Fernsehen und Gewalt
Die Wissenschaft ist sich darüber einig, dass Gewaltdarstellungen in Medien Risiken in sich bergen und dass von einer kontroversen Befundlage nicht die Rede sein kann. Sowohl die Ohnmachtsthese - Medien haben keinerlei Wirkung auf den RezipienteInnen - als auch die Allmachtsthese - Medien haben große Auswirkungen - sind als widerlegt anzusehen. Die Allmachtsthese gibt es in einer pessimistischen - Medien sind schädlich - und in einer optimistischen Form - Medien sind nützlich zum Abreagieren schädlicher Neigungen (Katharsis-Hypothese). Am plausibelsten ist aktuell die Doppelte-Dosis-These in Form der Risikothese, die besagt, dass RezipientInnen, wenn sie in seinem realen Umfeld mit Gewalt konfrontiert werden, anfällig sind, von fiktiver Gewalt in ihrem Handeln beeinflusst zu werden.
Viele Jugendliche rezipieren mediale Gewalt etwa in Horrorfilmen nicht deshalb, dass die Gewalt an sich Genuss bereitet, sondern deshalb, um solche Filme zu überstehen. Der Täter ist der Film, das Opfer ist der Zuschauer, und dieser ist das Opfer, das den Täter übersteht. Deshalb liegt der Nachahmungsreiz zunächst eher nicht in der Reproduktion der Handlung im Leben, sondern allenfalls in dem Wunsch, einer vergleichbaren Situation auch im Leben als Zuschauer bzw. Voyeur beiwohnen zu dürfen. Daher besteht beim Sehen gewalthaltigen Filme also in manchen Fällen primär der Wunsch, dieses visualisierte Gewalt psychisch auszuhalten, was man als eine Art Angstlust - vergleichbar der Wonneangst beim Kind - bezeichnen kann, die durch das Bewusstsein einer realen äußeren Gefahr entsteht, der sich ein Individuum willentlich in der Hoffnung aussetzt, die Gefahr durchstehen und die damit verbundene Furcht beherrschen zu können. Dieses Motiv der Mutprobe taucht übrigens auch in Märchen und Abenteuergeschichten häufig auf. Es vertraut darauf, nach der Gefahr wieder unverletzt in die sichere Geborgenheit zurückkehren zu können. Bei dem Schauen gewalthaltiger Fernsehinhalte wird also ein Lust- und gleichzeitig ein Angstgefühl empfunden, das kompensiert werden muss, wobei auch jüngere Erwachsene noch die Spannung genießen, die das gleichzeitige Erleben von Gefahr und Geborgenheit, von Bedrohung und Rettung verursacht. Dabei erleben Männer stärker die Lust-, Frauen eher die Angstanteile.
Dass simplifizierende Vorstellungen von der Wirkung der Medien so weit verbreitet sind, lässt sich nicht zuletzt mit der Tatsache erklären, dass jeder täglich Umgang mit den Medien hat und daher über eine eigene Beurteilungsgrundlage zu verfügen meint. Auf diese Weise können populärwissenschaftliche Wirkungsvorstellungen entstehen, zu deren Etablierung die Massenmedien selbst beitragen. Die Medienwirkungsforschung ist ein gutes Beispiel für die Anwendung einer sogenannten "Do It Yourself Social Science" (DYSS) (Heller 1986), bei der als Faustregel gilt: Je einfacher eine These aussieht, desto attraktiver und erfolgreicher ist sie für den Laien.
Siehe dazu auch das Arbeitsblatt Computerspiele machen aggressiv bzw. Medien und Psychologie
Kurzfristige Auswirkungen von Gewalt im Fernsehen
In einem typischen Experiment werden Kinder nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe sieht dann einen gewaltfreien Film, die andere einen Gewaltfilm. Dann spielten die Kinder Hockey, und es wird von Beobachtern, die nicht wissen, welchen Film ein Kind gesehen hat, festgestellt, wer wen wie oft während des Spiels tätlich angreift. In einem Fall waren es beispielsweise Sieben- bis Neunjährige, die ihre Kameraden während des Spiels schlugen, mit dem Ellenbogen rammten, zu Boden warfen, an den Haaren zogen oder anderweitig gewalttätig malträtierten. Die Studie zeigte, wie viele andere, einen klaren Effekt: Diejenigen, die zuvor den Gewaltfilm gesehen hatten, verhielten sich beim Hockey danach gewalttätiger als diejenigen, die zuvor einen gewaltfreien Film gesehen hatten.
Mittelfristige Wirkung des Fernsehens auf Gewalt
Wissenschaftlern aus Kanada verdanken wir mittelfristige Daten. Sie spürten eine kleine Stadt - nennen wir sie Notel (für "no television") - auf, in der es bis ins Jahr 1973 auf Grund der geografischen Lage in einem Tal kein Fernsehen gab. Die Stadt war bis auf das fehlende Fernsehen in jeder Hinsicht normal, was bedeutsam ist im Hinblick auf die Allgemeinheit der Ergebnisse. Auch auf manchen abgelegenen Inseln gab es damals noch kein Fernsehen, aber die Lebensverhältnisse waren an diesen Orten vom Normalen sehr verschieden. Nicht so in dieser Stadt: Es gab Straßen, Busverbindungen, Schulen und sonst alles, was zum normalen Leben gehört; nur eben kein Fernsehen. Dies sollte sich innerhalb weniger Monate durch die Aufstellung eines neuen Senders ändern. Noch bevor dies geschah, begann die Untersuchung.
Man wählte zwei weitere Gemeinden als Kontrollgruppen aus. In einer gab es bereits seit sieben Jahren Fernsehen, jedoch nur einen Kanal (nennen wir sie daher Unitel), in der anderen (Multitel) gab es bereits seit 15 Jahren Kabelfernsehen mit vielen Kanälen. An zwei Zeitpunkten im Abstand von zwei Jahren wurde in diesen drei Gemeinden das Verhalten von Kindern sowohl durch Beobachtung in natürlichen Spielsituationen als auch durch Befragen der Lehrer und der Kinder und Jugendlichen verglichen. Es zeigte sich, dass innerhalb des Zeitraums von zwei Jahren in der Gemeinde mit eingeführtem Fernsehen das Aggressionsniveau zunahm: Die verbale Aggressivität verdoppelte sich, und die körperliche Aggressivität war nahezu verdreifacht - ein hochsignifikantes Ergebnis. Dies betraf sowohl Jungen als auch Mädchen in allen untersuchten Altersklassen. Man fand weiterhin einen Zusammenhang zwischen der Zeit, die die Kinder und Jugendlichen vor dem Fernseher zubrachten, und der Gewaltbereitschaft. Im Gegensatz dazu war das Gewaltniveau in den beiden Kontrollgemeinden gleich geblieben.
Langfristige Wirkung des Fernsehens auf Gewalt
In den USA wurden zahlreiche Untersuchungen zu den Auswirkungen von Gewaltdarstellungen im Fernsehen auf Kinder und Jugendliche durchgeführt (vgl. Smith & Donnerstein 1998). Beinahe in allen konnten signifikante Korrelationen zwischen dem Konsum von Fernsehgewalt und aggressiven Gedanken, Einstellungen oder gewalttätigem Verhalten nachgewiesen werden. Experimentelle Untersuchungen lassen daher eine kausale Beziehung zwischen diesen Variablen für verschiedene Altersgruppen (Vorschulalter, Kindheit, Adoleszenz) vermuten, wobei diese Zusammenhänge gegenüber Zeit, Ort und demographischen Kriterien ziemlich stabil bleiben. Bei den meisten Untersuchungen handelt es sich um Korrelationsstudien, die keine Aussagen über die Kausalität zulassen, da sowohl die Richtung des Zusammenhanges unbekannt ist als auch der Zusammenhang über vermittelnde Variablen zustande kommen könnte, die ihrerseits kausal auf Aggression und häufigen Konsum wirken. So könnten Menschen mit einer aggressiven Persönlichkeit gewalttätige Medienarstellungen bevorzugen.
Ein Bericht der American Psychological Association hält fest, daß die Gewalt im Fernsehen einen verstärkenden Einfluß auf Kinder mit aggressiven Tendenzen haben könnte. Beispielsweise würden Kinder mit schulischen, sozialen oder interpersonellen Problemen dazu tendieren, mehr fernzusehen und damit würde ihr aggressives Verhalten wiederum verstärkt. So konnten eine signifikante Korrelation zwischen dem Ausmaß des Konsums von Fernsehgewalt mit 8 Jahren und der Delinquenz im Alter von 22 Jahren nachnachgewiesen werden, sodaß vermutet werden kann, daß das rezipierte aggressive Verhalten Eingang in die Verhaltensmuster der Kinder findet
Smith & Donnerstein (1998) führen folgende Kontextvariablen auf, die einen Einfluß auf die Zusammenhänge besitzen:
- Identifikation mit Täter hoch (z.B. attraktiver Held als Rollenmodell)
- Rechtfertigung hoch (z.B. Gute" gegen Böse")
- Belohnung oder fehlende Bestrafung der Gewalt
- Konsequenzen (keine realistischen Darstellungen von Schmerzen, Verletzungen u.ä.)
- Präsenz von Waffen hoch (dienen als Hinweisreize)
- Umfang, Bildhaftigkeit hoch (Zeitdauer, räumliche Distanz, Blut und Eingeweide, Wiederholung)
- Humor ausgeprägt (Trivialisierung, positive Verstärkung)
- Realismus hoch (Cartoons vs. TV-Nachrichten)
- Identifikation mit Opfer hoch (empathische Empfindung für attraktives Opfer)
- Geringe Rechtfertigung
- Keine Bestrafung
Sie weisen darauf hin, daß die Wirkung der Gewaltdarstellungen durch Aspekte der kognitiven Entwicklung der Rezipienten beeinflusst werden kann. Namentlich können jüngere Kinder weniger gut zwischen Phantasie und Realität unterscheiden als ältere Kinder. Die als "real" empfundenen Darstellungen können das Lernen von Aggression bei jungen Kindern verstärken. Dazu kommt, daß in Spielfilmen und Serien die gewalttätigen Charaktere oft erst gegen Ende des Programmes bestraft werden und nicht unmittelbar nach der Tat, wobei jüngere Kinder den Zusammenhang zwischen dem vorherigen Verhalten des Täters und dessen späterer Vergeltung weniger gut erkennen können als ältere Kinder.
Eine Studie von Mark Singer et al. (Pediatrics 1999, 104, S. 878-884) der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio, ergab, daß Kinder, die ohne ihre Eltern im Fernsehen Gewaltfilme ansehen, mit einer größeren Wahrscheinlichkeit selbst gewalttätig werden als Kinder, die unter Elternaufsicht fern sehen. Sie untersuchten das Fernsehverhalten von über 2200 Schülern im Alter zwischen 7 und 15 Jahren. Die Fragen, die Kinder in einem Fragebogen beantworteten, bezogen sich auf Dauer und Inhalt des täglichen Fernsehkonsums, auf die Beaufsichtigung durch die Eltern und auf Gewalterfahrungen im Alltag der Kinder. Die Wissenschaftler fanden einen deutlichen Zusammehang zwischen gewalttätigem Verhalten und hohem Konsum von Gewaltfilmen im Fernsehen. Dabei zeigten Knaben durchwegs mehr Gewaltbereitschaft und gewalttätiges Verhalten als Mädchen.
Jeffrey Johnson (Science 2002) von der Columbia Universität, New York, zeigte in einer weiteren Langzeitstudie, daß mehr als eine Stunde Fernsehen am Tag die Gewalt fördert. In ihrer Untersuchung hatte das Team über 700 Personen von der Pubertät bis ins Erwachsenenalter beobachtet. Resultat: Je öfter Jugendliche fernsehen, desto eher sind sie als Erwachsene gewalttätig. Von den Vielsehern mit mehr als drei Stunden Fernsehen täglich verübten gar fünfmal mehr Personen Gewalttaten als in der Gruppe der Fernsehabstinenten, die weniger als eine Stunde fernsahen. Daß für die Gewalttaten tatsächlich der Fernsehkonsum verantwortlich ist und nicht andere gewaltfördernde Einflüsse wie ein niedriges Familieneinkommen oder eine heruntergekommene Wohngegend, konnten die Forscher mit statistischen Methoden belegen.
Ein Durchschnittsschüler in den USA hat nach Abschluss der Highschool (das heißt nach zwölf Schuljahren) etwa 13 000 Stunden in der Schule verbracht - und 25 000 Stunden vor dem Fernsehapparat. Er hat 32 000 Morde und 40 000 versuchte Morde gesehen sowie 200 000 Gewalttaten. Der Täter kommt in 73 Prozent der Fälle ungestraft davon, in mehr als der Hälfte (58 Prozent) der Fälle tut die Gewalt nicht weh, und in nur vier Prozent aller Gewaltakte werden gewaltlose Alternativen der Problemlösung aufgezeigt. Wenn nun Kindergehirne die Regeln aus ihren Erfahrungen, also aus den gesehenen Gewaltszenen, extrahieren, dann kann sich in ihrem Gehirn nur das Folgende in Form tiefer Trampelpfade breit gemacht haben: Gewalt gibt es sehr häufig in der Welt, sie löst Probleme und hierzu gibt es keine Alternative, Gewalt tut nicht weh, und der Gewalttäter kommt ungeschoren davon.
Zu den Auswirkungen von im Fernsehen gezeigter Gewalt auf reale Gewalt gibt es sehr viele sehr deutliche Studien. Sie zeigen, dass der Effekt zum Ersten dosisabhängig ist (je mehr ferngesehen wird, desto größer die Gewaltbereitschaft), zum Zweiten sich auch bei den Mädchen zeigt, zum Dritten nicht nur kleine Kinder betrifft, sondern auch Jugendliche und Erwachsene, und zum Vierten auch Menschen, die nicht zu Gewaltbereitschaft neigen. Die möglichen Wirkungsmechanismen reichen von emotionaler Abstumpfung über Bahnungseffekte für Gewaltbereitschaft bis hin zum Lernen am Modell, wofür es jeweils experimentelle Untersuchungen gibt.
In einer Langzeitstudie wurden 875 achtjährige Jungen über einen Zeitraum von insgesamt 22 Jahren untersucht. Diejenigen, die bei der ersten Untersuchung im achten Lebensjahr überdurchschnittlich viele Gewaltszenen im Fernsehen sahen, wurden mit größerer Wahrscheinlichkeit von ihren Lehrern als gemein und aggressiv eingeschätzt. Die gleichen Jungen waren im Alter von 19 Jahren mit größerer Wahrscheinlichkeit mit dem Gesetz in Konflikt geraten und im Alter von 30 Jahren mit größerer Wahrscheinlichkeit wegen Gewaltkriminalität verurteilt oder gewalttätig gegenüber Ehefrauen und Kindern.
Ausmaß der Gewalt im Fernsehen
Eine methodisch sorgfältig durchgeführte Untersuchung zu Gewaltdarstellungen im Fernsehen von Grimm, Kriste & Weiß (2005) befasste sich mit der Frage: Wie wird Gewalt in den Fernsehformaten präsentiert und in welchem Kontext wird sie dargestellt und wie gewertet? Neben der Bestandsaufnahme des Gewaltvorkommens in den Programmen ging man zugleich auf die Folgen ein, welche Kinder- und Jugendschutzrisiken aus der Sicht der Wirkungsforschung zu erwarten sind.
Es wurden von den Autorinnen zehn TV-Programme (Öffentlich Rechtliche und private) im Zeitraum Oktober 2002 bis Ende Januar 2003 mittels einer Inhaltsanalyse untersucht (1.960 Sendungen, 4.968 Programmtrailer) kodiert und ausgewertetund zählte 8.832 Gewalteinheiten (Gewaltakte oder Folgen). Auffällig ist, dass vor allem im Vorspann bzw. den Trailern der Sendungen visuell detaillierte Gewaltsequenzen vorkommen, was vermutlich von den Medien als besonders attraktiv eingeschätzt wird. Von 1.162 untersuchten Stunden entfallen 30,2 Stunden, das sind 2,6 %, ausschließlich auf Gewaltdarstellungen. Diese machten zwar einen relativ kleinen Teil des Sendeumfangs aus, allerdings war in über der Hälfte aller Sendungen (58,2 %) mindestens eine Gewaltdarstellung anzutreffen ist. Drei Viertel der Gewaltdarstellungen zeigten realitätsnah bzw. faktische (authentische) Gewalt bei zunehmende Vermischung von faktischer und realitätsnaher Gewalt (Reality-TV). Gewalt wird im Fernsehen am häufigsten im Kontext von Kriminalität und Verbrechen gezeigt. In Unterhaltungsformaten findet Gewalt zwar auch mehrheitlich im Kontext von Kriminalität und Verbrechen statt, aber relativ häufig im Rahmen von Alltag und Familie sowie Ehe und Beziehung. Gewalt im thematischen Umfeld von Ehe und Beziehung wird zudem am häufigsten in einer angespannten und aggressiven Atmosphäre gezeigt. Täter wie auch die Opfer sind in der Mehrzahl männlich, während Frauen am häufigsten als Opfer in Sendungen gezeigt werden, die Fakten und Fiktionen vermischen oder Gewalt in realitätsnahen Kontexten zeigen. Während die Bestrafung der Täter in realitätsnahen Welten in der Regel mit rechtsstaatlichen Mitteln erfolgt, werden in fantastischen Welten die Täter vorwiegend durch physische Verletzung sanktioniert. Positiv charakterisierte Täter in fantastischen Welten werden im Unterschied zu negativ charakterisierten mehrheitlich nicht sanktioniert. Insgesamt dominieren im Fernsehen physische Schäden, psychische Folgen der Gewalt werden relativ selten gezeigt. Extreme physische Schäden, wie schwere Verletzungen oder Tod, werden vor allem im Reality-TV (62,3 %) und in Publizistikformaten dargestellt (Nachrichten 54,7 %, Reportagen 53,6 % und Magazine 51,9 %). Gewaltdarstellungen mit sozial akzeptierten Motiven (wie Selbstverteidigung, Schutz des Lebens, dienstliche Pflichterfüllung) machen rund ein Drittel der gezeigten Gewalt aus, zwei Drittel der Gewalt wird aus antisozialen Motiven ausgeübt (wie z.B. kurzfristige Wut, persönliche Bereicherung, Vergeltung bzw. Rache). In Gerichts-, Psycho-, Konflikt-Shows werden vor allem emotionale und sexuelle Motive thematisiert, wobei das Motiv der sexuellen Befriedigung in Zusammenhang mit Gewalt in Reality-TV-Sendungen sogar an erster Stelle steht. Gewalt wird bei fast allen Formaten größtenteils mit einer neutralen Botschaft gezeigt wird, d.h., Gewalt wird weder abgelehnt noch propagiert. Die Autorinnen fassen zusammen:
- Im Fernsehen wird realitätsnahe bzw. faktische Gewalt häufiger gezeigt als realitätsferne Gewalt. Somit zeichnet sich ein Paradigmenwechsel hinsichtlich des Gewaltvorkommens ab: Gewalt im Fernsehen nimmt eher Bezug auf die "echte" Welt als auf eine unrealistische.
- Gewalt gehört im Fernsehen weitgehend zum festen Bestandteil einer männlichen Welt, womit Jungen stereotype Konfliktlösungsmuster offeriert werden.
- Unterhaltungsformate zeigen Gewalt häufig im Kontext von "Alltag und Familie" sowie "Ehe und Beziehung". Es ist nicht auszuschließen, dass jüngere Zuschauer die mediale Gewalt im privaten Bereich auf ihre eigene Lebenswelt beziehen und möglicherweise mit Angst reagieren.
- Gewalt wird selten kritisiert. Es bleibt den Zuschauern überlassen, wie sie die Gewalt zu bewerten haben. Unter dem Aspekt der Wertebildung kann dies für jüngere Zuschauer problematisch sein, weil sie bei der Bewertung von Gewalt allein gelassen werden.
- Die Vermischung von Fakten und Fiktionen bei Gewaltdarstellungen ist besonders kritisch zu bewerten: Fiktionale Gewaltdarstellungen können von jungen Zuschauern als Abbild realer Gewalt missverstanden werden, da schwer zu erkennen ist, was inszeniert oder authentisch ist. Durch Emotionalisierung und Dramatisierung von realer Gewalt erhöht sich das negative Wirkungspotenzial.
Die Studie zeigt also, dass die "Abrüstung" im Fernsehen hinsichtlich der Gewaltdarstellungen bis heute nicht stattgefunden hat. Vielmehr wird Gewalt verstärkt in fiktional realistischer Kombination präsentiert und wird dadurch besonders für Heranwachsende zu einem Problem, da diese häufig noch nicht in der Lage sind, in zahlreichen Formaten die Grenzen zwischen Inszenierung und Authentizität zu erkennen. Die Studie zeigt auch, dass Gewalt auch auf psychischer Ebene bei Kindern Ängste auszulöst.
Das Fernsehen sorgt dafür,
dass man in seinem Wohnzimmer von Leuten unterhalten wird,
die man nie einladen würde.
Shirley MacLaine
Wirkungsmechanismen der Gewalt im Fernsehen
Durch Laborstudien konnten als Wirkungsmechanismen der Gewalt im Fernsehen die Vorgänge des Modelllernens und der Desensibilisierung klar identifiziert werden. Das Modelllernen hatten wir schon kennen gelernt: Kinder sehen Gewalt im Fernsehen und machen es (beim anschließenden Hockey) nach. Oder man zeigt Kindern im Kindergarten Filme von anderen Kindern, die entweder gewalttätig oder nicht gewalttätig miteinander umgingen. Danach gibt man den Kindern Gelegenheit, miteinander und mit Spielzeugen zu spielen. Es zeigt sich: Wer Gewalt sieht, wird selbst gewalttätig; gesehene Gewalt wird imitiert, was sich sowohl beim Umgang mit Spielzeug als auch im Spiel der Kinder miteinander sowie in deren Umgang mit Erwachsenen zeigte.
Die Desensibilisierung (eine Methode aus der Verhaltenstherapie) ist aus Tierversuchen gut bekannt: Wenn ein Organismus einem bestimmten Reiz dauernd ausgesetzt ist, nimmt die Reaktion auf diesen Reiz immer mehr ab. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben entsprechend, dass derjenige, der immer wieder Gewaltfilme anschaut, weniger stark auf einzelne Gewaltszenen in einzelnen Filmen reagiert. Das dauernde Anschauen von Gewalt im Fernsehen führt dazu, dass gewalttätige Verhaltensweisen dem Betrachter zunehmend normaler vorkommen. Nicht nur das Erleben und die körperlichen Reaktionen, sondern vor allem auch das Verhalten der Personen ändert sich entsprechend. Kurz: Das Betrachten von Gewalt führt zur Abstumpfung und zu gleichgültigerem Verhalten gegenüber Gewalt.
Siehe auch Der Einfluss des Fernsehens auf die geistige und emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
Unter Verwendung von
Grimm, Petra, Kriste, Katja & Weiß, Jutta (2005). Gewalt zwischen Fakten und Fiktionen. Eine Untersuchung von Gewaltdarstellungen im Fernsehen unter besonderer Berücksichtigung ihres Realitäts- bzw. Fiktionalitätsgrades. Berlin: Vistas.
Hartwig, H. (1986). Die Grausamkeit der Bilder. Horror und Faszination in alten und neuen Medien. Weinheim/Berlin: Quadriga.
Rathmayr, B. (1996). Die Rückkehr der Gewal. Wiesbaden: Quelle und Meyer.
Spitzer, Manfred (2005). Vorsicht Bildschirm!
WWW: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2005/0827/magazin/0002/ (05-09-26)
Stangl, Werner (2001). [stangl] test & experiment/experiment: beispiele: Experimente zur Aggression.
WWW: https://www.stangl-taller.at/TESTEXPERIMENT/experimentbspaggression.html (05-09-26)
Winterhoff-Spurk, P. (2003). Medienpsychologie. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer.
Weiterführende Literatur zum Thema "Aggressivität und der Einfluß der Medien":
Kunczik, Michael & Zipfel, Astrid (o.J.). Wirkungen von Gewaltdarstellungen.
WWW: http://www.medienpaedagogik-online.de/mf/4/00677/ (05-11-21)
Kunczik, Michael (1998). Gewalt und Medien. Köln: Böhlau.
Selg, H. (1997). Gewalt in den Medien - Möglichkeiten von Eltern zur Vermeidung negativer Auswirkungen. Kindheit und Entwicklung, 6, 79-83.
Weiß, R.H. (2000). Gewalt, Medien und Aggressivität bei Schülern. Göttingen. Hogrefe.
Eine Zusammenfassung von Feldstudien über Gewaltkonsum und Aggressivität insbesondere bei Jugendlichen und eine umfangreiche Literaturliste fand sich sich einmal auf den webpages des Psychologischen Instituts der Universität Regensburg: http://rpss23.psychologie.uni-regensburg.de/lehre/internetangebote/medien/kummed_653.htm (03-03-11) - diese sind aber nicht mehr verfügbar.
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