Was immer du schreibst - schreibe kurz, und sie werden es lesen,
schreibe klar, und sie werden es verstehen, schreibe bildhaft,
und sie werden es im Gedächtnis behalten.
Joseph Pulitzer
Unverständlichkeit ist noch lange kein Beweis für tiefe Gedanken.
Marcel Reich-Ranicki
Die Verständlichkeit von Texten
Jeder Lernende muß viel lesen und verstehen, um sachkundig handeln zu können. Aber das wird uns nicht immer leicht gemacht. Man muß sich hindurchbeißen durch verschachtelte Satzkonstruktionen und durch unnötig komplizierte Wörter und Wortgebilde.
Warum sind manche Texte so schwer zu verstehen?
Oft hört man das Argument: "Der Grund für Schwerverständlichkeit liegt in der Sache - schwierige Dinge lassen sich eben nicht einfach erklären". Das stimmt aber nicht. Wenn der Text schwer zu verstehen ist, so liegt das selten an seinem Inhalt. Der Inhalt ist meisten gar nicht so kompliziert. Er wird erst kompliziert gemacht - durch schwerverständliche Ausdrucksweise.
Lehrmaterial sollte verständlich formuliert sein. Die wichtigsten Merkmale der Verständlichkeit sind:
Alle diese Merkmale wirken sich auf die Verständlichkeit eines Textes aus.
Beziehungen zwischen den Merkmalen
Diese vier Merkmale stehen nicht in einen eindeutigen Zusammenhang zu einander. Einerseits kann es gut gegliedert und sehr weitschweifig oder kurz und ungegliedert sein. Das eine Merkmale sagt nichts über die anderen aus. Eine Ausnahme bilden jedoch die Merkmale Kürze - Prägnanz und Anregende Zusätze .
Sie stehen jedoch nicht vollständig unabhängig voneinander. Der Schreiber befindet sich in einem Konflikt: Kürze oder Anregung? Der Idealfall wäre: Die Anregenden Zusätze sind selbst kurz und ganz auf das Informationsziel ausgerichtet.
Beurteilungsmöglichkeit für Verständlichkeit eines Textes
Was läßt sich anhand eines Beurteilungsfensters über die Verständlichkeit eines Textes aussagen? Und wo liegt für jedes Merkmal das Optimum, also das günstigste Urteil für Verständlichkeit?
- Einfachheit
Das Optimum liegt bei ++ (einfache Aufnahme des Informationsinhaltes)
- Gliederung - Ordnung
Optimum ++ (klare Übersichtlichkeit, gute Unterscheidung von Wesentlichem zu Unwesentlichem)
- Kürze - Prägnanz
Das Optimum liegt in der Mitte zwischen + und 0 (knappe und gedrängte Sätze -- erschweren
ebenso das Verständnis wie weitschweifende Texte ++).
- Anregende Zusätze
Das Optimum liegt zwischen 0 und + .
Ein optimal verständlicher Text kann also insgesamt durch folgendes Beurteilungsfenster gekennzeichnet werden.
Einfachheit |
|
Kürze
- Prägnanz |
Anregende
Zusätze |
Zum Erlernen des Schemas bzw. der Umsetzung übt man am besten an einigen Beispielen die Einschätzung mittels des Beurteilungsfenster und versucht dann, die Qualität der Texte in Richtung Verständlichkeit zu verbessern.
Dieses Hamburger Verständlichkeitsmodell von Reinhard Tausch, Inghard Langer und insbesondere von Friedemann Schulz von Thun war im Rahmen des Forschungsprojekts "Textverständlichkeit" in den siebziger Jahren entstanden und zielte auf die Analyse und Verbesserung von Texten. Es handelt sich dabei um einen induktiv-empirischer Ansatz unter faktorenanalytische Aufbereitung von Expertenurteilen ("Eindrucksurteile") zur Bestimmung von Textmerkmalen. Aus Untersuchungen ergab sich der höchste Stellenwert für die Dimension der sprachlichen Einfachheit, gefolgt von Gliederung/Ordnung, Kürze/Prägnanz und zusätzliche Stimulanz.
Im Gegensatz und in Kritik dieses induktiv-empirischen Ansatzes hat Norbert Groeben (1972) einen theoretisch-deduktiven Weg eingeschlagen und auf der Basis verschiedener sprachpsychologischer, lerntheoretischer und motivationspsychologischer Ansätze vier verschiedene Verständlichkeitsdimensionen entwickelt. Seine Kritikpunkte am Modell von Schulz von Thun Theorielosigkeit des Ansatzes betraf vor allem den alleinigen Rückgriff auf Eindrucksurteile von Experten zur Bestimmung der relevanten Textmerkmale. Außerdem lassen sich die Verständlichkeitsmerkmale kaum in konkrete Anweisungen für die Produktion verständlicher Texte umsetzen.
Groebens Dimensionen stellen "in erster Linie zunächst einmal generelle Richtlinien zur Erreichung optimaler Verständlichkeit bei der Textproduktion dar, woraus sich dann bestimmte verständlichkeitsfördernde Elemente der Textgestaltung ableiten lassen:
- Stilistische Einfachheit
- kurze Satzteile
- aktive Verben
- aktiv-positive Formulierungen
- keine Nominalisierungen
- persönliche Wörter
- keine Satzverschachtelungen
- Semantische Redundanz
- keine wörtliche Wiederholungen
- stattdessen: sinngemäße Wiederholungen wichtiger Textinformationen
- keine Weitschweifigkeit
- Kognitive Strukturierung
- Verwendung von Vorstrukturierungen
- Hervorhebungen
- Zusammenfassungen
- Beispiele
- Unterschiede und Ähnlichkeiten
- Kognitiver Konflikt
- Neuheit und Überraschung
- Inkongruenzen
- Alternative Problemlösungen
- Fragen
Nach Christmann & Groeben (1999) erwies sich in empirischen Untersuchungen die Dimension der inhaltlichen bzw. kognitiven Strukturierung als die wichtigste und rangierte deutlich vor der stilistischen Einfachheit; semantische Redundanz wirkt nur in Kombination mit stilistischer Einfachheit verständnisfördernd und inhaltliche, kognitive Strukturierung verbessert nur in Kombination mit der Dimension des kognitiven Konfliktes das Behalten von Textinformationen. Daher ist eine mittlere Verständlichkeit für das Lernen mit Texten aus motivations- und kognitionspsychologischen Gründen am günstigsten.
Bewertung von Internetseiten anhand der vier Faktoren der Verständlichkeit
Sonja Sommerauer nutzt dieses Schema zur Bewertung von Internetseiten zum Thema "Schulangst". Sie lieferte eine kommentierte Linkliste und vergleicht bzw. bewertet einige einschlägige Webseiten anhand dieses Schemas (https://www.stangl.eu/psychologie/entwicklung/schulangst.shtml).
Quellen:
Christmann, Ursula & Groeben, Norbert (1999). Psychologie des Lesens (S. 145-223). In Franzmann, Bodo, Hasemann, Klaus, Löffler, Dietrich & Schön, Erich (Hrsg.), Handbuch Lesen. München: Saur.
Gröben, N. (1972). Die Verständlichkeit von Unterrichtstexten. Münster.
Schulz von Thun, F. (1981): Miteinander reden: Störungen und
Klärungen. Hamburg: Rowohlt.
Langer, I., Schulz v. Thun, W. & Tausch, R.(1974).
Verständlichkeit in Schule, Verwaltung, Politik und
Wissenschaft. Reinhardt: München.
Empfehlenswert auch:
Beats Biblionetz: Begriff
Verständlichkeit [http://beat.doebe.li/bibliothek/w00348.html]
Juristische Sprache und Verständlichkeit
Oft erscheinen Gesetze wie ein Buch mit sieben Siegeln. Eine
MIT-Studie hatte juristische Sprache mit Zaubersprüchen verglichen und
stellt fest, dass selbst Laien beim Verfassen von Gesetzestexten
komplizierte Satzstrukturen verwenden, wobei selbst die Nicht-Juristen
die im Englischen für die Rechtssprache typischen Satzeinschübe
verwendeten. Dieses Verschachteln von Sätzen und Aussagen trete auch
dann auf, wenn nicht erst nachträglich Informationen und Definitionen in
bereits bestehende Texte eingefügt werden, sondern werde von
Nicht-Juristen von Beginn an adaptiert.
Experten sehen die Gründe für die Komplexität in der Notwendigkeit von Präzision und Bestimmtheit sowie in der Vielschichtigkeit der behandelten Themen. Die deutsche Rechtssprache wird als komplexe Fachsprache beschrieben, die oft Alltagsbegriffe als Fachbegriffe verwendet. Dies dient der Genauigkeit, kann aber zu Verwirrung führen. Der demokratische Gesetzgebungsprozess trägt zur Komplexität bei, da verschiedene Interessen berücksichtigt werden müssen. Eine Vereinfachung der Sprache ist schwierig, da sprachliche Änderungen oft inhaltliche Veränderungen nach sich ziehen. Die Autorität, die Gesetzestexte ausstrahlen, wird als notwendig erachtet, um die Befolgung der Regeln zu gewährleisten. Es besteht dabei ein Spannungsfeld zwischen Autorität, Verständlichkeit und Akzeptanz. Die komplizierte Sprache in Gesetzen und Verwaltungsdokumenten kann zu Verständnisproblemen und mangelnder Akzeptanz führen. Experten plädieren für eine Balance zwischen fachlicher Präzision und Verständlichkeit, räumen aber ein, dass dies in der Praxis oft schwierig umzusetzen ist.
Daraus leitete man ab, dass die Rechtssprache, deren Stil die Autoren als verworren beschreiben, eine besondere Art von Autorität ausstrahlen soll. Doch lassen sich diese Erkenntnisse auf deutschsprachige Gesetzestexte und deren Entstehung hierzulande übertragen? Experten sind skeptisch.
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