Auswirkungen von Schichtunterschieden auf die Erziehung *)
Versuche niemals jemanden so zu machen, wie du selbst bist.
Ralph Waldo Emerson
Literatur
Brezinka, Wolfgang (1995). Erziehungsziele, Erziehungsmittel, Erziehungserfolg. München: Reinhardt.
Bumsenberger, Karin (2001). Merkmale und Struktur elterlichen Erziehungsverhaltens. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Johannes Kepler Universität Linz: PPP der jku.
Dietrich, G. (1985). Erziehungsvorstellungen von Eltern. Ein Beitrag zur Aufklärung der subjektiven Theorie der Erziehung. Göttingen - Toronto - Zürich: Hogrefe - Verlag für Psychologie.
Engfer, A. (1988). Sozioökologische Determinanten des elterlichen Erziehungsverhaltens. In K.-A. Schneewind & T. Herrmann (Hrsg.), Erziehungsstilforschung. Theorien, Methoden und Anwendung der Psychologie elterlichen Erziehungsverhaltens (S. 123-160). Bern - Stuttgart - Wien: Verlag Hans Huber.
Ewert, O. (1970). Erziehungsstile in ihrer Abhängigkeit von soziokulturellen Normen. In T. Herrmann (Hrsg.), Psychologie der Erziehungsstile. Beiträge und Diskussionen des Braunschweiger Symposions (S. 61 - 94). Göttingen: Hogrefe
Jaide, W. (1970). Kommentar: Probleme der „social stratification. In T. Herrmann (Hrsg.), Psychologie der Erziehungsstile. Beiträge und Diskussionen des Braunschweiger Symposions (S 77 - 84). Göttingen: Hogrefe
Lukesch, H. (1976). Elterliche Erziehungsstile. Psychologische und soziologische Bedingungen. Stuttgart - Berlin - Köln - Mainz: Kohlhammer.
Neuberger, Ch. (1997). Auswirkungen elterlicher Arbeitslosigkeit und Armut auf Familien und Kinder - ein mehrdimensional empirisch gestützter Zugang. In U. Otto (Hrsg.), Aufwachsen in Armut. Erfahrungswelten und soziale Lagen von Kindern armer Familien. Opladen: Leske + Budrich.
Oswald, H. (1997). Sozialisation, Entwicklung und Erziehung im Kindesalter. Zeitschrift für Pädagogik. Forschungs und Handlungsfelder der Pädagogik, 36. Beiheft, 52-74. Weinheim - Basel: Beltz Verlag.
Popp, M. (1974). Analyse elterlichen Erziehungsverhaltens. Erziehung und Psychologie. Beiheft der Zeitschrift Psychologie in Erziehung und Unterricht. Heft 69. München - Basel: Ernst Reinhardt Verlag.
Sani, G. M. D. & Treas, J. (2016). Educational Gradients in Parents’ Child-Care Time Across Countries, 1965–2012. Journal of Marriage and Family, 78, 1083–1096.
Scheinast, Monika (1988). Die schichtspezifische Sozialisationsforschung am Beispiel des Erziehungsverhaltens der Eltern kritisch gesehen. Diplomarbeit. Linz: Universität Linz.
Weiß, Wolfgang W. (1982). Familienstruktur und Selbständigkeiteserziehung. Ein empirischer Beitrag zur latenten politischen Sozialisation in der Familie. Dissertation. Göttingen: Hogrefe.
Weitere Quellen: http://www.heise.de/tp/r4/
artikel/27/27783/1.html (08-05-02)
Die Presse vom 8. Juli 2012.
Siehe auch
Geschichte der Kindererziehung - Erziehung und Kultur
Wertewandel in der Kindererziehung - Neuere Entwicklungen in der Kindererziehung
Erziehungsstile - Begriffsbestimmung und Begriffsabgrenzungen
Grenzen und Auswirkungen der Erziehung
Praktische Tipps zur Kindererziehung
Elternschulen
Die Tatsache, dass Unterschiede der Erzieher-Kind-Interaktion ja nicht nur im Vergleich verschiedener Kulturen aufweisbar sind, sondern dass auch eine beträchtliche Variationsbreite hinsichtlich der unterscheidbaren Merkmale des Erziehungsstils innerhalb eines Kulturkreises oder einer Gesellschaft besteht, läßt nach weiteren Faktoren Ausschau halten, welche mit solchen Unterschieden parallel gehen, sie eventuell sogar bedingen. Folgt man eingefahrenen Denkgewohnheiten, wie sie vor allem durch die Tradition in der soziologischen Literatur nahegelegt werden, so stößt man bei der Suche nach möglichen Einflußgrößen zuerst auf den Schichtenansatz. Mit der hierarchischen Gliederung von Gesellschaften in soziale Schichten, so scheint es nach diesen Untersuchungen zu sein, gehen verschiedene Erziehungsstile einher und dies wirkt sich wieder in einer schichtspezifischen Sozialisation des heranwachsenden Kindes aus (vgl. Lukesch 1976, S. 91).
Das Eltern-Kind-Verhältnis im Elternhaus reflektiert gewöhnlich die objektiven kulturellen Bedingungen der umgebenden Sozialstruktur. Die umgebende Sozialstruktur ist nun für verschiedene Familien nicht gleich. Elterliches Erziehungsverhalten wird auch aus der Sicht der Sozialpsychologie zu betrachten sein. Dabei interessiert jeweils der soziale Status der Eltern und seine Bedeutung für das Erziehungsverhalten (vgl. Popp 1974, S. 31).
Ganz gleich, mit welcher genaueren inhaltlichen Bedeutung der Terminus Sozialschicht belegt wird, von soziologischer Seite dient er vorerst einmal dem Zweck, das Phänomen der sozialen Ungleichheit zwischen Menschen wiederzugeben. Man kann Sozialschichtung auch als Bezeichnung für jedes hierarchische Verhältnis sozialer Gruppen definieren. Eine bloße Kategorisierung von Mitgliedern einer Gesellschaft nach einem beliebigen Kriterium, d.h. eine Anerkennung von Rangunterschieden zwischen den einzelnen Mitgliedern einer Gesellschaft, von sozial unten nach sozial oben (vgl. Lukesch 1976, S. 91f).
Inhaltlich werden soziale Schichtungen von McKinley als Systeme von Wechselwirkungen beschrieben, die sich zwischen Individuen und Familien entwickeln, die innerhalb der Belohnungs-, Macht- und Ansehensstruktur einer Gesellschaft vergleichbare Rangplätze einnehmen. Gesellschaftliche Schichtungen können somit als Teilkulturen einer größeren Gesellschaft gesehen werden, die sich u.a. durch verschiedenartige Wertorientierungen unterscheiden (vgl. Ewert 1970, S. 61).
Eine gebräuchliche Unterscheidung zur Klassifikation der verschiedenen Meßmethoden der Schichtzugehörigkeit von einzelnen Individuen oder von Positionsinhabern ist die in subjektive und objektive Verfahren. Nach Baumert bestehen subjektive Schichtsysteme in den von den Mitgliedern einer Gesellschaft bewußt gehegten und ausgedrückten Differenzierungen, objektive ergeben sich, wenn Schichtungen durch einen Forscher aufgrund verschiedener Kriterien konstruiert werden. Andere Autoren meinen mit subjektiv die Differenzierung nach dem Prestigeaspekt, mit objektiv aber die Differenzierung nach den Merkmalen Beruf, Einkommen usw. (vgl. Lukesch 1976, S. 102f).
Neben dieser Differenzierung von Zuordnungsverfahren für die Schichtzugehörigkeit wird bisweilen auch die Unterscheidung in ein- und mehrdimensionale Maße angeführt. Eindimensional bedeutet, dass die soziale Schicht einer Person durch ein Merkmal hinreichend beschrieben ist, und dass die soziale Schicht aller Personen auf einer einheitlichen Skala dargestellt werden kann. Entsprechend bedeutet mehrdimensional in diesem Zusammenhang, dass erstens auf die soziale Schicht einer Person nur aufgrund mehrerer Merkmale zu schließen ist und zweitens es keine einheitliche Skala der sozialen Schichten, die für alle Gesellschaftsmitglieder gelten soll, gibt (vgl. Lukesch 1976, S. 103).
Kinder von Eltern mit Hauptschulabschluß haben mehr Geschwister. Aus Arbeiterfamilien stammende Kinder haben häufiger geschiedene Eltern, ihre Mütter arbeiten häufiger ganztags und in weniger befriedigenden Tätigkeiten, als dies bei anderen Mittelschichtfamilien der Fall ist. Weiters ist die Ausstattung der Kinderzimmer mit Spielzeug schichtspezifisch, vor allem Mittelschichtkinder haben mehr Möglichkeiten, Spielzeug unter dem Gesichtspunkt des Anregungsgehalts auszuwählen. Außerdem wird mit sinkender Sozialschicht mehr ferngesehen. Leider sind Arbeitervierteln von großen Städten schlechter mit Parks und Spielplätzen ausgestattet, obwohl dadurch die Möglichkeiten zur Straßensozialisation dort noch besser sind. Zuletzt sind Arbeiterkinder nach wie vor im höheren Bildungswesen unterrepräsentiert, unter anderem weil ihre Eltern weniger in der Lage sind ihnen mit Hilfe und Rat beizustehen, weil sie sich in der Schule weniger gut zu Gehör bringen können und/oder weil ihre Sprache schulferner ist (vgl. Oswald 1997, S. 62 f).
In der Mittelschicht ist das Verhältnis der Eltern zum Kind vorwiegend durch Liebe und Wärme gekennzeichnet, wobei beide Elternteile an der Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes interessiert sind. Je höher die Schulbildung der Eltern, desto eher ist die Kontrollhaltung der Eltern als akzeptierend und egalitär (im Gegensatz zu autoritär) zu bezeichnen. Sanktionsmaßnahmen sind durch verbale Erklärungen begleitet. Das Kind hat demnach die Möglichkeit, sich mit den Grenzen seines Autonomiebereiches angstfrei und rational auseinanderzusetzen. Dies ist eine Voraussetzung zur Entwicklung der eigenen Urteilsbildung und individuellen Entschlußfreudigkeit (vgl. Scheinast 1988, S. 27f).
In vielfältigen empirischen Untersuchungen zeigt sich, dass durch verschiedene Faktoren in der Unterschicht ein Interaktionsmilieu geschaffen wird, das die Ausbildung der vier Grundqualifikationen behindert: Häufig strenger, aber auch vernachlässigender Erziehungsstil, starre Arbeitsteilung, mangelnde Umweltoffenheit, mangelnde Sozialisationsleistung des Vaters, Familismus und geringe Konfliktbereitschaft. Das solche Interaktionsstrukturen negative Auswirkungen auf die Selbständigkeitsentwicklung von Kindern haben, gilt als gesichert (vgl. Weiß 1982, S. 76).
In der Oberschicht sind Selbständigkeits- und Leistungstraining kindzentriert und stärker auf individuelle Selbstverwirklichung gerichtet. Daraus kann man auf ein ausgesprochenes Anregungs- und Förderungsklima der Mittelschichtfamilie für die geistige und leistungsthematische Entwicklung des Kindes schließen (vgl. Scheinast 1988, S. 28).
In diesem Zusammenhang ist es unumgänglich, noch einen Blick auf die bevorzugten Disziplinarmaßnahmen verschiedener Gesellschaftsschichten zu werfen. Laut Untersuchungen gibt es keine nennenswerten Unterschiede in der Häufigkeit, mit der in verschiedenen Gesellschaftsschichten eine Tracht Prügel verabreicht wird. Hingegen sind die Anlässe, die zu einer Bestrafung führen, deutlich verschieden. Eltern der Arbeiterklasse beachten mehr die unmittelbaren Folgen einer Handlung, Eltern der Mittelklasse bewerten eher die Absicht des Täters (vgl. Ewert 1970, S. 72).
Laut Untersuchungen nehmen mit der Höhe der Schicht die Ziele Selbständigkeit, Lebensfreude, Interessiertheit und Beherrschtheit an Bedeutung zu, während Ordentlichkeit, Familiensinn gute Umgangsformen, Liebe gegenüber den Eltern sowie Anständigkeit abnehmen.
Bei einer genaueren Analyse, wie sich die Erziehungsziele bilden kam man zu dem Ergebnis, dass es zwei Hauptelemente bei der Einschätzung der Werte durch die Menschen gibt. Ein Element ist die Wichtigkeit. Ein zweites Element ist die Beurteilung der Realisierungswahrscheinlichkeit des Wertes. Eltern neigen sehr dazu, einen starken Vorzug den Werten zu gewähren, die wichtig und problematisch erscheinen. Das erklärt auch das Phänomen, dass Unterschichteltern Sauberkeit und Ordentlichkeit höher bewerten als Mittelschichteltern, obwohl es sich dabei doch um stereotype Mittelklassenwerte handelt. In der Unterschicht wird die Realisierung dieser Werte als problematisch angesehen, in der Mittelschicht dagegen nicht.
Elternschaft wird heute subjektiv als eine zunehmend schwieriger zu bewältigende Gestaltungsaufgabe mit hohen Erwartungen erlebt, was zu einer massiven Verunsicherung von Eltern führt. Die Erziehungsqualität betrachten viele moderne Eltern voller Selbstzweifel, sie sind verunsichert und empfinden sich mit großen Defiziten behaftet. Die Schulabbrecherquote steigt und auch der Anteil der leistungs- und schulmüden Kinder. Man vergegenwärtige sich in diesem Zusammenhang nur den finanziellem Druck, der in den unteren Schichten existenziell ist, und den großen Anteil Alleinerziehender. Wenn der Vater oder die Mutter arbeitslos sind, ist es für die Kinder auch schwieriger, eine richtige Perspektive für sich zu entwickeln. Motivation wird in manchen Familien nur wenig vermittelt. Solche Teufelskreise kommen nicht selten vor. In der obersten Schicht wird auf Erziehungsprobleme, die oft aus dem normativen Druck der Umwelt entstehen, eher offensiv angegangen, etwa mit ganz konkreten Maßnahmen zur Förderung der Kinder. In der Mittelschicht will man auf der einen Seite, die Kinder fördern, weiß aber noch nicht, wie man etwa mit der Rolle als Alleinerzieher umgehen soll. Viele unvollständige Familien haben vor allem finanzielle Probleme und wenn dann auch Probleme in der Schule auftauchen und Nachhilfe benötigt wird, dann wird es für die Betroffenen sehr schwierig. Wenn jemand zwei Kinder hat, die er fördern will und dabei den äußeren und inneren Ansprüchen genügen will, ist schnell überfordert. Am unteren Rand der Gesellschaft versuchen die meisten Eltern den Druck zu umgehen. Es gibt die Konsummaterialisten, die noch den Anschluss zu den Werten der Mittelschicht haben. Sie versuchen, den Anforderungen etwa in der Schule irgendwie gerecht zu werden, aber sie schaffen es nicht immer. Und dann gibt es die anderen, die hedonistischer sind, sie versuchen dem Stress, der mit einer bestimmten Leistungserwartung verknüpft wird, auszuweichen. Und das gilt auch für ihre Kinder: Sie lassen sie laufen.
Jede Erziehung ist vom kulturellen Hintergrund beeinflusst, wobei etwa ländliche Konzepte von Erziehung städtischen Vorstellungen gegenüberstehen. Auch die Bedeutung der Kinder für ihre Eltern spielt eine Rolle, wenn etwa ein Kind gewünscht wird, um das Glücksgefühl der Eltern zu steigern und sie in ihrer Identität aufzuwerten, welche psychologische Bedeutung sollen die Kinder für ihre Eltern haben? Im Allgemeinen erziehen Eltern ihre Kinder so, wie sie selbst erzogen wurden, wobei es einige Ausnahmen gibt, wenn etwa Menschen, die eine pädagogische oder psychologische Ausbildung haben, reflektierter erziehen, wenn Menschen, die unter ihrer Erziehung gelitten und sie aufgearbeitet haben, eine bewusste Brechung vornehmen und die eigenen Kinder anders erziehen, als sie selbst erzogen wurden. Eltern sind generell vielen sozialen Zwängen ausgesetzt. Die Vorstellung der meisten Eltern ist, dass sie beim Erziehen etwas investieren und beim Kind etwas herauskommen soll, doch die Konstitution und Bereitschaft eines Kindes, sich erziehen zu lassen, ist auch eine wichtige moderierende Variable, die von Merkmalen wie etwa sicherer Bindung abhängen. Kinder, die eine unsichere Bindung aufweisen, haben weniger Angst, die Liebe der Mutter zu verlieren und leisten mütterlichen Anweisungen weniger Folge. Studien haben auch gezeigt, dass derselbe Erziehungsstil bei Kindern mit unterschiedlichem individuellen Temperament zu ganz unterschiedlichen Entwicklungen führt. So tut mütterliche Strenge einem Kind, das sehr unruhig ist, mittelfristig gut, aber bei demselben Erziehungsstil können sich bei einem Kind, das in sich gekehrt ist, auch Depressionen entwickeln.
Ursachen der Unterschiede
Eltern legen in der Erziehung jeweils darauf besonderen Wert, was für ein erfolgreiches Leben innerhalb ihres eigenen beruflichen Erfahrungshorizontes entscheidend und problematisch ist. Demnach erfordere die typische berufliche Situation der Mittelschichten Selbstverantwortlichkeit, Selbstvertrauen und einen häufigeren Umgang mit Menschen als mit Sachen. Die Unterschicht-Berufe zeichnen sich dagegen durch den Umgang mit Sachen, stärkere Überwachung und standardisierte Arbeitsvorgänge aus, also jeweils jene Eigenschaften, die die Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder als wichtig erscheinen lassen.
Daraus kann geschlossen werden, dass die Menschen in ihrer Arbeit, in der sie einen erheblichen Teil ihres Lebens verbringen, die dort ständig wiederkehrenden sozialen Strukturen und soziokulturellen Erwartungen, denen sie sich nicht entziehen können, internalisiert bekommen. Dabei werden die kognitiven Funktionsabläufe, Wertorientierungen, Einstellungen und Motivationen beeinflußt, die dann auch im nichtberuflichen Lebensbereich wirksam werden und dadurch auch die Erziehung beeinflussen.
Weiters möchte ich auf den Zusammenhang zwischen den Armutsbedingungen der Eltern und ihrem Erziehungsverhalten hinweisen. Bei armen Familien (z.B. durch Arbeitslosigkeit des Vaters) werden häufig Inkonsequenz und Verwöhnung als zu beobachtende Merkmale der Erziehung genannt. Zu Inkonsequenz in der Erziehung kommt es bei persönlicher Überforderung der Eltern, fehlende oder problematischen Leitbildern, aber auch bei einer starken Durchsetzungskraft der Kinder. Übermäßige Verwöhnung entspringt Schuld- und Schamgefühlen der Eltern und der Erfahrung eigener Entbehrungen im Kindes- und Jugendalter. Autoritäres Erziehungsverhalten ist vielfach die Folge ökonomisch eingeschränkter Lebensbedingungen und gilt als charakteristisch für Unterschichtfamilien. Außerdem wirkt sich materielle Not negativ auf das demokratisch-unterstützende Erziehungsverhalten aus (vgl. Neuberger 1997, S. 107 f).
Extreme Beispiele für negative Auswirkungen sozioökonomischer Beeinträchtigungen auf die Eltern-Kind-Interaktion sind Kindesmißhandlungen, deren Anstieg bei makro-ökonomischer Verschlechterung bestätigt ist. Unter dem psychischen Dauerdruck nimmt auch die Aggressivität des Vaters gegenüber der Frau und den Kindern zu. Die latent vorhandene Gewaltbereitschaft, bei geringfügigen Anlässen aus der Fassung zu geraten, zu brüllen, loszuschlagen und zu prügeln, ist für viele Kinder in arbeitslosen Familien alltägliche Erfahrung. Derartige Reaktionen entsprechen der gängigen These, dass es durch den materiell bedingten Kontrollverlust über die eigene Lebenslage, durch die Erfahrung von Unkontrollierbarkeit und Hilflosigkeit zur Machtausübung kommt, um ein Stück weit die Kontrolle zurückzugewinnen (vgl. Neuberger 1997, S. 108 f).
Für die Auswahl der Erziehungsnormen bzw. Erziehungsstile dürften nicht nur die Schichtzugehörigkeit und das zuerkannte Prestige (Fremdeinschätzung), sondern ebensosehr das Schicht- bzw. Prestigebewußtsein, d.h. die Selbsteinschätzung der untersuchten Familien von Bedeutung sein. Wobei auffällt, dass Unterschichtfamilien eine größere Statusunsicherheit aufweisen als die übrigen (vgl. Jaide 1988, S. 80).
Es wurden auch Untersuchungen gemacht, in denen die Eltern zu diesem Thema befragt wurden, mit folgenden Ergebnissen: Die Sozialschichtzugehörigkeit wird von den Eltern relativ gering und insgesamt von den Eltern sehr unterschiedlich gewichtet. Während ein Teil der Eltern der Sozialschicht und dem Milieu keine Bedeutung für die Erziehung zuerkennt, u.a. mit der Begründung, dass Erziehung sowohl in den obersten als auch in den untersten Schichten gelingen bzw. mißlingen könne, Erziehung von der Sozialschicht also unabhängig sei. Spricht ein anderer Teil der Eltern der Sozialschichtzugehörigkeit eine sehr große Bedeutung zu, weil vor allem die Startchancen für Eltern und Kind außerordentlich verschieden seien (vgl. Dietrich 1976, S. 78).
Außerdem darf man nicht vergessen, die Kinder selber in den Blick zu nehmen, inwieweit sie den Sozialstatus ihrer Eltern erkennen und wie weit ihre eigenen Zukunftserwartungen und -vorsätze damit konform gehen. Ferner besteht für die heutigen Kinder eine Konkurrenz von statusunterschiedlichen Primärgruppen (Nachbarfamilie, Schulklasse, Verein, ...), die der Kritik und Emanzipation gegenüber dem elterlichen Status Vorschub leisten und der Überanpassung durch und in bezug auf die eine Familie entgegenwirken. Besondere Probleme dürfen in dieser Hinsicht in unvollständigen Familien bestehen (vgl. Jaide 1988, S. 81).
Eltern verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern als früher
Sani & Treas (2016) verglichen Daten aus elf westlichen Ländern wie Kanada, den USA, Dänemark, Frankreich und Deutschland von über hunderttausend Müttern und Vätern mit mindestens einem Kind unter 13 Jahren aus den Jahren 1965 und 2012, wieviel Zeit diese mit ihren Kindern verbringen. In der Studie wurden dabei sämtliche elterliche Tätigkeiten aus Tagebuchaufzeichnungen berücksichtigt, die sich um Kinderbetreuung drehen, wie Essen vorbereiten, Kinder baden, wickeln, anziehen, sie medizinisch versorgen, ins Bett bringen, mitten in der Nacht trösten, mit ihnen spielen, lesen, ihnen etwas erklären oder bei den Hausaufgaben helfen. Es zeigte sich, dass Eltern heute wesentlich mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen als noch vor rund 50 Jahren. Mütter widmen ihnen fast doppelt so viel Aufmerksamkeit wie noch 1965, wobei die Dauer von 54 auf 104 Minuten pro Tag stieg, während Väter ihre Kinder-Zeit seit 1965 vervierfachten, denn statt 16 Minuten widmeten sie den Kindern jetzt im Schnitt täglich 59 Minuten. Besser gebildete Eltern widmen ihren Kindern die meiste Zeit, d. h., Mütter mit Universitätsbschluss verbringen im Durchschnitt 123 Minuten pro Tag mit ihrem Nachwuchs, weniger gebildete Mütter 94 Minuten. Akademiker-Väter kommen im Schnitt auf 74 Minuten, weniger gebildete Väter auf 50 Minuten. Offenbar ist unter Akademikereltern in westlichen Ländern die Ideologie einer intensiven Elternschaft inzwischen sehr weit verbreitet und eine Art kultureller Trend, was das Großziehen von Kindern betrifft. Die Zeit, die Mütter und Väter mit ihren Kindern verbringen, wird offenbar von diesen als ausschlaggebend für deren positive kognitive Entwicklung, ihr Verhalten und ihren schulischen Erfolg betrachtet. Möglicherweise ist auch die Zeit, die in Kinder investiert wird, als eine Art Statussymbol zu bewerten, mit dem sich wohl situierte Familien von unteren sozialen Milieus abgrenzen wollen.
Quelle: Diese Arbeitsblätter entstammen zum Teil einer Studie von Karin Bumsenberger "Merkmale und Struktur elterlichen Erziehungsverhaltens".
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