[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Die Praxis des Schreibens wissenschaftlicher Texte*)

Schreiben ist eine sehr individuelle Angelegenheit und lässt sich nicht ohne weiteres mit allgemein gehaltenen Ratschlägen befördern. Es ist nicht nur die Klarheit des Denkens, die uns zum Schreiben befähigt. Meist wird unterschätzt, welchen Einfluss die äußeren Voraussetzungen auf das Schreiben haben.

Schreiben erfordert einerseits eine hohe Arbeitsdisziplin, andererseits ausreichend spontane Offenheit, um auf Gedanken zu reagieren, die erst beim Schreiben selbst auftauchen. Schwierigkeiten beim Schreiben deuten häufig darauf hin, dass Konzeption und Aufbau nicht genügend durchdacht wurden, d.h. es sind dann inhaltliche Mängel, die den Schreibprozess beeinträchtigen. Wo ungeklärte Vorfragen den Schreibprozess stören, müssen sie gelöst werden, indem man die Argumentation neu durchdenkt und dazu das Gespräch über die eigenen Argumentationen sucht. Wenn Schreibblockaden auftreten, ist also erst zu überlegen, ob man nicht auf eine inhaltliche Unklarkeit gestoßen ist.

Der Schreibstil

Um in den Schreibfluss zu kommen, ist es wichtig, eine bestimmte Diktion oder einen eigenen Tonfall zu entwickeln, also das, was man Stil nennt. Das liest sich nicht nur besser, sondern erleichtert auch die Schreibarbeit. Der sinnvolle Ausgangspunkt für den Stil ist die mündliche Sprechweise und auch deshalb ist es manchmal angebracht, ein Referat erst mündlich zu halten und dann in eine schriftliche Fassung zu bringen. Man kann sich aber auch eine bestimmte Schreibweise aus der gelesenen Literatur "aneignen" und sie auf die eigenen Möglichkeiten ausrichten. Sobald man einen bestimmten Tonfall im Ohr bzw. vor Augen hat, sollte man versuchen, ihn über den ganzen Text hinweg durchzuhalten bzw. davon abweichende Passagen nachträglich daran anzupassen.

Um den angemessenen Stil zu finden, ist es sinnvoll, zunächst probeweise (sofern das nicht schon beim Ausschreiben einzelner Gedankengänge geschehen ist, die während der Vorarbeiten auftauchten) einige Schreibweisen durchzuspielen, um diejenige herauszufinden, die gut von der Hand geht und zugleich dem Thema angemessen erscheint.

Um einen Stil durchzuhalten und eine überzeugende aufeinander aufbauende und lesbare Darstellung zustande zu bringen, empfiehlt es sich, sich beim Schreiben einen Leser vorzustellen. Bei Seminararbeiten ergibt sich hier das Problem, dass zu häufig für den Schein und das heißt den Veranstalter geschrieben wird, der natürlich im allgemeinen informierter ist. Um ihn zu beindrucken, riskiert man deshalb seine Möglichkeiten zu überschätzen und in durchsichtigem Bluff steckenzubleiben. Sinnvoller ist es, die Mitstudenten als Ansprechpartner zu imaginieren und so zu schreiben, dass sie Argumentationen und Zusammenhänge nachvollziehen können und der Text für ihr Niveau lesbar verfaßt ist. Das bedeutet dann auch, nicht mit künstlich aufgeblähten Begrifflichkeiten um sich zu werfen, wo sie vom Thema her nicht gerechtfertigt sind. Ein Begriff ist nur dort am Platze, wo ein Sachverhalt oder Zusammenhang anders nicht mit ausreichender Genauigkeit auszudrücken ist. Man kann das testen, indem man die Aussage in eine alltäglichere Ausdrucksweise übersetzt und darauf achtet, ob sie dabei an Genauigkeit verliert. Überhaupt erleichtert eine sachliche und zugleich gefällig formulierte Diktion die Lektüre wissenschaftlicher Texte, und man sollte sich davon auch dadurch nicht abhalten lassen, dass die wissenschaftliche Literatur nicht immer nachahmenswerte Vorbilder bietet.

Schreibblockaden sind oft auch individuell bedingt und müssen dann auch individuell gelöst werden. Dennoch lassen sich zwei Varianten unterscheiden, die das Formulieren gegensätzlich angehen:

Auch bei besten Arbeitsbedingungen und optimalen Ergebnissen läßt die geistige Konzentration irgendwann nach, die Arbeitsintensität sinkt und das Ergebnis wird im Verhältnis zur Zeit immer schlechter. Schreiben verlangt eine sehr einseitige Tätigkeit, und früher oder später fordert unsere Natur ihr Recht. Für die meisten Menschen erschöpft sich konzentriertes Schreiben nach etwa zwei Stunden. Statt sich zu verkrampfen, sollte man, wenn der Punkt der Erschöpfung erreicht wird, zu einer anderen und entspannenden Tätigkeit übergehen. Das mag für jeden etwas anderes darstellen, vom Spazierengehen, Joggen übers Abspülen, Staubsaugen, Holz hacken bis zum Fernsehen oder Schokolade knabbern. Im Allgemeinen ist es sinnvoll, sich einer mehr körperlichen Betätigung zuzuwenden. Manchmal reicht es schon, fünf Minuten auf dem Balkon durchzuatmen, um die Gedanken zu klären und plötzlich einen Ausweg aus dem Problem zu finden, an dem man festhing. Wo das Festhaken weniger der Erschöpfung, sondern eher der ungenauen Argumentation geschuldet ist, sollte wieder das Gespräch gesucht werden, bei dem sich die Gedanken klären und neue Wege auftun können.

Wissenschaftliche Texte lassen sich nicht als geniale Würfe zu Papier bringen. Die Anforderung an die Objektivierbarkeit der Aussagen, die ständige Überprüfung des Gesagten oder Geschriebenen an den Faktizitäten des Materials und den Theorien der wissenschaftlichen Literatur macht es nötig, den verfassten Text in wiederholten Durchgängen zu kontrollieren und umzuarbeiten. Während man bei einem erzählenden Text entweder scheitert oder eine Textform findet, die als gelungen und fertig betrachtet werden kann, während man beim essayistischen Schreiben im wesentlichen den eigenen Gedankengängen folgen darf und es nur darauf ankommt, sie angemessen auszudrücken, kann der wissenschaftliche Text so gut wie niemals als endgültig betrachtet werden: Immer gäbe es weitere Literatur zu berücksichtigen oder einzelne Gesichtspunkte noch genauer auszuführen. Es ist dann weniger die gelungene Form, die den Stift aus der Hand legen läßt, sondern der zur Verfügung stehende Zeitrahmen. Die ständige Anstrengung, ausgearbeitete Gedankengänge und geschriebene Textfassungen immer wieder in Frage zu stellen, an neuem Material zu messen, die Argumentation neu zu durchdenken und den ausformulierten Text umzuarbeiten, ist nicht zu umgehen, wenn die Arbeit die nötige inhaltliche Dichte und stichhaltige Diktion erhalten soll. Arbeiten, die zu rasch angefertigt werden, leiden fast immer unter beträchtlichen inhaltlichen Mängeln.

Für das Umarbeiten sollte eine ausreichende Distanz zur bisherigen Arbeit hergestellt werden, die im allgemeinen am ehesten gewährleistet ist, wenn man die Arbeit eine Zeit lang ruhen lassen kann und sie sich dann mit kritischem Abstand wieder zu Gemüte führt. Für die meisten dürfte es besser sein, Zeitdruck möglichst vermeiden, bzw. so rechtzeitig mit dem Abfassen der schriftlichen Fassung beginnen, damit schöpferische Pausen möglich sind und genutzt werden können. Wer den Zeitdruck braucht, sollte Unterbrechungen in der Zeitplanung berücksichtigen.

In Seminaren zum wissenschaftlichen Arbeiten wird auch immer gefragt, ob man in Ich-form schreiben dürfe und ob man die eigene Meinung äußern solle. Eine seltsame Gepflogenheit setzt ein wissenschaftliches Wir anstelle des angreifbareren Ich (wie das beispielsweise Sigmund Freud tat). Das klingt heute nicht nur etwas manieriert, es schützt auch eine Übereinstimmung vor, die gerade in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen kaum zu finden ist. Angemessener ist es überall dort ein klares Ich zu setzen, wo man als Person in Erscheinung tritt. Insbesondere gilt das für Äußerungen mit geringer Verallgemeinerbarkeit wie zum Beispiel vorläufige Schlußfolgerungen, Vermutungen oder persönliche Eindrücke. Die Frage, wie weit man die eigene Meinung äußern darf, sollte sich nach dem bisher Gesagten schon erübrigt haben: Die Entwicklung einer eigenen (durch das herangezogene Material, angeführte Begründungen und die Ansichten wissenschaftlicher Autoren gestützte) Position ist Sinn und Zweck des Abfassens von Referaten. Es gibt aber immer wieder auch Aussagen, die nicht ohne weiteres begründet und gesichert werden können. Auch sie dürfen ohne weiteres geäußert werden, sofern sie als subjektive und ungesicherte Meinungsäußerung gekennzeichnet sind.

Die Anforderungen an wissenschaftliche Redlichkeit und Überprüfbarkeit beinhalten, dass wörtliche Übernahmen aus anderen Texten als Zitate gekennzeichnet und ihre Quellen vermerkt werden. Zitate sind jedoch kein Arbeitsersatz. Vielen Studierenden fällt es schwer, sich von den Texten zu lösen, die sie gelesen haben, einen Sachverhalt in eigenen Worten auszudrücken. Sie reihen Zitat an Zitat und formulieren nur die Verbindungssätze selbst. Das Ergebnis ist ein Zitate-Patchwork - keine selbständige Arbeit. Die Literatur ist nur Mittel zum Zweck: ein Thema behandeln, ein Problem beleuchten, einer Frage nachgehen usw. Eine Reihung von Zitaten ist oft Ausdruck dafür, dass Sie Ihr Thema noch nicht im Griff haben. Kurz: Sie sollten Ihre Arbeit schreiben. Stützen Sie sich dabei auf die Literatur und weisen Sie die Gedanken anderer aus: denn ehrlich währt am längsten.

Einleitung und Schlussteil sollten erst geschrieben werden, wenn die Hauptteile ausgeschrieben sind. Im letzten Durchgang ist auch auf die Übergänge zwischen den Kapiteln des Hauptteils zu achten: Der inhaltliche Zusammenhang, der über die Argumentation hergestellt wurde, sollte sich auch in überleitenden Sätzen ausdrücken. Die wesentlichen Abschnitte sollten nicht abgehackt nebeneinander stehen, sondern soll die Lesenden von einem Punkt zum nächsten führen. Eine Einleitung hat die Funktion,

Ob alle und wie ausführlich diese Punkte in einer Einleitung angesprochen werden müssen, hängt vom Gegenstand und Umfang der Arbeit ab. Die Einleitung kann auch als kurze und eher persönlich gehaltene Hinführung des Lesers zum Thema geschrieben werden, dann wird aber ein erster Punkt des Hauptteils die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit zu leisten haben. Die Schlussbemerkungen können auf einleitende Feststellungen zurückkommen, ein kurzes Resumee der Diskussion ziehen oder weitergehende ungeklärte Fragen andeuten. Wiederum können sie, wo am Ende des Hauptteils diese Punkte schon angesprochen wurden, auch nur aus einem kurzen Abspann bestehen.

Zum trockenen Schreibstil in den Wissenschaften

Gottfried Schatz im Artikel "Da versagen unsere Unis" in NZZ Online: "Der trockene Schreibstil der Naturwissenschaft trägt wesentlich dazu bei, dass die heutige Gesellschaft Verstand als kalt, unpersönlich und nüchtern, «Kultur» aber als warm, menschlich und individuell sieht. Diese Klischees sind unsinnig. Viele grosse Wissenschafter sind ungewöhnlich witzig, emotionell und musisch. Das Klischee einer nüchternen und langweiligen Wissenschaft erklärt sich wahrscheinlich auch daraus, dass viele Menschen, die Wissenschaft betreiben, im Grunde keine Wissenschafter sind."

Quelle: Merkel, Johannes (o.J.): Wie halte ich ein Referat? Wie schreibe ich eine wissenschaftliche Arbeit?
WWW: http://www.studierwerkstatt.uni-bremen.de/download/referat-howto-merkel.pdf (05-05-05)





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