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Selektive Erinnerung und Wahrnehmung

Die selektive Aufmerksamkeit bezeichnet in der Psychologie die Konzentration des Bewusstseins auf einen bestimmten Stimulus wie etwa beim Cocktailpartyphänomen. Die selektive Aufmerksamkeit umfasst die menschliche Fähigkeit, auf relevante Reize zu reagieren und sich nicht durch irrelevante Reize bzw. Störreize ablenken zu lassen. Dies umfasst zum einen die Fähigkeit, aus einer Fülle von Informationen die wichtigen Reize zu erkennen und auszuwählen, und zum anderen die Fähigkeit, Störreize bzw. Distraktoren auszufiltern und zu unterdrücken. Erfasst wird die selektive Aufmerksamkeit in der Regel mit Wahl-Reaktions-Aufgaben, wobei als Papier- und Bleistifttests Durchstreichtests wie der d2 von Brickenkamp eingesetzt werden, bei denen in Störreize eingebettete Buchstaben oder Zeichen erkannt und markiert werden müssen, meist während einer befristeten Zeitdauer (Stangl, 2018). Die Fähigkeit, erfolgreich mit anderen Menschen zu kommunizieren, ist für den Alltag von grundlegender Bedeutung, wobei noch nicht endgültig geklärt ist, wie das menschliche Gehirn aus akustischen Sprachsignalen eine Bedeutung ableitet oder die Kommunikationspartner anhand ihrer Gesichter erkennen kann. Spracherkennung hängt dabei einerseits von der Klarheit der akustischen Eingabe als auch andererseits von dem ab, was ein Mensch zu hören erwartet, denn so kann sich etwa bei ungünstigen Hörbedingungen wie in einer Videokonferenz mit schlechter Audioqualität, die Wahrnehmung dessen, was gesagt wurde, deutlich zwischen den Hörern unterscheiden, obwohl alle das identische Sprachsignal erhalten haben. Auch bei der Gesichtserkennung hängen die Reaktionen des Gehirns auf Gesichter von Vorerwartungen ab und spiegeln nicht nur die dargestellten Gesichtsmerkmale wider. Diese Erkenntnisse unterstreichen, dass Wahrnehmung ein aktiver Prozess ist, bei dem eingehende sensorische Informationen im Hinblick auf Erwartungen interpretiert werden, wobei die neuronalen Mechanismen, die eine solche Integration sensorischer Signale und Erwartungen unterstützen, noch identifiziert werden müssen.

Selektive Erinnerung

In einer Studie von Wimber, Heinze & Richardson-Klavehn (2010) wurde die Gehirnaktivität von Probanden mittels funktioneller Magnetresonanztomographie gemessen, während diese sich lange Wortlisten einprägten. Diese Lernphase wurde gefolgt von einem zweistufigen Gedächtnistest. Dabei blitzten sukzessive Wörter für nur extrem kurze Zeit (33-66 msec) auf dem Bildschirm auf, und die Probanden sollten zunächst versuchen, diese Wörter zu identifizieren. Danach sollte zudem angegeben werden, ob es sich bei dem eben gezeigten Wort um ein zuvor gelerntes oder um ein neues Wort handelt. Zuvor gelernte Wörter konnten wesentlich besser identifiziert werden als neue Wörter. Diesen Effekt bezeichnet man als implizites (unbewusstes) Gedächtnis, weil er unabhängig davon auftritt, ob sich die Probanden bewusst daran erinnern konnten, das entsprechende Wort zuvor gelernt zu haben (explizites oder bewusstes Gedächtnis).

Die Forscher analysierten nun die Gehirnaktivität der Probanden während des Lernens und zwar getrennt nach Wörtern, die später bewusst, unbewusst oder überhaupt nicht erinnert werden konnten. Es zeigte sich zum einen, dass ein bereits bekanntes Netzwerk aus Hippocampus, unterem Stirnlappen und oberem Scheitellappen späteres bewusstes (explizites) Erinnern vorhersagte. Zum anderen fand sich aber auch ein unabhängiges Netzwerk von Hirnregionen des oberen Stirn- und unteren Scheitellappens, in dem erhöhte Aktivität die spätere erfolgreiche Identifikation der Wörter, also das unbewusste Gedächtnis, vorhersagte. Erstaunlicherweise entsprach dieses Netzwerk exakt den Hirnregionen, die typischerweise auch Vergessen im expliziten Gedächtnis vorhersagen. Die Magdeburger Forscher vermuten, dass dieses Netzwerk immer dann aktiv ist, wenn Menschen ihre Aufmerksamkeit auf die eher oberflächlichen Merkmale (z.B. das Aussehen) einer Information richten. Diese Arte der Verarbeitung wirkt sich positiv auf die spätere Identifikation, aber negativ auf das bewusste Erinnern aus.

Beim Lernen scheinen also unterschiedliche Netzwerke in Gehirn qualitativ unterschiedliche Aspekte von Gedächtnisinhalten zu verarbeiten und abzuspeichern. Aktivität in denjenigen Regionen, die typischerweise späteres bewusstes Erinnern vorhersagen, spiegelt vermutlich das Verarbeiten der Wortbedeutung wieder. Dies wirkt sich zwar einerseits positiv auf das explizite Gedächtnis, gleichzeitig aber auch negativ auf das unbewusste, visuelle Verarbeiten einer Information aus. Ebenso gibt es Hirnregionen, die die visuellen Aspekte einer Information verarbeiten und eine eher oberflächliche Gedächtnisspur hinterlassen, deren Aktivität aber negative Konsequenzen für das spätere bewusste Erinnern dieser Information haben kann.

Ein Streit auf der Straße kann unsere Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte der Szene lenken: Konzentriert man sich auf das, was dort geschrien wird, kann man sich später vermutlich an das Thema des Streit erinnern, vielleicht aber nicht an die Kleidung der Streitenden. Konzentriert man sich dagegen sehr auf das Aussehen, kann man später wohl eher Details über die Farbe der Kleidung als über den Inhalt des Streits wiedergeben. Erfolgreiches Erinnern hängt also immer auch davon ab, welcher Teil eines Gedächtnisinhaltes (z. B. oberflächliche oder inhaltliche Merkmale) aktuell von Bedeutung ist.


Wir färben Erinnerungen nach Gefühl

Das tun wir alle hin und wieder. Denn so funktioniert unser Gehirn: Wir vergessen nicht nur, sondern unser Gehirn verdreht, verzerrt und verformt unsere Erinnerungen auch so flexibel wie einen Kaugummi. Es färbt Erinnerungen mit den Gefühlen, die wir mit einer bestimmten Situation verbinden (wollen). Wenn ein Paar etwa gerade eine glückliche Phase erlebt, färbt sich auch die Erinnerung der beiden an die Vergangenheit rosig. Fühlen sie sich dagegen in der Beziehung nicht wohl, streiten viel und haben es mit wiederkehrenden Unstimmigkeiten zu tun, meinen sie zu erinnern, dass dies schon früher so war. Das wiederum wirkt sich auf die Wahrnehmung im Jetzt aus: Wir waren ja noch gar nie richtig glücklich! Unsere Erinnerungen und das, wie es uns aktuell geht, beeinflussen sich ständig gegenseitig.


Siehe auch Selektive und ungerichtete Aufmerksamkeit, Vigilanz und Konzentration


Oszillationen zur Steuerung der selektiven Wahrnehmung

Die selektive Wahrnehmung ist jenes psychologische Phänomen, dass bei der Wahrnehmung nur bestimmte Aspekte der Umwelt aufgenommen und andere ausgeblendet werden. Selektive Wahrnehmung kann durch Priming, Framing oder vergleichbare Effekte hervorgerufen werden. Selektive Wahrnehmung beruht grundsätzlich auf der Fähigkeit, Muster zu erkennen, einem grundlegenden Mechanismus des menschlichen Gehirns. Das Gehirn ist ständig auf der Suche nach Mustern, um neue Informationen in bereits vorhandene besser eingliedern zu können. Dabei ist die selektive Wahrnehmung die eine unbewusste Suche nach einem bestimmten Muster. Dies ist erforderlich, um die Fülle an Informationen überhaupt bewältigen zu können. Argumente, die die eigene Position stützen, werden dabei meist stärker wahrgenommen als solche, die sie beschädigen. Umwelten, die es Menschen nicht möglich machen, darin Muster zu erkennen, führen in der Regel zu einer großen Irritation bzw. auch dazu, dass das Gehirn beginnt, Muster auf diese Umwelt zu projizieren, die dann wenig bis nichts mit einer objektiven Betrachtung zu tun haben (Stangl, 2018).

Bekanntlich ist der Sehsinn für bis zu achtzig Prozent der Informationen zuständig, die ein Mensch über seine Umgebung erhält, wobei weit über einhundert Millionen lichtempfindliche Zellen in der Retina die Signale in ein komplexes Netzwerk von Nervenzellen einliefern. Rosón et al. (2019) haben am Mausmodell untersucht, wie es das Gehirn es schafft, diese optischen Signale in sinnvolle Informationen zu übersetzen, und zeigten, dass schon in der ersten neuronalen Schaltstation zwischen Retina und Großhirn eine Verarbeitung und Gewichtung der Signale stattfindet, wobei das Sehen der Maus auf der parallelen Ausgabe von mehr als dreißig funktionellen Typen retinaler Ganglienzellen basiert. Nun konnten die Antworten einer spezifischen Gruppe von Neuronen als lineare Kombination von Eingaben von durchschnittlich fünf Typen von Neuronen vorhergesagt werden, wobei aber nur zwei von ihnen einen starken funktionellen Einfluss aufweisen, d. h., dass also schon auf dieser niederen Ebene eine deutliche Informationsreduktion stattfindet.

Gehirnaktivitäten zeigen sich auch in Form von Oszillationen, die synchron die Neuronen nach einem Impuls zeigen, wobei diese wiederum durch gegenläufige Oszillationen, gehemmt werden. Oszillationen bestimmen, wann was wahrgenommen wird, d.h., sie sind für unsere selektive Wahrnehmung verantwortlich, sie steuern die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis und zwar sehr individuell, da Menschen alle ihre eigenen subjektiven Erfahrungen, Interessen und Erwartungen haben, die zu einem großen Teil erlernt sind und bereits im frühen Kindesalter als Grundprinzip angelegt werden. Die Wellenberge der Schwingungen geben die Zeitspanne vor, in der Erregungen auftreten, wobei das Prinzip der Oszillation auf zwei Gegenpolen beruht: Erregung und Hemmung.

Wären die Neuronen immer in einem erregten Zustand, würden Menschen ständig alles, was um sie herum passiert, wahrnehmen, und es käme zu einem Wahrnehmungskollaps, denn die Informationsflut wäre einfach nicht verkraft- und verarbeitbar. Um die sinnvollen und lebensnotwendige Informationen selektiv verarbeiten zu können, gibt es hemmende Oszillationen, die Neuronen vorübergehend und zeitlich getaktet lahmlegen, sodass nur mehr die wichtigsten Neuronen in der Lage sind zu feuern. Die oszillatorische Hemmung hilft, den Fokus auf die situationsbezogen relevante Information zu legen, wobei es bedeutend mehr Oszillationen mit hemmenden Eigenschaften gibt als mit erregenden. Die Alpha-Oszillationen mit sechs bis zwölf Hertz treten etwa bei einer Meditation auf, oder generell bei Gehirnprozessen, bei denen die Aufmerksamkeit bewusst gesteuert wird. Die Hemmleistung der Alpha-Schwingung besteht nun darin, durch die bewusst gesteuerte Aufmerksamkeit viele andere Prozesse im Gehirn zu unterdrücken. Der Schlüssel der selektiven Gehirnprozesse ist daher die Hemmung.

Literatur

Paumkirchner, Petra (2010). Schwingungen im Gehirn. Die Presse vom 1.8.2010.

Rosón, Miroslav Román; Bauer, Yannik; Kotkat, Ann H.; Berens, Philipp; Euler, Thomas; Busse, Laura (2019).  Mouse dLGN Receives Functional Input from a Diverse Population of Retinal Ganglion Cells with Limited Convergence.  Neuron, 102, 462-476.

Stangl, W. (2018). Stichwort: 'selektive Wahrnehmung'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/1708/selektive-wahrnehmung/ (2018-08-31)

Stangl, W. (2018). Stichwort: 'selektive Aufmerksamkeit'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/4909/selektive-aufmerksamkeit/ (2018-08-31)

Wimber M., Heinze H.J. & Richardson-Klavehn A. (2010). Distinct fronto-parietal networks set the stage for later perceptual identification priming and episodic recognition memory. Journal of Neuroscience, 30(40), 13272-13280.
https://www.tagblatt.ch/leben/kolumnen/kolumne-beziehungen-warum-sie-sich-wie-durch-eine-rosarote-brille-erinnern-ld.2311807 (22-07-02)



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