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Im Schlaf lernen

In Aldous Huxleys Roman »Schöne neue Welt« schläft ein kleiner Junge friedlich in seinem Bett, während im Radio ein berühmter Schriftsteller spricht. Als das Kind erwacht, kann es den gesamten Wortlaut der Rede wiedergeben, obwohl es noch nicht einmal die englische Sprache beherrscht. Diese Methode nutzt die totalitäre Regierung in Huxleys dystopischer Zukunftswelt, um das Bewusstsein ihrer Bürger durch nächtliche Beschallung zu manipulieren.


Erstmals konnten übrigens Jenkins & Dallenbach (1924) experimentell nachweisen, dass Lerninhalte besser behalten werden, wenn danach geschlafen wird. Teilnehmer an diesem Experiment lernten entweder morgens oder abends kurz vor dem Schlafengehen eine Reihe von sinnlosen Silben und wurden 1, 2, 4 oder 8 Stunden später auf ihre Erinnerung an diese Reihe getestet. Das Lernen erfolgte dabei bis zur vollständigen Beherrschung und die Überprüfung nach der Methode der behaltenen Silben. Wenn die Serien nachts gelernt worden waren, wurde die Zeit zwischen dem Lernen und der Wiedergabe im Schlaf verbracht, im anderen Fall waren die Beobachter während der dazwischen liegenden Zeit wach. Die Ergebnisse zeigten, dass die Vergessensrate im Schlaf viel langsamer war als im Wachzustand. Die Kurve für das Vergessen im Schlaf wies einen kurzen anfänglichen Rückgang auf, nach dem ein konstantes Niveau beibehalten wurde, während die Kurve für die Wachphasen die bekannte Form eines kontinuierlichen Rückgangs zeigten, der negativ beschleunigt ist. Diese Divergenz der Vergessensrate im Schlaf und im Wachzustand erklärt daher die Abweichungen, die schon in den Vergessenskurven früherer Untersuchungen gefunden wurden.

Nach der sogenannten "Consolidation"-Theorie der Gedächtnisbildung lernt nur der Hippocampus zum Zeitpunkt der Informationsaufnahme, also "online" und erst später, wenn der Hippocampus "offline" ist, etwa während des Schlafes, werden die gespeicherten Informationen wieder abgespielt und in den Cortex überführt. Seehagen et al. (2015) entdeckten, dass sich sogar Kleinkinder Fakten und Ereignisse besser merken, wenn sie nach einer gemachten Erfahrung schlafen. Dabei untersuchte man das Erinnerungsvermögen von Kindern mit dem Handpuppentest, bei dem man Kindern in einem ersten Durchgang mit einer Handpuppe bestimmte Handlungen vorspielt, und beim nächsten Durchgang beobachtet, welche dieser Handlungen das Kind nachzuahmen versucht, wenn es die Handpuppe erneut sieht. Ein Teil der Kinder hatte innerhalb von vier Stunden nach dem Puppenspiel mindestens eine halbe Stunde geschlafen, die anderen waren wach geblieben oder nur ganz kurz eingenickt. Eine Kontrollgruppe von Kindern bekam beim ersten Besuch keine Handpuppen zu sehen, um zu prüfenn, wie die Kinder spontan reagieren, wenn sie die Puppe zum ersten Mal sahen. Das Ergebnis war, dass die Kleinkinder mit Schlaf signifikant mehr Handlungen zeigten als jene Kinder, die wach geblieben waren.

Nach Untersuchungen werden vor allem schwache Assoziationen während des Schlafs gestärkt, d.h., wer zum Beispiel etwas mit einem Freund besprechen will und vor dem Schlafengehen nochmals daran denkt, diesen am nächsten Tag bei einem Kaffee zu treffen, wird beim Anblick eines Cafes schon an die Absicht erinnert werden, auch wenn er sich nicht vorgenommen hat, genau hier mit dem Freund zu sprechen. Diese Verbindung zwischen Raum und Gespräch bezeichnet man als schwache Assoziation bzw. als prospektives Gedächtnis, das Dinge betrifft, die sich erst in Zukunft ereignen werden, an die man aber vorausblickend bereits denkt. Vermutlich dürfte der Hippocampus während des Schlafs bestimmte Erinnerungen, also etwa den Vorsatz, in Zukunft etwas Bestimmtes erledigen zu wollen, ohne Repetition in den Langzeitspeicher des Gehirns verschieben, von wo aus diese Information am nächsten Tag wieder abgerufen werden können (vgl. Scullin & McDaniel, 2010).

Neuerdings hat man entdeckt, dass es beim Lernen im Schlaf eine Rangfolge gibt, in der die Informationen in das Langzeitgedächtnis übergeführt werden. Bevorzugt werden demnach vor allem jene Erfahrungen, die für die betreffende Person etwas bedeuten, also emotional positiv besetzt sind.

Nach Studien von Züst et al. (2019) ist es in bestimmten Phasen des Tiefschlafs sogar möglich, neue Vokabeln einer fremden Sprache zu lernen, d. h., im Wachzustand lassen sich die Vokabeln dann wieder abrufen. In einem Experiment hatte man beim Schlafen ProbandInnen über Kopfhörer mehrfach mit Fantasiewörtern beschallt, denen es jeweils unterschiedliche Bedeutungen zuordnete. So hörte eine Versuchsperson etwa „Guga - Vogel“, eine andere „Guga - Elefant“, und nach dem Aufwachen wurden sie befragt: Ist Guga ein großer oder kleiner Gegenstand, passt es in eine Schuhschachtel oder nicht? Wenn das zweite Wort des Wortpaares in einer bestimmten Schlafphase bei den Menschen ankam, identifizierten die ProbandInnen nach dem Aufwachen 60 Prozent der Fantasiewörter korrekt als etwas Großes oder Kleines, so, wie sie es im Schlaf gehört hatten. Dabei musste das in der up-state-Schlafphase geschehen, in denen die Gehirnzellen gemeinsam aktiv sind. Diese dauern nur eine halbe Sekunde und wechseln sich ab mit passiven Phasen (down-state) ohne Aktivität. Das bestätigt altere Untersuchungen, dass Gedächtnisbildung sowohl im bewussten als auch unbewussten Zustand möglich ist. Allerdings kann man daraus nicht ableiten, sich nachts mit Informationen berieseln zu lassen in der Hoffnung, dass etwas hängen bleibt.


Übrigens: Einige Überschriften aus den Gazetten zu diesem Forschungsergebnis ;-)


Untersuchungen belegen übrigens, dass es wenig sinnvoll ist, das Gehirn mit einschlägig vermarkteten "Lernen im Schlaf"-Programmen zu belasten, denn neue Informationen schaden in diesem Fall eher als dass sie nützen, denn die Konsolidierung relevanten Wissens wird dadurch beeinträchtigt.

Siehe dazu im Detail Informationsverarbeitung und Informationsaufnahme im Schlaf 

Im Schlaf lernen funktioniert

Quellen & Literatur

http://warp6.dva.de/
sixcms/detail.php?id=88872 (01-05-30)
http://www.sciencemag.org/cgi/
content/abstract/315/5817/1426 (07-03-12)

Unter diesem Titel erschien im Bild der Wissenschaft folgender Bericht: Vor einer Prüfung zu schlafen bringt mehr als die Nacht durchzubüffeln. Das schließen Forscher um Marcos Frank von der Universität Kalifornien aus Untersuchungen an Katzen. Mit den Experimenten konnten sie erstmals direkt zeigen, dass im Schlaf Eindrücke des Tages im Gehirn festgeschrieben werden, berichten sie im Fachmagazin "Neuron". Die Forscher deckten bei jungen Katzen für sechs Stunden ein Auge ab. Dadurch bildete sich die Gehirnregion überdimensional aus, die Eindrücke aus dem offenen Auge auswertet. Ein Schläfchen konnte diese Umstellungen beschleunigen: Katzen, die nach der Abdeckung sechs Stunden lang schlafen durften, hatten doppelt so große Änderungen im Gehirn als Tiere, die "durchmachen" mussten.

Selbst Katzen, die zwölf Stunden lang die Augenklappe trugen zeigten geringere Anpassungen im Gehirn als Tiere, die die Klappe nur sechs Stunden trugen und anschließend geschlafen haben.

Die Umorganisation im Gehirn geschehe vorwiegend in traumlosen Tiefschlafphasen, sagen die Forscher. Solche Anpassungen seien eine Grundlage für Lernen und Erinnern. Die Forscher nehmen an, dass auch bei erwachsenen Tieren und beim Menschen das Gehirn während Tiefschlafphasen besonders plastisch ist und Gelerntes festschreibt.

Ein Tipp für Katzenbesitzer: Katzen sollten im Schlaf besser nicht geweckt werden, vor allem im Tiefschlaf nicht, wenn die Katze träumt und mit Pfoten und Ohren zuckt, denn besonders diese Schlafphase benötigen die Tiere dringend. In dieser Phase schüttet das Gehirn nämlich Hormone aus, die für die Zellerneuerung wichtig sind und das Immunsystem stärken. Haben Katzen zu wenig Tiefschlaf, sind sie oft unkonzentriert und setzen sich eher Gefahren aus.

Björn Rasch et al. (2007) stützen ebenfalls die These, dass Lernen im Schlaf auf einer unbewussten Wiederholung von neuem Wissen beruht. Sie baten ihre Versuchsteilnehmer in einem mit dem Blumenduft erfülltem Raum die Position von 15 Kartenpaaren auf einem Computerbildschirm zu lernen. Einer Gruppe von Probanden ließen die Wissenschafter nachts in der Tiefschlafphase Blumenduft um die Nase wehen. Am nächsten Tag prüfte man, wie viele Kartenpaare sich die Probanden gemerkt hatten: Die "Duft-Gruppe" erinnerte sich an 97 Prozent, die Gruppe ohne Duft nur an 85 Prozent. Durch die gezielte Reaktivierung der Erinnerungen mit Hilfe des Dufts hatten die Probanden also tatsächlich etwas besser gelernt. Erinnerungen an Tatsachen und Ereignisse, wie etwa die Position von Karten, werden im Hippocampus verarbeitet, der besonders während der Tiefschlafphase aktiviert wird. Die Magnetresonanzaufnahmen des Gehirns zeigten eine steigende Aktivität im Hippocampus, sobald um die schlafenden Probanden der Duft verströmt wurde. In der REM-Schlafphase hingegen zeigte der Duft hingegen keine verstärkende Wirkung.


Lernen im Schlaf - die App „Lazy Learn“

Tips meldet am 21. Februar 2023, dass der Vorchdorfer Ralph Ohler die App „Lazy Learn“ entwickelt hat, die dazu verhelfen soll, im Schlaf Lerninhalte zu lernen. Er verspricht Schülern und Studierenden, dass der Lernstoff ganz einfach im Schlaf angeeignet wird. Er hat die App in Kooperation mit der Fachhochschule Hagenberg entwickelt, wobei ihm die Idee dazu schon während seiner eigenen Schulzeit kam, denn er hatte sich seinen Lernstoff auf Audiokassetten gesprochen und nachts angespielt, um sich die Inhalte besser zu merken. Damit er ungestört einschlafen konnte, stellte er eine Zeitschaltuhr und hörte die Lerninhalte nur während des Schlafens, wobei seine Taktik nach eigenen Angaben funktionierte. Die wissenschaftliche Basis für die App lieferte eine Studie der Universität Bern, die bewies, dass das Gehirn während bestimmter Schlafphasen lern- und merkfähig ist. Die App spielt den vorher aufgenommene Lernstoff während bestimmter Schlafphasen automatisch ab, wobei fünfmal pro Nacht die App die Lernenden für zehn Minuten mit den eingesprochenen Inhalten beschallt, wobei das genügen soll, um den Stoff zu festigen. Diese App ist ab sofort kostenlos für die Betriebssysteme iOS und Android verfügbar, denn Ohler sieht sein Projekt Lazy Learn als Beitrag zu kostenlosem Lernen, das jedem zur Verfügung steht.


Literatur

Henke, Katharina (2010). A model for memory systems based on processing modes rather than consciousness. Nature Reviews Neuroscience, 11, doi:10.1038/nrn2850.

Jenkins, J. G. & Dallenbach, K. M. (1924). Obliviscence During Sleep and Waking. The American Journal of Psychology, 35, 605-612.

Rasch, B., Buchel, C., Gais S. & Born J. (2007). Odor cues during slow-wave sleep prompt declarative memory consolidation. Science, March 9.

Scullin, Michael & McDaniel, Mark (2010). Remembering to Execute a Goal. Sleep on It!". Psychological Science.
WWW: http://pss.sagepub.com/content/early/2010/06/02/0956797610373373.abstract 89

Seehagen, Sabine, Konrad, Carolin, Herbert, Jane S. & Schneider, Silvia (2015). Timely sleep facilitates declarative memory consolidation in infants. Proceedings of the National Academy of Sciences. 10.1073/pnas.1414000112.

Züst, Marc Alain, Ruch, Simon, Wiest, Roland & Henke, Katharina (2019). Implicit Vocabulary Learning during Sleep Is Bound to Slow-Wave Peaks. Current Biology, doi:10.1016/j.cub.2018.12.038.




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