Essstörungen im Leistungssport
Literatur
Achiro et al (2015). Excessive Workout Supplement Use: An Emerging Eating Disorder in Men. WWW: http://www.apa.org/news/
press/releases/2015/08/eating-disorder.pdf (15-07-09)
Engleder, Andrea (2007). Essstörungen im Leistungssport – Der Hunger nach Erfolg und sportlichen Höchstleistungen. Psychologie in Österreich, 27, 148–154.
Isenschmid, Bettina (2007). Essstörungen Basiswissen, neue Erkenntnisse, Trends und Komplikationen.
WWW: www.rosenfluh.ch/ (08-02-04)
Utesch, T., Dreiskämper, D., Naul, R., & Geukes, K. (2018). Understanding physical (in-) activity, overweight, and obesity in childhood: Effects of congruence between physical self-concept and motor competence. Scientific Reports, 8, doi: 10.1038/s41598-018-24139-y.
Essstörungen sind heutzutage nicht mehr nur ein aktuelles Thema der Modebranche auch im Leistungssport finden sich vermehrt Fälle von Essstörungen. SpitzensportlerInnen weißen viel häufiger problematisches Essverhalten auf als die Normalpopulation wobei diese Tatsache, genau wie Doping, als systemimmanenter Bestandteil unserer Sportwelt angesehen werden kann. Besonders betroffen sind AthletInnen sogenannter Risikosportarten. Darunter sind Sportarten zu verstehen bei denen eine besonders schlanke Figur von Vorteil ist sowie Sportarten mit Gewichtsklassen. Die AthletInnen hoffen durch Gewichtsreduktion ihre Leistungen verbessern zu können, was anfangs oftmals auch zutrifft, da durch eine Verringerung des Körpergewichts zunächst ein optimales Kraft-Leistungsverhältnis erreicht werden kann. Wird jedoch die Gewichtsreduktion nach Erreichen des optimalen Kraft-Leistungsverhältnisses fortgeführt, laufen die SportlerInnen Gefahr, eine Essstörung zu entwickeln. Zudem kommt es durch die geringe Energiezufuhr zu einem Leistungsabfall. Resultat ist eine endlose Spirale aus Hungern und Leistungsabfall, welche zu Depressionen und schlussendlich zu einem Karriereende aus gesundheitlichen Gründen führen kann (vgl. Engleder, 2007, S.148, 149, 151).
In den USA haben Psychologen übrigens den Vorschlag gemacht, übermäßigen Konsum von Eiweißpulver und anderen Nahrungsergänzungsmitteln als männliche Essstörung zu qualifizieren, denn die Beweggründe für den exzessiven Gebrauch solcher Mittel sind letztlich die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, ein geringes Selbstwertgefühl und das Streben nach vermeintlicher körperlicher Perfektion. Die Betroffenen glauben nach einer Untersuchung nämlich, der von ihnen erwarteten Rolle als Mann nicht gerecht werden zu können. Achiro et al. (2015) befragten die Forscher Männer im Alter von 18 bis 65 Jahren, die im Monat zuvor entsprechende Produkte konsumiert hatten und mindestens zweimal pro Woche ein Workout absolvierten. Dabei gaben über 40 Prozent der Befragten an, dass sich ihr Konsum von Nahrungsergänzungsmitteln im Lauf der Zeit erhöht habe, 22 Prozent bekannten, dass sie reguläre Mahlzeiten durch Protein-Shakes ersetzen, wofür diese nicht gedacht sind. 29 Prozent gaben zu, dass ihnen der Eiweißkonsum selbst Sorgen bereite, und einige hatten auch bereits negative gesundheitliche Erfahrungen gemacht, denn 8 Prozent erklärten, dass ihnen ihr Arzt von weiteren Proteinmahlzeiten abgeraten habe, 3 Prozent lagen wegen ernährungsbedingter Leber- oder Nierenleiden bereits im Krankenhaus.
Anorexia Athletica, Anorexia Nervosa und Bulimia Nervosa
Im Zusammenhang mit sportbedingter Gewichtsreduktion und restriktiver Ernährung stellte sich die Frage der Existenz einer eigenständigen Essstörung bei AthletInnen. Diese Störung trägt den Namen Anorexia Athletica (Sport Anorexie). Sie wurde erstmals 1983 von Purgliese, später dann von Sundgot-Borgen (1993) anhand von zehn Merkmalen definiert. In der Fachwelt herrscht noch Uneinigkeit darüber ob es sich hierbei um eine Störung von Krankheitswert handelt oder nicht. Untersuchungen zum Verlauf dieser speziellen Anorexie fehlen. So ist beispielsweise noch unklar ob diese Form der sportbezogenen Essstörung auch nach Austreten der AthletInnen aus dem Leistungssport weiterhin besteht. Zudem ist bei der inhaltlichen Definition Vorsicht geboten.
Erfüllt der/die AthletIn zusätzlich das Kriterium einer Körperschemastörung, fastet ständig restriktiv oder greift zu anderen ungesunden Diätmaßnahmen, so handelt es sich meist schon um eine Anorexia Nervosa oder Bulimia Nervosa. Anorexia Nervosa (Magersucht) und Bulimia Nervosa (Ess-Brechsucht) stellen die am wichtigsten zu diskutierenden Essstörungsformen im Leistungssport dar. Beide Formen lassen sich anhand der ICD-10 Kriterien der WHO definieren. Besonders charakteristisch sowohl für Magersucht als auch für die Ess-Brechsucht ist die krankhafte Furcht dick zu werden. Übertriebene körperliche Aktivitäten sollen hierbei bei der Gewichtsreduktion helfen. Demgegenüber steht die regelmäßige Kontrolle des Körpergewichts bei bestimmten Sportarten. Somit kommt es, vor allem vor Wettkämpfen, bei den SportlerInnen oftmals zu einer restriktiven Nahrungseinschränkung und zu massivem Gewichtsverlust (vgl. Engleder, 2007, S. 149, 150, 151).
Betroffe, Schuldige und Hilfsprogramme
Besonders häufig sind Frauen und Mädchen im Alter von 15 bis 24 Jahren von Essstörungen betroffen. Der Anteil an betroffenen Männern liegt deutlich unter jenem der Frauen (1:10). Zudem ist noch wesentlich, dass Frauen welche Leistungssport betreiben nochmals bei weitem anfälliger für Essstörungen sind als jene die keinen Leistungssport betreiben. Laut einer Beobachtung (Umfang der Beobachtung: 500 Leistungssportlerinnen aus unterschiedlichen Sportdisziplinen sowie eine Kontrollgruppe aus nicht intensiv Sporttreibenden) leiden 18% der Athletinnen an einer Essstörung, bei den nicht intensiv Sporttreibenden sind es jedoch nur 5%. Daher ist es von besonderer Bedeutung, dass Sportpsychologen in der Arbeit mit LeistungssportlerInnen immer auch das Ernährungsverhalten im Auge behalten. Bei Verdacht auf eine Essstörung ist es besonders wichtig für Sportpsychologen, im Gespräch mit dem Athlet, der Athletin gezielt nach den Symptomen einer Essstörung zu fragen und möglichst schnell einzuschreiten. Nicht unschuldig an einer Essstörung ist oftmals der Trainer/die Trainerin.
Nach einer Studie wurden in 75% der Fälle die AthletInnen durch den oder die TrainerIn zur Gewichtsreduktion aufgefordert. Häufig sehen TrainerInnen Essstörungen auch als normal an, da sie selbst früher darunter litten und sind somit kein pädagogisch wertvolles Vorbild für junge AthletInnen. Umso wichtiger ist es, dass Sportpsychologen auch die TrainerInnen und FunktionärInnen von der Problematik von Essstörungen und ihren gesundheitlichen Folgen überzeugen können. Nur so sind präventive Maßnahmen im Leistungssport fruchtbar. Mittlerweile gibt es in Österreich auch schon spezielle Programme zur Prävention von Essstörungen und zur Stärkung des Selbstwertes von Mädchen und Frauen im Leistungssport, wie beispielsweise das „Go Girls Go“ Programm in Tirol. Auch in Graz findet man ein Präventionsprojekt der Kinderpsychosomatik, welches vor allem darauf abzielt, jungen essgestörten LeistungssportlerInnen zu helfen (vgl. Engleder, 2007, S.149, 152–154).
Die auffällige Häufung von Essstörungen bei bestimmten Sportlern (Jockeys, Boxer, Läufer und Schwimmer) wird auf die determinierenden Gewichtsgrenzen zurückgeführt. Auch nach Sportverletzungen, verordnete Zwangpausen indizieren erste rigide Kontrollen der eigenen Ernährung mit möglichen anschliessenden Heisshungeranfällen. Für die insgesamt geringere Prävalenz von Essstörungen bei Männern scheinen folgende Faktoren massgebend: Männer unterliegen einem geringeren sozialen Druck hinsichtlich des vorherrschenden Schlankheitsideals in unserer Gesellschaft. In speziell auf männliche Leser abgestimmten Illustrierten erscheinen diätbezogene Artikel etwa zehnmal seltener als in Frauenzeitschriften. Mit 15 Prozent über ihrem Idealgewicht erleben Männer sich als etwas übergewichtig, Frauen dagegen bereits als adipös. Bereits Jungen schätzen sich seltener als Mädchen als übergewichtig ein oder ziehen eine Diät in Betracht. Übergewicht in der Pubertät wird bei Jungen weniger geächtet. Vermehrter Körperumfang wird der sich auszubildenden Muskulatur zugeschrieben. Er spiegelt das soziale Ideal des heranwachsenden Mannes wieder, während bei Mädchen die Ausbildung weiblicher Formen und Fettpolster dem heutigen Schlankheitsideal für Frauen entgegensteht. Möglicher weise können Jungen mit den Problemen dieser Lebensphase besser fertig werden, weil die sexuelle Reife bei ihnen in der Regel zwei Jahre später eintritt (Isenschmid, 2007).
Sportliche Aktivität und Selbsteinschätzung
Utesch et al. (2018) zeigen in einer Studie, dass Kinder umso mehr Sport betreiben, je genauer diese ihre Sportlichkeit einschätzten können. Im Kindesalter spielt daher die motorische Kompetenz und deren Selbstwahrnehmung bzw. physisches Selbstkonzept eine große Rolle und sind dabei der Schlüssel für die eigene körperliche Aktivität. Daher ist es wichtig, dass ein Kind einschätzen kann, ob es eher unsportlich, durchschnittlich oder eher sportlich ist, was vor allem bei Kindern aus Risikogewichtsgruppen besonders zentral ist, denn insbesondere bei unter- und übergewichtigen Kindern im Vergleich zu normalgewichtigen, hat die richtige Selbsteinschätzung einen positiven Effekt auf zukünftige physische Aktivität. Im Gegensatz zu bisherigen Erklärungen gilt damit nicht mehr nur das Prinzip‚ je mehr motorische Kompetenz desto besser, sondern je besser die motorische Selbstwahrnehmung, desto besser die Kompetenz. Dieses Ergebnis besagt auch, dass sich eine zu starke Selbstüberschätzung oder auch -unterschätzung der eigenen motorischen Kompetenz negativ auf die körperliche Aktivität beziehungsweise auf das zukünftige Sportbetreiben auswirken.
Siehe auch "Der Körperkult Jugendlicher"
Siehe auch
- Arten von Essstörungen
- Die Rolle der Erziehung bei Essstörungen
- Risikogruppen für Essstörungen
- Schulische Präventionsmöglichkeiten bei Essstörungen
- Präventionsprogramme bei Essstörungen
Quellen:
Diese Arbeitsblätter entstammen teilweise der Studie von Ursula Gruber
"Essstörungen an Berufsbildenden Höheren Schulen Österreichs.
Wahrnehmung, Behandlung, Prävention".
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