gar nicht wünschenswerte Aspekte der eigenen Persönlichkeit einzuschätzen. Hinzu kommt, dass es für einen Menschen nicht so bedrohlich ist, einem anderen Intelligenz oder Attraktivität abzusprechen, als sich selbst einzugestehen, dass man nicht besonders klug oder nicht besonders attraktiv ist. Bei der Selbst- und Fremdeinschätzung kommt es dadurch zu vielen Missverständnissen und unterschiedlichen Wahrnehmungen.

Literatur

Steinert, Carsten (o.J.). Feedback als Führungsinstrument.
WWW: http://www.personalseite.de/aufsatz/steinert3.htm (02-10-06)

Vazire, Simine (2010). Who knows what about a person? The Self-Other Knowledge Asymmetry (SOKA) Model. Journal of personality and social psychology, 98, 281-300.

http://iundg.cs.uni-dortmund.de/lehre/projektgruppen/pg327/ergebnisse/thesenpapiere/projektmanagement/Gruppendynamik/Gruppendynamik.html (01-03-07)

http://sozialarbeitspsychologie.de/sw5.htm (01-04-02)

Bildquelle

http://www.teachsam.de/psy/psy_pers/selbstbild/selbstb_3-Dateien/image002.gif (01-05-14)



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