[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Körperliche und sexuelle Entwicklung im Jugendalter

Der Körper wird zur Bühne,
auf welcher Konflikte, Spannungen,
ungeklärte Fragen etc.
inszeniert werden.
Bürgin

Die Pubertät zeichnet sich durch radikale körperliche und psychische Veränderungen aus. Den "Startschuss" zu dieser Umbruchphase gibt das Zusammenspiel zweier Moleküle im Gehirn. Es handelt sich dabei - wie an Versuchen mit Tieren nahgewiesen wurde, um einen Nervenzellrezeptor, der durch ein Protein aktiviert wird, das auf den sinnigen Namen "KiSS" hört.

Das Hormon GnRH (Gonadotropin Releasing Hormon) gibt dabei den Anstoß für die Wandlungen im Körper. Es entsteht plötzlich in größeren Mengen im Hypothalamus und regt die benachbarte Hirnanhangdrüse an, die Botenstoffe - luteinisierendes Hormon (LH) bzw. follikelstimulierendes Hormon (FSH) - zu bilden, die auf Hoden und Eierstöcke wirken, wo die eigentlichen Geschlechtshormone produziert werden: Testosteron und Östradiol. Jene Signalstoffe gelten als Hauptverantwortliche für die körperliche und psychische Veränderung während der Pubertät. Wurde Tieren nun eine Dosis des Genprodukts von KiSS verabreicht, löste das innerhalb von 30 Minuten eine 25-fache Erhöhung eines anderen kritischen Signalstoffes aus, nämlich des luteinisierenden Hormons.

Die Pubertät bei Kindern setzt demnach ein, wenn das Gehirn Hormone ins Blut auszuschütten beginnt und die Eierstöcke bzw. Hoden zur Produktion von Geschlechtshormonen veranlasst. Die ersten Hormonschübe erfolgen nach neueren Untersuchungen überwiegend im Schlaf, wobei die Konzentration des luteinisierenden Hormons ansteigt. Diese Schübe finden auch vorwiegend in den Phasen tiefsten Schlafes statt, in der besonders langsame Gehirnwellen überwiegen und die Muskeln fast völlig erschlafft sind. Daher ist es für Kinder und Jugendliche in dieser Phase der Entwicklung besonders wichtig, ausreichend und ungestört schlafen zu können, da Teile des Gehirns, die ihr Fortpflanzungssystem aktivieren, durch Schlafmangel oder Schlafstörungen beeinträchtigt werden können (vgl. Shaw et al. 2012).

Wachstumsentwicklung

Die Wachstumssteigerung am Beginn des Lebens verlangsamt sich in den ersten drei Lebensjahren stetig, bleibt dann von vier bis zehn Jahre fast konstant bei zirka sechs Zentimeter pro Jahr, um dann bis 14 wieder schnell anzusteigen. Eine gängige Erklärung ist, dass das Körperwachstum verzögert werden musste, um eine Phase zu schaffen, in der die Menschen ungefährdet all die sozialen und kulturellen Fähigkeiten lernen und üben können, die den Menschen ausmachen. Die Pubertät ist daher nicht nur die Zeit der Ausbildung primärer, sekundärer und tertiärer Geschlechtsmerkmale, sondern auch des Größenwachstums. Im Rahmen der Pubertät bringt ein deutlicher Wachstumsschub während einer Periode von 2-4 Jahren zirka 15% der "Endgröße". Während dieser Zeit nimmt der Knochen auch an Dichte zu: bei Mädchen bis zirka 17 Jahre, bei Knaben bis in die frühen zwanziger Jahre.

Die Wachstumssteigerung tritt bei Mädchen vor der Menarche (zwischen 9 1/2 und 14 1/2 Jahren) ein. Danach wachsen Mädchen noch etwa 6 cm. Entsprechend dem unterschiedlichen Körperbau besitzen Mädchen im Alter von 16 Jahren doppelt soviel Fettgewebe wie Knaben.

Bei Knaben liegt die maximale Wachstumssteigerung zwei Jahre später bei 14 Jahren. Bei Knaben verdoppelt sich die Muskelmasse zwischen 10 und 17 Jahren, die Knochenmasse verdoppelt sich zwischen 12 und 16 Jahren.

Sexuelle Entwicklung

Die normale Pubertät dauert zirka 4,5 Jahre (3 - 6 Jahre) und beginnt bei Mädchen etwa um 0,5 bis 1,5 Jahre früher als bei Knaben. Zuerst kommt es zum Wachstum der Gebärmutter, zirka 2 Jahre danach entwickelt sich die Brust (8-13 Jahr), dann die Schambehaarung (8-14 Jahr). Die erste Regelblutung (Menarche) tritt mit 10 bis 16 Jahren (zirka 2-2,5 Jahre nach Beginn der Brustentwicklung) ein. Die Ovulation ist anfangs unregelmäßig, regelmäßig wird sie im Durchschnitt nach 6-24 Monaten.

Bei Knaben ist die Pubertät schwerer abgrenzbar. Die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale beginnt mit einer Größenzunahme der Hoden (10 bis 13 1/2 Jahre; von 2 auf 20 ml), dann folgen Schambehaarung (10 - 15 Jahre), Peniswachstum (zirka rund um 14 Jahre; von 5 auf 12 cm). Schließlich folgen Libido (sexuelles Verlangen), Stimmbruch und die Bildung reifer Samenzellen.

Mittleres Alter bei Beginn

Knaben

Mädchen

Brustentwicklung

11,2

Hodenvergrößerung

11,6

Schamhaarentwicklung

13,4

11,7

Maximales Wachstum

14,1

12,1

Menarche

13,5

Schamhaar voll ausgebildet

15,2

14,4

Brust voll ausgebildet

15,3

Knaben - so die These einiger Forscher - sind zwar schon mit 13 oder 14 geschlechtsreif, sehen aber noch nicht wie Männer aus. So können sie das Mannsein üben, ohne Männern als Konkurrenz und Frauen als Verlockung zu erscheinen. Bei Mädchen sei es umgekehrt: Sie sehen weiblich aus, bevor sie - mit 18 - ihre volle Fruchtbarkeit erreichen, auch das schaffe Gelegenheit, das Rollenverhalten zu üben. Das sei dafür ausschlaggebend, dass Erstgeborene bei Menschen seltener früh sterben als bei anderen Arten. Eine Adaption, die der Maximierung des Fortpflanzungserfolgs diene.
Andere Forscher erklären das schnelle Wachstum in der Pubertät als Adaption, die für aufrechten Gang nötig gewesen sei, denn eine kurze Wachstumsphase falle weniger wahrscheinlich mit kargen Jahren zusammen als eine lange. Das impliziert, dass die Pubertät schon den den Homo erectus plagte, der sich vor etwa 2,2 Millionen Jahren aus dem Australopithecus entwickelt hatte.
Andere Forscher meinen, die Latenzzeit der Pubertät diene der Entwicklung der Sprache, der sozialen und kulturellen Fähigkeiten, der Feinabstimmung des Gehirns. So sei die Verlängerung der Kindheit untrennbar mit der überproportionalen Größe des Gehirns verbunden: Erst bei Homo sapiens und Neandertaler ist dieses so üppig und energieaufwendig gewachsen. Der Homo erectus, noch mit relativ kleinem Gehirn, sei dagegen "normal" früh erwachsen geworden.
Deutlich früher erwachsen wurden die Neandertaler, denn diese auf europäische Kälte spezialisierten Menschen hatten es ob der rauen Bedingungen offenbar eiliger mit dem Heranreifen, da sie kürzer lebten. Langes Leben vor allem der Frauen ist wohl eine Bedingung dafür, dass sich der Luxus der hinausgezögerten Reife und verlängerten Kindheit evolutionär durchsetzen konnte: Diese "Großmutter-Theorie" besagt, dass ältere, selbst nicht mehr fruchtbare Frauen in den Gesellschaften unserer Vorfahren wesentlich für die Überlebenschancen der Kinder waren.

Dysmenorrhoe und Prämenstruelles Syndrom

Schmerzhafte Regelblutungen (Dysmenorrhoe) werden von zirka 60-70% der weiblichen Jugendlichen berichtet und führen bei zirka 15% zum Fernbleiben vom Unterricht. Wegen der Scheu, über solche Beschwerden zu sprechen, wird die Möglichkeit einer wirksamen Behandlung oft nicht gesucht oder nicht angeboten. Die Beschwerden werden durch Uteruskontraktionen durch Prostaglandine hervorgerufen und kommen bei anovulatorischen Zyklen praktisch nicht vor.

Als prämenstruelles Syndrom werden die während der lutealen Phase des Zyklus vorkommenden, unangenehmen Beschwerden bezeichnet, welche die Betroffene und deren Umgebung erheblich belasten können:

  • Verhaltensänderungen:
  • Ängstlichkeit
    • schwankende Gemütslage
    • Depression
    • Reizbarkeit
    • Erregbarkeit
    • gestörte soziale Interaktion
    • Feindseligkeit
  • Körperliche Veränderungen
    • Gedunsenheit
    • Spannungsgefühl in den Brüsten
    • Ermüdbarkeit
    • Appetitschwankungen

Das prämenstruelle Syndrom kommt bei zirka 40% der weiblichen Jugendlichen vor, unterscheidet sich nicht von den Beschwerden bei erwachsenen Frauen, und korreliert oft mit dysmenorrhoischen Beschwerden.

Sexualität und Sexualbeziehungen

Die mit der sexuellen Reifung einhergehenden ersten sexuellen Phantasien und Erfahrungen werden unterschiedlich erlebt und ausgelebt: Bei beiden Geschlechtern ist eine homoerotische Durchgangsphase häufig und beinahe obligat. Da sie kulturell noch immer abgelehnt wird, ist sie oft mit Schuldgefühlen besetzt. Enge Freundschaften unter Gleichgeschlechtlichen ersetzen oft die Beziehungen zum anderen Geschlecht, die noch Angst machen und zwar angestrebt, aber auch gefürchtet werden.

Die Masturbation, d.h. die Autosexualität ist die erste Übung in Stimulation und Orgasmus. Diese Übung ist wichtig, kommt bei fast allen Kindern vor, ist unschädlich und ein nützliches und selbstverständliches Ausleben der Natur. Die veralteten Theorien, dass Masturbation in irgendeiner Weise schädlich sei, sind abzulehnen. Masturbation kommt bei Knaben (praktisch 100%) häufiger als bei Mädchen (nur zirka in 33%) vor. Exhibition der Masturbation und Masturbation in der Gruppe sind dabei nicht selten. Wechselseitige Masturbation kommt vor und ist kein Hinweis auf eine homoerotische Entwicklung. Erotische Phantasien und Voyeurismus sind bei allen Jugendlichen üblich. Die Phantasien betreffen oft das andere Geschlecht, Verstecken dabei ist an sich das normale Verhalten, Schuldgefühle auf Grund der Angst, etwas Falsches getan zu haben, sind häufig und unnötig. Jedoch ist die Scham gegenüber Erwachsenen bei manchen sehr stark entwickelt. Pflegepersonen können dabei - oft unbeabsichtigt - leicht "Übergriffe" machen, indem sie zum Beispiel Mädchen auffordern, sich in einem Krankenzimmer zu waschen, oder auszuziehen. Kinderkrankenhäuser sind auf Schambedürfnisse auch oft schlecht eingerichtet, sodass Momente der Beobachtung leicht vorkommen können. Auch innerfamiliär ist Scham häufig und daher sind Jugendliche - auch in einer Ambulanz - zu fragen, ob die Eltern bei der Untersuchung anwesend sein sollen. Die Annahme, dass Mütter immer dabei sein dürfen, ist zu überprüfen. Geschlechtliche Kontakte in diesem Alter beruhen bei Mädchen eher auf Liebe, während Knaben vor allem ausprobieren wollen. Ob das in dieser Weise stimmt, ist unsicher. Vieles ist auch einkulturelles "Vor-Urteil". Der Gedanke, dass Knaben lieben, weil sie Geschlechtsverkehr haben und Mädchen Geschlechtsverkehr haben, weil sie lieben, ist vielleicht eine "Mode", die mehr und mehr verschwindet.

Etwa ein Drittel der männlichen und ein Fünftel der weiblichen Schüler hatten in USA 1992 ihren ersten Geschlechtsverkehr vor dem Erreichen des 16. Lebensjahres. Der erste Sexualkontakt wurde bei männlichen Schülern im Mittel mit 16,1 Jahren, bei weiblichen Schülern mit 19,9 Jahren angegeben. In der Schweiz wurde in Jahre 1992 erhoben: Erfahrungen mit Geschlechtsverkehr bei 30% der 16-jährigen, 50% der 17-jährigen und 70% der 19-jährigen Mädchen.

Sexuelle Probleme sind bei Knaben am ehesten vorzeitige Ejakulation oder anlassgebundene Impotenz ("fear of failure" beziehungsweise moralische Bedenken, Entdeckungsangst unter den üblichen, ungünstigen Umständen). Bei Mädchen wird die Fähigkeit zum Orgasmus oft erst langsam entwickelt; der erste Geschlechtsverkehr ist oft unangenehm oder nichtssagend.

Homosexualität: 11-37% bis 6-13% je nach Studie. Erweckt bei vielen Jugendlichen und deren Eltern unangenehme Gefühle - wird daher verheimlicht und/oder schafft Beziehungsprobleme in der Familie.

Besitzt der Jugendliche ein intaktes Zuhause und in Eltern und Geschwistern gute Identifikationsmöglichkeiten, so wird ihm in der Regel eine geordnete Integration der verschiedenen Triebe, Gestimmtheiten und Spannungen gelingen.

Kontrazeptiva und Schwangerschaft bei Jugendlichen: Beratung wird meist zu spät in Anspruch genommen; 20% der Schwangerschaften entstehen im ersten Monat, 50% in den ersten 6 Monaten sexueller Aktivität. Nicht jede unerwartete bzw. unerwünschte Schwangerschaft ist gänzlich unbeabsichtigt, sondern manchmal ein Fluchtversuch von Zuhause. Bei Eintritt einer Schwangerschaft wird oft eine Vogel-Strauß-Politik geübt, das heißt die Jugendlichen erstarren in Hilflosigkeit und wissen sich keinen Rat und warten daher oft zu lange, um dann noch adäquate Hilfe zu bekommen.

Anmerkung: Autosexualität wird bisweilen fälschlich als Onanie bezeichnet - deshalb "fälschlich", weil Onan in der Bibel den coitus interruptus pflegte, da er von seiner Schwägerin, die er aus religiösen Gründen nach dem Tod seines Bruders in einer Leviratsehe heiraten muß, kein Kind möchte.

Siehe dazu auch Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen

Aufklärung durch Medien und Schule

Medien und Schule sind für die Aufklärung von Grundschulkindern wichtiger als die Eltern, denn in einer Studie des Instituts für Forensische Psychologie in Essen nannten die Kinder zu 65% die Schule und zu 58% die Medien als wichtige Quelle ihres Wissens über Sexualität. Auch die Eltern (63%) schätzen den Einfluss von Schule und Medien als hoch ein, meinen aber zu 70%, dass ihre Kinder Informationen über Sexualität im Wesentlichen von ihnen erhielten. Diese Einschätzung unterscheidet sich aber von den Angaben der Kinder, die nur zu 22% angaben, Informationen zur Sexualität über ihre Eltern zu gewinnen. Eltern meiden Gespräche über konkrete sexuelle Handlungen, glauben aber trotzdem, dass sie ihre Kinder ausreichend aufgeklärt haben. Die meisten Eltern (70%) können von ihren Kindern nackt gesehen werden und einige Eltern (9%) berichten, dass ihre Kinder sie schon einmal bei sexuellen Handlungen beobachtet haben. Die meisten Eltern (75%) gaben an, das Thema des sexuellen Missbrauchs allgemein angesprochen zu haben, allerdings nur 16% in ausführlicher, konkreter Form. Der überwiegenden Mehrheit der Kinder (78%) sind Begriffe wie sexueller Missbrauch bekannt, doch auch die ausführlicher informierten Kinder zeigenkeine angemessenen Kenntnisse, denn in der Mehrheit wird sexueller Missbrauch sowohl von Eltern als auch Kindern mit einem fremden, gewalttätigen Verbrecher assoziiert.

Gerade die mangelnde Aufklärung hat soziologische Folgen und beeinflusst somit die internationalen Geburtenstatistiken. Aufgrund dessen, dass Jugendliche heutzutage wesentlich früher dem Sexualtrieb aufgrund medialer optischer Reize nachgehen und die fundamental notwendige Aufklärung wegen zu straffer Curricula zumeist vernachlässigt wird, versickert die Verhütung thematisch fast gänzlich. Bestehendes Halbwissen wird meist viral zwischen den Jugendlichen weitergegeben. Und die Statistiken für Jugendliche, die einen Vaterschaftstest durchführen lassen, stiegen in den vergangenen Jahren rasant und scheinen mittlerweile schon fast einen Klimax zu erreichen.

Sexualisierung geschieht vor allem in den Medien, denn Illustrierte, Fernsehprogramme, Videospiele und Musikvideos blenden in der Darstellung von Personen häufig alle Charakteristika aus, die nicht auf Sexappeal oder Sexualverhalten beruhen.

Siehe dazu weiter Sexualisierung der Jugend.

 

Literatur

Goodin, Samantha M., Denburg, Alyssa. Murnen, Sarah K. & Smolak. Linda (2011). 'Putting on' Sexiness: A Content Analysis of the Presence of Sexualizing Characteristics in Girls’ Clothing. Sex Roles, DOI: 10.1007/s11199-011-9966-8.

D. Mutz, Ingomar & J. Scheer, Peter (1997). Pubertät und Adoleszenz.
WWW: http://www.ufg.ac.at/be/studienrichtung/public_html/schulpraxis/pubertaet.doc (02-12-24)

Nonhoff, Katja & Orth (2009). Prävention von sexuellem Missbrauch - Sexuelle Aufklärungsbeiträge von Eltern, Schulen, Organisationen. Kindesmisshandlung- und Vernachlässigung, Heft 12.

Shaw, N. D., Butler, J. P., McKinney, S. M., Nelson, S. A., Ellenbogen, J. M., & Hall, J. E. (2012). Insights into Puberty: The Relationship between Sleep Stages and Pulsatile LH Secretion. Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism, 97.

Starke, Kurt (2010). Pornografie und Jugend - Jugend und Pornografie. Berlin: Pabst.



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