[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Phasen der psychosozialen Entwicklung nach Erik Homburger Erikson

Neben den psychosexuellen Phasen, die Freud beschreibt, postuliert Eric H. Erikson die psychosozialen Phasen der Ich-Entwicklung, in denen der Einzelne eine neue Orientierung zu sich selbst und zu den Personen seiner Umwelt findet, die Freud auf das Kindesalter beschränkt. Für jede Phase werden Entwicklungsaufgaben formuliert, die positiv oder negativ bewältigt werden können. Diese Richtungen werden in der Überschrift zu den Phasen festgehalten.

Das Modell geht davon aus, dass jeder Mensch sich in Stufen entwickelt, die in jedem von Geburt an angelegt sind. Jede dieser Stufen besitzt eine besondere Thematik, die jeweils in der entsprechenden Stufe aktuell wird. Die Aktualität eines Themas steigert sich schlussendlich zu einer Krise. Wenn die Krise bewältigt wurde, folgt die nächste Stufe usw. Es ist wichtig, dass die einzelnen Thematiken von Geburt an vorhanden sind, aber erst in einer bestimmten Stufe dominant werden. Damit eine gesunde Persönlichkeit entsteht, müssen die einzelnen Krisen erfolgreich bewältigt werden. 'Erfolgreich' wird dabei jeweils von der entsprechenden Kultur festgelegt. Falls es zu Problemen in der Persönlichkeitsentwicklung kommt, kann mit Hilfe der Stufen herausgefunden werden, welche Krise noch nicht erfolgreich bewältigt wurde. Diese Erkenntnis dient etwa dem Therapeuten dazu, an der richtigen Stelle zu intervenieren. Die acht Stufen mit ihren spezifischen Krisen sind vor dem Hintergrund der westlichen Industriegesellschaft beschrieben, was deren Universalität natürlich einschränkt.

Vertrauen gegen Misstrauen (1. Lebensjahr)

Das Urvertrauen entsteht aus der Erfahrung, dass zwischen der Welt und den persönlichen Bedürfnissen Übereinstimmung herrscht. In dieser Phase entsteht eine Grundhaltung, die sich durch das ganze weitere Leben zieht. Ein Neugeborenes ist darauf angewiesen, dass es versorgt wird. Diese Erfahrungen führen zu einem Vertrauen gegenüber der Mutter und dem Vater. Neben dem Erleben des Vertrauens wird auch Misstrauen erlebt, in dem z. B. die Mutter beginnt, nicht nur für das Baby da zu sein, d. h., sie lässt das Kind alleine, um den Haushalt zu führen usw. Diese Zeiten, in den das Neugeborene alleine ist, fördert sein Misstrauen. Es ist wichtig, dass ein Kind Vertrauen und Misstrauen kennenlernt. Entscheidend für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung ist, dass sich das Vertrauen stärker entwickelt.

Autonomie gegen Scham und Zweifel (2., 3. Lebensjahr)

In dieser Zeit geschieht die Emazipation von der Mutter, das wird unterstützt durch die neuen Fähigkeiten des Gehens, des Sprechens und der Stuhlkontrolle. Die Problematik der Autonomie und Scham wird in Festhalten und Loslassen umgeformt. Konkret muss das Kind lernen, Dinge festzuhalten oder loszulassen. Freud und Erikson weisen deshalb auf die Reinlichkeitserziehung hin, die ja von den Psychoanalytikern auch als anale Phase bezeichnet wird. In dieser Zeit entwickelt das Kind auch Vorstellungen über ”Ich” und ”Du”. Es lernt, dass es ein Einzelwesen ist. Um eine gesunde Entwicklung zu gewährleisten, weist Erikson darauf hin, dass die Eltern als Vorbilder genommen werden. Dabei werden von den Kindern auch die Gefühle mitberücksichtigt, die sie im Zusammenhang mit den Eltern erleben. Eine erfolgreiche Bewältigung geht davon aus, dass die Autonomie sich stärker ausbildet als Scham und Zweifel.

Initiative gegen Schuldgefühl (4., 5. Lebensjahr)

Das Kind differenziert sich zunehmend von der Umwelt und versucht, die Realität zu erkunden, was sich in unzähligen Fragen äußert ebenso wie im Ausprobieren unterschiedlicher Rollen im Spiel. Weil das Kind nun Laufen gelernt hat, kann es seine Umgebung selbständiger erforschen. Es ist wichtig, dass das Kleinkind lernt, Dinge ohne fremde Hilfe anzugehen, eben z. B. alle möglichen Gegenstände zu erkunden. Dies fördert die Initiative. Auf der anderen Seite beginnt sich das Kind nun vermehrt mit seinem Geschlecht auseinander zu setzen. Dies führt schlussendlich zur ödipalen Situation. Beim Durchleben dieser Krise lernt das Kleinkind auch Schuldgefühle kennen. In dieser Zeit bildet sich das Gewissen aus. Ein erfolgreiches Erleben dieser Stufe ist dann gegeben, wenn das Kind gelernt hat, Initiative zu ergreifen, sowie den Umgang mit seinen Schuldgefühlen.

Werksinn gegen Minderwertigkeitsgefühl (6. Lebensjahr bis Pubertät)

Die Kind ist lernbegierig - "Ich bin, was ich lerne". Es erlernt Anerkennung durch die Herstellung von Dingen, durch kognitive Fähigkeiten zu gewinnen. Erfolgreich zu sein ist wichtig. Neben dem Drang zum Spielen entwickelt das Kind einen Werksinn, d. h., dass es darum geht, etwas Nützliches zu leisten. Diesen beiden Ansprüchen versucht die Schule, die in diesem Alter und auch noch länger besucht wird, gerecht zu werden. Neben dem spielerischen Lernen soll die Schule den Lernenden Möglichkeiten bieten, dass sie sich bestätigen können, in dem sie etwas Nützliches leisten. Falls hierbei die Erfolgserlebnisse ausbleiben, entwickelt sich mit der Zeit ein Minderwertigkeitsgefühl. Fixierungen, die entstehen können, betreffen Versagensängste oder generell die Angst vor bestimmten Aufgaben. Grundgelegt kann in diesem Alter auch ein das ganze Leben überschattendes mangelndes Selbstbewusstsein. Für eine gesunde Entwicklung ist es deshalb nötig, dass den Kindern Erfolgserlebnisse ermöglicht werden. Auf dieser Stufe wollen Kinder alles beobachten und auch selbst aktiv mitmachen; sie wollen von den anderen gezeigt bekommen, wie man etwas Bestimmtes macht und es dann auch selbst ausprobieren. Der Werksinn ist also das Bedürfnis des Kinds, dass es irgendetwas Nützliches macht, denn es möchte zumindest teilweise an der Welt der Erwachsenen teilnehmen. Gleichzeitig haben manche Kinder in diesem Lebensabschnitt das Gefühl, minderwertiger zu sein, wenn etwa ihre Fähigkeiten noch nicht ausreichen, das zu tun, was ein Erwachsener problemlos schafft. Manche Kinder in diesem Alter überfordern sich deshalb.

Identität gegen Identitätsdiffusion (13. bis 20. Lebensjahr)

Alle vorangehenden Phasen liefern Elemente für diese Phase: Vertrauen, Autonomie, Initiative, Fleiß. Dazu kommen die körperlichen Veränderungen und neuartige Ansprüche der Umwelt. Der Jugendliche stellt sich selbst in Frage und sucht seine Identität. Diese Identität sollte auf dem Hintergrund neuer sozialer Rollen gefunden werden: Auseinandersetzung und In-Frage-Stellen der Bezugspersonen, Rolle in der Gleichaltrigengruppe, Auseinandersetzung mit dem anderen Geschlecht, Rolle im Beruf. Mit der beschleunigten körperlichen Entwicklung stellt sich immer mehr die Frage: Wer bin ich? Die Antwort besteht darin, die bisher gesammelten Erfahrungen, die aus dem Bewältigen der vorherigen Krisen bestehen, zu einer Ich-Identität zusammen zu fügen. Diese Identitätsbildung gelingt besser, wenn man möglichst viele positive Erfahrungen gesammelt hat und dadurch ein gesundes Selbstvertrauen besitzt. Falls dies nicht der Fall ist, kommt es zu einer Identitätsdiffusion. Der einzelne Jugendliche bzw. die einzelne Jugendliche können keine stabile Ich-Identität entwickeln. Eine Folge davon ist, dass sich solche Jugendliche gerne Gruppen anschließen, die über klare Strukturen verfügen.

Intimität und Solidarität gegen Isolierung (20 bis etwa 45 Jahre)

Geklärte Identität erlaubt tragfeste Partnerschaft und Intimität. Erikson beschreibt die Phase als ein Sich-verlieren und Sich-finden im Anderen. Mit Hilfe einer gefestigten Ich-Identität wird es möglich, in einer Paarbeziehung Intimität zu erleben. Durch das Vorhandensein der Identität ist es möglich, sich dem Partner bzw. der Partnerin zu öffnen. Auf der anderen Seite steht die Isolierung, die damit erklärt werden kann, dass noch keine stabile Ich-Identität ausgebildet wurde. Es ist aber wichtig, dass die Erfahrung der Isolation oder auch der Distanzierung für alle wichtig ist. Wiederum geht es um ein sinnvolles Verhältnis, dass sich zwischen Intimität und Isolierung entwickeln muss.

Generativität gegen Selbstabkapselung (45 bis 65 Jahre)

Als Folge der Intimität kommt es zu Familiengründungen. Diese Phase ist vom Bedürfnis geprägt, Werte für kommende Generationen zu schaffen, weiterzugeben und abzusichern. Diese wiederum führen dazu, dass Kinder geboren werden. Erikson versteht unter der Generativität das Erziehen der nächsten Generation, sei dies als Eltern oder sonst in einer Form, die dieses Ziel vor Augen hat. Diese Haltung entwickelt sich nur, wenn ein grundsätzliches Gefühl des Vertrauens vorhanden ist. Das Gegenteil wird als Selbst-Absorption bezeichnet. Hierunter wird eine Vereinsamung verstanden, d. h., zwischenmenschliche Beziehungen werden wenig gepflegt usw. Diese Haltung führt zur Vereinsamung.

Integrität gegen Verzweiflung (65 Jahre bis Tod)

Im besten Fall kommt es in diesem Stadium zur vollen Reife, zur Bereitschaft, seinen einen und einmaligen Lebenszyklus zu akzeptieren, als etwas, das sein musste und das zwangsläufig keinen Ersatz zuließ. In dieser letzten Phase geht es also darum, das bisherige Leben so, wie es war, mit allen positiven und negativen Erlebnissen und Ereignissen zu akzeptieren. Dadurch wird es möglich in Ruhe zu leben. Oft bildet dies auch die Grundlage dafür, dass Menschen Führungsaufgaben übernehmen. Falls es nicht gelingt sein Leben zu akzeptieren, stellt sich Lebensekel ein. Daraus entsteht Enttäuschung und Unzufriedenheit über sein Leben.

Gestört wird die psychische Entwicklung des Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn es nicht gelingt, die in den jeweiligen Phasen auftauchenden Krisen zu meistern.

Erikson im Überblick (nach Tücke 1999)

Erikson Stufen der Entwicklung - Psychosoziale Krisen

Eine übersichtliche und ausführlichere tabellarische Darstellung findet sich bei Herbert Mück (2005):

 Phasen

 Psychosoziale
Phasen + Modi

 Psychosoziale Krisen

Radius
wichtiger
Beziehungen

 Grund-
stärken

Kernpathologie/ Grundlegende Antipathien

 Ich-
Erkenntnis

Verwandte Prinzipien der Sozialordnung

Bindende Ritualisierungen

 

Ritualismus

 

I: Säuglingsalter

Oral-respiratorisch; sensorisch kinästhetisch (Einverleibungsmodi)

 Grundvertrauen / Grundmisstrauen

 Mütterliche Person

 Hoffnung

 Rückzug

 Ich bin, was man mir gibt.

 Kosmische Ordnung

 Das Numinose

 

Idolismus

 

II: Kleinkindalter

Anal-urethral (Modi des Zurückhaltens und Ausscheidens

Autonomie / Scham + Zweifel

Elternpersonen

Wille

Zwang

Ich bin, was ich will.

Gesetz und Ordnung

Einsicht

Legalismus

 

 

III: Spielalter

Infantil-genital, lokomotorisch (Modi des Eindringens und Umschießens)

Initiative / Schuldgefühl

Kernfamilie

Entschlusskraft

Hemmung

Ich bin, was ich mir vorstellen kann zu werden.

Ideale Leitbilder

Das Dramatische

Moralismus

 

IV: Schulalter

Latenz

Regsamkeit / Minderwertigkeit

Nachbarschaft, Schule

Kompetenz

Trägheit

Ich bin, was ich lerne.

Technologische Ordnung

Das Formale (der Technik)

Formalismus

 

V: Adoleszenz

Pubertät

Identität / Identitätskonfusion

Peer-Groups und fremde Gruppen

Treue

Zurückweisung

Ich bin, was ich bin.

Ideologische Weltsicht

Das Ideologische

Totalismus

 

 

VI: Frühes Erwachsenenalter

 Genitalität

 Intimität /

 Isolierung

Partner in Freundschaft, Sexualität, Wettbewerb, Zusammenarbeit

 Liebe

 Exklusivität

 Ich bin, was mich liebenswert macht.

 Grundmuster von Kooperation und Rivalität

 Das Zusammen-schließende

Elitismus

VII: Erwachsenenalter

Prokreativität

Generativität / Stagnation

Arbeitsteilung und gemeinsamer Haushalt

Fürsorge

Abweisung

Ich bin, was ich bereit bin zu geben.

Zeitströmungen in Erziehung und Tradition

Das Schöpferische

Autoriarismus

 

VIII: Alter

Generalisierung der Körpermodi

Integrität /Verzweiflung

Die Menschheit , Menschen meiner Art

 Weisheit

 Hochmut

Ich bin, was ich mir angeeignet habe.

Weisheit

Das Philosophische

Dogmatismus


Erik Homburger Erikson wurde am 15, Juni 1902 in Frankfurt, Deutschland, geboren, sein biologischer Vater war ein namenloser Däne, der Eriks Mutter vor der Geburt des Kindes verließ. Seine Mutter, Karla Abrahamsen, war eine junge Jüdin, die ihn die ersten drei Jahre seines Lebens alleine groß zog. Dann heiratete sie Dr. Theodor Homberger, Eriks Kinderarzt, und die Familie zog nach Karlsruhe im Süden Deutschlands. Die Entwicklung der Identität scheint eine der größten Fragen in Eriksons Leben wie auch in seiner Theorie gewesen zu sein. Während seiner Kindheit und der frühen Erwachsenenjahre, war er Erik Homberger, seine Eltern hielten die Details seiner Geburt noch geheim. Er war ein großer blonder blauäugiger jüdischer Junge. In der Schule der Synagoge neckten ihn die anderen Kinder wegen seines nordischen Aussehens; am Gymnasium neckten sie ihn, weil er Jude war. Nach dem Abitur wollte Erik Künstler werden. Wenn er keine Kurse besuchte, bereiste er Europa, besuchte Museen, schlief unter Brücken. Er lebte das Leben eines sorgenfreien Rebellen. Als er 25 Jahre alt war, schlug ihm sein Freund Peter Blos – ein Künstler und späterer Psychoanalytiker – vor, er solle sich um die Stelle des Lehrers an einer experimentellen Schule für amerikanische Schüler bewerben, die von Dorothy Burlingham, eine Freundin von Anna Freud, geleitet wurde. Er unterrichtete nicht nur Kunst, sondern erhielt ein Zertifikat für Montessori Erziehung und eines von der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft. Er unterzog sich einer Psychoanalyse durch Anna Freud höchst persönlich. Während dieser Zeit lernte er auch Joan Serson, eine kanadische Tanzlehrerin an der Schule kennen. Sie hatten drei Kinder, von denen ein Sohn Soziologe wurde. Als die Nazis die Macht übernahmen, verließ die Familie Wien und zog erst nach Kopenhagen, dann nach Boston. Erikson wurde eine Stelle an der Harvard Medical School angeboten und privat praktizierte er als Kinderpsychoanalytiker. Während dieser Zeit traf er Psychologen wie zum Beispiel Henry Murray und Kurt Lewin, sowie Anthropologen wie Ruth Benedict, Margaret Mead und Gregory Bateson. Später dann unterrichtete er in Yale, und darauf an der University of California in Berkeley. Während dieser Zeit entstanden auch seine Untersuchungen des modernen Lebens unter den Lakota und den Yurok. Als er die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt, änderte er seinen Namen offiziell in Erik Erikson. 1950 schrieb er Childhood and Society, worin Zusammenfassungen seiner Untersuchungen unter den amerikanischen Ureinwohnern enthielt, daneben auch Analysen zu Maxim Gorki und Adolph Hitler, eine Diskussion der "Amerikanischen Persönlichkeit" und ein Abriss seiner Version der Freudschen Theorie. Diese Themen – der Einfluss der Kultur auf die Persönlichkeit und die Analyse historischer Gestalten – wiederholten sich in anderen Werken, von denen eines Gandhi's Truth, ihm den Pulitzer Prize sowie den National Book Award einbrachte. 1950 verließ Erikson Berkeley während der Terrorherrschaft des Senators Joseph McCarthy, weil die Professoren aufgefordert wurden, so genannte Loyalitätsverträge (loyalty oaths) zu unterzeichnen. Er verbrachte zehn Jahre in Massachussets, wo er an einer Klinik arbeitete und unterrichtete, dann zehn weitere Jahre wieder in Harvard. Nachdem er sich 1970 zur Ruhe gesetzt hatte, schrieb und forschte er weiterhin zusammen mit seiner Frau. Erik Erikson starb 1994.

Literatur

Boeree, C. G. (1997). Personality Theories. ERIK ERIKSON. Übersetzung von D. Wieser.
WWW: http://www.ship.edu/~cgboeree/perscontents.html (12-06-09)

Mück, Herbert (2005). Erik H. Erikson Lebenszyklus.
WWW: http://www.dr-mueck.de/ (06-05-18)

Tücke, M. (1999). Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters für (zukünftige) Lehrer.
WWW: http://dueker.psycho.uni-osnabrueck.de/ewp/inhalt.htm (06-01-06)



inhalt :::: nachricht :::: news :::: impressum :::: datenschutz :::: autor :::: copyright :::: zitieren ::::


navigation: