Signallernen, Reiz-Reaktionslernen, S-R-Lernen
Die behavioristischen Ansätze
Ivan Petrowitsch Pawlow gründete in Petersburg das "physiologische Labor für experimentelle Medizin", in dem er den größten Teil seiner berühmten Forschungsarbeiten durchführte. Er hatte in Experimenten gezeigt, dass z.B. Welpen über einen angeborenen Speichelreflex verfügen, der ausgelöst wird, sobald Futter in ihr Maul gerät. Eine Beobachtung, die jeder Hundebesitzer an seinem Tier feststellen kann. Pawlow nannte diese Speichelabsonderung eine psychische Sekretion, da er davon überzeugt war, es handle sich um einen vom Gehirn gesteuerten Prozeß. Er entwickelte darauf hin eine Methode, psychische Vorgänge von außen zu beobachten, ohne sich dabei auf innere seelische Zustände zu beziehen.
Am Beginn des 20. Jahrhunderts führte Pawlow seine klassisch gewordenen Experimente durch: Ein Hund wurde in einem besonderen Apparat gestellt, in dem die Intensität des Speichelflusses als Reaktion auf bestimmte Reize gemessen werden kann. Dem Hund wurde ein unbedingter Reiz (UCS: Futter) präsentiert, woraufhin er den angeborenen Reflex (UCR: Speichelfluß) zeigte. Auf das Läuten einer Glocke (CS) zeigte der Hund keinerlei Reaktion, außer einer gewissen Neugier. Pawlow kombinierte die beiden Reize (UCS + CS), worauf der Hund mit Speichelfluß reagierte (UCR). Nach mehrmaligem Wiederholen dieser Reizpräsentation, reagiert der Hund schon auf das Glockenläuten mit Speichelfluß. Diese Reaktion nennt Pawlow bedingte Reaktion (CR). CR und UCR ähneln sich, sind aber nicht identisch: so produziert der Hund, beim Anblick des Futters immer noch mehr Speichel, als bei dem Ertönen der Glocke.
Der entscheidende Punkt in diesem Experiment ist, dass nach der Konditionierung ein vorher neutraler Reiz eine Reaktion hervorruft, die vorher nur durch einen unbedingten Reiz ausgelöst wurde. Wird dem Versuchstier jedoch längere Zeit der bedingte Reiz (CS) allein dargeboten, so verschwindet allmählich die bedingte Reaktion (CR); Pawlow nannte diesen Prozess Löschung. Wiederholt man nach einiger Zeit das Experiment, so zeigt der Hund nach wesentlich weniger Versuchsdurchführungen wieder die bedingte Reaktion auf den bedingten Reiz. Dies beweist, dass die Konditionierung nicht gänzlich gelöscht wurde, sondern lediglich gehemmt worden war. Als Anerkennung für seine Forschungsarbeiten erhielt er 1904 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin verliehen.
Wer wurde bei dem Experiment konditioniert - der Hund oder Pawlow?
Jerzy Konorski untersuchte das Experiment mit dem Pawlowsche Hund: Er wiederholte alles genau nach den Anordnungen von I. Pawlow, aber im entscheidenden Moment ließ er seinen Assistenten mit einer Glocke ohne Klöppel läuten, d. h., die Glocke blieb stumm, der Hund sekretierte trotzdem. Daraus schloss Konorski, dass das Läuten der Glocke ein Reiz für Pawlow, aber nicht für den Hund war (nach Heinz von Förster).
[Quelle: https://www.youtube.com/embed/E-J35j2jGeo]
Bei der klassischen Konditionierung wird kein Verhalten gelernt, sondern ein Reiz!
Merkmale des Pawlowschen Reflexbegriffes
- Deterministische Natur, d.h. dass jede Reaktion einer Ursache (z.B. Reiz) bedarf.
- Prinzip der Analyse und Synthese, d.h., die Reflexlehre zerlegt die Vorgänge im Nervensystem in ihre kleinsten Bestandteile (Reflexe, die Verknüpfungen zwischen Reiz und Reaktion sind) und fügt diese dann wieder zusammen, um das Ganze zu beschreiben.
- Räumliches Konstruktionsprinzip: wo spielt sich der Reflexvorgang ab und wie hängt dieser Ort mit dem Vorgang zusammen.
- Ein Reflex ist NICHT dasselbe wie eine Reaktion, er ist die Verknüpfung zwischen Reiz und Reaktion!
Drei Arten von Reflexen
- unbedingte: Sie sind angeboren und artspezifisch. Einem Reiz folgt automatisch, unbedingt eine ganz bestimmte Reaktion.
- bedingte: Sie sind erworben und individuell. Auch hier besteht eine gesetzmäßige Verbindung zwischen einem Reiz und einer Reaktion, die jedoch erlernt und vielfältig beeinflussbar ist.
- Orientierungsreflexe: Neue Reize werden mit einer Orientierungsreaktion (OR) verbunden, die sich in allgemeiner Erregung, Hinwendung zum Reiz und Desynchronisierung der EEG Alpha-Wellen äußert.
Arten von Reizen und Reaktionen
- Unbedingter Reiz (US): Ein solcher Reiz ist ohne experimentelles Zutun in der Lage, immer eine Reaktion hervorzurufen.
- Unbedingte Reaktion (UR): Sie wird durch den US hervorgerufen und hat in irgendeiner Form biologischen Nutzen (z.B. Lidschlag schützt die Augen).
- Bedingter Reiz (CS): Ein Reiz, der ursprünglich neutral ist, beim Organismus also keine spezifische Reaktion hervorruft, sondern allenfalls eine allgemeine Orientierungsreaktion. Durch den Vorgang des Konditionierens (CS und US treten wiederholt in zeitlicher Nähe auf) wird dieser neutrale Reiz zum CS, wenn auf ihn irgendwann eine der UR ähnliche Reaktion folgt, die CR. Nach Pawlow kann jeder beliebige Reiz, der von einem Sinnesorgan aufgenommen wird, zum CS werden.
- Bedingte Reaktion (CR): Wird nach erfolgreichem Konditionieren vom CS ausgelöst. Sie ist der UR ähnlich, jedoch nicht gleich. Sie hat eine längere Latenzzeit und eine geringere Amplitude als die UR und ist kürzer als diese. Sie könnte entweder eine Komponente der UR sein, die durch den CS hervorgerufen wird, oder eine Reaktion sein, die den Organismus auf die UR vorbereitet.
- Reflexkette: Wenn die Reaktionen auf einen Reiz (egal ob UR oder CR) einen weiteren Reflex auslösen (und diese Reaktion dann wieder einen usw.), so entsteht eine Reflexkette. Auch solche Ketten können wieder untereinander verkoppelt werden und bilden so die Grundlage des Verhaltens.
Arten der Konditionierung
- Vorwärtsgerichtete: Der CS tritt vor dem US auf, entweder verzögert, d.h. CS-CS+US-US, oder zur Ausbildung eines Spurenreflexes, also CS-Pause-US.
- Gleichzeitige: CS und US treten gleichzeitig auf.
- Rückwirkende: Der US geht dem CS voraus.
- Temporalreflex: Die Konditionierung erfolgt auf einen "Zeittakt", der US wird in immer gleichen Abständen wiederholt, die CR erfolgt dann ohne weiteren Reiz in der selben zeitlichen Abfolge.
Reflexe höherer Ordnung
Man erzeugt mittels eines US und eines neutralen Reizes eine Verbindung CS-CR. Dann wird in einem weiteren Konditionierungsverfahren ein anderer neutraler Reiz an die Stelle des ursprünglichen CS gesetzt. Man erhält so eine Konditionierung zweiter Ordnung.
Weitere wichtige Begriffe der Reflexologie
- Pseudokonditionierung: Ein aversiver Reiz (US) wird wiederholt dargeboten. Wird nun direkt im Anschluss ein neutraler Reiz dargeboten, wird die UR (bzw. CR !) auch gezeigt. US und CS werden offensichtlich durch die Situation miteinander verknüpft.
- Sensorisches Vorkonditionieren: Mehrere neutrale Reize werden als Compound dargeboten, danach erfolgt eine Konditionierung mit einem dieser Reize als CS. Dieser CS ist nun durch die anderen, vorher mit ihm dargebotenen Reize austauschbar.
- Reizgeneralisierung: Eine Reaktion auf einen speziellen Reiz (CS) wird gelernt. Auf andere, diesem Reiz ähnliche Reize erfolgt auch eine Reaktion, die um so stärker ist, je größer die Ähnlichkeit ist. Die Stärke der Reaktion in Abhängigkeit von der Ähnlichkeit wird in einem Diagramm, dem Reizgradienten abgebildet.
- Diskrimination: Bezeichnet die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Reizen zu unterscheiden. Sie kann trainiert werden, indem man immer den einen Reiz mit, den anderen ohne US darbietet.
- Experimentelle Neurose: Wenn man einen Reiz (z.B. Kreis) mit einem positiven US, und einen anderen, ähnlichen Reiz (z.B. Ellipse) mit einem negativen US verbindet, und die Reize so sehr angleicht, dass das Versuchstier nicht mehr diskriminieren kann, reagiert es mit abwechselnd starker Erregung und starker Erschöpfung sowie Unsicherheit. Dies heißt experimentelle Neurose.
- Aversive Reize: Sie lösen neben der UR bzw. CR auch eine allgemeine Angstreaktion aus.
Grundbegriffe des klassischen Konditionierens
Pawlows Theorie über zentralnervöse Vorgänge bei der Konditionierung
Der US löst in einem bestimmten Zentrum des ZNS eine Erregung aus, die dann zur UR führt. Erfolgt nun gleichzeitig mit dieser Erregung eine unspezifische, indifferente Erregung irgendwo anders im ZNS (und das auch noch wiederholt), so wird diese Erregung zu der spezifischen "hingezogen", es wird ein Weg (eine Verbindung) zwischen den ehemals unabhängigen Erregungen gebahnt. Dieser Vorgang ist reversibel, bzw. hemmbar (s. Löschung und spontane Erholung).
Irradiation: Die Ausdehnung der Erregung auf benachbarte "Herde" im ZNS. Dem erregten "Herd" benachbarte Regionen, werden je nach ihrem Abstand, unterschiedlich stark erregt (s. Generalisation).
Konzentration: Sie ist das Gegenteil der Irradiation, die Erregungsausbreitung wird, z.B. durch Diskriminationstraining, auf bestimmte Areale eingegrenzt.
Hemmung, Löschung und spontane Erholung
Hemmung ist sowohl ein gegenläufiger Prozess zur Erregung, als auch zur Bahnung. Ein anderer Prozess wird, wenn er gehemmt wird, behindert.
- externe: Eine CR wird durch die Aktivität eines anderen "Herdes" gehemmt. Ein anderer Reiz bewirkt z.B. eine OR, wodurch die CR abgeschwächt wird, oder sogar ganz ausbleibt. Externe Enthemmung beschreibt einen Vorgang, bei dem eine interne Hemmung durch einen (neuen) Reiz aufgehoben wird.
- interne: Ist vergleichbar mit dem Begriff der reaktiven Hemmung bei HULL oder auch EYSENCK, es werden hiermit physiologische Prozesse beschrieben, die das Auftreten der CR hemmen. Dazu zählen die Abschwächung (bei öfter CS ohne US) und auch die Generalisation, die ja mit zunehmender Unähnlichkeit der Reize (und damit nach Pawlow zunehmender Entfernung der erregten Zentren) geringer wird. Weiterhin kann interne Hemmung durch Verzögerung auftreten wenn der US dem CS erst nach längerer Zeit folgt.
- bedingte: Man verbindet eine CR zunächst mit zwei Reizen und bietet dann einen davon nur noch mit einem neutralen Reiz zusammen dar (=Löschung des einen CS). Dieser neutrale Reiz hemmt nun auch wenn er mit dem anderen CS dargeboten wird, das Auftreten der CR. Auch hier ist eine Konditionierung zweiter Ordnung möglich.
Eine Löschung erfolgt im Experiment in Form von interner Hemmung, der CS wird solange ohne US dargeboten, bis keine Reaktion mehr feststellbar ist, bis also die Bahnung (physiologisch) aufgehoben ist.
Bei einer spontanen Erholung hemmt sich die interne Hemmung, die zur Löschung der CR geführt hat, offensichtlich selber. Eine gelöschte CR taucht nach einer Pause während des Experiments von selbst, also ohne zwischenzeitliche Verbindung mit dem US von alleine wieder auf.
Einflüsse auf bedingte Reaktionen sind möglich durch
- Motivation: Je stärker die Motivation zu einer bestimmten UR, desto stärker auch zur entsprechenden CR (z.B. Hunger des Hundes-Speicheln)
- Intensität des CS: Je höher, desto stärker CR.
- Intensität des US: Je höher, desto wahrscheinlicher Ausbildung einer CR.
- Verwendung von CS-Compounds: Dies ist meist wirksamer als nur ein Reiz.
- Verwendung mehrerer US: Dies ist meist wirksamer als nur ein Reiz.
Inter-Stimulus-Intervall (ISI) zwischen US und CS: Beim Skeletalsystem 0,2-0,5s, beim autonomen NS zwischen 2 und 5s optimal für Konditionierungserfolg.
Quelle: http://www.workjoke.com/ pavlov-i.gif (04-07-01)
Bestätigung einiger Phänomene der klassischen Konditionierung durch die Gehirnforschung
ForscherInnen haben nun entdeckt, dass zwei Gruppen von Nervenzellen im Mandelkern beim Erlernen von Angst eine Rolle spielen. Sie untersuchten die Angstreaktionen an Mäusen, indem ein neutraler Reiz - einen Ton - gemeinsam mit einem unangenehmen Reiz gesetzt wurde. Die Tiere bekommen so nach dem Prinzip der klassischen Konditionierung nicht nur vor dem unangenehmen Reiz, sondern auch vor dem Ton Angst. Wurde der ängstigende Klang häufig in einem neuen Umfeld vorgespielt wird, ohne dass etwas Unangenehmes passierte, legten die Mäuse ihre Angst ab. Sie kehrt aber sofort zurück, wenn der Ton im ursprünglichen oder in einem völlig neuen Kontext auftrat. Die Mäuse hatten also nicht die Angst verlernt, vielmehr war das Empfinden im Gehirn nur "verdeckt". Dabei spielten offensichtlich zwei Gruppen von Nervenzellen im Mandelkern eine wichtige Rolle: Eine Gruppe von Zellen steuert das Angstverhalten alssolches, eine zweite die Unterdrückung der Angst. Ist die zweite Gruppe aktiv, verhindert sie, dass die Aktivität der ersten an andere Stellen im Gehirn weitergeleitet wird. Trotzdem sind die Verbindungen zwischen den Zellen, die Angst kodieren, noch vorhanden. Sobald die aber Maskierung wegfällt, etwa durch eine Veränderung des Kontextes, werden diese Verbindungen schnell wieder aktiv und die Angst kehrt zurück.
Haenicke et al. (2018) haben das assoziative Lernen und das Gedächtnis bei der Honigbiene mit bildgebenden Verfahren untersucht und festgestellt, dass Honigbienen ihre Gedächtnisleistung durch Gerüche konditionieren und auf diese Weise ihr Verhalten beeinflussen. So funktioniert das Kurzzeitgedächtnis der Honigbiene hauptsächlich über Gerüche, die im Pilzkörper, dem olfaktorischen Lernzentrum der Biene, verarbeitet werden. Auch konnte erstmals gemessen werden, wie sich die Verbindungen zwischen Nervenzellen in diesem Teil des Gehirns plastisch verändern. Je ausgeprägter die plastische Veränderung der Verbindungen nach dem Trainieren auf einen bestimmten Duft wurde, desto zuverlässiger konnten man das erlernte Verhalten der Biene beobachten. Wenn ein Duft vorher durch Zuckerwasser belohnt worden war, ein anderer Duft aber nicht und die Biene diese Unterscheidung gelernt hat, dann streckt sie im Test ihren Rüssel heraus, sobald sie den zuvor belohnten Duft riecht, auch wenn gar keine Belohnung da ist, und der nicht-belohnte oder ein unbekannter Duft führt dann nicht zu einem Rüsselherausstrecken.
Quellen
Joachim Haenicke, Nobuhiro Yamagata, Hanna Zwaka, Martin Nawrot
& Randolf Menzel (2018). Neural Correlates of Odor Learning in the
Presynaptic Microglomerular Circuitry in the Honeybee Mushroom Body
Calyx. eNeuro, doi:ENEURO.0128-18.2018.
Vlachos I., Herry C, Lüthi A, Aertsen A, Kumar A (2011).
Context-Dependent Encoding of Fear and Extinction Memories in a
Large-Scale Network Model of the Basal Amygdala. PLoS Comput Biol 7(3):
e1001104. doi:10.1371/journal.pcbi.1001104
Klassisches Konditionieren in der Praxis
Übrigens: Auch in der modernen Gedächtnisforschung - etwa
wenn man den Mechanismen des Vergessens auf die Spur kommen will -
werden Konditionierungsversuche eingesetzt
"Körpereigene Cannabinoide helfen beim Vergessen negativer Erlebnisse"
Erlernen emotionaler Reaktionen und Einstellungen
Generell kann angenommen werden, dass viele unserer emotionalen Reaktionen und Einstellungen gegenüber Reizen durch klassische Konditionierung erworben wurden.
Das klassische Konditionieren liefert zwar kaum angemessene Beschreibungen kognitiven bzw. schulischen Lernens. Es spielt jedoch indirekt eine Rolle, da vorhandene emotionale Reaktionen der Schüler durch klassisches Konditionieren entstanden sein können (z.B. Schul- und Prüfungsangst, Aggression). Dieses Wissen kann für den Lehrer hilfreich sein.
In der Schule bzw. im Unterricht können Konditionierungen emotionaler Reaktionen stattfinden, die langfristige Folgen haben (z.B. Lernfreude vs. Schulangst). Lehrer, Klassenzimmer, Schule etc. können z.B. zu angstauslösenden CS werden, wenn sie mit sehr negativen Erlebnissen gekoppelt wurden. Dies kann bis zu Bildungsfeindlichkeit oder Abneigung gegen Bücher führen.
Ein anderes Beispiel wird von Anderson (2000) erwähnt, der eine Abneigung gegen Krabben entwickelt hat, weil ihm nach dem ersten Genuss von Krabben aufgrund einer Erkrankung sehr schlecht geworden ist. Selbst beim Schreiben des Kapitels über klassische Konditionieren hat er Übelkeitsgefühle empfunden.
Entstehung von Ängsten
Eine besondere Rolle spielt die Untersuchung von Ängsten, die ein sehr häufiges Problem darstellen. Es lassen sich leicht viele Ängste nennen, die man selber hat oder die man von anderen kennt, die mittels klassischen Konditionierens gelernt wurden (z.B. Höhenangst, Angst vor dem Wasser, vor dem Zahnarzt). Daher gibt es auch die Möglichkeit zu einer Verhaltenstherapie bei Angst beim Zahnarzt.
Allerdings gibt es auch Ängste gegenüber Objekten, mit denen man noch gar keinen Kontakt hatte (Schlangen). Es ist daher zweifelhaft, in welchem Ausmaß KK als Ursache von Ängsten in Frage kommt. Allerdings gibt es genügend dokumentierte Beispiele für klassisch konditionierte Ängste. Gut dokumentiert sind z.B. konditionierte Ängste aufgrund traumatischer Erfahrungen (z.B. Krieg, KZ, Folter). Solche extrem intensiven US bzw. UR führen zu sehr löschungsresistenten Konditionierungen und eine einmalige Kopplung von CS und US kann bereits eine Konditionierung bedingen.
Zu weiteren Theorien der Angstentstehung siehe Angst - Psychologische
Erklärungsmodelle
Als Therapieformen (vor allem für Phobien) wurden die systematische Desensibilisierung und die Implosion entwickelt (bei letzterer hat der Klient die Möglichkeit, in einer sicheren Umgebung zu erleben, das der phobische Reiz zu keiner Verletzung etc. führt und es kommt folglich zur Extinktion). Das Problem bei Ängsten ist oft, dass aufgrund von Vermeidungsverhalten keine Extinktion erfolgen kann. Dies wird durch Desensibilisierung gewährleistet. Bei dieser Methode wird erst eine Angsthierarchie entwickelt (z.B. Bild einer Schlange bis hin zu Anfassen einer Schlange). Man beginnt damit, den Patienten in völlige Entspannung zu bringen, die unvereinbar mit Angst ist. Dann präsentiert man den schwächsten Angstreiz so lange bzw. so oft, bis dieser keinerlei negative Reaktion mehr auslöst; usw..
Evaluative Konditionierung und Werbung
Das klassische Konditionieren beruht normalerweise auf einer Wenn-Dann-Beziehung, wenn der CS auftritt, dann ist mit dem US zu rechnen, d.h., die mentale Repräsentation des CS aktiviert die Repräsentation des US und die CR kommt zustande. Diese Art der Konditionierung ist vom Bewusstsein abhängig. Daneben gibt es jedoch noch ein andere Art der Konditionierung, die automatisiert und unbewusst abläuft und auf einer evaluativen Reaktion (ER) beruht. Damit ist eine unmittelbare Reaktion im Sinne von gut/positiv/Mögen oder schlecht/negativ/Ablehnung gemeint. Essentielle ER sind angeboren, weitere können durch Erfahrung erworben werden. Diese Reaktion erfolgt noch vor dem Einsetzen kognitiver Reizverarbeitung. Man kann nun solche Reize (z.B. Bilder) ermitteln, die bei einer Person eine positive ER hervorrufen. Wenn man nun neutrale Reize zusammen mit positiven Reizen öfter koppelt, lösen die neutralen Reize ebenfalls eine positive ER aus. Ein Bewusstsein der Kontingenz positiver und neutraler Reize ist nicht notwendig. Das Prinzip der ER wird vor allem in der Werbung genutzt. Einige sehr erfolgreiche Werbungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr persistent ein Produkt mit positiven Reizen kombinieren (Tiger-Esso Benzin; Natur/Cowboys-Marlboro; Schöner Mann-Parfum). Möglicherweise kann auch mit der ER erklärt werden, dass Leute, die viel über andere lästern, selbst mit negativen Eigenschaften assoziiert werden.
Ein Fötus ist bereits im Bauch der Mutter konditionierbar, denn er lernt und gewöhnt sich an wiederholte Geräusche. Es beweist auch, dass Ungeborene ein Gedächtnis besitzen, da sie akustische Stimuli z.B. nach der Geburt wiedererkennen können. Cathelijne van Heteren & Jan Nihuis (Maastricht) beschallten 25 Föten im Alter zwischen 37 und 40 Wochen mit jeweils einem alle 30 Sekunden wiederholten Ton von einer Sekunde. Diese Stimulierung wurde nach zehn Minuten und nach 24 Stunden wiederholt. Reagierte das Ungeborene, das mittels Ultraschall beobachtet wurde, unmittelbar nach dem ersten Test noch sehr oft durch Bewegungen, so stellten die Forscher fest, dass diese bei den Tests nach zehn Minuten bereits schnell nachließen und auch nach 24 Stunden trat eine schnellere Gewöhnung ein als unmittelbar nach den ersten Schalltests. Man vermutet daher, dass Föten bereits ein Kurzzeitgedächtnis von mindestens zehn Minuten und ein Langzeitgedächtnis von mindestens 24 Stunden besitzen.
The Lancet, 2000, Heft 356, S. 1169.Schwangere berichten häufig, dass sie eine besondere Beziehung zu ihren ungeborenen Kindern verspüren. Aus neueren Untersuchungen weiß man, dass die Herzen von Schwangeren und ihrer ungeborenen Kinder zeitweise synchron schlagen, was maßgeblich durch den Atemrhythmus der Mutter beeinflusst wird. Der Fötus kann zusätzlich den Herzschlag seiner Mutter wahrnehmen und seinen Herzschlag daran anpassen. Es kommt also in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung zu einem engen körperlichen und möglicherweise sogar emotionale Zusammenspiel zwischen Mutter und Kind.
Methode der klassischen Konditionierung in Lernexperimenten bei Babys
Babys lernen auch im Schlaf
In einer Studie von US-Wissenschaftlern um Wiliam Fifer (Columbia University, New York) wurde ein bis zwei Tage alten Säuglingen im Schlaf einen Ton vorgespielt und ihnen kurz darauf einen kurzen Luftstoß auf ein Augenlid geblasen, der bei den Babys ein Zwinkern auslöste. Nach einiger Zeit zwinkerten die Babys schon beim Hören des Tons, d.h., sie hatten gelernt, dass auf das Geräusch ein Luftstoß folgt, also einen Zusammenhang zwischen zwei verschiedenen Ereignissen hergestellt. Babys einer Kontrollgruppe hingegen, die rein zufällig Ton und Luftstoß ausgesetzt worden waren, reagierten nicht mit einem vorzeitigen Zwinkern. Messungen der Gehirnaktivität zeigten , dass die Babys der Versuchsgruppe das neu Gelernte gegen Ende des Trainings im Gedächtnis auch verfestigten.
Kurzer Lebenslauf Ivan Petrowitsch Pawlow (1849-1936)
1849 wurde Pawlow in der Gegend von St. Petersburg als Sohn eines
russisch-orthodoxen Priesters geboren. Als ältester Sohn sollte Pawlow
den Beruf seines Vaters ergreifen. Doch im Alter von acht Jahren zog
sich Iwan beim von einer Leiter eine Kopfverletzung zu. Der Junge kam
erst wieder zu Kräften, nachdem sein Onkel, ein Abt, ihn in seinem
Kloster aufgepäppelt hatte. Mit elf Jahren konnte er endlich eine Schule
besuchen. Dort zeigte er sich so aufgeweckt, dass er zum Studium
empfohlen wurde.
Gegen den Wunsch seiner Eltern studierte Pawlow in St. Petersburg
Naturwissenschaften und Medizin. Als Student war er aufbrausend,
rechthaberisch, schlecht gekleidet, ein wenig ziellos und ziemlich
chaotisch. Erst mit 34 Jahren promovierte er, schon ein Jahr später
wurde er habilitiert. 1884 ging er für zwei Jahre nach Leipzig und
Breslau, um sich in Physiologie weiterzubilden.
Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts lernte Pawlow die
Pädagogik-Studentin Serafima Kartschewskaja kennen. Er, der sonst länger
im Labor arbeitete als jeder andere, war nun vornehmlich mit dem
Abfassen von Liebesbriefen beschäftigt - offenbar mit Erfolg. Die Reise
zur Hochzeit in Rostow am Don konnte Iwan gerade noch bezahlen. Für die
Feier selbst blieb keine Kopeke mehr übrig. Pawlow konnte zunächst nicht
einmal nach St. Petersburg zurückkehren. Die Finanzen des Paares
blieben noch lange zerrüttet. Als 1884 der kleine Mirtschik zur Welt
kam, musste Pawlow sich Geld von den Schwiegereltern borgen, um Mutter
und Kind im Sommer aufs Land schicken zu können. Hatte Pawlow einmal
Geld, gab er es sofort für Versuche aus. Mehr und mehr nahm Serafima das
Geschäftliche in die Hand - daraufhin soll das Eheleben recht
harmonisch geworden sein. Doch blieben die Einkünfte karg, denn Pawlow
lehnte Stellenangebote ab, die nicht genau seinen Vorstellungen
entsprachen.
Schon bald genoss er wegen seiner Arbeiten über die Regulierung der
Herztätigkeit internationale Anerkennung. 1890 erhielt er eine Professur
an der militärärztlichen Akademie in St. Petersburg. Endlich, mit 41
Jahren, hatte er einen gut bezahlten und vorzüglich ausgestatteten
Arbeitsplatz, den er bis zu seinem Lebensende nicht aufgab. Pawlow
befasste sich mit der Frage, wie der Körper die Verdauung reguliert.
Allgemein glaubte man, dass Nerven bei der Steuerung dieses Vorgangs nur
eine untergeordnete Rolle spielen. Die Ergebnisse von Vivisektionen,
also dem Öffnen des lebenden Tierkörpers, schienen das zu bestätigen.
Pawlow vermutete dagegen, dass die Schmerzen während des Eingriffs den
Verdauungsprozess lähmen. Die Frage ließ sich seiner Ansicht nach nur
beantworten, wenn man den Versuchstieren den Schmerz ersparte.
Pawlow begann, sich mit der Chirurgie zu befassen, um seine Hunde
möglichst schmerzfrei untersuchen zu können. Nur Versuchstiere, die
nicht leiden, könnten der Wissenschaft nützlich sein, glaubte der
Physiologe. Gleichzeitig führte er in seinem Labor neue Methoden ein. Er
legte den Hunden künstliche Ausgänge der Verdauungsorgane, untersuchte
die Sekrete und klärte so den bis dahin rätselhaften Verdauungsvorgang
auf. Dafür wurde er 1904 mit dem Nobelpreis geehrt. Als Nebenprodukt
dieser Arbeit konnte Pawlow reines Pepsin in großen Mengen herstellen.
Dieses Verdauungssekret ist noch heute ein wichtiges Magenmedikament.
Bei seinen Arbeiten untersuchte Pawlow auch die Speicheldrüse. Es fiel
ihm auf, dass die Hunde bereits Speichel absonderten, wenn der
Labordiener auftauchte, der sie immer fütterte. Dies regte Pawlow zu
genaueren Untersuchungen an. Er ließ jedes Mal vor der Fütterung einen
Gong ertönen. Schon nach wenigen Tagen hatten die Hunde gelernt, das
Signal mit der Fütterung zu verbinden. Bei jedem Gongschlag sonderten
die Tiere nun Speichel ab, auch wenn gar kein Futternapf auf sie
wartete: Iwan Pawlow hatte den "bedingten Reflex" entdeckt.
Kurt Högerle und Brita Engel: Der Mann mit dem Futter-Gong.
WWW: http://www.BerlinOnline.de/suche/.bin/mark.cgi/wissen/wissenschaftsarchiv/90908/.html/lehre1.html (00-12-23)
Eine neue Perspektive auf Pawlow
Evaluative Konditionierung
Evaluative Konditionierung bezeichnet das Phänomen, dass Einstellungen durch die gemeinsame Präsentation von Stimuli unterschiedlicher Valenz gelernt oder modifiziert werden können. Kann dabei ein Stimulus den anderen verlässlich vorhersagen, besteht eine statistische Kontingenz zwischen diesen Stimuli. Seit Jahren besteht eine Kontroverse um die Notwendigkeit der Bewusstheit dieser Kontingenz und deren Verwandtschaft zur klassischen Konditionierung, denn die gelernte Verbindung kann von der erworbenen Einstellung beeinflusst worden sein, sodass die Einstellung als Hinweisreiz verwendet wird. Hütter (2009/2010) nutzte für seine Experimenten ein Prozessdissoziationsparadigma, um zu prüfen, ob eine evaluative Konditionierung auch ohne Kontingenzbewusstsein möglich ist. Dazu wurde eine Gedächtnisaufgabe (Assoziation von Gesichtern) entwickelt, die zwischen Gedächtnis- und Einstellungsprozessen differenzieren kann. Die evaluative Konditionierung zeigte sich dabei in der Veränderung der Valenz ehemals neutraler Gesichter in Richtung der Valenz emotional aufgeladener Bilder. Negative Paarungen konnten dabei erwartungsgemäß eine größere Veränderung hervorrufen als positive Paarungen, sodass sich die Ergebnisse dieser Arbeit mit früheren Befunden zur Dominanz negativer Information decken.
Um Einstellungs- und Gedächtnisprozesse voneinander zu separieren, beinhaltete jedes Experiment eine analoge und eine inverse Bedingung der Gedächtnisaufgabe. Die Gedächtnisaufgabe verlangte zunächst ein Urteil, ob ein Gesicht mit angenehmen oder unangenehmen Bildern gezeigt wurde. Die Probanden wurden instruiert, ihre Einstellung zum Gesicht heranzuziehen, falls sie nicht über ein Gedächtnis an die jeweilige Paarung verfügten. In der analogen Bedingung wurden die Probanden instruiert, immer entsprechend ihres Gedächtnisses und ihrer Einstellung zu antworten. In der inversen Bedingung musste eines dieser Urteile umgekehrt werden.
Die Modellanalysen zeigten, dass die Evaluative Konditionierung zur Einstellungsbildung führt, auch wenn kein Kontingenzbewusstsein vorliegt. Dieses Ergebnis zeigte sich sowohl in der Gesamtauswertung des Zwischensubjektdesigns als auch in der jeweils ersten Aufgabe des Innersubjektdesigns bezüglich der Gedächtnisaufgabe, sodass man annehmen kann, dass das Kontingenzbewusstsein für die Evaluative Konditionierung möglicherweise nicht notwendig ist und allein die räumlich-zeitliche Kontiguität der gepaarten Stimuli eine Voraussetzung dafür darstellt. Damit unterscheidet sich der Lernmechanismus der Evaluativen Konditionierung von jenem der Klassischen Konditionierung.
Neben propositionalen Prozessen, die auf Annahmen über die Beziehung der gepaarten Stimuli beruhen, führen möglicherweise assoziative Prozesse, die zu unspezifischen Verknüpfungen zwischen Repräsentationen führen, und propositionale Prozesse, die nicht auf der statistischen Kontingenz beruhen, zu einer Veränderung der Einstellung
Quelle: Hütter, Mandy (2009/2010). Dissoziation von Einstellung und Gedächtnis: Zur Bedeutung des Kontingenzbewusstseins für die Evaluative Konditionierung. Inauguraldissertation Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.
Siehe auch:
Unterschiede zwischen klassischer und operanter Konditionierung
Klassische |
Operante |
|
aufgebaut auf |
Assoziation |
adaptiver Hedonismus |
Form |
eher passiv |
eher aktiv |
Kritische Reize |
vor Reaktion |
nach Reaktion |
Verhalten |
hat keine Konsequenzen |
hat Konsequenzen |
Inhalt |
Beziehung zwischen Reizereignissen |
Beziehung zwischen Reaktionen und deren Bedingungen und Folgen |
Eine neue Perspektive auf Pawlow
Torsten Rüting (2002) beleuchtet das weltanschauliche Fundament der stalinistischen Gesellschaftspyramide und legt die Legitimationsfunktion Pawlows als naturwissenschaftliche Ikone des sowjetischen Herrschaftssystems bloß. Die Utopien des Maschinenzeitalters zielten auf den permanent perfektionierten Proletarier, einen roboterhaften Stachanow aus der Matrize. Der Takt der Technik sollte seinen Biorhythmus disziplinieren, bis sie ihm gleichsam zur zweiten Natur geworden war. Als Schöpfer dieser Idealgestalt galt im "Neuen Russland" Iwan Pawlow. Er symbolisierte die Utopie von der totalen Konditionierbarkeit des "Neuen Menschen" und zielte auf ein funktionales Gegenmodell zum humanistischen Persönlichkeitsideal. Seine "Reflexologie" prägte die Massensuggestion totalitärer Propagandaapparate und floss auch in die behavioristische Verhaltenspsychologie der kapitalistischen Demokratien und in die Werbung ein.
Der Kult um Lenins Hirn spiegelt sich in Pawlows Dogma von der "Diktatur der Großhirnrinde". Der Forscher habe der Diktatur der Bolschewiki einen pseudowissenschaftlich Nimbus verliehen. Rüting (2002) verweist das gängige Bild von dem Nobelpreisträger als glühenden Verfechter der Geistesfreiheit ins Reich der Legenden. Dass jener den tradierten Habitus des autonomen Wissenschaftlers pflegen durfte, habe einen wohl kalkulierten Umkehreffekt bewirkt. Es stärkte Pawlows internationales Renommee und damit die Glaubwürdigkeit der Bolschewiki. Der dichtende Technologe Alexej Gastejew, "der eiserne Gastejew", kombinierte die Pawlowsche "Reflexologie" mit dem amerikanischen Taylorismus zur "Biomechanik" der Arbeitsorganisation. Der "Seeleningenieur" gründete die "Zeitliga", die den russischen Muschik zum Takt der Technik trainieren und permanent perfektionieren sollte. Seine Hymne dröhnte aus den Radios der staatlichen Kulturclubs bis in den entlegensten fernöstlichen Winkel.
Das Leben, selbst das rein physiologische, wird zu einem kollektiv experimentellen (...) - zum Objekt kompliziertester Methoden der künstlichen Auslese und des psychophysischen Trainings werden. Bei ihren "Ausleseverfahren" beriefen sich die Bolschewiki auf Pawlows Lehre. Sie glaubten an die Vererbbarkeit erlernter Reflexe und damit an die Möglichkeit der physiopsychischen Menschenzucht. "Meine kleine Welt" nannte Pawlow sein Laborimperium, das er so totalitär regierte, wie er sich die "Diktatur der Großhirnrinde" über den ganzen Menschen vorstellte. Seine Schüler bezeichnete er als seine "disziplinierten Hände". Sie wurden nach einem ausgeklügelten Programm für die alltägliche Tierquälerei konditioniert.
Pawlow hatte das Mitleid bereits in seiner Nobelpreisrede von 1904 als Störfaktor klassifiziert. Seine Schüler mussten Strafe zahlen, wenn ihnen "unwissenschaftliche", emotionale Worte über die Lippen kamen. Rüting deutet diese Mitleidlosigkeit als perpetuierte Körper- und Sinnesfeindlichkeit säkularisierter Orthodoxie. Er registriert verblüffende Gemeinsamkeiten zwischen dem Habitus eines besessenen Forschers und der Askese eines fanatischen Führers. Dabei unterschlägt er den offenen Widerstand Pawlows gegen die als Chaos empfundene Revolution und die "Säuberungen" des sowjetrussischen Wissenschaftsapparates nicht. Er macht indes auf das aufmerksam, was einschlägige Fachlexika verschweigen: Der Patriot Pawlow hat den Aufstieg der russischen Nation unter Stalin schließlich goutiert. Der Sowjetstaat ließ ihm zudem reichliche Mittel für sein Laborimperium und ermöglichte ihm ein luxuriöses Privatleben. So arrangierte er sich schließlich mit den Bolschewiki und pries sie als "soziale Experimentatoren". Die Sowjetführer wussten, was sie an dem Mann mit den dressierten Hunden hatten, und Nikolai Bucharin, der Liebling und Vordenker der Partei, feierte Pawlow als "eiserne heilige Waffe" des Bolschewismus.
Wer sich ... jemals mit der Reflexologie befasst hat, muss (...) sagen, dass es niemals eine eindeutigere, experimentell exaktere Beweisführung für die Richtigkeit der materialistischen Geschichtsauffassung, für den Marxismus gegeben hat als die Lebensarbeit Iwan Petrowitsch Pawlows. Maxim Gorki, der Pawlow als Realisator seines eigenen Menschheitsideals verehrte, bewegte Stalin dazu, eine gigantomanische Menschenfabrik mit Pawlow als Leiter zu gründen. Sie firmierte unter dem Namen "Allunionsinstituts für Experimentelle Medizin" und sollte später den Namen Gorkis tragen. Für den Dichter war es die Krippe des "Neuen Menschen".
Quelle
Elke Suhr: Deutschlandfunk - Politische Literatur vom 13.1.2003
Literatur
Rüting, Torsten (2002). Pavlov und der Neue Mensch. Diskurse und Disziplinierung in Sowjetrussland. München: Oldenbourg Verlag.
Schattenberg, Susanne (2002). Stalins Ingenieure. Lebenswelten zwischen Technik und Terror in den 1930er Jahren. München: Oldenbourg Verlag.
Quellen
https://www.stangl-taller.at/TESTEXPERIMENT/experimentbspconditioning.html (03-02-02)
http://www.uni-bielefeld.de/idm/personen/shorsman/lerntheorie.html (01-01-22)
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