Eltern und Freundschaften
Freunde sind Gottes Entschuldigung für Verwandte.
George Bernard Shaw
Man weiß aus Studien, dass Kinder, die keine Freunde haben, zu sozialen Außenseitern werden können und damit ein höheres Risiko tragen, als Jugendliche oder auch Erwachsene später an Depressionen zu leiden. Daher können für die meisten schüchternen und verschlossenen Kinder Freunde zu einem Schutz vor Traurigkeit werden, denn Freundschaften holen Kinder aus ihrer Verschlossenheit heraus, fördert durch die Konfrontation auch die Widerstandsfähigkeit und schützt auch vor internalisierenden Problemen wie Angstgefühlen. Oft ist es entscheidend, dass ein Kind mindestens einen Freund hat, der einem Kind einen Schutz bietet.
Untersuchung über Mädchenfreundschaften
- frühe Adoleszenz: Freunde sind Personen, mit denen man etwas unternehmen kann
- mittlere Adoleszenz: Wunsch nach Loyalität, Vertrauen und Wechselseitigkeit bei der Freundin; die Freundin dient als Medium der Selbstoffenbarung und zur Unterstützung bei Entwicklungsprobleme
- späte Adoleszenz: Freundschaft wird wieder zur entspannten gemeinsamen Erfahrung, sie wird nicht mehr so dringend benötigt wie zuvor
5 Stadien des Übergangs von der Peergroup zur Partnerschaft
Klassische Studie von Dumphy (1963):- Isolierte gleichgeschlechtliche Gruppen
- Beginn der Mischgruppe: zwischen Mädchen- und Jungengruppen entstehen Verbindungen
- geschlechtshomogene Gruppe, in der Mitglieder mit hohem Status eigene heterosexuelle Gruppen bilden
- voll entwickelte Mischgruppe: verschiedene heterosexuelle Gruppen stehen in enger Verbindung
- lose verbundene Gruppierung von befreundeten Paaren
Der Jugendliche zwischen Peers und Eltern…
In der Phase, in der sich die Jugendlichen allmählich vom Elternhaus loslösen, verbringen sie ihre Zeit verstärkt in Peergroups oder auch nur mit Freund(in). Hier finden sie Verständnis und stoßen auf einen Partner bei der Identitätssuche. Es entwickelt sich ein „neues“ Lebensgefühl innerhalb der Akzeptanz Gleichaltriger.
Präferenzentwicklungen
Es stellt sich die Frage, ob nun bei zunehmender Wichtigkeit der Peergroup die Familie absolut oder nur relativ in den Hintergrund tritt. Die Konstanzer Längsschnittuntersuchung mit Jugendlichen zwischen 12 und 16 hat folgendes ergeben:
|
|
Präferenz |
|
Gleichgeschlechtliche Freundschaften |
|
steigt nur mäßig |
wird nie größer als die Präferenz zu Eltern |
Eltern |
|
Sinkt |
|
Gegengeschlechtliche Freundschaften |
|
steigt bis 16 stetig an |
Ab 14 größer als P. zu Eltern schon mit 12 über der P. zum eigenen Geschlecht |
Das heißt also, dass viele Aktivitäten in der Peergroup offen und/oder verdeckt dem Zweck dienen, Kontakt mit dem anderen Geschlecht aufzunehmen.
Orientierung an Eltern oder Peergroup?
- Bei zukunftsweisenden Entscheidungen orientieren sich die Jugendlichen an den Eltern. Bei wichtigen Fragen (wie Schulleistung,…) unterstützen die Peers meist die Eltern,
- Bei momentan Identitäts- und Statusproblemen bzw. Konflikten orientieren sie sich an den Peers.
Kinder aus stabilen und starken Familien sind wesentlich weniger beeinflussbar. Kinder aus instabilen, zerrütteten Verhältnissen (Alleinerzieher, Stiefeltern,…) haben ein viel stärkeres Bedürfnis nach sozialem Kontakt außerhalb der Familie. Sie neigen auch stärker zu deviantem (nicht der Norm/ gesellschaftlichen Regeln/ Gesetzen entsprechendem) Verhalten da das Gefühl nach sozialer Geborgenheit oftmals stärker ist stärker als die moralische Festigkeit.
Zusammenhang zwischen Ich-Stärke und Präferenz
Die Konstanzer Längsschnittuntersuchung mit Jugendlichen zwischen 12 und 16 erbrachte folgende Gruppen von Jugendlichen:
- Hohe, stabile Ich-Stärke: präferieren mit 16 noch immer die Eltern als BezugspersonenAnsteigende
- Ich-Stärke: präferieren mit 14 schon andersgeschlechtliche Bezugspersonen; die Elternpräferenz sinkt nicht stark ab
- Absinkende Ich-Stärke: stärkster Abfall der Elternpräferenz; ausgeprägteste Orientierung an Anders- und Gleichgeschlechtlichenkonstant
- Niedrige Ich-Stärke: frühzeitiges Absinken der Elternpräferenz; andersgeschlechtliche Freundschaften werden schon mit 13 bevorzugt
Eltern und Peers ergänzen einander in ihrem Einfluss auf die Jugendlichen, das heißt die Familie wird von der Peergruppe nicht abgelöst!
Das soziale Netzwerk der Eltern
Das soziale Netzwerk der Eltern prägt das soziale Umfeld, in dem die Kinder aufwachsen. Freunde der Eltern und Verwandte können die Sozialwelt der Kinder bereichern, indem sie den Kindern als Interaktionspartner zur Verfügung stehen. Kinder können durch diese Personen neue Sichtweisen vermittelt bekommen und lernen, die Sichtweisen der Eltern zu relativieren.Die Interaktionen zwischen Netzwerkpartnern der Eltern und Kindern unterscheiden sich von den Interaktionen zwischen Eltern und Kindern da die Netzwerkpartner freier (re)agieren.
Es kommt auch zu einer Relativierung der Position der Eltern, da die Kinder ihre Eltern mit anderen Erwachsenen vergleichen. Manche Netzwerkpartner der Eltern (v.a. Verwandte und enge Freunde), können die Kinder in schwierigen Situationen beraten und eventuell zwischen Kindern und Eltern vermitteln. Die Kinder werden dadurch emotional gestützt, und sie können Vertrauen in andere Menschen neben den Eltern entwickeln.
Sozial aktive Eltern können ihren Kindern Vorbild darin sein, viele mitmenschliche Kontakte über die Familie hinaus zu pflegen. Gleichzeitig kommen auch die Freunde und Verwandte als Modelle in Betracht. Diese Personen werden sozial eher aktiv sein, sonst wären sie nicht mit der Familie, zu der die Kinder gehören, in Kontakt. Kinder gut integrierter Eltern können also viele sozial aktive Personen beobachten. Sind die Eltern dagegen sozial isoliert, haben die Kinder weniger potentielle Vorbilder. Diese übrig bleibenden Vorbilder, nämlich die Eltern selber, haben nur wenig oder gar keine Beziehungen. Die Kinder erlernen und erleben also ein zurückgezogenes soziales Leben.
Auswirkungen des elterlichen sozialen Netzwerkes auf die soziale Integration von Kindern
Bei einer Untersuchung an Schülern der zweiten bis fünften Klassen einer innerstädtischen Grundschule in West-Berlin wurden diese nach ihrem Freundschaftskonzept und deren Eltern zum sozialen Netzwerk befragt. Diese Kindergruppe bestand zu 55% aus Jungen und zu 45% aus Mädchen im Alter von 7 bis 12 Jahren. Die Anzahl der elterlichen Verwandten und anderer Netzwerkpartner hing nicht mit der sozialen Integration und dem Freundschaftskonzept der Kinder zusammen. Diese elterlichen Beziehungen sind also offenbar weniger bedeutsam für die Gleichaltrigenbeziehungen der Kinder. So sind Verwandtschaftskontakte kaum kündbar und auch nicht in dem Ausmaß freiwillig, wie es die Freundschaften der Eltern und die Gleichaltrigenbeziehungen der Kinder sind. Wenn die Mütter bzw. Väter viele Freunde hatten, nannten ihre Kinder viele Beziehungspartner außerhalb der Schulklasse.
Dieser Zusammenhang zeigt sich jedoch nicht für die elterlichen Freundschaften und die Zahl der innerhalb der Schulklasse als Beziehungspartner nominierten Kinder. Untersucht man dagegen nur die Untergruppe der älteren Kinder und deren gegenseitig bestätigten engen Freundschaften, findet sich wieder das erwartete Ergebnismuster: Je mehr Freunde die Mütter hatten, desto mehr gegenseitig bestätigte enge Freundschaften hatten die älteren Kinder innerhalb der Schulklasse. Wahrscheinlich findet sich dieser Zusammenhang nur für ältere Kinder, weil die Gegenseitigkeit von Freundschaften erst für die älteren Kinder eine besondere Bedeutung gewinnt.
Man kann also vermuten, dass sich die elterliche Integration über die kindliche sozio-kognitive Entwicklung auf die kindliche Integration in die Gleichaltrigenwelt auswirkt. Mit der Anzahl der elterlichen Freunde stieg auch das Niveau des kindlichen Freundschaftskonzeptes. Die Zusammenhänge zwischen dem Netzwerk der Eltern und dem der Kinder zeigten sich dort am deutlichsten, wo die Beziehungen von Freiwilligkeit und persönlichem Einsatz geprägt waren, nämlich zwischen den elterlichen Freunden, mit denen Freizeit verbracht wird, und den kindlichen Freundschaften, die nicht durch die gemeinsame Schulklasse gestützt werden, sondern mit mehr eigener Anstrengung unterhalten werden. Unter den Freundschaften in der Klasse treten diejenigen der älteren Kinder hervor, die durch gegenseitige Bestätigung eine besondere Qualität haben und vermutlich ein entsprechendes Engagement verlangen.
Verwendete Literatur
Anastasiou, K., March, A., Sury, P., (2002). Handybesitz und die soziale Integration von Jugendlichen. Online im Internet: WWW: http://visor.unibe.ch/WS02/cvk/arbeiten/Handybesitz_und_soziale_Integration.pdf (2002-10-18)
Großegger, B. (2005). Schriftenreihe Jugendpolitik. Online im Internet: https://broschuerenservice.bmsg.gv.at/PubAttachments/Generationen%20Beziehungl.pdf (07-11-04).
Limbourg, Maria (1998). Die Bedeutung von Familie und
Freunden für Sicherheit und Gefahr im Kindes- und Jugendalter. Online im
Internet: WWW:
http://www.uni-essen.de/traffic_education/texte.ml/Familie.html (2002-10-17)
Kleiber, Dieter (1999). Empowerment und Partizipation. Chancen von Peer Education in der Präventionsarbeit. Online im Internet: http://www.aktion-jugendschutz-bayern.de/projugen/leit4_99.htm (2002-10-17)
Kraak, B. (1997). Bullying, das Quälen von Mitschülern. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 44, 71-77
Kruse, J. (2000). Erziehungsstil und kindliche Entwicklung: Wechselwirkungsprozesse im Längsschnitt. In S. Walper & R. Pekrun (Hrsg.), Familie und Entwicklung (S. 1-8). Göttingen: Hogrefe.
Mietzel, G. (2002). Wege in die Entwicklungspsychologie. Verlagsgruppe Beltz: Weinheim.
Oerter, R. & Dreher, E. (2002). Jugendalter. In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S. 258-318).Weinheim: Beltz.
Preiser, S. (1994). Jugend und Politik. Anpassung – Partizipation - Extremismus. In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S. 874 - 884).Weinheim: Beltz.
Reinders, H. (2004). Freundschaften im Jugendhalter. Online im Internet: http://www.familienhandbuch.de/cms//Jugendforschung-Freundschaften.pdf (07-11-01).
Schneewind, K. (2002). Familienentwicklung. In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S. 105-127).Weinheim: Beltz.
Schneewind, K. (1998). Familienentwicklung. In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S. 129-170).Weinheim: Beltz.
Silbereisen, R. & Ahnert, L. (2000). Soziale Kognition: Entwicklung von sozialem Wissen und Verstehen. In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S. 509-682).Weinheim: Beltz.
Stangl W. (2007). Entwicklungsaufgaben im Jugendalter: Online im Internet: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/EntwicklungsaufgabeJugend.shtml (07-11-01).
Uhlendorff, H. (1996). Elterliche soziale Netzwerke in ihrer Wirkung auf die Freundschaftsbeziehungen der Kinder. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 43, 127-140.
Zimmermann, P., Gliwitzky, J., Becker-Stoll, F. (1996). Bindung und Freundschaftsbeziehungen im Jugendalter. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 43, 141-154
inhalt :::: nachricht :::: news :::: impressum :::: datenschutz :::: autor :::: copyright :::: zitieren ::::