Soziale Kompetenz
Dieser Text ist ein leicht überarbeiteter Teil eines Artikels, der erstmals 1998 unter dem Titel
"Der Begriff der sozialen Kompetenz in der psychologischen Literatur"
im e-zine p@psych 3. Jg. erschienen ist, und in der Folge mehrmals überarbeitet wurde:
http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/
PAEDPSYCH/SOZIALEKOMPETENZ/
(04-05-16)
Verwendete Literatur:
Bielski, Sven (1998). Geistige Behinderung und soziale Kompetenz.
WWW: http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/
Sven.Bielski/Gener.htm (01-07-07)
Siehe dazu auch
Die Diagnose der sozialen Kompetenz
und
Soziale Kompetenz aus pädagogischer Sicht
Sprachlich betrachtet setzt sich der Begriff "soziale Kompetenz" aus den Begriffen "sozial" (auf das Zwischenmenschliche, das Gemeinschaftliche bezogen) und "Kompetenz" (Vermögen, Fähigkeit, Zuständigkeit, Befugnis; vom lat. competere, das ein viel weiteres Begriffsfeld umfasst: zusammentreffen, zusammenfallen, ausreichen, kräftig sein, zustehen, zutreffen, möglich sein, verlangen, begehren) zusammen.
"Der lateinische Begriff competentia stammt von dem Verb competere ab: zusammentreffen, doch auch zukommen, zustehen. Die römischen Rechtsgelehrten gebrauchten das Adjektiv competens im Sinne von zuständig, befugt, rechtmäßig, ordentlich. Seit dem 13. Jahrhundert bezeichnet competentia die jemandem zustehenden Einkünfte. In Johann Heinrich Zedlers Universallexikon von 1753 werden die Begriffe competentia und Competenz mit der heutigen Wortbedeutung in Zusammenhang gebracht. Seit diesem Zeitpunkt sind Kompetenz, Kompetenzstreit und Kompetenzkonflikt mit der Ausdifferenzierung einer modernen, arbeitsteiligen und funktionalen Gesellschaftsorganisation verbunden. So bedeutet Kompetenz im Staatsrecht die Zuständigkeit, Befugnis oder Rechtmäßigkeit oberster Staatsorgane und nachgeordneter Behörden, Anstalten, Körperschaften oder Personen für öffentliche Aufgaben und hoheitliche Befugnisse. (…) In der Kommunikationswissenschaft bezeichnet Kompetenz seit Chomsky (1962) die Fähigkeit von Sprechern und Hörern, mit Hilfe eines begrenzten Inventars von Kombinationsregeln und Grundelementen potenziell unendlich viele neue, noch nie gehörte Sätze selbstorganisiert bilden und verstehen zu können sowie einer potentiell unendlichen Menge von Ausdruckselementen eine ebenso potenziell unendliche Menge von Bedeutungen zuzuordnen. In die Motivationspsychologie wurde der Kompetenzbegriff von White (1959: 297-333) eingeführt. Dort bezeichnet das Konzept Ergebnisse von Entwicklungen grundlegender Fähigkeiten, die weder genetisch angeboren noch das Produkt von Reifungsprozessen sind, sondern vom Individuum selbstorganisiert hervorgebracht wurden. Kompetenz im Sinne von White ist eine Voraussetzung von Performanz, die das Individuum auf Grund von selbst motivierter Interaktion mit seiner Umwelt herausbildet. (…) In der Psychologie hat sich wohl als Erster McClelland (1973) darum bemüht. Offensichtlich sind Kompetenzen nur anhand der tatsächlichen Performanz - der Anwendung und des Gebrauchs von Kompetenz - aufzuklären. Jegliche Theorie der Performanz enthält eine - mehr oder weniger explizite oder implizite - Theorie von Kompetenz gilt jedoch für die meisten psychologischen Konstrukte wie Begabung, Intelligenz, Kognition, Motivation usw. Kompetenz ist also stets eine Form von Zuschreibung (Attribution) auf Grund eines Urteils des Beobachters: Wir schreiben dem physisch und geistig selbstorganisiert Handelnden auf Grund bestimmter, beobachtbarer Verhaltensweisen bestimmte Dispositionen als Kompetenzen zu. Danach sind Kompetenzen Dispositionen selbstorganisierten Handelns, sind Selbstorganisationsdispositionen. Hierin besteht der entscheidende Unterschied zu Qualifikationen: Diese werdennicht erst im selbstorganisierten Handeln sichtbar, sondern in davon abgetrennten, normierbaren und Position für Position abzuarbeiten Prüfungssituationen. Die zertifizierbaren Ergebnisse spiegeln das aktuelle Wissen, die gegenwärtig vorhandenen Fertigkeiten wider. Ob jemand davon ausgehend auch selbstorganisiert und kreativ wird handeln können, kann durch die Normierungen und Zertifizierungen kaum erfasst werden. Einem »gelernten« Multimediadesigner mit besten Abschlussnoten kann in der Praxis schlicht nichts einfallen. Danach sind Qualifikationen Positionen eines gleichsam mechanisch abgefordertenPrüfungshandelns, sind Wissens- und Fertigkeitspositionen" (Erpenbeck & von Rosenstiel 2003, S. X-XI; Hervorhebungen W.S.).
In der modernen Psychologie ist eine Sprachverwirrung um den Terminus Kompetenz entstanden, der aufgrund gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Neuorientierungen zwei Bedeutungen angenommen hat, welche zwar ähnlich sind, aber radikal unterschiedliche Implikationen enthalten. Für die einen bedeutet Kompetenz Zuständigkeit oder Berechtigung, für andere bedeutet er Können oder Fähigkeit, und Psychologen müßten andauernd betonen, welche von beiden Bedeutungen sie gerade meinen, woraus sich der Umstand erklärt, dass dieser Begriff - wie andere unscharfe Fähigkeitskonzepte auch - in der Psychologie nie Fuß gefaßt hat. Besonders beim Begriff der sozialen Kompetenz tritt dieses Dilemma deutlich zu Tage, da er in Verbindung mit dem noch schwammigeren Begriff "sozial" auch inhaltlich jede Kontur verliert, zumal Berechtigungen in der Regel sozial verliehen werden und ihre Einhaltung sozial kontrolliert ist.
Erpenbeck & von Rosenstiel (2003) unterscheiden vier grundlegende Kompetenzklassen (oft auch als Schlüsselkompetenzen bezeichnet):
- Personale Kompetenzen Als die Dispositionen einer Person, refl exiv selbstorganisiert zu handeln, d.h. sich selbst einzuschätzen, produktive Einstellungen, Werthaltungen, Motive und Selbstbilder zu entwickeln, eigene Begabungen, Motivationen, Leistungsvorsätze zu entfalten und sich im Rahmen der Arbeit und außerhalb kreativ zu entwickeln und zu lernen.
- Aktivitäts- und umsetzungsorientierte Kompetenzen Als die Dispositionen einer Person, aktiv und gesamtheitlich selbstorganisiert zu handeln und dieses Handeln auf die Umsetzung von Absichten, Vorhaben und Plänen zu richten - entweder für sich selbst oder auch für andere und mit anderen, im Team, im Unternehmen, in der Organisation. Diese Dispositionen erfassen damit das Vermögen, die eigenen Emotionen, Motivationen, Fähigkeiten und Erfahrungen und alle anderen Kompetenzen - personale, fachlich-methodische und sozial-kommunikative - in die eigenen Willensantriebe zu integrieren und Handlungen erfolgreich zu realisieren.
- Fachlich-methodische Kompetenzen Als die Dispositionen einer Person, bei der Lösung von sachlich-gegenständlichen Problemen geistig und physisch selbstorganisiert zu handeln, d.h. mit fachlichen und instrumentellen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten kreativ Probleme zu lösen, Wissen sinnorientiert einzuordnen und zu bewerten; das schließt Dispositionen ein, Tätigkeiten, Aufgaben und Lösungen methodisch selbstorganisiert zu gestalten, sowie die Methoden selbst kreativ weiterzuentwickeln.
- Sozial-kommunikative Kompetenzen Als die Dispositionen, kommunikativ und kooperativ selbstorganisiert zu handeln, d.h. sich mit anderen kreativ auseinander- und zusammenzusetzen, sich gruppen- und beziehungsorientiert zu verhalten, und neue Pläne, Aufgaben und Ziele zu entwickeln.
Soziale Kompetenz (adaptive behavior) war, als psychologischer Begriff, bis Mitte dieses Jahrhunderts ein Kriterium zur Beurteilung darüber, ob eine geistige Behinderung vorliegt oder nicht, gleichrangig zur Intelligenz (im Sinne von Intelligenztests). Der Intelligenzquotient (oder IQ) hat sich daraufhin stärker durchgesetzt. Heute steht die Forderung nach der Berücksichtigung sozialer Merkmale, nach der Erfassung und Förderung des sozialen Teils der Intelligenz wieder verstärkt im Vordergrund. Auch in der Erwachsenenbildung wird der Erwerb sozialer Kompetenzen als wichtiges Lernziel angesehen (vgl. Schlienger 1999). Bei der Auseinandersetzung der klinische Psychologie mit dem Thema soziale Kompetenz geht es daher vor allem um die verhaltentherapeutische Behandlung sozial ängstlicher Patienten (vgl. Fliegel, Groeger, Künzel, Schulte & Sorgatz 1994, Ullrich & Ullrich de Muynck 1999). Die soziale Ängstlichkeit besteht z. B. darin, dass die Betroffenen sich nicht trauen, "nein" zu sagen, wenn sie von anderen um einen Gefallen gebeten werden, nicht auf andere Menschen zugehen können oder gar vollständig den Kontakt zu anderen meiden. Das Ausmaß der Störung ist mithin sehr unterschiedlich und reicht von geringfügigen Beeinträchtigungen des Interaktionsverhaltens bis hin zu massiven Einschnitten in der Lebensqualität. Im Zentrum steht dabei die mehr oder minder stark eingeschränkte Fähigkeit des Patienten, sich in sozialen Interaktionen erfolgreich für die eigenen Interessen einsetzen zu können. Im Umkehrschluss erscheint ein hohes Maß an Durchsetzungsfähigkeit als wünschenswert. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass vor allem die Interessen des Handelnden in das Zentrum klinisch- psychologischer Kompetenzdefinitionen rückt. Eine entwicklungspsychologische Sichtweise (The Consortium on the School-based Promotion of Social Competence 1996, DuBois & Felner 1996, Waters & Sroufe 1983) setzt den Begriff häufig mit der "Anpassung" eines Individuums an die Umwelt gleich, in der es sozialisiert wird. Hier tritt der Aspekt der Anpassung durch Lernprozesse in den Vordergrund.
Nach dem Modell der Generellen Kompetenz (Greenspan & Gransfield, 1992, S. 447) setzt sich diese aus instrumenteller und sozialer Kompetenz zusammen (nach Bielski, 1998):
Im Modell von Greenspan und Gransfield (1992) greifen instrumentelle und soziale Kompetenzen auf intellektuelle und nichtintellektuelle Aspekte zurück. Greenspan und Gransfield differenzieren drei verschiedenen Arten von Intelligenz, konzeptuelle, praktische und soziale. Konzeptuelle Intelligenz ist als "wissenschaftliches" und analysierendes Denken zu verstehen. Sie bildet zusammen mit der Komponente Informationsverarbeitung den intellektuellen Aspekt der instrumentellen Kompetenz. Der nichtintellektuelle Aspekt der instrumentellen Kompetenz besteht aus dem körperlichen Zustand der Person und dem Verfügen über motorische Fähigkeiten, die es dem Individuum erst ermöglichen verbal oder nonverbal zu interagieren. Praktische und soziale Intelligenz bilden den intellektuellen Aspekt der sozialen Kompetenz. Praktische Intelligenz wird von Greenspan und Gransfield als "..."activities of daily living"..." (S. 449) verstanden. Soziale Intelligenz "...refers to a person"s ability to understand and to deal effectively with social and interpersonal objects and events. Included in this construct are such variables as role-taking, empathic judgement, person perception, moral judgement, referential communication, and interpersonal tactics" (S. 449). In ihrem Begriff von sozialer Intelligenz sind also kognitive Elemente, wie die Personenwahrnehmung, und Elemente, die auf der Verhaltensebene und der kognitiven Ebene anzusiedeln sind, wie die Rollenübernahme, enthalten. Sie behaupten, dass geistig Behinderte, selbst wenn sie augenscheinlich keine Defizite im adaptiven Verhalten zeigen, eine niedrige soziale Intelligenz aufweisen. Deshalb schlagen sie vor, den Begriff des adaptiven Verhaltens in der Definition der AAMD durch den der sozialen Intelligenz zu ersetzen.Der nichtintellektuelle Aspekt der sozialen Kompetenz besteht aus den Persönlichkeitsmerkmalen Temperament und Charakter. Über diese Variablen können nach Greenspan und Gransfield (1992) eventuell vorhandene psychopathologische Defekte des geistig behinderten Menschen beschrieben werden. Greenspan and Gransfield gehen davon aus, dass die soziale Inkompetenz des geistig behinderten Menschen in der Regel nicht auf psychopathologische Ursachen zurückzuführen ist (vgl. David & Neukäter, 1995). Zusammengefaßt ist geistige Behinderung ihrer Ansicht nach durch eine niedrige generelle Kompetenz gekennzeichnet Konzeptuelle Intelligenz und soziale Intelligenz aus diesem Modell, weisen Parallelen zur kognitiven bzw. sozialen Kompetenz des Heidelberger-Kompetenz-Inventars (Bielski 1998.).
Soziale Kompetenzen können nach Holtz (1994) in aufsteigendem Schwierigkeitsgrad wie folgt definiert werden: 1) Ausdruck: kann sich verständlich machen, kann eigenes Wissen, Meinungen und Wünsche einbringen; 2) Empfang: kann zuhören, andere Gruppenmitglieder beobachten, Ereignisse und gruppendynamische Prozesse wahrnehmen; 3) Offenheit: ist offen für Anregungen, kann Kritik akzeptieren, ist bereit sich mit anderen auseinanderzusetzen; 4) Kooperation: kann eigene Handlungsmöglichkeiten und Verantwortlichkeiten erkennen und wahrnehmen, kann sich auf Handlungen von anderen einstellen und sich anpassen; 5) Gestaltung: kann Beziehungen aufnehmen und gestalten, sich in einer Gruppe zurechtfinden, situationsadäquat kritisieren, eine Lernsequenz oder ein Gespräch leiten, verhält sich angemessen in gruppendynamischen Prozessen; 6) Identifikation: kann sich auf andere einstellen und Konflikte situationsgerecht angehen, behält eine gute Balance zwischen Engagement und Abgrenzung, hat ein Bewusstsein über die eigenen Möglichkeiten und Grenzen.
Eine brauchbare Definition des Begriffes "soziale Kompetenz" zu entwickeln, wird nach Zimmer (1978a,1978b) durch den Umstand erschwert, dass er nicht nur vom Individuum her, sondern von sozialen Anforderungen und Situationsmerkmalen her bestimmt werden muß. Im Gegensatz zu Begriffen wie seelische Gesundheit oder Krankheit, besitzt der Begriff der sozialen Kompetenz nicht nur eine Beziehung zum Funktionieren des Individuums, sondern parallel dazu auch eine Beziehung zu den situativen Anforderungen. In unterschiedlichen Kulturkreisen, aber auch in unterschiedlichen Milieus innerhalb eines Kulturkreises, können daher bei vergleichbaren situativen Anforderungen differierende Verhaltensweisen vom Individuum erwartet und somit als kompetent interpretiert werden. Das bedeutet, dass ein Verhalten, das innerhalb eines Milieus eine Person als sozial kompetent darstellt, innerhalb eines anderen Milieus bei vergleichbaren situativen Anforderungen, als sozial inkompetent angesehen werden wird. Eine genaue Festlegung von Verhaltensweisen, die in sozialen Situationen als sozial kompetent angesehen werden können, kann es nach Zimmer deshalb grundsätzlich nicht geben.
Hinsch und Pfingsten (1983, 1998) definieren soziale Kompetenz ganz allgemein als die Verfügbarkeit und Anwendung von kognitiven, emotionalen und motorischen Verhaltensweisen, welche in bestimmten sozialen Situationen zu einem langfristig günstigen Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen für den Handelnden führen. Sie zitieren eine Liste sozial kompetenter Verhaltensweisen nach Elaine Gambill: Neinsagen, Versuchungen zurückweisen, auf Kritik reagieren, Änderungen bei störendem Verhalten verlangen, Widerspruch äußern, Unterbrechungen im Gespräch unterbinde, sich entschuldigen, Schwächen eingestehen, Unerwünschte Kontakte beenden, Komplimente akzeptieren, auf Kontaktangebote reagieren, Gespräche beginnen, Gespräche aufrechterhalten, Gespräche beenden, Erwünschte Kontakte arrangieren, um Gefallen bitten, Komplimente machen, Gefühle offen zeigen.
Eher taxonomisch nähert sich Scala (2001) dem Begriff, wobei er soziale Kompetenz als wichtige Schlüsselqualifikation ansieht, aber den sehr unterschiedlichen Gebrauch in unterschiedlichen Kontexten hervorhebt: "Sie ist für das Gelingen der Arbeit in einem Zweiergespräch zwischen Ärztin und Patient oder Chef und Mitarbeiter ebenso notwendig, wie bei der Konzipierung von Veränderungsprozessen in großen Unternehmen, bei der Zusammenarbeit in Teams wie bei strategischen Entscheidungen in globalen Kontexten von Politik und Wirtschaft. Wir wollen daher hier sechs Ebenen benennen, die diesen komplexen Begriff der sozialen Kompetenz konkretisieren können:
- Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion: Mitarbeiter in Teams, Führungskräfte, Beraterinnen sind immer in der doppelten Situation, auf der einen Seite als Akteure eine Arbeitssituation zu gestalten, voranzutreiben und gleichzeitig müssen sie sich ein Stück dabei auch selber zuschauen, weil sie selber Teil der Situation sind. Es ist die Fähigkeit gefragt, zu handeln und sich dabei zugleich zu beobachten, die eigene emotionale Betroffenheit wahrzunehmen, sie zu berücksichtigen und sich auch ein Stück davon zu distanzieren, die eigenen Vorlieben zu kennen und zu wissen, in welchen Situationen die eigenen Alarmglocken läuten.
- Soziale Diagnosefähigkeit: Professionalität zeichnet sich durch die Fähigkeit einer spezifischen Beobachtungsfähigkeit aus. Eine Ärztin „sieht" mehr in Bezug auf den Gesundheitszustand, ein Fußballtrainer mehr bei einem Spiel als der Laie. In sozialen Kontexten ist daher die Fähigkeit, soziale Situationen differenziert wahrnehmen zu können, eine Grundvoraussetzung, um auch erfolgreich zu handeln. Wie steht es um die Arbeitsfähigkeit eines Teams? Wodurch wird sie gerade jetzt gefördert oder blockiert? Welche Unterschiede bewegen die Gruppe? Welche Themen werden vermieden?
- Gesprächsführung: Der Arbeitstag immer zahlreicherer Berufsgruppen füllt sich zunehmend mit Besprechungen, Verhandlungen, Einzelgesprächen aller Art. Die Qualität der Arbeit hängt also in hohem Masse von der Fähigkeit ab, in Gesprächssituationen mit unterschiedlicher Zusammensetzung und Zielsetzung professionell zu führen. Dazu braucht es jeweils die passenden Formen der Gesprächsführung: für ein Feedback-Gespräch eine andere als für Konfliktgespräche, oder wenn es darum geht, Interessen durchzusetzen, Beratungsgespräche, Gespräche in einer Problemerhebung und Analyse-Absicht u.a.
- Teamfähigkeit: in Gruppen braucht es die Fähigkeit, sich selbst inhaltlich zu positionieren, kreative Ideen einzubringen, Wissen an passender Stelle zur Verfügung zu stellen. Es ist aber auch in hohem Maße notwendig, sich auf die Gruppe zu beziehen: auf Vorschläge anderer aufbauen, zuhören, für die Beteiligung aller sorgen, Unterschiede deutlich machen und vermitteln, Konflikte ansprechen und Lösungen anbieten, für Entlastung sorgen.
- Steuern von Arbeitsprozessen: Über die Teamfähigkeit hinaus ist vor allem für Personen mit Leitungsaufgaben Wissen gefragt, welche Bedeutung Teamarbeit in unterschiedlichen beruflichen Zusammenhängen hat, wo sie sinnvoll eingesetzt wird und welche Anforderungen an teamförmiges Arbeiten gestellt sind. Dazu kommt die Kompetenz, Arbeitsprozesse in Einzelschritte und passende soziale Kontexte zu strukturieren, Designs für alle Arten gemeinsamen Arbeitens zu entwickeln und soziale Prozesse zu moderieren.
- Organisationskompetenz: Organisationsfähigkeit hat in den entwickelten Industriegesellschaften enorm an Bedeutung gewonnen, weil die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft in einem wachsenden Maße von der Leistungsfähigkeit der Organisationen abhängig geworden ist. Und soziale Kompetenz ist die Basis von Organisationsfähigkeit. Wie kann man sich in Organisationen orientieren und Organisationen verstehen? Welche Brillen kann man aufsetzen, um Organisationen wahrzunehmen und welche Basisqualifikationen sind abverlangt, wenn man selbst organisierend tätig werden soll?
- Kompetenz in der Kommunikation mit neuen Medien: Die Kommunikation erfährt gegenwärtig eine Bereicherung und damit eine Transformation durch die neuen elektronischen Medien (Internet, Intranet, email etc.). Es gilt, die Möglichkeiten dieser Medien zu erfassen, zu nutzen und mit den traditionelleren Formen direkter Interaktion in Beziehung zu setzen. Diese können teils ersetzt werden, teils werden sie mit ihrer spezifischen Leistung ganz besonders gebraucht. So hat z.B. Teamarbeit im Netz und face to face ein ganz unterschiedliches Potential. Kompetenter Umgang und differenzierter Einsatz unterschiedlicher Kommunikationsmedien wird zunehmend eine wichtige Schlüsselqualifikation.
Hubbard und Coie (1995) geben einen Überblick über die Entwicklung der Definitionen von sozialer Kompetenz in der Behindertenliteratur. Demnach wurde soziale Kompetenz anfänglich ausschließlich über das Sozialverhalten definiert. Diese Phase der Definition von sozialer Kompetenz erreichte ihren Höhepunkt in den siebziger Jahren. Diskutiert wurden in dieser Zeit u.a. die Rollenübernahmefähigkeit, die Perspektivenübernahme und angemessene Problemlösungsstrategien (vgl. dazu Affleck, 1975; Bender & Carlson, 1982; Devries, 1970). In einer zweiten Phase wurde soziale Kompetenz über das Erreichen von sozialen Zielen definiert (vgl. Dodge, 1986). Von Sommer (1977, zit. nach Holtz, 1994) wird soziale Kompetenz als die Verfügbarkeit und angemessene Anwendung von Verhaltensweisen (motorischen, kognitiven und emotionalen) zur effektiven Auseinandersetzung mit konkreten Lebenssituationen, die für das Individuum und/oder seine Umwelt relevant sind definiert. Sommer bezeichnet ein Verhalten dann als effektiv, wenn es dem Individuum kurz- und langfristig ein Maximum an positiven und ein Minimum an negativen Konsequenzen bringt, gleichzeitig für die soziale Umwelt und Gesellschaft kurz- und langfristig zumindest nicht negativ, möglichst aber auch positiv ist. Was positiv für die Umwelt und Gesellschaft ist, ist wissenschaftlich allerdings nicht exakt zu bestimmen und damit abhängig von individuellen Wertvorstellungen. Dieser Ansatz basiert auf dem traditionellen dreiteiligen psychologischen Grundmodell Kognition-Emotion-Verhalten, der bei einer Analyse des Konstrukts wohl am ehesten geeignet wäre, dem Anspruch nach Wissenschaftlichkeit zu entsprechen. Allerdings müßten diese Komponenten nicht bloß aus der Sicht des Individuums erfaßt werden, sondern wären jeweils in Bezug auf den aktuellen Kontext zu beurteilen, was gleichzeitig eine Definition insofern problematisch macht, als die Nichtdefinierbarkeit als wesentliche Komponente mitaufgenommen werden müßte, um dem Konzept gerecht zu werden. Dieses grundsätzliche Problem ergibt sich im Bereich der Behindertenliteratur insofern nur bedingt, als hier eine Situationsdefinition relativ eindeutig möglich ist, die sich an der Welt der Nichtbehinderten orientiert. Somit kann ein grober Rahmen für ein erstrebenswertes Verhalten des Individuums abgesteckt werden, dessen Passung relativ objektiv möglich scheint.
Hubbard und Coie (1995) schlagen etwa vor, soziale Kompetenz bei Kindern folgendermaßen zu definieren: "Our choice is to define social competence as being well-liked by peers" (S. 3). Ihrer Ansicht nach ist diese Definition gut operationalisierbar und quantifizierbar. Als zweite Möglichkeit, soziale Kompetenz bei Kindern zu definieren, geben sie die Einflußnahme des Kindes auf andere gleichaltrige Kinder an. Coie, Dodge und Coppotelli (1982) stellten in einer Studie allerdings fest, dass die beliebtesten Kinder auch den größten Einfluß besaßen. Je jünger die Kinder sind, desto größer ist die Korrelation zwischen Beliebtheitsgrad des Kindes und sozialem Einfluß. Sie sind sich daher der Problemtik bewußt wenn sie soziale Kompetenz definieren: "... as being able to influence peers and direct their activities effectively, regardless of liking".
Argyle (1972) versteht unter sozialer Kompetenz die Kenntnis und Anwendung angemessenen lnteraktionsverhaltens in sozialen Situationen, die sich im einzelnenin der Kenntnis und Anwendung sozialer Fertigkeiten zeigt, etwa in den Situationen "Professionelle soziale Fertigkeiten", "Psychotherapie" und "öffentlichem Sprechen und Lehren", die sich nach Brunner & Zeltner (1980) in folgende Gruppen einteilen lassen:
- Dominanz im Sinne der Erfüllung von Führungsaufgaben (Planung, - Koordinierung, Nachprüfen);
- Verhaltensweisen, die Belohnungswert für die Gruppenmitglieder besitzen;
- Fertigkeit, Einfluß demokratisch, überzeugend und konsultativ auszuüben;
- Fähigkeit, sich in die Rolle des anderen zu versetzen;
- Fähigkeit, gelassen zu reagieren (vs. soziale Ängstlichkeit);
- Fähigkeit, die lnteraktionspartner zuversichtlich zu machen;
- perzeptuelle Sensitivität, um die Reaktionen der lnteraktionspartner richtig beurteilen zu können.
Holtz, Eberle, Hillig und Marker (1982) beziehen den Begriff der sozialen Kompetenz auf die Gruppe der geistig Behinderten und sprechen von allgemeiner oder ökologischer Kompetenz. Sie meinen damit die Verhaltensmuster, die den Verhaltensspielraum eines Individuums unter durchschnittlichen Umweltbedingungen erweitern, die Abhängigkeit von besonderen Versorgungsmaßnahmen verringern und eine dauernde Heimunterbringung unwahrscheinlich machen.
Nach Wrubel, Brenner & Lazarus (1981) ist der Hauptgesichtspunkt sozialer Kompetenz, dass das kompetente Individuum aktiv bestimmt, was es in einer sozialen Situation will und auch die Fertigkeiten besitzt, individuell definierte Ziele im Kontext bestimmter sozialer Situationen zu verwirklichen.
Holtz (1994) stellt eine Taxonomie sozialer Kompetenzen von Ford aus dem Jahre 1985 vor (s.o.). Diese besteht aus dem Ausbalancieren von "Selbstbehauptung" und "Integration". Die Bereiche entsprechen den unterschiedlichen Funktionen, die einem umfassenden Kompetenzbegriff zukommen: Identität zu entwickeln und zu erhalten, ferner die Kontrolle eigener Lebensbedingungen, soziale Vergleichsprozesse vorzunehmen sowie den Umgang mit eigenen und fremden Ressourcen (Holtz, 1994, S. 143). Die Taxonomie von Ford macht deutlich, dass soziale Kompetenz mehr ist als angepaßtes Verhalten. Soziale Kompetenz besteht aus beiden Seiten, der Integration (Anpassung an soziale Gruppen) und der Autonomie (selbstbehauptende Fertigkeiten). Zimmer (1978b) beschreibt deshalb sozial kompetentes Verhalten als gelungenen Kompromiß zwischen Selbstverwirklichung und sozialer Anpassung.
Gardner (1991) differenziert noch weiter und geht von einem alles umfassenden Intelligenzbegriff aus, in den auch die Dimension des sozial intelligenten Verhaltens eingeordnet werden kann. Dadurch wird es möglich, soziale Kompetenz als eine besondere Intelligenzform anzusehen und zu konkretisieren. Gardners Zentralthese lautet: "Es gibt keine allgemein messbare, singuläre Intelligenz, sondern nur "vielfache Intelligenzen". Eine dieser vielfachen Intelligenzen sei z.B. die linguistische Intelligenz wie Sprechflüssigkeit, sprachliches Ausdrucksvermögen oder das Talent, Metaphern zu bilden wie z.B: "Der Wolf ist der Hai des Waldes". Zu den MI - "multiplen Intelligenzen" - gehören auch die logisch-mathematischen Fähigkeiten wie Zählen, Rechnen oder das Erkennen formaler Analogien. Etwa: "Rudolf ist größer als Gerhard. Wolfgang ist kleiner als Oskar. Helmut ist größer als Rudolf, Rudolf ist kleiner als Wolfgang. Ist Oskar größer als Gerhard?" Des weiteren zählt Gardner auch noch die räumliche Intelligenz bzw. das räumliche Wahrnehmungsvermögen zu den MI, also die Fähigkeit, sich im Raum zurechtzufinden, Figuren zu bilden und zu verändern, ein Mosaik zu vervollständigen oder innere geistige Bilder zu erzeugen. Zur musikalischen Intelligenz zählt er die Fähigkeit, Tonfolgen korrekt wahrzunehmen und herstellen zu können. Die körperlich-kinästhetische Intelligenz ist für Gardner die Fähigkeit, die eigenen Körperbewegungen kontrollieren und zielgerichtet koordinieren zu können, - eine Fähigkeit, die vor allem bei präzise arbeitenden Chirurgen oder bei Sportlern und Artisten ausgebildet sei. Unter die soziale Intelligenz fallen für Gardner drei Intelligenzformen:
- die sogenannte intrapersonelle Intelligenz, also die Fähigkeit, sich selbst zu (er)kennen. Sie findet ihren Ausdruck in Formulierungen wie: "Ich habe mich vor dieser Entscheidung gedrückt, weil ich Angst vor den Folgen habe, und jetzt bin ich unzufrieden, weil ich nichts riskiert habe."
- Zur sozialen Intelligenz gehört für Gardner aber auch die sogenannte interpersonale Intelligenz, die Fähigkeit, andere zu verstehen. "Sie hat ihr Leben lang zurückstecken müssen, weil ihr Mann krank war, deshalb schlägt sie heute manchmal über die Stränge. Das ist zwar anstrengend, aber sie muß einfach Leben nachholen".
- Der dritte Bereich der sozialen Intelligenz umfasst für Gardner das spirituell-existenzielle Vermögen, also die Sensibilität für Grund- und Grenzfragen des Lebens. "Was folgt daraus, dass alles Leben endlich ist, wir aber das Unendliche denken können? Dass wir uns bescheiden sollen? Oder dass wir danach streben sollen, über unsere Grenzen hinaus zu wachsen?"
Gardner betrachtet soziale Kompetenz demnach als eine besondere Intelligenz-Form und verdeutlicht, dass es bei dem Erziehungsziel soziale Kompetenz nicht um ein allgemeines, kindlich-naives Wohlverhalten der Menschen untereinander geht, sondern um ein sozial intelligentes, reflexives und zugleich selbstkritisches Verhalten des Einzelnen sowohl in Bezug auf seine eigene Person als auch im Kontext seines Handelns in kleineren oder größeren sozialen Gruppierungen wie Freundeskreis, Familie, Schule oder Gesellschaft. Die Ausprägung der einzelnen Intelligenzen hängt für Gardner nun stark von den kulturellen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft ab. Gardner weist d darauf hin, dass die Idee der vielfachen Intelligenzen keineswegs neu ist und dass sie aus seiner Sicht jedoch nicht ernsthaft genug diskutiert wurde und deren Auswirkungen auf die Pädagogik noch nicht deutlich genug aufgezeigt wurden;
Holtz (1994) merkt an, dass Kompetenzen auf einer Altersstufe sich als inkompetentes Verhalten auf einer anderen Altersstufe, im Sinne einer möglichst günstigen Entwicklung jedoch als kompetent erweisen können. Taxonomien von Kompetenzen sollten von daher stets Taxonomien von Entwicklungsaufgaben sensu Havighurst sein. Ein Säugling, der schreit, um seine Bedürfnisse nach Nahrung oder Zuwendung zu äußern, zeigt kompetentes Verhalten, während dieses Verhalten bei einem älteren Kind als inkompetent aufgefaßt werden wird.
7 Dimensionen zur Beschreibung sozialer Kompetenz nach Ruben (nach Menzel 1993, S. 279):
- Respekthaltung: die Fähigkeit, Respekt auszudrücken und jemanden zu schätzen.
- Interaktionshaltung: die Fähigkeit jemandem in nicht-bewertender, sondern deskriptiver Weise zu antworten.
- Realistische Selbsteinschätzung des Wissens: nach oben die Fähigkeit einzusehen, dass unser Wissen immer eine individuelle eingeschränkte und von unserer persönlichen Erfahrung abhängiger Anhäufung von Kenntnissen darstellt.
- Empathie: die Fähigkeit, die Welt durch die Augen eines anderen zu sehen.
- Rollenflexibilität: die Fähigkeit, sowohl problemlösende Rollen als auch beziehungsbildende Rollen zu übernehmen.
- Interaktionsmanagement: die Fähigkeit, die Bedürfnisse und Wünsche der anderen realitätsgerecht zu erfassen und auf dieser Grundlage zu diskutieren und die Interaktion zu beginnen und zu beenden.
- Ambiguitätstoleranz: die Fähigkeit, sich schnell und mit geringem Unbehagen an neue, instabile Situationen anzupassen.
Siehe auch: Emotionale Intelligenz
Petermann und Petermann (1989, 1992) definieren zwei Voraussetzungen für sozial kompetenten Verhalten bei Kindern: Frei sein von sozialer Angst und die Verfügbarkeit über soziale Fertigkeiten. Bei Personen, die unter sozialer Angst leiden, steigt, in Analogie zum normalen Angstbegriff, das Erregungsniveau an (Petermann, 1989, 1992). Die betroffene Person versucht deshalb, den Aufenthalt in Situationen zu vermeiden, bei denen ihr fremde Personen anwesend sind. Das Nichtvorhandensein von sozialer Angst wird von Petermann und Petermann (1989) als Motivvoraussetzung beschrieben. Diese macht es einem Menschen überhaupt erst möglich, eigenständig mit ihm fremden Personen "normale" im Sinne von kompetenter Kommunikation aufzunehmen. Verantwortlich für das Nichtvorhandensein von sozialer Angst ist ein positives Selbstkonzept. Das Selbstkonzept stellt die kognitive oder innere Repräsentation der eigenen Person dar. Aus einem positiven Selbstkonzept entsteht Selbstvertrauen, das wiederum eine Voraussetzung für Selbstsicherheit ist. (Petermann & Petermann, 1989)
Das Verfügen über soziale Fertigkeiten wird von Petermann und Petermann (1989) als Handlungsvoraussetzung bezeichnet. Diese entstehe aus der Wahrnehmungs- und Rollenübernahmefähigkeit. Bei der Wahrnehmungs- und Rollenübernahmefähigkeit werden verschiedene Dimensionen miteinander verknüpft. Es ist erforderlich, über biologisch determinierte Fähigkeiten (physische Wahrnehmungsfähigkeiten) und selektive Wahrnehmung zu verfügen (vgl. Dodge, 1986), und es muß die Fähigkeit vorhanden sein, das Wahrgenommene mit im kognitiven System verankerten Schemata abzugleichen und daraufhin zu interpretieren. Die Fähigkeit, eine Rolle übernehmen zu können, ist weiterhin eng verbunden mit der Fähigkeit der Perspektivenübernahme. Zusätzlich ist ein Verhaltensrepertoire erforderlich, dass es ermöglicht, die Rolle adäquat auszufüllen.
Zur Interaktionsfähigkeit gehört, die Konsequenzen des eigenen Handelns beim Interaktionspartner abschätzen zu können. Um dieses zu bewerkstelligen, ist es wiederum notwendig, sich in die Perspektive des Interaktionspartners zu versetzen. Nach Petermann und Petermann (1989) entsteht die Selbstbehauptungsfähigkeit aus der Interaktionsfähigkeit. Zur Selbstbehauptungsfähigkeit gehört die Fähigkeit nein zu sagen, Wünsche zu äußern, Forderungen zu stellen etc.
Soziale Angst und soziale Fertigkeiten und damit Motiv- und Handlungsvoraussetzung, stehen in einem reziproken Verhältnis zueinander. Beim Vorhandensein von sozialer Angst kann es trotz vorhandener sozialer Fertigkeiten zur Nichtanwendung von diesen kommen, da soziale Angst, wie bereits oben beschrieben, zu einem Vermeidungsverhalten führt. Das Vermeidungsverhalten hat wiederum zur Folge, dass die sozialen Fertigkeiten nicht weiterentwickelt werden können. Schwach ausgeprägte soziale Fertigkeiten führen zu Mißerfolgen bei sozialen Interaktionen und begünstigen wiederum das Entstehen und die Vergrößerung der sozialen Angst. Psychologische Trainingsprogramme zur Förderung bzw. Verbesserung der sozialen Kompetenz sollten nach den beschriebenen Mechanismen daher mindestens zwei Hauptelemente enthalten: Elemente zur Verbesserung des Selbstkonzeptes und Elemente zur Förderung der sozialen Wahrnehmung und des Rollenverhaltens.
Schwartz (1999) diskutiert soziale Kompetenz im Hinblick auf die Vermeidung von aggressivem Verhalten von SchülerInnen und zählt im Anschluß an mehrere Autoren einige Merkmale kompetenten Verhaltens auf:
- Understanding and recognizing one's own emotions and the emotions of others.
- Accurate perceptions of a situation to enable correct interpretation of social cues and appropriate responses.
- Understanding and predicting the consequences of personal acts, particularly those involving aggression.
- The ability to remain calm in order to think before acting, to reduce stress and sadness, to replace aggression with positive behavior, and to control anger.
- Social problem-solving, cooperative behavior, understanding and use of group processes, and the development and maintenance of peer relationships.
- Empathy with others in general and, especially, with those perceived as different.
- Peer mediation and conflict resolution.
- Selection of positive role models and supportive mentors.
Aus dieser taxativen Aufzählung wird ersichtlich, dass eine sinnvolle Verwendung des Konstruktes nur auf dem Hintergrund eines eher eng definierten erwünschten Zielzustandes bzw. Zielverhaltens möglich ist (vgl. dazu etwa auch Foster & Ritchey 1979 oder Anderson & Messick 1974). Den Begriff jedoch verbindlich in eine allgemeine Theorie sozialen Verhaltens einzubetten, scheitert an der Notwendigkeit der Definition des jeweils spezifischen Verhaltenkontexts.
Häufig wird sozial kompetentes Verhalten letztlich als ein Kompromiss zwischen Anpassung und Durchsetzung verstanden (vgl. Anton & Weiland 1993, Döpfner, Schlüter & Rey 1981, Petermann & Petermann 1995, Riemann & Allgöwer 1993), wobei sich der sozial kompetent verhält, der in der Lage ist, eigene Interessen in sozialen Interaktionen zu verwirklichen, ohne dabei jedoch die Interessen seiner Interaktionspartner zu verletzen, denn langfristig kann nur derjenige eigene Interessen durchsetzen, der auch den Interessen der Interaktionspartner Raum lässt.
Insgesamt wird aus den Ausführungen wohl deutlich, dass man Kompetenz auf Grund der Unmöglichkeit, die inneren Fähigkeiten einer Person unmittelbar zu beobachten, nur als einen theoretischen Terminus im Rahmen einer spezifischen Theorie über Kompetenz behandeln kann. Das bedeutet, der Kompetenzbegriff ist theorierelativ und hat nur innerhalb der spezifischen Konstruktion einer Theorie von Kompetenz eine definierte Bedeutung. Außerhalb jeglichen theoretischen Rahmens ist der Kompetenzbegriff bedeutungslos. Erst Modelle als spezifische Interpretationen einer Theorie bilden die anschauliche Brücke zur empirischen Beobachtung. Ein sinnvolles Reden, ein vernünftiges Messen von Kompetenzen setzt demnach ein taugliches Kompetenzmodell voraus, das empirische Voraussagen im Theorierahmen gestattet (vgl. Erpenbeck & von Rosenstiel 2003).
Soziale Kompetenz und Gehirnaktivität
Man hat im Zusammenhang von sozialer Kompetenz auch Gehirnaktivitäten bei Empathie und dem Einnehmen anderer Perspektiven untersucht, denn soziale Kompetenz basiert einerseits sowohl auf Gefühlen als auch auf komplexen Denkprozessen. Während Empathie gefühlsbasiert ist und Menschen hilft, an den Emotionen eines anderen Anteil zu nehmen, ist die Fähigkeit zum Perspektivwechsel ein komplexer Denkprozess, der dazu dient, sich die Umstände des anderen vorzustellen und darüber nachzudenken, was dieser denken könnte. In einer Meta-Studie (188 Studien wurden dabei analysiert) zum Thema fand man heraus, dass beim Empathie-Empfinden und Perspektivwechsel zwar jeweils ein Hauptnetzwerk im Gehirn aktiv ist, dieses jedoch je nach Situation zusätzliche Netzwerke hinzuzieht. Während es für eine Situation etwa notwendig ist, Blicke und Mimik zu interpretieren, ist es in einer anderen eher die Fähigkeit, den kulturellen Hintergrund des Erzählers mitzudenken oder seine aktuellen Bedürfnisse zu kennen. Menschen, die besonders sozial kompetent sind, zeichneten sich demnach dadurch aus, jeweils die richtige Balance aus Einfühlen und Eindenken zu finden. Das bedeutet auch, dass einzelne Schwächen in der Wahrnehmung nicht unbedingt die soziale Kompetenz als Ganzes betreffen müsste, den wenn nur ein bestimmter Teilfaktor betroffen ist, also etwa das Verständnis von Mimik oder Sprachmelodie, muss das noch nicht auf mangelnde soziale Fähigkeiten hinweisen.
Einige weitere Definitionsversuche
"Unter sozialer Kompetenz wird die Kenntnis und Anwendung angemessenen lnteraktionsverhaltens in sozialen Situationen verstanden. Im einzelnen zeigt sich soziale Kompetenz durch die Kenntnis und Anwendung sozialer Fertigkeiten, die sich nach Argyle (1972) für die Situationen "Professionelle soziale Fertigkeiten", "Psychotherapie" und "öffentliches Sprechen und Lehren" in folgende Gruppen einteilen lassen:
- Dominanz im Sinne der Erfüllung von Führungsaufgaben (Planung, - Koordinierung, Nachprüfen);
- Verhaltensweisen, die Belohnungswert für die Gruppenmitglieder besitzen;
- Fertigkeit, Einfluß demokratisch, überzeugend und konsultativ auszuüben;
- Fähigkeit, sich in die Rolle des anderen zu versetzen;
- Fähigkeit, gelassen zu reagieren (vs. soziale Ängstlichkeit);
- Fähigkeit, die lnteraktionspartner zuversichtlich zu machen;
- perzeptuelle Sensitivität, um die Reaktionen der lnteraktionspartner richtig beurteilen zu können" (Brunner & Zeltner 1980).
"Soziale Kompetenz" ist die Fähigkeit, angemessene soziale Fertigkeiten einzusetzen" (Sarason 1981).
"Der Hauptgesichtspunkt sozialer Kompetenz ist also, das das kompetente Individuum aktiv bestimmt, was er oder sie in einer sozialen Situation will, und ferner die Fertigkeiten besitzt, die individuell definierten Ziele im Kontext bestimmter sozialer Situationen zu verwirklichen" (Wrubel, Brenner & Lazarus 1981).
"Mit der Sozialkompetenz ist vor allem die Befähigung des Individuums gemeint, sich selber helfen zu können und sozialen Kontakt zu Mitmenschen aufzunehmen. Damit verbunden ist die Verantwortung für sich selber und für andere individuell" (Dorsch 1982).
"Das freie und verantwortliche Verhältnis zum Mitmenschen, das getragen wird von Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe, Solidarität und Toleranz, das erfüllt ist vom Wert des Guten und sich auch in der Konfliktsituation als humanitäres Handeln realisiert" Schröder (1978).
"Soziale Kompetenz, die es dem Menschen ermöglicht, seine Interessen und Bedürfnisse zu artikulieren, sie mit anderen abzustimmen und auch ungerechte Verhältnisse zu verändern, setzt Offenheit für Erfahrungen und die Fähigkeit, Konflikte auszuhalten voraus, wie sie in vollem Umfang erst einer 'fully-functioning-person' (Rogers 1979) verfügbar ist" (Kempf 1987).
Argyle, Michael (1972). Soziale Interaktion. Köln.
Brunner, R. & Zeltner, W. (1980. Lexikon zur Pädagogischen Psychologie und Schulpädagogik. München.
Dorsch, F. (Hrsg.) (1982). Psychologisches Wörterbuch. Bern.
Kempf, Wilhelm (1987). Soziale Kompetenz. In Frey & Greif, Soziales Lernen. München.
Rogers, C.R. (1979). Entwicklung der Persönlichkeit. Stuttgart.
Schröder, Hartwig (1978). Wertorientierter Unterricht. München.
Wrubel, J., Benner, P. & Lazarus, R.S. (1981). In Wine &
Smye, Social Competence from the Perspective of Stress and Coping. New
York.
Erstfassung: Ergänzende Anmerkungen zum Definitionsversuch und anderen Veranstaltungen der offenen Arbeitsgruppe "Zentrum für soziale Kompetenz" (Version 1.2 - 98 07 01)
Literatur
Heute mache ich mir eine Freude und besuche mich selbst.
Karl Valentin
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