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Lernen und Vergessen

Der Verstand vergisst nur langsam etwas,
wenn er lange dafür gebraucht hat, es zu lernen.
Seneca

Im Deutschen kann man jemanden, etwas und vieles, auch völlig und ganz vergessen. Belegt sind der Schirm, der Mantel, Schlüssel, Zahlen und Zahlenkombinationen. Missvergnüglich wird es, wenn man zuerst eine Verabredung, dann das Passwort, dann ihren Geburtstag und folgend den Hochzeitstag vergisst: Bedenklich wird es, wenn man wiederkehrend den Namen seines Gesprächspartners vergisst oder das, was man eigentlich sagen wollte. Tragisch endet es,wenn man ihren Namen, dann seinen eigenen Kopf und ob dieser Erfahrung sich dann selbst vergisst. Das Wortfeld des Vergessens ist im Deutschen wie im Englischen mit Wörtern reich besetzt. Die korrespondierenden semantischen Netzwerke erlauben in beiden Sprachen eine stilistisch differenzierte Wortwahl, so bei der schriftlichen Textproduktion und vor allem bei der Übersetzung. Das besondere Potential an Wörtern des Vergessens erklärt sich dadurch, dass das Vergessen ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Denkens und Handeins ist. Mit dem Vergessen verbinden wir mentale Defizite,Einschränkungen, alltägliche Lästigkeiten und den gedanklichen Schrecken über ein Vergessen im Alter oder durch Krankheit. Das Vergessen beinhaltet jedoch auch heilende Kräfte: Wer also rein gar nichts vergessen kann, der steht in der Gefahr,dass sein Kopf platzt oder sein Herz bricht, da er bestenfalls vergeben aber nicht vergessen kann.
Kornelius, J. (20011). Vergessen und Übersetzen. T21N - Translation in Transition. Wissenschaftlicher Verlag Trier.

Pauken und Vergessen

Das Wissensgedächtnis hat sehr viele Module oder "Schubladen", die im Prinzip zwar unabhängig voneinander arbeiten können, aber miteinander verbunden sind. Dabei werden unterschiedliche Aspekte des Lerninhalts (Personen, Geschehnisse, Objekte, Orte, Namen, Farben, der emotionale Zustand, die Neuigkeit usw.) in unterschiedlichen Schubladen abgelegt. Entsprechend gilt: in je mehr Gedächtnis-Schubladen ein Inhalt parallel abgelegt ist, desto besser ist die Erinnerbarkeit, denn das Abrufen eines bestimmten Aspektes befördert die Erinnerung anderer Aspekte und schließlich des gesamten Wissensinhalts.

Wissensinhalte sind über Bedeutungsfelder miteinander vernetzt. Je mehr Wissensinhalte einer bestimmten Kategorie bereits vorhanden sind, desto besser ist die Anschlussfähigkeit.

Deshalb ist es ratsam, Dinge im ersten Schritt anschaulich und alltagsnah darzustellen, so dass die Kinder sich etwas dabei vorstellen können. Das ist nicht nur unterhaltsam, sondern erhöht die Anschlussfähigkeit der neuen Inhalte an die bereits vorhandenen.

In diesem Zusammenhang erklärt sich die Alltagsweisheit: Aller Anfang ist schwer! Dinge, die für den Lernenden neu, d.h. nicht anschlussfähig sind, fallen durch die Gedächtnisnetze hindurch, weil sie nirgendwo Brücken zu bereits vorhandenem Wissen bilden können. Sie werden dann zu einem mühsam gelegten Bodensatz, aus dem dann erste Bedeutungs-Netzwerke werden können. Gibt es hingegen schon weit ausgebreitete Gedächtnisnetzwerke, so wird jeder neue Inhalt schnell und gut abrufbar verankert.

Die ungeeignetste Lehr- und Lernmethode ist das Pauken, d.h. das simple Auswendiglernen. Hierbei werden Gedächtnisnetzwerke durch bloße Wiederholung von Inhalten ausgebildet. Dies klappt immer, und zwar auch dann, wenn weder Lerninteresse noch Vorwissen vorhanden sind. Pauken und Auswendiglernen haben aber einen entscheidenden Nachteil, nämlich dass sie eine Variante des motorischen Lernens darstellen und nicht des semantischen, d.h. inhaltlich bedeutsamen Lernens. Man beherrscht eine bestimmte motorische Fertigkeit (Fertigkeitslernen, z.B. Fahrradfahren, Klavierspielen, Instrumente bedienen), aber man versteht nicht, wie es funktioniert, und diese Fähigkeit ist - anders als inhaltliches Wissen - nicht auf andere Gebiete übertragbar. So kann man Wissen mechanisch erwerben und anwenden, Lehrbuchinhalte auswendig lernen, aber man hat sie dann nicht semantisch, d.h. in ihrer Bedeutung erfasst und kann nicht mit ihnen weiterarbeiten. So sagt dann der Lehrer: Das hast du doch einfach auswendig gelernt und nicht kapiert, was es bedeutet!

Am wichtigsten ist also das Gegenteil von Pauken, nämlich das selbständige Durchdringen des Stoffes. Dies bedeutet im Gedächtnis, dass bei der Konsolidierung der entsprechenden Gedächtnisinhalte Verbindungen zu anderen Wissensschubladen hergestellt und sogar neue Schubladen angelegt werden, in denen das Wissen abstrahiert, systematisiert und damit viel leichter auf andere Fälle übertragbar wird. Intelligenz ist zum großen Teil angeboren, Expertenwissen kann man sich anpauken, klug wird man nur durch hochgradige Vernetzung des eigenen Wissens.

Quelle:
Roth, Gerhard (2002). Warum sind Lehren und Lernen so schwierig?
WWW: http://www.uni-koblenz.de/~odsssfg/seminar/wahlmodule2003/unterlagen/b07/b07.4.pdf (03-07-11)

Das 5-10-20 Programm

Genau genommen sind die optimalen Zeitintervalle von Art und Inhalt des neu Gelernten abhängig. Doch als grobe und leicht zu merkende Faustregel können wir sagen: Im Anschluss an einen Lernblock sollte die erste Pause 5 Minuten betragen, die zweite 10 und die dritte 20 Minuten. Mit diesem Schema können wir eine ganz erhebliche Verbesserung der Behaltensleistung erzielen und mit geringstem Aufwand ein optimales Behalten erzielen.

Freilich werden wir nicht für jeden beliebigen Merkstoff dieses Programm einsetzen, was einen gewissen Planungsaufwand erfordert. Wir legen es vielmehr als Notbremse für besonders widerspenstige Inhalte bereit und setzen es vielleicht alle paar Tage einmal ein. Außer der kritischen Kerninformation, die wir endlich ins Gedächtnis stopfen wollen, müssen wir uns für die Zwischenzeiten auch Kontrastarbeiten bereithalten, die sich in 5,10, 20 Minuten durchführen lassen. Also am besten Wiederholungen von weit zurückliegenden Inhalten aus möglichst entfernten Stoffbereichen, oder noch besser, nicht lernbetonte Arbeiten (Geschirrwaschen, Aufräumen). Der gesamte Ablauf des 5-10-20-Programms nimmt genau eine Stunde in Anspruch und garantiert für eine kleine Lernportion eine optimale Einprägungswirkung.

Generell gilt für alles Einprägen, dass man die Lernzeit über einen längeren Zeitraum aufteilt. Einen Monat hindurch jeden Tag 10 Minuten lernen (= 300 Minuten) bringt unvergleichlich mehr als einmal im Monat 5 Stunden (= 300 Minuten) büffeln.

Das Vergessen ist - wie schon oben gesagt - ein normaler Vorgang. Es hängt eng mit der Funktionsweise unseres Gehirns zusammen. Unter einer langfristigen Perspektive betrachtet spricht man dann oft von Gedächtnisverlust. Es gibt viele verschiedene Ursachen dafür:

Alkohol "löscht" Gelerntes

Studenten sollten nach einem Tag anstrengenden Lernens möglichst keinen Alkohol trinken. Denn bereits geringe Mengen können die Gedächtnis-Leistung erheblich reduzieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der kanadischen Trent-Universität. Sie wurde in der deutschen Medizinzeitschrift "ärztliche Praxis" (München) veröffentlicht.
Studenten mussten eine komplizierte Denkaufgabe lösen. Eine Gruppe trank noch am selben Abend Alkohol, eine Vergleichsgruppe blieb abstinent. Eine Woche später wurde kontrolliert, wie groß das Erinnerungsvermögen war. Diejenigen, die nach dem Lernen Alkohol getrunken hatten, hatten erheblich größere Gedächtnislücken als die Nicht-Trinker.
Quelle: http://www.apa.at/scripts/depot/swe/19970521DBI023.txt (02-11-10)

 

Dass Lernen dann besonders effektiv ist, wenn in kurzen und verteilten Lerneinheiten gearbeitet wird und bei lange dauernder geistiger Arbeit viel weniger Inhalte im Gedächtnis verbleiben, wurde durch Schweizer Forscher um David Genoux (ETH Zürich) auf molekularer Grundlage bestätigt. In einem Versuch lernen Mäuse und erinnern sich besser, wenn das körpereigene Protein Phosphatase 1 (PP1) unterdrückt wird. Bei langen Lerneinheiten konnte eine erhöhte PP1-Aktivität nachgewiesen werden, während bei kurzen Lerneinheiten keine nachzuweisen war. Das Protein PP1 gehört zu einem komplexen System, das das Gehirn von unnützen Informationen "säubert" und für neue Kapazitäten sorgt. Diese Ergebnisse stellen eine mögliche biochemische Begründung für die bekannten lernpsychologischen Regeln des Vergessens dar. Hemmten Genoux et al. das Protein während einer lange dauernden Lektion, konnten sie keinen Unterschied in der Effektivität zwischen den Übungsmethoden mehr feststellen. In einem weiteren Versuch trainierten die Wissenschafter die Mäuse darauf, eine untergetauchte Plattform in trübem Wasser zu finden. Um das Erinnerungsvermögen zu testen, wurde die Plattform entfernt. Anfangs suchten die Nager die Plattform noch an der richtigen Stelle, aber mit der Zeit schwand das Erinnerungsvermögen. Blockierten die Forscher PP1 nach dem Training, konnten sich sowohl junge als auch ältere Versuchstiere länger an den Standort der Plattform erinnern. Damit ist das Protein auch am molekularen Prozess des Vergessens beteiligt, schließen die Wissenschafter.

Quelle: Protein phosphatase 1 is a molecular constraint on learning and memory. Nature, 418, 2002, S. 970 - 975.

Das Erinnern

Die Enkodierung der Gedächtnisinhalte erfolgt nach ihrer Bedeutung, d.h., je vertrauter das Material und je besser die Organisation, umso besser ist das Behalten und Erinnern. Man erinnert sich häufig eher an den Inhalt oder den Sinn eines gehörten Satzes als an den tatsächlichen Wortlaut - ein bei Prüflingen oft feststallbares Phänomen, wenn sie nicht den Sinn des gelernten Stoffes verstanden haben, sondern diesen repetitiv auswendig gelernt haben. Sie versuchen dann verzweifelt, den vollständigen Satz wiederzugeben, was unter der Prüfungssituation meist vergebliche Mühe bedeutet. Mit größerer Wahrscheinlichkeit wird demnach eher die Bedeutung oder der Inhalt von Sätzen gespeichert als deren genaue Struktur. Ein Satz, dessen Inhalt und Bedeutung wir nicht verstanden haben, lässt sich kaum zu einer erinnerbaren Informationseinheit organisieren und daher nur sehr schwer merken. Eine Reihe von Worten lässt sich leichter speichern, wenn diese zuerst in eine sinnvolle Struktur gebracht werden.

Gedächtnisinhalte werden auch dann am besten gespeichert, wenn sie inhaltlich hoch emotional sind (Emotionen drücken Bedeutung und Bewertung aus). Verkettung und elaborierendes Wiederholen helfen bei der Vorbereitung von Material für das langfristige Speichern, weil sie es organisieren und mit mehr Bedeutung versehen.

Bildhafte Vorstellung ist eine der effektivsten Formen der Enkodierung, vielleicht deshalb, weil sie sowohl für verbale als auch für visuelle Erinnerungen gleichzeitig Codes bereitstellt. Man erinnert sich an Wörter, indem man sie mit Vorstellungsbildern assoziiert - je lebhafter und deutlicher, desto besser.

Den Aspekt der Bedeutung des Vergessens für das Lernen hat übrigens auch der Begründer der Waldorfpädagogik Rudolf Steiner herausgearbeitet hat, denn das unwillkürliche Vergessen - also das Vergessen der eigenen Beteiligung am Zustandekommen von Wirklichkeit - funktioniert so, dass die gewöhnliche Bewusstseinsdominanz der erworbenen Vorstellungsinhalte gewissermaßen systematisch überwunden wird. Das wird in der Waldorfpädagogik dadurch praktiziert, dass die Vorstellungen offener gehalten werden, indem Bilder und bewegliche Begriffe verwendet werden. Der Unterricht ist so aufgebaut, dass eine Unterrichtstunde mit einer gegenstandsspezifischen Erlebnismöglichkeit etwa in Form einer Geschichte oder mit einer offenen Frage schließt, im waldorfpädagogischen Sprachgebrauch wird der Inhalt „mit durch die Nacht genommen“. An den Folgetagen wird das Thema wiederum aufgegriffen und vertieft, wenn etwa die Unterrichtsform des Epochenunterrichts vorsieht, dass ein Unterrichtsfach für drei bis vier Wochen jeden Morgen in den ersten beiden Schulstunden unterrichtet wird, was eine Organisationsform darstellt, eine von Tag zu Tag erfolgenden ganzheitlichen Stoffvertiefung unter Einbeziehung des Schlafes zu erreichen.

Enkodierspezifität bezeichnet den Umstand, dass Erinnerungen aus dem episodischen Gedächtnis dann am leichtesten abgerufen werden können, wenn die Umstände des Abrufs denen des Erwerbs ähneln. Das Prinzip der Enkodierspezifität berücksichtigt den engen Zusammenhang von Enkodierung, Speicherung und Abruf. Je besser die Abstimmung zwischen der Organisation der Enkodierung und den Hinweisen, die später beim Abrufen gegeben werden, umso besser wird die Erinnerungsleistung sein. Die Speicherung ist abhängig von Kontext und Zustand beim Speichern.

Kontextabhängigkeit des Erinnerns: neues Material wird leichter gelernt, wenn man auch die Einzelheiten der Begleitumstände der Lernsituation (den Kontext der Enkodierung) einspeichert. Wenn man etwas verloren hat, geht man den Weg nochmals ab und findet plötzlich das Gesuchte. Taucher erinnerten Material, das sie unter Wasser gelernt hatten, besser, wenn sie unter Wasser getestet wurden, selbst dann, wenn das Material selbst nichts mit Tauchen oder Wasser zu tun hatte. Die Kontextabhängigkeit ist ein Grund dafür, dass es nicht sinnvoll ist, in lauter Umgebung zu lernen (z.B. mit Radio), wenn man in einem stillen Raum geprüft werden wird.

Der Abruf wird besser sein, wenn es keine großen Unterschiede im physischen oder psychischen Zustand beim Lernen und beim Abruf gibt. Wenn man im glücklichen Zustand etwas gelernt hat, wird es einem im traurigen Zustand schwerer fallen, sich daran zu erinnern, als wenn es einem gelingt, die glückliche Stimmung wieder herzustellen.

Alkoholiker etwa können Verhaltensweisen, die sie unter Alkohol gelernt haben (z.B. selbstbewusstes Verhalten, bestimmte sexuelle Aktivitäten, ein Gedicht usw.) besser wieder unter Alkohol aktivieren als nüchtern. Depressive können in ihrer traurigen Phase kaum die glücklichen Zeiten ihrer Ehe lebhaft erinnern, auch wenn diese nachweisbar gegeben waren. Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (Vergewaltigung, Körperverletzung) erleben ihre traumatischen Erinnerungen deshalb so belastend, weil sie im Zustand großer Angst und Erregung gespeichert wurden und in diesem Zustand auch wieder in Erinnerung treten.

Das Finden von Erinnerungen im episodischen Gedächtnis ist häufig eine Rekonstruktion, also ein konstruktiver Prozess und nicht einfach ein Prozess des mechanischen Aufzeichnens. Beim Erinnern ergänzen wir das Erinnerungsmaterial oft durch das Ausfüllen von Lücken nach dem Prinzip der größten Wahrscheinlichkeit, Hinzufügen von Einzelheiten zur Vervollständigung, Abrunden zu einem stimmigen Gesamtbild gemäß einer bestimmten Hypothese oder Theorie, Formung des Erinnerungsmaterials nach dem Prinzip der "guten Gestalt", Veränderungen des Gedächtnisinhalts nach den jeweiligen Gefühlen und Motiven. Erinnern ist die Fortsetzung des aktiven konstruktiven Prozesses der Wahrnehmung. Die Vorstellung, dass unsere Erinnerung das Erlebte wie ein Foto oder Videofilm speichert und wiedergibt, ist somit grundfalsch - siehe dazu die irreführende Tonbandmetapher bei der Transaktionsanalyse). Konstruktive Prozesse treten entweder auf der Stufe der Enkodierung auf, wenn das Material zum ersten Mal verarbeitet wird oder später, wenn es wieder abgerufen wird.

Bei konstruktiven Gedächtnisprozessen spielen Schemata eine wichtige Rolle, also kognitive Strukturen, die aus vergangenen Erfahrungen aufgebaut wurden und Erwartungen und einen Interpretationskontext für neue Erfahrungen bereitstellen. Folglich beeinflussen sie, woran man sich erinnert. Es besteht eine ausgesprochene Neigung, neue Informationen in das bereits Bekannte einzuordnen. Viele der Konstruktionen und Verzerrungen beim Erinnern resultieren daraus, dass neue Informationen im Licht der Erwartungen aufgrund bereits existierender Schemata interpretiert werden (z.B. Erinnern des Gesichts einer schwarzen Person gemäß den Stereotypien, die wir von Schwarzen haben). Weitere Informationen oder falsche Informationen, die während des Abrufs dargeboten werden, können die Erinnerung beeinflussen, ohne dass der Erinnernde dies bemerkt. Aus dem Gesagten ergibt sich auch die Problematik von Augenzeugenberichten bei Gericht (z.B. anlässlich eines Autounfalls, wo verschiedene Zeugen dasselbe völlig unterschiedlich wahrgenommen und/oder erinnert haben).

Siehe dazu das "False-Memory-Syndrome"

Quelle

Morschitzky, Hans (o.J.). Gedächtnis.
WWW: http://www.panikattacken.at/gedaechtnis/gedaecht.htm (03-01-03)

Auf diesen Seiten beschreibt der Autor wichtige Aspekte des Gedächtnisses auf der Basis der aktuellen Literatur (Markowitsch, Calabrese, Schuri, Kessler, Schmidtke u.a.). Insbesondere wird auf dieser Seite auf krankhafte Veränderungen bei der Gedächtnisleistung eingegangen.

Gerüche können Erinnerungen auslösen und vice versa

Gerüche spielen auch einer wichtige Rolle bei der Erinnerung, denn Menschen können sich an den Geruch des Kinderzimmers oder des Lieblingsstofftiers auch nach Jahrzehnten noch erinnern, wobei das Geruchsgedächtnis meist sehr stark mit positiven oder negativen Gefühlen verknüpft ist.

Wenn sich jemand an ein Ereignis erinnert, werden in der Regel gleichzeitig verschiedene für die Sinneswahrnehmung zuständige Areale im Gehirn aktiviert. Denkt jemand etwa an einen Abend in einem Restaurant, können gleichzeitig die Hirnareale für Sehen, Hören, Riechen und Schmecken aktiviert werden. Jede Erinnerung an ein Ereignis setzt sich also aus verschiedenen Teilen zusammen, die in den verschiedenen sensorischen Arealen des Gehirns gespeichert sind, wobei der Hippocampus die verschiedenen Gedächtnisbruchstücke zu einem einheitlichen Ganzen zusammensetzt.

Jay Gottfried (University College London) unternahm Versuche, bei denen die Probanden Objekte sahen und dazu gleichzeitig einen bestimmten Geruch wahrnahmen. Zusätzlich sollten sie sich eine Verbindung oder Geschichte zwischen den beiden Reizen ausdenken. Sahen die Versuchspersonen anschließend die Objekte, ohne etwas zu riechen, fand sich dennoch eine Aktivierung im Gehirnzentrum der Geruchswahrnehmung. Die Erinnerung an ein Ereignis kann daher tatsächlich auch die Gehirnregion für Gerüche aktivieren.

Quelle: Neuron 42, Nr. 4, S. 687.

Nasenatmung beeinflusst die Gedächtniskonsolidierung positiv

Man weiß seit einiger Zeit, dass es eine Verbindung zwischen Geruch und Gedächtnis gibt, denn Menschen mit einem guten räumlichen Gedächtnis können Gerüche besser erkennen, wobei sollche Informationen im Zusammenhang mit Zeit und Raum im Nucleus anterior olfactorius gespeichert werden. Arshamian et al. (2018) haben nun untersucht, welcher Mechanismus für die Wirkung der Atmung auf das olfaktorische Gedächtnis verantwortlich ist, d. h. zu messen, was während des Atmens im Gehirn passiert und wie dies mit dem Gedächtnis zusammenhängt. In zwei getrennten Sitzungen codierten weibliche und männliche Teilnehmer Gerüche, gefolgt von einer einstündigen Ruhephase, in der sie entweder nur durch ihre Nase oder ihren Mund atmeten. Unmittelbar nach dieser Konsolidierungsphase wurde das Gedächtnis auf Gerüche getestet. Es zeigte sich dabei, dass durch die Nase statt durch den Mund zu atmen einen positiven Einfluss auf das Gedächtnis haben kann. Offenbar integriert das menschliche Gehirn Gerüche mit raumzeitlichen Informationen, um episodische Erinnerungen zu erzeugen. Dabei handelt es sich um den Prozess, der zwischen Lernen und Gedächtnisabruf stattfindet, wobei Riechhirnrezeptoren nicht nur einen Geruch sondern auch kleine Variationen des Luftstroms aufnehmen können, die im Gehirn beim Ein- und Ausatmen aktiviert werden. Diese Ergebnisse liefern einen ersten Beweis, dass die Atmung die Konsolidierung episodischer Ereignisse direkt beeinflusst, d. h., dass wichtigr kognitiven Funktionen durch den Atemzyklus moduliert werden.

Literatur

Arshamian, A., Iravani, B., Majid, A. & Lundström, J. N. (2018). Respiration modulates olfactory memory consolidation in humans. The Journal of Neuroscience, doi:10.1523/JNEUROSCI.3360-17.2018

Essen wir uns dumm?

Professor Michael Crawford, Direktor des Instituts für Gehirnchemie und Menschliche Ernährung an der Universität von Nord-London, stellt nahezu Unglaubliches trocken fest: "Die Kapazität des menschlichen Gehirns nimmt nicht mehr länger zu, sondern tatsächlich ab." Von Indien über Russland, Polen und Tschechien wird mentale Unterentwicklung gemessen. In einigen Regionen Brasiliens ist in den letzten dreißig Jahren schon das Schrumpfen der durchschnittlichen Gehirngröße zu beobachten gewesen. Auch in den industrialisierten Ländern geht die Geistesleistung messbar zurück. Für den Sachbuchautor und ehemaligen Spiegel-Journalisten Hans-Ulrich Grimm bilden solche Puzzleteile ein großes Bild: "Die Qualität unserer industriell hergestellten Nahrung sinkt, zugleich schaden Zusatzstoffe und hirngängige Chemikalien unserem Denkorgan."

Verstand kontra Chemie

Literatur
Emily Y. Chew, Traci E. Clemons, Elvira Agrón, Lenore J. Launer, Francine Grodstein & Paul S. Bernstein (2015). Effect of Omega-3 Fatty Acids, Lutein/Zeaxanthin, or Other Nutrient Supplementation on Cognitive Function. The AREDS2 Randomized Clinical Trial. JAMA, 314, 791-801.
In seinem neuen Buch „Die Ernährungslüge" (Droemer-Verlag) hat Grimm mehr als nur Indizien zusammengetragen, die den Zusammenhang zwischen Essen und Denken klar belegen.

"Das Essen ist von so alltäglicher Natur, dass seine zentrale Bedeutung bisher übersehen worden ist", zitiert Grimm den eingangs erwähnten Gehirnspezialisten Crawford und fragt sich: "Mampft sich der Mensch zurück in die Steinzeit?"

Jean Carper, US-amerikanische Ernährungsspezialistin: ?Wie wir inzwischen wissen, reagiert gerade das Gehirn besonders sensibel auf Stoffe aus der Nahrung." Beispiel Omega-3-Fettsäuren: Sie sind für das Gehirn lebensnotwendig, aber in der Lebensmittelindustrie unerwünscht, weil sie nicht so haltbar sind, wie die Supermarktketten sich das wünschen. "Wenn wir zu wenig Omega-3-Fettsäuren zu uns nehmen, sind die Folgen verheerend", sagt Crawford. "Die Kapazität des Gehirns nimmt nicht mehr zu, sondern ab." Was statt den mehrfach ungesättigten Fettsäuren wie Omega-3 verzehrt wird, sind jedoch ungesunde Fette, etwa in Fast-Food. 80 Prozent der US-Amerikaner sind hinsichtlich Omega-3-Fettsäuren unterversorgt. Man findet in zahlreichen Medien, dass Omega-3-Fettsäuren sind gut für die Augen, das Herz und vor allem für das Gehirn wären, sofern sie durch die Nahrung aufgenommen werden, denn dann kann sie der menschliche Körper am besten verarbeiten. In einer Studie (Chew et al., 2015) wurden an die 4000 Probanden in einem Zeitraum von fünf Jahren mit einem durchschnittlichen Alter von 72 Jahren nach dem Zufallsprinzip vier Gruppen zugewiesen, denen verschiedene Ergänzungsmittel verabreicht wurden: Eine Gruppe erhielt nur Omega-3-Präparate, eine anderen nur Nährstoffe aus Gemüsen und eine weitere Gruppe eine Mischung aus beiden und die letzte erhielt ein Placebo. Zu Beginn der Studie machten die Probanden einen Test zu ihren kognitiven Fähigkeiten, der nach zwei und nach vier Jahren wiederholt wurde, wobei vor allem Aufmerksamkeit, Erinnerungsvermögen, das Abrufen von Erinnerungen und die Verarbeitungsgeschwindigkeit von Informationen geprüft wurde. Das Ergebnis zeigte bei allen Gruppen eine vergleichbare Minderung der kognitiven Fähigkeiten, unabhängig von der Verabreichung von der Nahrungsergänzungsmittel.

"Die weitreichendsten Auswirkungen haben vermutlich die in riesigen Mengen eingesetzten Zusatzstoffe in Lebensmitteln", schreibt Grimm. Die Zitronensäure beispielsweise, die in zahlreichen Lebensmitteln und auch Süßigkeiten enthalten ist - von Rama über Fanta bis hin zu Haribo-Gummibärchen -, könne die Aufnahme von Aluminium im Gehirn fördern. Und damit das Alzheimer-Risiko erhöhen.

Als besonders problematisch gilt der so genannte Geschmacksverstärker Glutamat. Zahlreiche Wissenschaftler halten Glutamat in Überdosis für ein Nervengift, etwa der Heidelberger Naturwissenschaftler und Alzheimer-Spezialist Konrad Beyreuther. Es führe zur Zerstörung von Nervenzellen und könne daher bei Alzheimer, Parkinson und der multiplen Sklerose eine unheilvolle Rolle spielen. 1,5 Tonnen werden alljährlich davon weltweit abgesetzt. Der mit Glutamat chemisch verwandte Süßstoff Aspartam ("Nutra Sweet", Coca-Cola Light) wirke in großen Mengen auf ähnliche schädliche Weise.

Andrew Stoll, Direktor des pharmakologischen Forschungslabors am McLean Hospital in Belmont (Massachusetts), meint, dass „die gewaltigen Veränderungen in unserer Ernährung zu den steigenden Raten psychiatrischer Erkrankungen in der westlichen Welt beigetragen haben".

Autismus und Essen

Autismus sei z. T. eine besondere Form der Nahrungsmittelunverträglichkeit, vermuten Experten. Das habe zur Folge, dass im Körper bestimmte Stoffe entstehen, die wie Drogen wirkten. So genannte Peptide versetzen das Gehirn in Aufruhr - und verursachen zudem ein geradezu suchtartiges Verlangen nach diesem schädlichen Stoff. Erzeugt werden sie im Verdauungstrakt, ins Gehirn gelangen sie etwa durch das sich ausbreitende ?Löchriger-Darm-Syndrom". Das wiederum kann durch Krankheiten entstehen als auch durch Nahrungsmittelzusätze, wie im Fertig-Kartoffelpüree. Eine Vermeidungsdiät führe laut Studien bei 81 Prozent der autistischen Kinder zu "bemerkenswerten Fortschritten".

Auch bei der Schizophrenie, Hyperaktivität, beim Tourette-Syndrom und bei Depressionen spielen chemische Übertragungsmechanismen eine Rolle. Und oft können veränderte Essgewohnheiten die Symptome beeinflussen.

Schadstoff im Essen

"Bei den vielen Chemikalien, die der industriell produzierten Nahrung zugesetzt werden, genügen winzige Mengen, um die Hirntätigkeit zu beeinflussen", so Grimm: "Siehe LSD. Da genügen acht bis zehn Moleküle, und das Hirn spielt verrückt."

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt auch deshalb, Schadstoffe im Essen zu minimieren, um so "das Risiko für Hirnschäden bei Kindern zu verringern, die indirekt zu Jugendgewalt führen können".

Grimm: "Schön wäre es, wenn 5-Minuten-Terrinen glücklich machen würden und Packerlsuppen klug. Noch sieht es allerdings eher so aus, als ob die Erzeugnisse der Nahrungsmittelindustrie den Menschen - bei wachsender Beliebtheit - zunehmend auf den Geist gehen."

Quelle

Klaus Buttinger: Der Darm denkt. OÖNachrichten vom 6.09.2003
WWW: http://www.nachrichten.at/magazin/wochenende/208970 (03-09-07)

25 Watt Energie verbraucht unser Gehirn, so viel wie eine kleine Glühbirne. Zucker ist sein Treibstoff, 10.000 Hormone und Botenstoffe steuern den Denkapparat. Chemikalien aus industriell produzierter Nahrung werfen zunehmend Steine ins Hirngetriebe. Und so ist der Mensch, was er isst.

Siehe dazu auch Einige Forschungsergebnisse zum Erinnern und zum "False-Memory-Syndrome

Das Lernen von Hunden im Alter

Der Einfluss des Alters auf kognitive Prozesse wie beispielsweise Lernen, Merkfähigkeit sowie logisches Schlussfolgern wurde bislang fast ausschließlich bei Menschen untersucht, doch nun haben Wallis et al. (2016) diese Fähigkeiten auch bei Haushunden unterschiedlichen Alters mit Hilfe von Tests an einem Touch-Screen erforscht. Probanden waren Border Collies im Alter zwischen fünf Monaten und 13 Jahren, denn Border Collies haben den Ruf, besonders schnelle Lerner zu sein, da sie für das Hüten von Schafherden gezüchtet wurden. Die Hunde wurden in fünf Altersgruppen eingeteilt und durchliefen vier verschiedene Tests, wobei die Aufgaben so aufgebaut waren, dass Lernfähigkeit, logisches Schlussfolgern und Merkfähigkeit geprüft wurden. Im ersten Teil mussten die Tiere lernen, vier von insgesamt acht abstrakten Bildern auf einem Touchscreen richtig auszuwählen. Hierzu wurden ihnen jeweils zwei Bilder auf dem Bildschirm präsentiert. Ein Bild war positiv belegt – für das Anstupsen dieses Bildes gab es also eine Futterbelohnung. Das zweite Bild war negativ belegt – hier gab es für das Anstupsen keine Belohnung sondern eine Auszeit. Die vier “positiven“ Bilder wurden in unterschiedlichen Kombinationen mit den vier „negativen Bildern“ präsentiert. Ältere Hunde benötigten dabei mehr Anläufe, bevor sie die Aufgabe richtig lösen konnten, als jüngere Hunde, wobei ältere Hunde in ihrer Denkweise weniger flexibel waren als jüngere. Wie auch bei Menschen fällt es den betagteren Hunden schwerer, Gewöhntes oder Gelerntes zu verändern. In einem weiteren Test wurden den Border Collies wiederum zwei Bilder auf dem Touchscreen präsentiert, doch dieses Mal war jedoch eines der Bilder neu für die Tiere. während sie das andere bereits aus dem ersten Test kannten und es als „falsch“ einordnen konnten. Die Hunde mussten nun logische Schlüsse ziehen. Sie hatten zuvor gelernt, dass eines von zwei präsentierten Bildern immer als positiv, das andere als negativ eingestuft werden muss. Im Test kannten sie nur das negativ belegte Bild. Das andere, neue und unbekannte Bild musste demnach positiv belegt sein. Die Hunde mussten also nach dem Ausschlussprinzip wählen. Mit steigendem Alter schnitten die Hunde bei dieser Aufgabe besser ab, während jüngere Hunde die Aufgabe nicht meistern konnten, was vermutlich daran liegt, dass die alten Hunde stärker auf das vorher Gelernte beharrten und weniger flexibel agierten als die jungen Tier. Sechs Monate nach den ersten Lerntests wiederholte mann die Touch-Screen-Versuche zur logischen Schlussfolgerung mit allen Hunden nochmals, wobei sich jedoch beim Langzeitgedächtnis keine signifikanten Altersunterschiede zeigten.

Literatur:
Lisa J. Wallis, Zsófia Virányi, Corsin A. Müller, Samuel Serisier, Ludwig Huber & Friederike Range (2016). ging effects on discrimination learning, logical reasoning and memory in pet dogs. Age, 38/6. DOI 10.1007/s11357-015-9866-x.

Siehe dazu auch die Ausführungen zum

Literatur zum Vergessen



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