Fremdsprachenlehren mit der Birkenbihl-Methode
Eine Rezension des Buches "Gehirn-gerechtes Sprachenlernen" von Karin Holenstein
Karin Holenstein zeigt in ihrem aus der Praxis und für die Praxis geschriebenen Buch "Gehirn-gerechtes Sprachenlernen", wie sich mit der nach eigenem Anspruch gehirn-gerechten Lernmethode von Vera F. Birkenbihl eine Fremdsprache im schulischen Umfeld leichter, effizienter und wirkungsvoller erlernen lässt. Die Autorin möchte damit einen Werkzeugkoffer für Lehrende, die ihren Sprachunterricht wirkungsvoller und nachhaltiger gestalten möchten, aber auch für Eltern, SchülerInnen und Erwachsene, die eine Fremdsprache erlernen oder auffrischen wollen, zur Verfügung stellen.
Die vier Schritte der Methode Birkenbihl:
- Beim De-Kodieren geht es darum, die Fremdsprache so genau wie möglich Wort für Wort in die eigene Muttersprache zu bringen.
- Beim aktiv Hören geht es um die aktive Beschäftigung mit der Sprache. Man hört den Fremdsprachentext, der von einem Native Speaker gesprochen wird, und liest den de-kodierten Muttersprachentext mit. Dadurch wird man schnell mit der Sprache, dem Sprechrhythmus und den neuen Wörtern vertraut.
- Beim passiv Hören legt das Gehirn Nervenbahnen für die Klangbilder an, jenes Prinzip, das Kleinkinder beim Lernen der Muttersprache nutzen. Es kostet keine Zeit, denn es passiert während des üblichen Tagesablaufs, während man sich auf andere Dinge konzentriert.
- Bei den Aktivitäten liegt es am Einzelnen, ob man Lückentexte üben, rück-De-kodieren, telefonieren, Internet-Radio hören, fremdsprachige Fernsehprogramme schauen, oder gar eine Reise in ein Land der Sprache unternehmen möchte.
In ihrem Buch vermittelt Holenstein zunächst Grundsätzliches zum Thema Lernen, zur Intelligenz und zu den Mechanismen des Lernens im Gehirn, wobei diese Zusammenhänge wie in solchen Praxisbüchern oft sehr vereinfacht bzw. überzogen und einseitig interpretiert dargestellt werden. So sind viele der dargestellten Zusammenhänge zwischen Lernen und Gehirn, die in dem Buch als neurodidaktische und neurolinguistische Methoden bezeichnet werden, bisher eher Hypothesen denn gesicherte Erkenntnisse. So hat etwa das im Buch vorgestellte Bild des Lernpythagoras mehr heuristische oder plakative Bedeutung als ein wissenschaftlich überprüfbares Modell darzustellen. Die Autorin ist dabei im Gefolge ihrer an vielen Stellen zitierten und als Beleg angeführten charismatische Lehrerin Vera Birkenbihl, deren von ihr selber überzeugend präsentierten aber auch polarisierenden Ansichten zum Lernen viel Richtiges und auch Wirkungsvolles enthalten. Davon kann man sich anhand der zahlreichen Videos auf Youtube überzeugen (siehe die Beispiele unten).
[In Birkenbihls eigener Darstellungsmethode …]
Aus kritischer Sicht kommt der Erfolg der Methode aber weniger von der Berücksichtigung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse her, sondern von der Nähe zur bei weitem effektivsten Methode des Spracherwerbs, der Immersionsmethode. Immersion bedeutet das Eintauchen in eine Sprache, wobei die neue Sprache sowohl die Arbeits- als auch die Umgangssprache darstellt. Mit der Immersion lässt sich ein beträchtlich höheres Niveau in einer Fremdsprache erreichen als mit traditionellem Unterricht. Bei jedem, der als Kind, Jugendlicher oder Erwachsener eine neue Sprache in ihrer natürlichen Umgebung erlernt, verarbeitet das Gehirn die neue Sprache ähnlich wie die eigene Muttersprache. Auch bei dieser Methode - wie auch bei der Fremdsprachenlernmethode TPRS (Teaching Proficiency through Reading and Storytelling) - setzt der Erwerb grammatischer Strukturen erst ab einem größeren Wortschatz ein, sodass Sprachenlernen wie bei der Birkenbihl-Methode ebenfalls nicht durch das Pauken von Grammatikregeln und von Vokabellisten erreicht wird, sondern durch den Aufbau mentaler Begriffe, wie sie die jeweiligen Sprachgemeinschaften im Laufe ihrer Geschichte entwickelt haben, und was wesentlich ist, vor allem in sozialen Situationen, in denen Sprache das Verhalten der Beteiligten koordiniert.
Es wäre für die Autorin m. E. gar nicht notwendig, sich an so vielen Stellen des Buches auf die neuesten Erkenntnissen der Forschung, insbesondere der Hirnforschung, zu berufen, denn das meiste stellt ohnehin seit Jahrzehnten in der Psychologie empirisch überprüftes Wissen dar, auch wenn das bisher in den seltensten Fällen in unserem Bildungssystem umgesetzt wurde. Allerdings müsste man nach heutigem psychologischem Wissensstand das institutionelle Lernen von Sprachen grundlegend und radikal verändern und weniger versuchen, mit der Birkenbihl-Methode die traditionellen Sprachlehrmethoden im Schulzimmer zu "verbessern". Allerdings kann nicht geleugnet werden, dass die im Buch detailreich beschriebene Methode Schülerinnen und Schülern zu Erfolgserlebnissen verhelfen kann und manch frustriert Lernende wie Lehrende neue Möglichkeiten des Spracherwerbs entdecken werden. Allerdings erfordert diese Sprachlernmethode von den Lehrenden und Lernenden teilweise einen sehr hohen Aufwand, der wohl nur in einer Gruppe von engagierten LehrerInnen, Eltern aber auch Selbstlernenden reduziert werden kann.
Man merkt allerdings an jeder Stelle in ihrem Buch das hohe Engagement der Autorin und dass sie weiss worüber sie redet, wenn sie über Lernen und Lehren spricht, was wohl an ihren persönlichen aber auch beruflichen Erfahrungen liegt. Auch auf Grund der zahlreichen anschaulichen Beispiele und der Erfahrungsberichte von Anwendern der Methode ist das Buch LehrerInnen wie Eltern, die ihre Kinder beim Fremdsprachenlernen unterstützen wollen, zu empfehlen.
Homepage der Autorin: http://www.protalk.ch