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Formal-operatorisches Stadium

Das formal-operatorische Denken geht in spezifischer Weise über vorgefundene oder vorgegebene Informationen hinaus. In dieser Phase wird nicht mehr nur aufgrund der aktuell gegebenen Informationen gefolgert und geurteilt, sondern es werden mögliche weitere Informationen einbezogen, die man zu gewinnen sucht.

Pendelversuch

Pendelversuch

Abb.: Pendelversuch zur Ermittlung des Stadiums der geistigen Entwicklung, nach Piaget, in Oerter/Montada S. 440

 

Bei der Pendelaufgabe wird Kindern unterschiedlichen Alters die Frage gestellt, von welchen Faktoren die Frequenz eines Pendels abhänge, von seinem Gewicht oder von seiner Länge. Es wird gezeigt, dass ein kurzes, schweres Pendel rasch schwingt und ein langes, leichtes Pendel langsam schwingt.

Dadurch ist ein erstes zentrales Merkmal des formal-operatorischen Denkens umschrieben. Das Kind fixiert sich nicht mehr bloss auf gegebene Informationen. Es abstrahiert aus Beobachtungen und Aussagen mögliche Einflussvariablen, erstellt ein System möglicher Kombinationen solcher Einflussvariablen, das prinzipiell vollständig überprüft werden muss, bevor die richtige Lösung gefunden werden kann.

Zum Proportionalen Denken gestaltete Piaget einen Versuch, bei dem den Kindern zwei leere Gefässe gezeigt werden: A und B. Nun werden einige Becher mit Flüssigkeiten in jedes der Gefässe gegossen. Einige dieser Becher enthalten Orangensaft, andere enthalten Wasser. Das Kind soll nun voraussagen, welches der beiden Gefässe schliesslich eine Mischung aus Orangensaft und Wasser enthalten wird, die stärker nach Orangensaft schmeckt. Das Kind kann die Zahl der Becher zählen, die in jedes Gefäss gegossen werden sollen, aber es darf die Becher nicht wirklich in das Gefäss giessen und probieren. Folgende Sequenz von Lösungsstrategien wurden beobachtet:

Anhand dieses Beispiels wird ersichtlich, dass jede Strategie eine modifizierte und leistungsfähigere Version der vorhergehenden darstellt. All diese Strategien lösen einige Probleme und alle machen in einer gewissen Weise Sinn. Jedes höhere Niveau erlaubt die Lösung einer grösseren Zahl und Vielfalt von Problemen, da einige neue relevante Aspekte der Aufgabe zusätzlich einbezogen werden. Gemäss Piaget schliesst jede neue Strategie die Elemente der vorhergehenden ein, ist aber differenzierter und gleichgewichtiger als diese. Die Begriffe "Reversibilität" und "Beweglichkeit" der Transformationen haben in seinem Denken eine grosse Bedeutung. Er sieht die geistige Entwicklung als eine Entwicklung auf grössere Beweglichkeit des Denkens hin. Piaget sprach auch vom hypothetisch-deduktiven Denken (sog. structure ensemble), also einem in sich geschlossenen Gesamtsystem des Denkens.

Die formal-operationale Phase stellt somit das Erreichen des Entwicklungsoptimums des Denkens dar:

Reproduktionsfehler

Reproduktionsfehler

Abb.: Demonstration des Wasserspiegels in der gekippten Flasche (a) und typischer Fehler (b) der Reproduktion

Chemischer Versuch

Piaget und Inhelder legten den Versuchspersonen vier gleiche Fläschchen mit geruch-, geschmack- und farblosen Flüssigkeiten vor, die sich äußerlich in nichts voneinander unterschieden. Fläschchen I enthielt gelöste Schwefelsäure, Fläschchen 2 Wasser, Fläschchen 3 Wasserstoffsuperoxyd, Fläschchen 4 Thiosulfat. Dazu kam noch ein Gefäß mit Tropfenzähler, das Kaliumjodid enthielt (g). Bei Vermischung von 1 und 3 mit einigen Tropfen aus g färbt sich die Flüssigkeit gelb. Bei Hinzufügen von 2 ändert sich nichts, bei Zugießen von 4 verschwindet die gelbe Farbe. Der Versuchsleiter zeigte dem Kind zwei Gläser, die scheinbar die gleiche Flüssigkeit enthielten und setzte bei beiden einige Tropfen aus g hinzu. Da das eine Glas aus 1 und 3 gemischt war, färbte sich die Flüssigkeit gelb, das andere Glas, das nur Wasser enthielt, blieb farblos. Das Kind sollte das gleiche Ergebnis unter Benutzung der vier bereitgestellten Fläschchen und des Gefäßes erzielen.

Schon die Sieben- bis Zehnjährigen bemühten sich um eine systematische Lösung. Sie mischten g mit allen anderen Flüssigkeiten einzeln oder schütteten alle Flüssigkeiten zusammen. Die Lösung erfordert aber ein komplexeres Denken. Der Farbeffekt kann erst bei Verwendung formaler Operationen durch Mischung dreier Flüssigkeiten (1 + 3 + g) bei gleichzeitiger Abwesenheit der vierten (4) erzielt werden. Auf der Stufe der formalen Operationen erstellen der Jugendliche (nach anfänglichen Fehlversuchen) alle möglichen Kombinationen, auch die möglichen sechs zweier Flüssigkeiten zusammen mit g. Damit ist eine Variablenkontrolle realisiert.


 Zeichnungen: http://www.stud.uni-wuppertal.de/~ya0023/hotlist.htm



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