Der unaufmerksame Schüler - Ein Fragebogen, zwei Untersuchungen und ein Video
J. Becker beschreibt 1973 ein typisches Schulverhalten. Sein Sohn bekommt einen Brief mit nach Hause in dem geschrieben steht, dass er ein unaufmerksamer Schüler sei. Für Becker ist es, nach diesem Brief, wichtig herauszufinden woran oder besser an wem das liegen könnte, am Unterricht, am Schüler oder an beiden Faktoren.
Otto M. Ewert und A. Henneberger entwickelten einem Fragebogen, der die schulische Aufmerksamkeit aufzeigen soll.
Was bedeutet eigentlich Aufmerksamkeit aus schulischer Sicht? Dieser Begriff hat eine Objekt- und eine Subjektseite. Die Objektseite beinhaltet unter anderem „Was ist das?“ Reaktionen, wenn Schüler etwas Unterwartetem begegnen. Durch die geeignete Gestaltung des Unterrichts wird diese Seite angesprochen, also liegt es in der Macht des Lehrers den Schüler zu einem aufmerksamen Verhalten zu bewegen. Unter Subjektseite versteht man jedoch, dass nicht alle Schüler in gleichen Situationen die gleiche Aufmerksamkeit zeigen. Laut James (1890) meint man mit aufmerksamen Verhalten, die wichtigen Inhalte in den Vordergrund zu rücken. Vorraussetzung dafür ist Interesse (vgl. Ewert & Henneberger 1995, S. 313-314). In den Anfängen der wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema „Aufmerksamkeit“ sind Beschreibungen, wie die von James, dass jeder Schüler weiß, was Aufmerksamkeit ist, und dass somit die Inhalte im Vordergrund stehen, für die Interesse vorhanden ist. Fehlt jedoch dieses Interesse, so muss laut James (1890) eine „willentliche Lenkung“ erfolgen. Aufmerksamkeit ist „eine innere Willenshandlung, die mit einer Erhöhung des Klarheitsgrades wahrgenommener Inhalte verbunden ist“ (Neumann, 1971). Kinchla (1980, S.214) spricht davon, dass kognitive Mechanismen für die Selektion von Reizen verantwortlich sind. Alle Ergebnisse dieser Forschungen konnten jedoch nur über bestimmte Operationalisierungen gemessen werden, d.h., dass die Forschung zur Aufmerksamkeit nur über die spezifischen psychophysiologischen Prozesse Auskunft geben.
Während der Zeit des Behaviorismus wurde der Aufmerksamkeitsbegriff wenig beachtet, da er an zuwenig gesicherten Fakten festgemacht war. Erst vor 50 Jahren wurde der Begriff wieder zu einem Thema der Forschung. Heutzutage lehnen sich die Untersuchungen zu diesem Thema sehr stark an einige wenige, modellhafte Versuchsanordnungen an, was zur Folge hatte, dass die Frage nach der Funktion der Aufmerksamkeit kaum gestellt wird. Die Autoren befassen sich nun mit dem sprachanalytischen Ansatz, also „Wann spricht ein Lehrer von einem aufmerksamen Schüler?“
Lehrende wurden nun befragt, ob ihrer Meinung nach ein Schüler aufmerksam ist. Ewert und Henneberger wollten wissen, ob die Definition der schulischen Aufmerksamkeit übereinstimmend von den Pädagogen unterschiedlicher Schulstufen verwendet wird und ob es eine Beziehung zwischen Aufmerksamkeit und schulischer Leistung gibt (vgl. Ewert & Henneberger 1995, S. 314-315). Ziel der Untersuchungen war die Beantwortung folgender Fragen:
- ob Lehrer aus verschieden Schulen (Gymnasium, Realschule und integrierte Gesamtschule) den Begriff Aufmerksamkeit gleich verstehen und
- ob die schulischen Leistungen im Allgemeinen mit der Aufmerksamkeit der Schüler in Verbindung stehen.
Die 1. Untersuchung
Um einen qualitativ guten Test zu erhalten, wurden Lehrende mit unterschiedlicher Fächerkombination nach typischen Verhaltensweisen aufmerksamer und unaufmerksamer Schüler befragt (macht Notizen, schaltet bei Lernstoff ab etc.). Aus diesem Pool an Informationen wurden die Verhaltensbeschreibungen ausgewählt, die häufig genannt wurden und leicht feststellbar waren. Ein Entwurf eines Beurteilungsbogens entstand und wurde dann anderen Pädagogen (Gymnasiallehrern) vorgelegt. Sie sollten mit Hilfe einer Ratingskala von 0-100% bewerten, welches Verhaltensmerkmal typisch für einen aufmerksamen Schüler ist (vgl. Ewert & Henneberger 1995, S. 315-316).
Die Methode
Die Methode wurde an 6 LehrerInnen und 112 Schüler angewandt. Die Pädagogen beurteilten anhand einer Ratingskala mit vier Abstufungen (nie, selten, meistens, immer) wie sehr das jeweilige Verhalten auf einen Schüler zutrifft. Von den Schülern wurden die Zeugnisnoten in Deutsch, Englisch, Mathematik und Biologie erhoben. Die Ergebnisse der Lehrerbefragung wurden dann mit den schulischen Leistungen der Schüler mithilfe Korrelation in Beziehung gesetzt (vgl. Ewert & Henneberger 1995, S. 316-317).
Die 2. Untersuchung
In der darauf folgenden Untersuchung wurde der gleiche Test erneut durchgeführt, um zu zeigen, dass er übertragbar ist. Dazu wurden Gesamtschüler (55 Mädchen, 56 Burschen) befragt. Die Testergebnisse beweisen, dass der Beurteilungsbogen in allen Schulformen anwendbar ist (vgl. Ewert & Henneberger 1995, S. 317-321).
Einfach zum Nachdenken …
[Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=uYoyKUgkCPI]
Metakognitive Handlungskontrollstrategien von SchülerInnen
Schülern gelingt es nach Roth (2012) im Unterricht unterschiedlich gut, häufig mit Unlust begleitete Aufgaben auszuführen. Einige SchülerInnen beginnen zügig mit der an sie gestellten Aufgabe, andere zögern diese hinaus und müssen immer wieder ermahnt werden, doch endlich anzufangen. SchülerInnen, die es schaffen, trotz Ablenkungen und anderen Versuchungen bei der Sache zu bleiben, verfügen in der Regel über gut ausgeprägte metakognitive Handlungskontrollstrategien, die Wahrnehmungs-, Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und emotionale Prozesse betreffen, und mit denen sie ihre Handlungen willentlich kontrollieren. Kuhl (1983, S. 305) unterscheidet dabei sechs Strategien:
Die Aufmerksamkeitssteuerung dient der selektiven Fokussierung auf handlungs- und ausführungsbegünstigende Inhalte. Motivationstendenzen, die dem angestrebten Zielzustand entgegenstehen, werden unterdrückt und nur Informationen, die für die Realisierung der Absicht förderlich sind, werden zugelassen.
Durch die Sparsamkeit der Informationsverarbeitung wird übermäßig langes Abwägen von Handlungsalternativen unterbunden, welche die Ausführungsabsichten behindert. Dazu gehört auch die Beachtung besonders handlungsförderlicher Umweltaspekte, beispielsweise wenn das Üben für eine Klassenarbeit ansteht.
Ziel der Emotionskontrolle ist eine handlungsförderliche Emotionslage herzustellen und beeinträchtigende Gefühle zu unterbinden. Zu den Techniken der Emotionskontrolle gehören Antizipationen, in denen angenehme Gefühle bei Zielerreichung bzw. unangenehme Gefühle bei Handlungsvermeidung gedanklich vorweggenommen werden, sowie die Fähigkeit, Nervosität und Angst abzubauen. Viele Schüler müssen diese Strategie bei Klassenarbeiten einsetzen, um ihre Angst zu regulieren und sich überhaupt auf die gestellten Aufgaben konzentrieren zu können.
Unter Motivationskontrolle wird die gezielte Steigerung der eigenen Motivation, z.B. durch „Anreizaufschaukelung“ verstanden (Kuhl, 1983, S. 305). Die mit einem Ziel verbundenen positiven Anreize werden besonders beachtet und aufgewertet, Anreize von konkurrierenden Zielen werden abgewertet und erwünschte Handlungskonsequenzen dadurch verstärkt.
Mittels der Enkodierungskontrolle werden neue Informationen in Kategorien eingeordnet, die für die aktuelle Handlungsabsicht wichtig sind. Im Gegensatz zur Aufmerksamkeitskontrolle werden hier Wahrnehmungs- und nicht Aufmerksamkeitsprozesse fokussiert.
Mit Umweltkontrolle sind Maßnahmen gemeint, mit denen die Umwelt soweit verändert wird, dass die Ausführung von Absichten begünstigt wird. Dazu gehört etwa das Ausschalten des Computers, der Musikanlage oder des Fernsehers, wenn die Erledigung der Hausaufgaben ansteht.
Literatur
Ewert, O. & Henneberger, A. (1995). Der unaufmerksame Schüler. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 1995, S. 313 – 322.
Kuhl, J. (1983). Motivation, Konflikt und Handlungskontrolle. Berlin: Springer.
Roth, Barbara (2012). Aufmerksamkeit – Konzentration – Ablenkbarkeit. Arbeitsdisziplin aus motivations- und volitionspsychologischer Sicht. Pädagogik, 64, 34-37.
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