„Arbeit ist das ganze Leben?“ – Arbeitssucht ist ein universelles Problem mit verheerenden Auswirkungen für Betroffene und deren Umfeld *)
Ergebnisse der Studie „Einstellungen gegenüber der Arbeit und ihre Auswirkungen auf das menschliche Wohlbefinden“
von Michaela Städele
Im Rahmen einer Diplomarbeit zum Thema „Die zwanghafte/anankastische Persönlichkeitsstörung und ihr Zusammenhang mit der Arbeitssucht“ an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn wurde vom 01. Dezember 2007 bis zum 15. Januar 2008 im Internet die Befragung „Einstellungen gegenüber der Arbeit und ihre Auswirkungen auf das menschliche Wohlbefinden“ durchgeführt. Insgesamt nahmen 466 Personen an der Umfrage teil und beantworteten Fragen über die Einstellung zur Arbeit, die eigene Persönlichkeit, die Gesundheit, die Zufriedenheit mit verschiedenen Lebensbereichen und einzelne demografische Angaben.
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Arbeitssucht nicht als eine Krankheit von stark beruftätigen Personen wie Managern gelten kann, sondern es handelt sich um ein universelles Problem, das in allen Reihen der Gesellschaft gleichermaßen anzutreffen ist. Es gibt keine spezifischen Merkmale (wie z. B. Alter, Geschlecht, Familienstand, Bildungsstatus), die ein arbeitssüchtiges Individuum in besonderem Maße kennzeichnen oder für Arbeitssucht prädisponieren. Dies wird dadurch belegt, dass nur 69 Prozent der arbeitssüchtigen Befragten angestellt oder selbstständig waren. Es fanden sich ebenfalls Studenten (23 Prozent), Schüler (3 Prozent), Arbeitslose (1 Prozent) und Rentner (1 Prozent) unter den Arbeitssüchtigen. Ob jung oder alt, Mann oder Frau, Manager oder Rentner, alle können von Arbeitssucht betroffen sein.
Arbeitssüchtige unterscheiden sich sowohl in ihrem Arbeits-, als auch in ihrem Freizeit- und Schlafverhalten von Nicht-Arbeitssüchtigen. An einem durchschnittlichen Arbeitstag wenden Arbeitssüchtige mit 11 Stunden ca. 1,5 Stunden mehr für Arbeit und sonstige Verpflichtungen auf als Nicht-Arbeitssüchtige. Dementsprechend haben Arbeitssüchtige im Durchschnitt 2 Stunden weniger Zeit für Freizeitaktivitäten, in denen Sie wirklich mal das machen können, worauf sie Lust haben. Ähnlich sieht es an einem durchschnittlichen Sonn-, Feier- oder Urlaubstag aus. Allerdings schlafen Arbeitssüchtige an einem freien Tag genauso viel wie Nicht-Arbeitssüchtige. Dies ist ein Indiz dafür, dass Arbeitssüchtige nicht untätig sein können und sich daher in ihrer vermeintlichen Freizeit mit Zusatzaktivitäten eindecken, weil sie z. B. ansonsten aufgrund des „Nichts-Tuns“ unter Schuldgefühlen leiden oder sogar Entzugssymptome entwickeln können. Arbeitssucht ist somit eine Störung, die das ganze Leben des Betroffenen vereinnahmt und nicht vor der Haustür Halt macht, sondern genauso das Freizeit- und Privatleben beeinflusst.
Im Vergleich zu Nicht-Arbeitssüchtigen klagen Arbeitssüchtige über bedeutend mehr körperliche Beschwerden, wie z. B. Gliederschmerzen (54 Prozent) sowie Herz- (40 Prozent) und Magenbeschwerden (43 Prozent). Außerdem leiden 58 Prozent der Arbeitssüchtigen unter einer höheren Erschöpfungsneigung (z. B. Müdigkeit, Mattigkeit, Schwächegefühl). Insgesamt ergibt sich daraus ein insgesamt höherer Beschwerdedruck bei Arbeitssüchtigen als bei Nicht-Arbeitssüchtigen. Arbeitssucht steht demnach in engem Zusammenhang mit gesundheitlichen Problemen und kann im schlimmsten Fall zu einer Frühinvalidität, Berufsunfähigkeit oder gar zu einem frühzeitigen Tod führen. Dies sollte Sie jetzt jedoch nicht dazu verleiten, nach 8 Stunden den Stift fallen zu lassen und nach Hause zu gehen. Ein bewussterer Umgang mit der Zeit, würde vielen Menschen schon weiter helfen.
Arbeitssucht geht jedoch nicht nur mit gesundheitlichen, sondern auch mit psychischen Beeinträchtigungen einher, denn Arbeitssüchtige sind sowohl mit Arbeit und Beruf, der eigenen Gesundheit und der Freizeit, als auch mit der Ehe und Partnerschaft sowie mit der Beziehung zu Freunden, Bekannten und Verwandten in bedeutsamem Maße weniger zufrieden als Nicht-Arbeitssüchtige. Einzig und allein die Beziehung zu den eigenen Kindern nehmen Arbeitssüchtige genauso zufrieden stellend wahr wie Nicht-Arbeitssüchtige. Dieses Ergebnis ist überraschend. Allerdings muss das Ergebnis vorsichtig interpretiert werden, da die Stichprobe mit 20 Arbeitssüchtigen und 34 Nicht-Arbeitssüchtigen, die Kinder hatten, für statistische Analysen zu klein ist.
Weitere Unterschiede zwischen Arbeitssüchtigen und Nicht-Arbeitssüchtigen wurden im Bereich des Persönlichkeitsstils und der zwanghaften Persönlichkeitsstörung gefunden. Es gibt umfangreiche Überschneidungen zwischen den Erscheinungsbildern der zwanghaften Persönlichkeitsstörung und der Arbeitssucht: In beiden Fällen hindert die stark ausgeprägte perfektionistische Grundeinstellung das betroffene Individuum an einer angemessenen Aufgabenerfüllung, weil ihm seine hohen Ansprüche im Weg stehen. Weiterhin liegt bei beiden Störungen eine starke Vorliebe für Ordnung vor, was sich durch eine übermäßige Beschäftigung mit Regeln und Details zeigt und durch rigide Verhaltens- und Arbeitsweisen sowie eine akribische Terminplanung zum Ausdruck kommt. Die sozialen Beziehungen zu anderen leiden und Freizeitaktivitäten werden vernachlässigt. Das vermehrte gleichzeitige Auftreten eines zwanghaften Persönlichkeitsstils sowie der zwanghaften Persönlichkeitsstörung mit Arbeitssucht konnte nachgewiesen werden, denn bei einem Drittel der Arbeitssüchtige lag der Verdacht auf eine gleichzeitig vorliegende zwanghafte Persönlichkeitsstörung nahe. Dies war nur bei 16 Prozent der Nicht-Arbeitssüchtigen der Fall. Demnach haben Arbeitssüchtige mehr zwanghafte Züge in ihrem Persönlichkeitsstil, einen stärkeren Perfektionismus und eine größere Ordnungsliebe als Nicht-Arbeitssüchtige.
Arbeitssucht ist eine unter Umständen tödlich verlaufende Störung, die oftmals unerkannt bleibt und massive Auswirkungen sowohl auf das betroffene Individuum selbst, als auch auf dessen unmittelbares Umfeld hat. Daher besteht ein dringender wissenschaftlicher, aber auch gesellschaftspolitischer Handlungsbedarf. Jeder sollte sich selbst die Frage stellen, ob er neben der Arbeit genug Zeit für sich und sein Umfeld hat. Gerade in der heutigen Zeit mit ihrer starken Arbeitsmoral neigen viele Menschen dazu, sich für den Job zu verausgaben, um jenen nicht zu verlieren. Sie bemerken allerdings nicht, dass die Kosten der Karriere, die sie damit eingehen, um vieles höher liegen.
Eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse der Studie "Einstellungen gegenüber der Arbeit und ihre Auswirkungen auf das menschliche Wohlbefinden" ist als als Download (pdf-Datei) verfügbar. Die gesamte Studie wurde nun im Buch "Arbeitssucht und die zwanghafte Persönlichkeitsstörung. Eine theoretische und empirische Auseinandersetzung" veröffentlicht, das den theoretischen Hintergrund und detaillierte Ausführungen über die Studie und deren Ergebnisse beinhaltet.
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*) Wiedergabe mit freundlicher Erlaubnis der Studienautorin.
Literatur:
Städele, Michaela (2008). Die zwanghafte/anankastische Persönlichkeitsstörung und ihr Zusammenhang mit der Arbeitssucht. Diplomarbeit. Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
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