Der erkenntnistheoretische Ansatz Piagets
Der Empirismus will die Erkenntnis aus der Sinneserfahrung ableiten, wobei das erlangte Wissen von den Objekten selber ausgeht. Er geht davon aus, daß die äußere Realität vor der Erkenntnis vorhanden ist und somit eine Konstruktion neuer Realitäten nicht möglich ist. Das Vorhandene in der objektiven Realität wird vom Subjekt abgebildet und erweitert den Wissensvorrat des erkennenden Subjekts. Dieser philosophischen Richtung steht ein passives Menschenbild zugrunde, da das Subjekt nur zu erweitertem Wissen kommt, indem es die Umwelt immer genauer abbildet, aber nicht in der Lage ist, sich seine Realität selbst zu schaffen. Neben den hauptsächlichen Vertretern dieser Richtung, John Lock und David Hume, greift auch der Behaviorismus als einflußreiche sozialwissenschaftliche Richtung auf diese Position zurück, indem das menschliche Verhalten auf ein stimulus-response-Schema reduziert wird. Piaget stellt sich in seinem Werk entschieden gegen diese Passivität.
Doch auch dem Apriorismus erteilt Piaget eine Absage. Dieser geht von prä-determinierten Strukturen im Subjekt aus, als Instrumente, die die Erkenntnis erst ermöglichen. Die gedanklichen Kategorien Raum, Zeit und Kausalität werden als a priori gegeben bestimmt, wobei die Erkenntnis somit als Kombination dieser Strukturen und der Wahrnehmung wird, einschließlich der Annahme, daß die Strukturen den Objekten der Wahrnehmung aufgezwungen werden. Diese philosophische Strömung stützt sich vor allem auf die aristotelische Kategorienlehre und Kants Erkenntniskritik, die Piaget zwar nicht grundsätzlich als falsch ansieht, aber er sieht jene Strukturen im Subjekt, die Erkenntnis ermöglichen, jedoch nicht als a priori gegeben an, vielmehr ist er der Auffassung, daß die Strukturen erst im handelnden Umgang des Subjekts mit den Objekten aufgebaut werden und nennt diese Modifikation der Kantschen Position einen "dynamischen Kantianismus".
Die konstruktive Bildung nicht-präformierter Strukturen geschieht durch eine handelnde Einwirkung eines Subjekts auf das Objekt, wodurch das Objekt und zugleich die vorhandene Erkenntnisstruktur transformiert werden. Piaget geht also davon aus, daß durch Erkenntnis sowohl das Objekt als auch die im Subjekt vorhandenen Strukturen verändert werden, und zwar nicht durch reines Abbilden der Realität, sondern durch beidseitiges Einwirken. Dabei werden Transformationsstrukturen konstruiert, die der Realität mehr oder weniger entsprechen und ihr mehr oder weniger adäquat sind. Die Transformationsstrukturen sind jedoch keine Abbilder der Transformationen in der Realität, sondern nur mögliche isomorphe Modelle, unter denen zu wählen den Menschen die Erfahrung befähigen kann. Erkenntnis ist also ein System von Transformationen die allmählich immer adäquater werden.
Beispiel für die Veränderung eines kognitiven Schemas durch Assimilation und Akkomodation
[Quelle: http://dueker.psycho.uni-osnabrueck.de/ewp/pdfs/abb_5-39.pdf]
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[Quelle: c't 10/2002, S. 104: IT und Entwicklungspsychologie]
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