Jean Piagets Entwicklungsstufen im Überblick
Piaget nahm an, dass Situationen oder Aufgaben, die alle die gleiche logische Struktur haben, von Kindern gleichen Alters richtig gelöst werden müssten. Dies ist aber nicht der Fall. Ein Problem wirft die Beobachtung auf, dass die gleiche Struktur in unterschiedlichen Gegenstandsbereichen nicht im gleichen Alter realisiert wird. Piaget hat dieses Problem relativ schnell erkannt und dafür den Begriff "Décalage" (horizontale Verschiebung) eingeführt, allerdings hat er keine Theorie dieser Verschiebung ausgearbeitet. Aufgaben mit der gleichen identischen Struktur werden von den Kindern zu verschiedenen Zeitpunkten in ihrer Entwicklung richtig gelöst. Es ist also so, dass mutmasslich gleiche Leistungen in verschiedenen Bereichen entwicklungsmässig nicht synchron sind. Die Erwartung, dass alle Probleme der gleichen Struktur etwa zur gleichen Zeit gelöst werden können, entspricht dem Stufenkonzept, es gibt aber manchmal eine Verschiebung von bis zu vier Jahren.Der Ansatz der Entwicklungsstadien bezeichnet mit Stadium also einen Zeitabschnitt, in dem das Denken und Verhalten eines Kindes eine spezifische geistige Grundstruktur widerspiegelt.
- Ein Stadium ist ein strukturiertes Ganzes in einem Zustand des Gleichgewichts.
- Jedes Stadium geht aus dem vorangegangenen Stadium hervor, integriert und transformiert es und bereitet das nachfolgende vor.
- Die Stadien bilden eine invariante Sequenz.
- Die Stadien sind universell.
- Jedes Stadium schreitet voran vom Werden zum Sein.
Das auf der Interaktion eines Individuums mit seiner Umwelt beruhende Stufenkonzept der Entwicklung basiert auf den Annahmen, dass zur strukturellen Änderung der Kategorien Erfahrung unbedingt notwendig ist, und dass umfangreichere Stimulation zu schnelleren Fortschritten durch die involvierten Reihen führt. Die Wirkungen der Erfahrung werden jedoch nicht als Lernen im üblichen Sinn begriffen, wonach Lernen ein Training durch die Paarung spezifischer Objekte mit spezifischen Reaktionen durch Instruktion, durch Vorbilder etc. bedeutet, sondern man nimmt an, dass der Effekt der Übung mehr durch die kognitiven Kategorien des Individuums bestimmt wird als umgekehrt.
Wenn zwei Ergebnisse, die zeitlich aufeinander folgen, im Denken eines Kindes kognitiv verknüpft werden, impliziert dies, dass das Kind sie mittels der Kategorie Kausalität aufeinander bezieht, d.h., es nimmt sein Verhalten als die Verstärkung verursachend wahr. Ein Verstärkungsprogramm kann also nicht direkt die kausalen Strukturen des Kindes ändern, da es bereits an diese assimiliert ist.
Nach Piaget (1960) haben kognitive Stufen folgende Charakteristika:
Auf den unterschiedlichen Stufen bestehen qualitative Unterschiede der Denk- oder Problemlösungsmodi hinsichtlich gleicher Probleme in verschiedenen Altersstufen.
Diese verschiedenen Denkmodi bilden eine "invariante Sequenz".
Kulturelle Faktoren können zwar die Entwicklung beschleunigen,
verlangsamen oder zum Stillstand bringen, sie können jedoch nicht die
Abfolge (der Stufen) ändern.
Jede dieser unterschiedlichen und aufeinanderfolgenden Denkmodi formen ein "strukturiertes Ganzes".
Eine Stufen-Antwort in Bezug auf eine Aufgabe ist keine spezifische
Antwort, die etwa durch Kenntnis und Vertrautheit mit dieser oder
ähnlichen Aufgaben determiniert ist, sondern repräsentiert eine ihr
unterliegende "Denkorganisation", z.B. die Stufe der konkreten
Operationen.
Die kognitiven Stufen bilden eine hierarchische Integration.
Die Stufen bilden eine Ordnung von Strukturen, die sich zunehmend
differenzieren und integrieren, um allgemeine Funktionen zu erfüllen.
Nach Piaget sind die allgemeinen Anpassungsfunktionen der kognitiven
Strukturen stets dieselben: Die Erhaltung des Gleichgewichts zwischen
Organismus und Umwelt, definiert als die Balance von Assimilation und
Akkomodation. Höhere Stufen schließen die Strukturen aller früheren
Stufen ein. Zum Beispiel formal operationales Denken schließt alle
strukturellen Merkmale des konkret operationalen Denkens ein, allerdings
auf einer neuen Stufe der Organisation. Konkret operationales oder gar
sensomotorisches Denken verschwindet nicht, wenn formales Denken
entsteht, sondern es wird weiterhin in Situationen, wo es adäquat ist
oder wenn Anstrengungen im formalen Denken zu keiner Lösung führen,
angewandt. Im Individuum gibt es allerdings eine hierarchische
Präferenz, d.h. eine Disposition, die Lösung eines Problems auf der
höchsten Stufe, die ihm verfügbar ist, zu bevorzugen.
Stufe der sensumotorischen Intelligenz
(0 bis 1;6/2;0 Jahre) Das Verhalten in der sensumotorischen Phase entsteht ausschliesslich durch das Zusammenspiel von Wahrnehmungseindrücken und motorischer Aktivität. Das Kleinkind verfügt also weder über eine Vorstellungstätigkeit, noch über eine rationale Einsicht.
Bereits im Alter bis ca. 18/24 Monaten gibt es intelligente Anpassungen des Kindes an seine Umwelt. Allerdings erfolgen diese vorwiegend noch in der Form, dass spontane Handlungen (zunächst aufgrund angeborener reflektorischer Schemata) mit gerade vorhandenen Wahrnehmungseindrücken koordiniert werden (z. B. eine Rassel schütteln oder ein Mobile bewegen). In dieser Phase baut das Kind über eine immer größer werdende Reihe von primären, sekundären und tertiären Kreisprozessen (zunächst Lutschen, dann Greifen und später Hantieren) die Gesamtheit der kognitiven Substrukturen für die späteren wahrnehmenden und intellektuellen Konstruktionen auf. Daher ist diese Phase grundlegend für die spätere kognitive Gesamtentwicklung eines Kindes (Hospitalismus). Die sensumotorische Entwicklung unterteilt Piaget in sechs Abschnitte ein:
- Übung angeborener Reflexmechanismen
- primäre Kreisreaktionen
- sekundäre Kreisreaktionen
- Koordination der erworbenen Handlungsschemata und ihre Anwendung auf neue Situationen
- tertiäre Kreisreaktionen
- Übergang vom sensumotorischen Intelligenzakt zur Vorstellung.
im Detail: Stufen der sensumotorischen Intelligenz
Stufe des symbolischen oder vorbegrifflichen Denkens
(1;6/2;0 bis 4;0 Jahre) Auf dieser Stufe läßt sich eindeutig Denken im Sinne verinnerlichten Handelns nachweisen. Das Kind wird fähig, mit Vorstellungen und Symbolen - die Piaget Vorbegriffe nennt - umzugehen. Das Kind weiss nun also, dass ein Symbol für ein Objekt stehen kann. Es verfügt ebenfalls über eine qualitative Identität. Die Identität eines Gegenstandes, etwa von Papier oder Knetmasse, bleibt die gleiche, auch wenn es durch Verformung anders aussieht.
Der Begriff der Symbolfunktion bezieht sich auf die Fähigkeit des Kindes, das Bezeichnete (ein Objekt, ein Ereignis oder ein Begriffsschema) durch ein Bezeichnendes (ein Wort, eine Geste, eine Vorstellung) zu repräsentieren. Es vermag nun, zwischen einem wirklich vorhandenen Gegenstand und einem nur vorgestellten Symbol zu unterscheiden. Es handelt sich insgesamt um eine prälogische Denkform - "prä-" natürlich immer im Vergleich zur üblichen in unserem Kulturkreis ausgebildeten und akzeptierten Erwachsenenlogik!
Das Kind lernt als Grundlage für seine spätere Entwicklung in der präoperationalen Periode den Gebrauch symbolischer Substitutionen wie der Sprache und der geistigen Bilder anstelle der sensomotorischen Aktivitäten des Säuglingsalters. Anstatt nach Dingen zu greifen, kann es jetzt etwa darum bitten. Auf dieser Stufe entwickelt das Kind die Fähigkeit, seine reale Umwelt mit vor allem sprachlichen Mitteln zu klassifizieren.
Die Kinder sind nicht fähig, die Welt in belebt und unbelebt zu unterteilen. So wird zum Beispiel die Bewegung der Wolken an die Fortbewegungsart der Würmer assimiliert und gleichzeitig werden die Wolken als Lebewesen gedeutet. Piaget nennt die Wahrnehmung unbelebter Gegenstände als belebt "animistische Deutungen".
Beim finalistischen Denken handelt es sich um eine fehlerhafte Assimilation. Die Existenz von Naturerscheinungen wird zweckmässig erklärt, als ob es sich um menschliche Aktionen handelte. Bäume sind da, um uns Schatten zu spenden, Steine sind da, um Häuser zu bauen.
Beim artifiziellen Denken glauben Kinder, dass alles in der Welt von den Menschen oder von Gott gemacht ist. Sie verfügen also über Konzepte der Herstellung, der Anfertigung und des Machens. Kinder vermuten zum Beispiel, dass starke Männer einen Berg gemacht haben oder sie fragen danach, wer die Babys gemacht hat.
Stufe des anschaulichen Denkens
(4;0-7;0/8;0 Jahre) Es entwickeln sich auf dieser Stufe zwar schon "echte" Begriffe, aber das Denken ist wie auch in der nächsten Phase noch ganz an die Anschauung gebunden. In dieser Phase kommt es geradezu zu einer Explosion des Begriffsinstrumentariums, das allerdings noch recht vereinfacht und absolut gebraucht wird. Das Kind kann in der Regel noch nicht verschiedene Aspekte eines Gegenstandes oder einer Beziehung zwischen Gegenständen gleichzeitig erfassen und berücksichtigen, sondern es bleibt meist bei einem wahrnehmungsmäßig herausragenden Merkmal stehen.
Diese Stufe ist die am intensivsten erforschte Phase der Piagetschen Theorie, vor allem deshalb, weil sie im Übergang vom voroperatorischen zum operatorischen Denken gipfelt. Aus einer Phase, die von instabilen logischen Regeln gekennzeichnet ist (Invarianz, Objektpermanenz), kommt es zu einer qualitativen Veränderung. Die Fehler, die das Kind in diesem Stadium macht, nennt Piaget: unangemessene Generalisierungen; den Egozentrismus des Kindes; Zentrierung; eingeschränkte Beweglichkeit; fehlendes Gleichgewicht.
Piaget nennt nun die animistische, finalistische und die artifizielle Denkweise des Kindes egozentrisch. Piaget verwendet den Begriff Egozentrismus vielfältig, so z.B. zur Bezeichnung der Unfähigkeit, sich in die Rolle eines anderen hineinzuversetzen, den Blickwinkel eines anderen einzunehmen oder die eigene aktuelle Sichtweise als eine unter mehreren Möglichkeiten zu begreifen. Ein Kind dieses Alters zweifelt noch nicht daran, ob der Gesprächspartner verstanden hat, was es sagt, es fragt nicht nach. Das Kind weiss noch nicht, dass der andere die Dinge vielleicht nicht so versteht und sieht, wie es selbst. Es fühlt sich deshalb auch nicht dazu veranlasst, seine Ansichten zu rechtfertigen oder zu begründen. Durch die Entwicklung von Kompetenzen zur Perspektiven- und Rollenübernahme wird dieser kommunikative Egozentrismus allmählich überwunden. Mit der Zeit gelingt es dem Kind, die Perspektive anderer zu erkennen und sich in seinem eigenen Handeln und Sprechen auf die Verständnismöglichkeiten des Gegenübers einzustellen. So gelingt Kommunikation unter Berücksichtigung der Verständnismöglichkeiten unterschiedlicher Partner.
Klassen- und Kategorienbildung
Die Mannigfaltigkeit der Welt ist in verschiedene Kategorien einteilbar. Diese Fähigkeit stellt für uns Menschen eine wichtige kognitive Leistung dar, da es das Verstehen der Welt und die Kommunikation wesentlich erleichtert. Es bestehen unterschiedliche Prinzipien der Ordnung. Kinder ordnen die Welt zunächst nach thematischen Kriterien. Kinder ordnen die Welt zunächst nach Basiskategorien. Basiskategorien werden zur Vereinfachung der Welt gebildet, in dem Elemente die sich gleichen, einer bestimmten Kategorie zugeordnet werden.
Versuch
Das Problem der Klasseninklusion wurde untersucht, indem man Kindern ein Bild mit drei Rosen und acht Tulpen gezeigt hat. Nun wurden die Kinder gefragt, ob auf dem Bild mehr Blumen oder mehr Tulpen zu sehen seien. Die Kinder geben in diesem Stadium ihrer Entwicklung an, dass da auf dem Bild mehr Tulpen zu sehen seien. Die Begründung des Kindes für diese Antwort ist, es habe weniger Rosen auf dem Bild. Oft geben die kleinen ProbandInnen auch an, es gebe mehr Tulpen, weil es weniger Blumen gebe. Mit Blumen meinen die Kinder aber nun die Rosen. Das Wort "Blumen" ändert also seine ursprüngliche Bedeutung.
Die Schwierigkeiten für das Kind liegen nun darin, dass es noch kein System der Klassenverschachtelung aufgebaut hat, das ihm erlaubt, die Inklusionsbeziehung von Unter- und Oberklasse zu erfassen. Es ist zwar in der Lage, die Basiskategorie "Blumen" zu unterscheiden in "Rosen" und "Tulpen". Hat das Kind diese Differenzierung aber bewerkstelligt, ist es aktuell nicht fähig, sie geistig wieder rückgängig zu machen und sogleich die Tulpen wieder der Klasse der Blumen unterzuordnen. Wenn dann gleichzeitig nach "Tulpen" und "Blumen" gefragt wird, steht die Unterklasse "Tulpen" für die Bildung der Oberklasse "Blumen" nicht mehr zur Verfügung.
Da die Differenzierung der Oberklasse gelingt, wird dieses Denken als unidirektional bezeichnet. Es ist noch nicht reversibel, das heisst, der gleichzeitige Vollzug der Differenzierung der Oberklasse und deren Rückgängigmachung, die Abstraktion von dieser Differenzierung gelingt nicht. Die Unterklasse "Tulpe" ist, einmal gebildet, sozusagen fixiert und kann für den verlangten Vergleich nicht mehr in die Oberklasse integriert werden. Diese Leistung wird erst möglich, wenn das System der Verschachtelung von Klassen oder der Klassenhierarchie vorhanden ist, in der die nächsthöhere Oberklasse ihre Unterklassen umfasst. Piaget nennt solche Systeme "konkret-operatorische Strukturen".
Kategorisierung ist ein fundamentales Element nicht nur des menschlichen Denkens, denn diese Fähigkeit, sensorische Reize zu kategorisieren, ist aber auch entscheidend für das Überleben von Tieren in einer komplexen Umwelt, wobei das Abspeichern von Kategorien anstelle von einzelnen Erfahrungen eine größere Verhaltensflexibilität ermöglicht. Neuronen, die Kategorie-Selektivität zeigen, wurden in verschiedenen Bereichen des Neocortex von Säugetieren gefunden, aber der präfrontale Cortex scheint in diesem Zusammenhang eine herausragende Rolle zu spielen. Insbesondere bei Primaten, die ausgiebig auf eine Kategorisierungsaufgabe trainiert werden, repräsentieren Neuronen im präfrontalen Cortex schnell und flexibel gelernte Kategorien. Wie diese Repräsentationen bei niederen Tieren entstehen, ist jedoch noch weitgehend unerforscht, wobei unklar ist, ob flexible Repräsentationen allmählich als Teil des semantischen Gedächtnisses aufgebaut werden, oder mehr oder weniger sofort während einer Aufgabenausführung zugewiesen werden.
Reinert et al. (2021) untersuchen die Bildung einer neuronalen Kategorierepräsentation bei Mäusen während eines gesamten Lernprozesses, indem sie wiederholt einzelne Zellen im medialen präfrontalen Cortex abbildeten. Sie konnten dabei zeigen, dass Mäuse eine regelbasierte Kategorisierung erlernen können und auf neue Reize verallgemeinern, wobei im Verlauf des Lernprozesses Neuronen im präfrontalen Cortex eine unterschiedliche Dynamik beim Erwerb der Kategorie-Selektivität zeigen und bei einem späteren Wechsel der Regeln unterschiedlich aktiv sind. Eine Untermenge von Neuronen reagiert selektiv und eindeutig auf Kategorien und spiegelt dadurch das Generalisierungsverhalten wider, woraus man schließen kann, dass eine Kategorierepräsentation im präfrontalen Cortex der Maus während des Lernens allmählich erworben und nicht ad hoc entsteht. Dieser allmähliche Prozess legt also nahe, dass Neuronen im medialen präfrontalen Cortex Teil eines spezifischen semantischen Gedächtnisses für visuelle Kategorien sind.
Stufe des konkret-operativen Denkens
(7;0/8;0 - 11;0/12;0 Jahre) Die gedanklichen Operationen sind zwar weiterhin an anschaulich erfahrbare Inhalte gebunden, sie zeichnen sich jedoch durch eine größere Beweglichkeit aus. Verschiedene Aspekte eines Gegenstandes oder Vorgangs können gleichzeitig erfaßt und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Der Terminus konkrete Operationen meint, dass das Kind nun in Gedanken mit konkreten Objekten bzw. ihren Vorstellungen operieren kann. Es kann Reihen aufstellen, erweitern, einteilen, unterscheiden. Das Denken besitzt bereits die Eigenschaft der Reversibilität (Umkehrbarkeit), d. h., die konkreten Operationen konnen gedanklich umgekehrt werden, so dass eine durchgeführte Operation wieder aufgehoben wird. Das kindliche Denken erreicht in dieser Struktur die erste Form eines stabilen Gleichgewichts. Das Kind beschränkt sich beim zielgerichteten konkreten Denken auf das, was faktisch und wirklich ist. Allerdings wird in diesem Alter die "Realität" auch schon oft den kognitiven Schemata untergeordnet bzw. letztere werden bewußt manipuliert (etwa in Phantasien oder Wunschvorstellungen).
Stufe des formalen Denkens
(ab 11;0/12;0 Jahren) Mit dem formalen Denken tritt nach Piaget eine Sinnesumkehrung zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen ein. Das formale Denken ist grundsätzlich hypothetisch-deduktiv. Denkoperationen können auf dieser Stufe mit abstrakten, nicht mehr konkret vorstellbaren Inhalten durchgeführt werden. Dies entspricht der höchsten Form des logischen Denkens. Das Denken stützt sich jetzt vorwiegend auf verbale bzw. symbolische Elemente und nicht mehr auf Gegenstände. Die Reversibilität ist nun auch formal, d.h., abstrakt, gegeben. Das formale Denken besteht aus einem System von Operationen in zweiter Potenz, d. h., die Kinder können nun mit Operationen operieren, z. B. über ihr eigenes Denken, die Form ihrer Argumentation nachdenken. Nicht nur die inhaltliche Richtigkeit von Aussagen wird überprüft, sondern deren logische Form bzw. der "Wahrheitsgehalt" (Kritikfähigkeit).
Siehe auch den chemischen Versuch!
Übrigens genügen 49 Merkmale zur Kategorisierung von Objekten
Gegenstände in der Umwelt können nach einer Vielzahl möglicher Kriterien wie Lebendigkeit, Form, Farbe und Funktion charakterisiert werden, doch einige Dimensionen sind dabei nützlicher als andere, um die Bedeutung der den Menschen umgebenden Objekte zu erkennen. Hebart et al. (2020) haben anhand ein umfangreichen datengestütztes Berechnungsmodell für Ähnlichkeitsbeurteilungen von Bildern aus der realen Welt von fast zweitausend Objekten entwickelt. Es zeigte sich, dass ein Set aus 49 Eigenschaften genügt, um beinahe alle Objekte bestimmen können, die deren mentaler Repräsentation zugrundeliegen, also dem inneren Abbild, in das das Gehirn einen Reiz übersetzt. Das setzt sich demnach etwa aus der Farbe, Form und Größe zusammen, aber auch daraus, dass es etwas mit der Natur zu tun hat, sich bewegen kann oder mehr oder minder wertvoll ist. Dieses Set an Merkmalen ist demnach benennbar und minimal hinreichend, enthält also möglichst wenige Merkmale und ist dennoch ausreichend umfangreich, um Objekte der den Menschen umgebenden Welt zu beschreiben. Die Ergebnisse zeigen deutlich, wie wenige Eigenschaften es eigentlich braucht, um alle Objekte in der Umgebung zu charakterisieren. Aus den insgesamt 49 Merkmale lässt sich auch ableiten, was als besonders ähnlich und was als besonders typisch für eine Kategorie empfunden wird, wobei damit im Grunde die Grundprinzipien des Denkens erklärt werden, wenn es um Objekte geht. Dadurch ist man auch in der Lage, die Ähnlichkeit von Objekten zu bewerten und vorherzusagen.
Literatur
Hebart, Martin N., Zheng, Charles Y., Pereira, Francisco & Baker, Chris I. (2020). Revealing the multidimensional mental representations of natural objects underlying human similarity judgements. Nature Human Behaviour, doi:10.1038/s41562-020-00951-3.
Reinert, Sandra, Hübener, Mark, Bonhoeffer, Tobias & Goltstein, Pieter M. (2021). Mouse prefrontal cortex represents learned rules for categorization. Nature, doi:10.1038/s41586-021-03452-z.
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