Emotionen im Schulalltag: Wirkungen und Regulationsformen
Zu wissen, wie man anregt, ist die Kunst des Lehrens.
Henri Frédéric Amiel
Nach einer Untersuchung des Kinderhilfswerks UNICEF aus dem Jahr 2012 verbringen Kinder und Jugendliche im Durchschnitt 38,5 Stunden pro Woche in und mit der Schule, wobei es bei älteren Schülern in einer Woche auch 45 Stunden und mehr sein können. Summiert man diese Stunden über ein Schülerleben, können sich diese zu mehreren tausend Stunden addieren. Von diesen Bemühungen, sich Wissen anzueignen, und von den gelernten schulischen Inhalten bleibt nur wenig im Gedächtnis, wobei man sich inhaltlich meist an jene Fächer erinnern kann, in denen ein Lehrer seinen Unterricht besonders gut gestaltet hat, während die übrigen Gegenstände und deren Inhalte sich verflüchtigt haben.
Am besten und am meisten lernt man bekanntlich von Menschen, die es schaffen, andere für eine Sache zu interessieren und im Idealfall sogar zu begeistern. Meist sind es Menschen, die selbst von der Sache fasziniert und begeistert sind. Beim Lehren geht es daher weniger um Inhalte und nicht einmal zwingend um die reine Informations- oder Methodenvermittlung, sondern darum, ein Feuer der Begeisterung für ein Thema zu entfachen und das vor allem erst einmal bei sich selbst. Wenn einen Lehrer ein Thema begeistert, dann kann er das sehr oft auch anderen vermitteln. Um das zu erreichen, sollte man sich vor dem Lehren fragen:
- Was begeistert mich selbst so daran und wie kann ich diese Faszination vermitteln?
- Wie kann ich anderen einen Zugang zu dem verschaffen, was ich in dem Thema sehen kann?
- Wie kann ich das, was ich vermitteln will, so aufbereiten, dass es interessant und spannend ist?
- Wie kann ich erreichen, dass der andere neugierig wird?
- Wie kann ich erreichen, dass der andere Fragen zu stellen beginnt?
- Wie kann ich erreichen, dass der andere von sich aus mehr wissen will?
(Quelle: Zeit zu leben-Newsletter 2010 vom 28. März 2010)
Wenn Du ein Schiff bauen willst
dann trommle nicht Männer zusammen
um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben
und die Arbeit einzuteilen,
sondern lehre die Männer die Sehnsucht
nach dem weiten, endlosen Meer.
Antoine de Saint-Exupery (Citadelle)
Motive schulischen Lernens
Der Lernerfolg in der Schule wird vor allem durch weiche Faktoren des Lernenden beeinflusst, also Gefühle, Motivation, Intention und Willen.
- Selbst-Verwirklichungs-Lernende sind hoch motiviert und betrachten Lernen als einen wichtigen Baustein der eigenen Entwicklung, d.h., sie haben auch ein natürliches Bedürfnis nach selbstgesteuertem Lernen.
- Leistungs-Lernende sind motiviert, wenn sie ein bestimmtes Thema interessiert oder wenn sie für den Lernerfolg belohnt werden, d.h., sie lassen sich eher Ziele vorgeben als selbst Perspektiven zu entwerfen. Sie gehen daher nur ein geringes Risiko ein und scheuen allzu große Anstrengungen.
- Konforme Lernende lernen, weil es von ihnen erwartet wird, d.h., sie eignen sie sich Wissen leidenschaftslos an und bevorzugen ein geführtes Lernen, genaue Vorgaben und unmittelbares Feedback.
- Widerspenstige Lernende sehen generell keinen Sinn im Lernen, das für sie bestenfalls ein notwendiges Übel darstellt.
Diese Einstellungen sind aber keine überdauernden Persönlichkeitseinstellungen, denn auch der jeweilige Lernkontext muss berücksichtigt werden, der zu unterschiedlichem Lernverhalten führen kann. Wenn man anderen dazu verhelfen will, motiviert zu lernen, dann muss man den Betreffenden helfen,
-
sich selbst realistische Ziele zu setzen,
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die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen,
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für sich konkrete Verhaltensziele zu bestimmen, und
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Rückmeldungen einzuholen, ob sie ihr Ziel erreicht haben, d.h. ob die Handlungen den gewünschten Effekt hatten.
Funktionen und Wirkungen von Emotionen in der Schule
Die Emotionspsychologie geht von unterschiedlichen Funktionen der Emotionen aus, wobei nicht nur davon ausgegangen wird, dass die Handlungssteuerung von Emotion und Motivation durchgeführt wird, sondern auch die Gefühle einen wesentlichen Beitrag leisten (vgl. Hascher, 2005, S. 610). „Emotionen beeinflussen die Aktivierung und die Antriebskraft des Menschen, Emotionen beeinflussen motivationale Orientierung und Absichten und Emotionen sind Schaltstellen für kognitive Prozesse“ (Bandura, 1997, zit. nach Hascher, 2005, S. 610).
Forschungsergebnisse von Schülerinnen/Schülern werden von zwei Forschungszweigen geliefert: die experimentelle Stimmungsforschung sowie die empirische Schulforschung, welche die erlebten Gefühle im Schulalltag untersucht. Gezielt induzierte Gefühle, positive Stimmung die durch ein kleines Geschenk hervorgerufen wurde, ging aus einer positiven Emotion hervor. Diese Stimmungsinduktion ist dennoch zeitlich mit maximal 20 Minuten begrenzt und in sich nicht stabil, sondern geht mit der Intensität der Aufgabenstellung und auch mit hoher Konzentration zurück (vgl. Hascher, 2005, S. 611). Stimmungsinduktion kann auch von verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen abhängig sein. Introvertierte Persönlichkeiten sprechen intensiver auf Texte mit traurigem Inhalt an, und fühlten sich nach dem Lesen schlechter als extrovertierte Menschen (Larsen, R. Ketelaar, T. (1991), zit. nach Hascher, 2005, S. 611). Bei genauerem Blick auf die Methoden der Stimmungsforschung lassen sich nur sehr eingeschränkt Schlüsse auf das schulische Lernen ziehen. Doch legen die Erkenntnisse der Stimmungsforschung klar, dass sich Gefühle kurzfristig beeinflussen lassen, als auch Gefühle einen nicht minder wichtigen Einfluss auf das Handeln, die Emotion und die Kognition haben (vgl. Hascher, 2005, S. 611). Im kognitiv-motivationalen Mediatorenmodell nach Abele spielt, neben den Faktoren Informationsbereitstellung und –verarbeitung, Absichtsbildung und Anstrengungskalkulation, die als vermittelnde Variablen zwischen Stimmung und Leistung fungieren, auch der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben eine Rolle (Hascher, 2005, S. 612).
Die Motivationsforschung geht bei der Analyse von real erlebten Gefühlen von getrennten Funktionsbereichen der Motivation und Emotion aus, dennoch stehen sie in enger Wechselwirkung beim Lernen und Leisten. Lernumgebungen in denen Integration, Autonomie und Kompetenz nicht erlebt werden können, sollen soweit wie möglich vermieden werden; wobei sich eine positive Verstärkung bei dem Erleben von sozialer Eingebundenheit ergibt (vgl. Hascher, 2005, S. 613). Die Pädagogische Psychologie geht davon aus, dass langfristig positive Emotionen sich gut auf den Lernerfolg und die Leistungssteigerung auswirken. Sie stellen die affektive Basis für die Entwicklung von lern- und leistungsfördernden Kognitionen und Motivationen dar (vgl. Hascher, 2004b, zit. nach Hascher, 2005, S. 613). Auch ist es durchaus wichtig in Lernsituationen einen sozialen Kontext mit zu berücksichtigen. Dies ist ausschlaggebend bei Fehlersituationen im schulischen Lernprozess wie beispielsweise mangelndes Wissen, Fehlinterpretationen, fehlende Motivation oder mangelnde Leistungsfähigkeit. In solchen Situationen, wo der schulische Unterricht eher fehlerintolerant ist, versuchen Schüler ihre Emotionen im Verborgenen zu halten. Die Gefühle Scham oder Unbehagen werden unterschiedlich intensiv von den Schülern bewertet, wobei ein Teil diese Gefühle als negativ beurteilen andere wiederum dies als „normalen Bestandteil des Lernprozesses“ einordnen (vgl. Hascher, 2005, S. 615). Nach Weinert wäre es sinnvoll, den Unterricht in klare Lern- und Leistungssequenzen zu unterteilen, damit solche Fehlersituationen vermieden werden könnten. Dennoch ist der schulische Alltag nicht dem entsprechend. Viele Lehrkräfte versuchen eine strikte Trennung zu vermeiden und setzen dies als Machtinstrument ein, um für Disziplin im Klassenverbund zu sorgen (vgl. Hascher, 2005, S. 616).
Die Regulation von Emotionen
Möglichkeiten zur Regulation von Emotionen geben beispielsweise Larsen und Prizmic: Ablenkung, Problemlösung bzw. zukünftige Problemvermeidung, Selbstbelohung, physische Ersatzbefriedigung, Abreagieren des Gefühls, Unterdrückung oder Vergleich mit Menschen, denen es noch schlechter geht. Weiters können positive Gefühle durch Fokussierung, prosozialen Verhaltens und Ausleben der positiven Gefühle als Strategien der Verlängerung herangezogen werden (vgl. Hascher, 2005, S. 617). In der Studie von Hascher, welche Emotionstagebücher von Schüler auswertete, zeichnet sich ein klarer Trend zur künftigen Situationsvermeidung – insbesondere durch die Formulierung guter Vorsätze – ab. Die Jugendlichen verfügen über ein breites Instrumentarium an Regulationsstrategien für die Schule, einerseits „Ich-zentriert“ andererseits sozial orientiert (vgl. Hascher, 2005, S. 619). „Eine bestimmte Kombination von Strategien tritt relativ häufig auf: die Kombination der Personifizierung des Problems mit Aggression gegenüber der jeweiligen Person. Sie drückt sich z.B. in der Formulierung wie ‚Diese Scheiß-Lehrer sind doch alle gleich‘ aus“ (Hascher, 2005, S. 620).
Was ist also guter Unterricht?
Viele LehrerInnen fragen sich, was guter Unterricht ist - im Prinzip ist es ganz einfach: Unterricht ist dann erfolgreich. wenn Lernende den Lerninhalt erfasst haben (kognitiv), selber leidenschaftlich (emotional) darüber reden und danach etwas ‘bewegen’ wollen (aktional).
Es ist die klassische psychologische Trias Kognition - Emotion - Aktion, die an gutem Unterricht beteiligt sind. Was tun nun gute Lehrer, um dieses Ziel zu erreichen?
- Sehr gute Lehrer sind nicht nur fachlich kompetent, sie sind auch kompetent in der Umsetzung effektiver Lernprozesse, d.h., sie gestalten den Unterricht so, dass nicht nur Wissen transferiert wird, sondern auch die dazugehörigen Fähigkeiten erlernt werden.
- Sehr gute Lehrer kennen ihre Lernende, d.h., sie kennen ihre Hoffnungen und Ängste und sie fühlen sich ihren Lernenden gegenüber verpflichtet. Ein Lehrender, der weiß, wer welchen Hintergrund die Lernenden mitbringt, kann ganz anders mit Lerihnennenden umgehen und sie in den Unterricht einbinden.
- Gute Lehrer schaffen eine Lernatmosphäre in der Menschen es wagen, Risiken einzugehen. Beschämte, gedemütigte oder erniedrigte Lernende sind nicht am Lernen interessiert sondern am Überleben.
- Gute Lehrer sind absolut glaubwürdig und vermitteln, dass sie von der Wichtigkeit ihres Fachs überzeugt sind. Wer unterrichtet, um den Lernenden die eigene Intelligenz zu beweisen, wird scheitern. Stattdessen muss die Überzeugung vermittelt werden, dass man sowohl sein Fach mag als auch die Lernenden.
Literatur
Hascher, Tina (2005). Emotionen im Schulalltag: Wirkungen und Regulationsformen. Zeitschrift für Pädagogik, 51, 610-625.
Zeit zu leben-Newsletter. Ausgabe: 504 vom 28.03.2010
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