Mütterliche Erziehungspraktiken und Verhaltensauffälligkeiten
Schreyer-Mehlhop, I. & Petermann, U. (2011). Mütterliche Erziehungspraktiken und Verhaltensauffälligkeiten von Kindern im Vorschulalter. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 43 (1), 39-48.
Siehe auch
Geschichte der Kindererziehung - Erziehung und Kultur
Wertewandel in der Kindererziehung - Neuere Entwicklungen in der Kindererziehung
Erziehungsstile - Begriffsbestimmung und Begriffsabgrenzungen
Grenzen und Auswirkungen der Erziehung
Praktische Tipps zur Kindererziehung
Elternschulen
Internalisierende Verhaltensauffälligkeiten, wie Ängste und sozialer Rückzug sowie externalisierende Verhaltensauffälligkeiten, wie impulsives Verhalten oder motorische Unruhe, zählen bei Kindern zu den häufigsten Gesundheitsgefährdungen. Während Erziehungsstile die Einstellung der Eltern (z.B. Überfürsorglichkeit) widerspiegeln, haben Erziehungspraktiken Einfluss auf die Verhaltensebene und umfassen daher sämtliche Handlungen der Eltern in Bezug auf das Kind (vgl. Schreyer-Mehlhop & Petermann, 2011, S.39).
Vorhandene Untersuchungen beziehen sich meist auf den Zusammenhang von externalisierenden Verhaltensproblemen mit strengen und strafenden Erziehungspraktiken. Im Zusammenhang mit Erziehungspraktiken und internalisierenden Verhaltensproblemen liegen weniger Ergebnisse vor, da diese Studien meist Erziehungsstile fokussieren. Vorliegende Untersuchungen deuten weiters darauf hin, dass Kinder mit Migrationshintergrund, im Vorschulalter häufiger Verhaltensauffälligkeiten zeigen, als Kinder ohne Migrationshintergrund. Auf Grund dieser Ergebnisse wird auch klar, dass das Erziehungsverhalten der Mütter von zentraler Bedeutung für die Entwicklung des Kindes im Vorschulalter ist und stellt sich gleichzeitig die Frage nach den relevanten Risikofaktoren hinsichtlich der Entstehung von kindlichen Verhaltensproblemen (vgl. Schreyer-Mehlhop & Petermann, 2011, S.39).
Eine Studie von Schreyer-Mehlhop & Petermann (2011, S. 40ff) sollte Aufschluss darüber geben, ob ein Zusammenhang zwischen externalisierenden bzw. internalisierenden Verhaltensproblemen und mütterlichen Erziehungspraktiken bestehet. Auch wurde untersucht, ob positives Sozialverhalten auf den Einfluss von Erziehungspraktiken zurückzuführen ist. Darüber hinaus wurde ein besonderes Augenmerk auf das Geschlecht der Kinder und dessen Migrationsstatus gelegt. Es nahmen 183 Vorschulkinder, 105 Jungen und 78 Mädchen, davon 48 mit Migrationshintergrund (mind. Elternteil im Ausland geboren) aus 16 gleichermaßen sozial schwachen wie sozial bevorzugten Kindergärten an der freiwilligen Studie teil.
Schreyer-Mehlhop & Petermann (2011, S. 41) wollten folgende Hypothesen überprüfen, wobei Hypothesen 3-6 unabhängig von Migrationshintergrund und Geschlecht sind:
- Mütter von Jungen setzen mehr negative als positive Erziehungspraktiken ein
- Mütter mit Migrationshintergrund setzen mehr negative Erziehungspraktiken ein
- Für internalisierendes und für externalisierendes Verhalten der Kinder besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Verhaltensauffälligkeiten und negativen Erziehungspraktiken
- Für internalisierendes und für externalisierendes Verhalten der Kinder gilt, dass positive Erziehungspraktiken negativ mit Verhaltensauffälligkeiten korrelieren
- Prosoziales Verhalten der Kinder geht einher mit positiven Erziehungspraktiken
- Prosoziales Verhalten der Kinder steht in negativem Zusammenhang mit negativen Erziehungspraktiken.
Nach der Auswertung der Daten konnten alle Hypothesen bestätigt werden. Hinsichtlich der Überprüfung der Hypothesen 1 und 2 ergab sich ein signifikanter Effekt für das Geschlecht. Besonders bei der Skala ‚Positive Erziehungspraktiken’ zeigte sich ein deutlich negativer Einfluss von Geschlecht und Migrationsstatus. Es zeigte sich weiters, dass in Bezug auf Hypothese 3 ‚Geringes Monitoring’ und ‚inkonsistente sowie bestrafende Erziehungspraktiken’ signifikant positiv mit ‚Verhaltensproblemen’, ‚Hyperaktivität’ und ‚Emotionale Probleme’ korrelieren.
Zu Hypothese 4 ergaben sich signifikante negative Zusammenhänge von positiven Erziehungspraktiken zu ‚Emotionale Probleme’, Hyperaktivität’ und ‚Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen.’ Hinsichtlich Hypothese 5 und 6 zeigte sich, dass positive Erziehungspraktiken auch zu signifikant positivem, prosozialem Verhalten der Kinder führen. Abgesehen von diesen Einzelzusammenhängen interessierte Schreyer-Mehlhop & Petermann (2011, S. 44f) auch das Zusammenspiel verschiedener Erziehungspraktiken. Bei diesen Analysen wurde deutlich, dass insbesondere ‚geringes Monitoring’ sowie ‚inkonsistente und bestrafende Erziehungspraktiken’ Verhaltensprobleme vorhersagen. Ferner wurde deutlich, dass der Migrationsstatus der Kinder sehr wohl von Bedeutung ist, insbesondere im Zusammenhang mit weniger positiven Erziehungspraktiken und den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf den Umgang mit Gleichaltrigen.
Die Studie von Schreyer-Mehlhop & Petermann (2011, S. 46) zeigt auf, dass Mütter von Mädchen häufiger positive Erziehungspraktiken anwenden als Mütter von Jungen, allerdings kann die Abhängigkeit des Erziehungsverhaltens zum Geschlecht auch verursacht durch die generellen Unterschiede im Verhalten von Jungen und Mädchen sein. Auch die Frage nach der Kausalität stellt sich, denn möglicherweise ist das Erziehungsverhalten nur eine Reaktion auf das Problemverhalten der Kinder. Die Untersuchung belegt weiters, dass Mütter mit Migrationshintergrund vor allem in Bezug auf Jungen geringere Werte an positiven Erziehungspraktiken zeigen, allerdings muss dieses Ergebnis im Hinblick auf die kulturellen Hintergründe eventuell relativiert werden. Zu berücksichtigen ist bei der Interpretation ferner, dass hinsichtlich der Validität der Aussagen der Mütter keine unabhängigen Datenquellen befragt wurden. Des Weiteren muss einschränken vermerkt werden, dass das sprachliche Verständnis der Mütter im Hinblick auf den Fragebogen und den damit verbundenen Antwortmöglichkeiten nicht in vollem Umfang kontrolliert wurden. Die Ergebnisse unterstreichen jedoch den Stellenwert von Erziehungskompetenz im Zusammenhang mit kindlichem Verhalten, da es in der Regel einfacher ist, die Entstehung von Verhaltensauffälligkeiten zu verhindern, als bereits vorherrschende Störungen zu behandeln. In diesem Zusammenhang fällt jedoch auf, dass Präventionsangebote tendenziell zu spät angesetzt werden. Ein früher Präventionsansatz würde die Erziehungskompetenz vor allem im Hinblick auf inkonsistente und strafende Erziehungspraktiken fördern (vgl. Schreyer-Mehlhop & Petermann, 2011, S. 46).
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