[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Vergleich der Modelle Kohlbergs und Piagets zur Entwicklung des Denkens und der Moral

Alter

Jean

* 1896

Piaget

+ 1980

Lawrence

* 1927

Kohlberg

+ 1987

1 bis 3

Sensumotorisches Denken
  • Wahrnehmung über Motorik
  • Anfassen, Greifen, Saugen
Amoralisches Stadium
Moralischer Realismus

I. Präkonventionelles Niveau

1. Autorität (Strafe, Belohnung)

bis (einschließlich) Grundschule

bis 10 Jahre

Voroperationales, anschauliches Denken
  • eine Dimension, eine Richtung
  • unbeweglich, egozentrisch
  • Assimilation ohne Begründung
  • keine Kausalitäten
Moralischer Realismus
Heteronome Moral
Autonome Moral

2. Eigene Bedürfnisse 
(pragmatische Moral)
"Wenn Du mir, so ich Dir"

II. Konventionelles Niveau

3. soziale Ordnung (für die Eltern, den Lehrer)

Grundschule bis Orientierungsstufe

bis 12, 13

Konkret-operationales Denken
  • mehrere Dimensionen, Richtungen
  • Quantifikatoren, bestimmte und unbestimmte Artikel
  • Zahlen, Mengenbegriff
  • Gebundenheit an konkretes Objekt oder Handlung
  • Erklären aber nicht Voraussagen können

Konformismus

Gefallenwollen

ab der Pubertät

(ohne Ende)

Formal-operationales Denken
  • abstraktes, symbolisches Denken
  • Ablösen von Objekten, Handlungen
  • selbständiges Finden von Lösungen
  • Aufbau kombinatorischer Systeme
  • Reversibilität, funktionale Zusammenhänge
Autonome Moral

4. Gesellschaft, Körperschaft
(Staat, Religion, Verein, Partei)

III. Postkonventionelles Niveau
Prinzipien und Werte mitbestimmen

5. Verständnis des Systems als Vertrag
demokratische Entscheidungen, wobei Menschenrechte unveräußerlich sind

6. Suche nach allgemeingültigen Prinzipien

Nach http://home.t-online.de/home/jneubert/kogmoral.htm (00-03-04

Der interaktionale Prozeß zwischen Anlage und Umwelt führt nach Piaget zu einer Entwicklung in Stufen, wobei auf jeder Stufe die vorhergehenden einfacheren Strukturen differenziert und neu integriert werden. Diese Doktrin "kognitiver Stufen" ist der Kern des kognitiv-entwicklungspsychologischen Ansatzes. Kohlberg geht bei der Konstruktion seiner Entwicklungsstufen des moralischen Urteils von den von Piaget (1960) konstruierten Charakteristika kognitiver Stufen aus.

Die Grundlagen der Sozialisation sind, so Kohlberg, eher kognitiv-strukturelle Veränderungen als Gesetze des Lernens von kulturellen Modellen. Diese Veränderungen sind Ergebnisse von Prozessen der kognitiven Entwicklung, d.h. der Restrukturierung des sozialen Selbst, der sozialen Welt und der Beziehung zwischen beiden. Dies impliziert, dass das soziale Wissen eine Art Teilnahme bzw. Teilhaben an den Geschehen der Umwelt und die Übernahme von Gesichtspunkten von anderen und anderen Gruppen voraussetzt.

Zwei Mechanismen des Teilhabens bzw. Teilnehmens werden dabei wirksam: die Rollenübernahme und die Imitation. Baldwin (Vertreter der Imitation als primärer Mechanismus) und Mead (Vertreter der Rollenübernahme als primärer Mechanismus) nehmen beide an, dass es so etwas gibt wie dem Anderen ähnlich zu sein. Mead betrachtet Ähnlichkeit als direktes Resultat der Rollenübernahme vermittelt durch Kommunikation. Mit anderen Worten, Rollenübernahme entsteht durch kooperative Interaktion, in der die Rolle eines jeden Individuums verschieden, eher komplementär als ähnlich ist. Das heißt, dass in der Mutter-Kind-Beziehung das Verhalten des Kindes komplementär zu dem der Mutter ist, und ähnlich dem der anderen Kinder, deren Mütter untereinander wiederum ähnliches Verhalten haben.

Baldwin dagegen meint, dass das Verhalten eines Kindes dem eines anderen ähnlich wird, wenn beide auf gleiche Signale ähnlich reagieren, d.h. Kinder imitieren Modellverhalten in der für sie strukturell möglichen Weise. Nach Baldwin gibt es zwei miteinander verflochtene Formen von Teilhaben, bzw. Teilnehmen an der Gesellschaft:

Kohlberg sieht die Möglichkeit zur Rollenübernahme als eine der fundamentalsten Voraussetzungen für die Entwicklung des moralischen Urteils. Er bezeichnet die moralische Entwicklung als "einen Prozeß der Restrukturierung von Modi der Rollenübernahme". Die Rollenübernahme hat die Funktion, die Haltung eines anderen Ich verstehen zu lernen, und somit ein kognitives Gleichgewicht herzustellen. Rollen werden somit austauschbar. Grundsätzliche Voraussetzung zur Rollenübernahme ist die Partizipation an einer Gruppe. Diese schafft Gelegenheit zur Kommunikation und Imitation. Menge und Struktur bzw. unterschiedliche Strukturen bei der Partizipation an mehreren Gruppen sind entscheidend für die Geschwindigkeit der Entwicklung. Sieht ein Kind nie Stufe 4 Verhalten, kann es auch die entsprechende Rolle nicht übernehmen, und wird wohl auf Stufe 3 in seiner Entwicklung stehen bleiben.

Je größer die Möglichkeiten zur Rollenübernahme sind, desto eher erreicht das Individuum eine hohe Stufe in der moralischen Entwicklung. Die Möglichkeit zur Rollenübernahme wird dabei nach Kohlberg beeinflußt durch die Familie, die peer-groups und den sozio-ökonomischen Status des Sozialisanden.

Das Kind hat die Tendenz, moralische Urteile, die einer höheren Stufe angehören, seiner Ebene anzupassen (Assimilation). Zu hoch angesetzte Stimuli können aber von dem Kind nicht verarbeitet werden. Um eine Entwicklung zu erreichen, muß also die Diskrepanz so groß sein, dass das Kind die Stimuli nicht mehr an seine Ebene assimilieren kann, sie dürfen aber nur so groß sein, dass eine Akkommodation an diese höhere Stufe noch stattfinden kann. Somit kann ein Ausgleich der kognitiven Dissonanz erreicht werden. Entsprechen die Mehrzahl der Stimuli einer schon erreichten Struktur, so wird diese gefestigt. Kohlberg definiert die Formen der Rollenübernahme als repräsentativ für die Strukturen des moralischen Urteils.

Er gibt für Erwachsene folgendes Beispiel: Stufe 2 entspreche der Slum- und Gefängniswelt, Stufe 4 der traditionellen Geschäftswelt, Stufe 5 der akademischen und bürokratischen Welt. Je nach Identitätsangeboten und Rollenanforderungen in diesen Umwelten wird der Prozeß der Rollenübernahme zu unterschiedlichen Ergebnissen im moralischen Urteilsverhalten des Individuums führen.

Die Imitation ist in der Theorie Kohlbergs nicht ein passives Übernehmen von irgendwelchen Handlungsabläufen, sondern vielmehr die Auseinandersetzung mit Handlungsformen in Form der Akkommodation. Das Kind lernt andere Verhaltensformen als die eigenen kennen, imitiert sie, um sie so besser verstehen zu können und entdeckt dabei, dass sie der Situation vielleicht adäquater sind, als die, die es bisher praktiziert hat. Das Kind lernt also auf Grund der Imitation die Struktur des eigenen Ich, die des anderen Ich und die Struktur der Interaktion kennen, indem es das Verhalten des anderen vergleicht mit dem ihm geläufigen anderen Möglichkeiten.

Ist es nun in der Lage, die Rolle des Anderen zu übernehmen, erwartet es, dass der Andere seine Rolle übernimmt und überträgt ihm seine Attitüden (Ejektion). Die Sozialisationsbedingungen, also Familienstruktur usw. sind vor allem in der Phase für die Entwicklung ausschlaggebend, in der das Kind noch keine festen Standards hat, und somit auf die Autoritäten angewiesen ist, die das, was richtig ist, bestimmen. Das Kind erkennt, dass die Imitation der Modellperson nicht gleiche Kompetenz bedeutet. Verinnerlicht das Kind die Standards, tritt ein struktureller Wandel in der kognitiven Entwicklung des Kindes auf.

Kohlberg führt in diesem Zusammenhang sieben Komponenten an, die wechselseitig die Entwicklung von der Imitation zur Identifikation determinieren:

Im Gegensatz zu anderen Theorien, die soziale Motive entweder als instinktiv oder als Ergebnis der Assoziation von Sozialisationskräften und deren Verhalten gegenüber dem Kind betrachten, nimmt die Entwicklungstheorie eine primäre Motivation zur Kompetenz und Selbstaktualisierung an, die durch ein Ich oder Selbst organisiert ist, dessen Struktur sozial oder teilhabend bzw. teilnehmend ist. Die Voraussetzungen, die zu solchem Verhalten führen, werden am besten durch Piagets Begriff der Assimilation, Whites Begriff von Kompetenz- oder Effektivitäts-Motivation und Hunts Begriff der Informations-/Fortschrittsmotivation charakterisiert. Der motivationale Charakter eines Objekts auf ein anderes wird von White definiert durch die Beziehung zwischen dem kognitiv-strukturellen Charakter des Objekts zu dem der Verhaltensmuster des Anderen, also in Termini der strukturellen Anpassung und der Balance, d.h. dass die Motivation zur Imitation weder rein innerlich noch rein äußerlich bedingt ist, sondern durch eine Relation von inneren und äußeren Einflüssen.

Lind, Georg, Nielsen, Ariane & Schmidt, Ursula (2000). Moralisches Urteil und Hochschulsozialisation. Arbeitsunterlage 40. Konstanz: Zentrum 1 Bildungsforschung, Sonderforschungsbereich 23.
WWW: http://www.uni-konstanz.de/ag-moral/pdf/Lind-1976-et-al-Moral-und-Hochschule-AU40.pdf (02-09-06)

 

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