Absichtsvolles und aktives Lernen
ist ein großes Thema in Erziehung, Psychologie und den
Neurowissenschaften, wobei zahlreiche Studien belegen, dass beim aktiven
Lernen Aufmerksamkeit, Motivation und kognitive Kontrolle erhöht sind
und so das Gelernte besser behalten wird. Bei Mäusen hatte man den
zugrunde liegenden Mechanismus entdeckt und versucht nun, diesen auch
bei Menschen nachzuweisen. Estefan et al. (2021) haben bei Menschen die
physiologischen Mechanismen identifiziert, die dafür verantwortlich
sind, dass diese besonders effizient lernen, wenn sie es selbstbestimmt
und aus einer Eigenmotivation heraus tun. Man untersuchte die
Theta-Wellen bei Menschen mit Epilepsie, denen Elektroden in das Gehirn
implantiert worden waren, wenn diese ein Spiel in einer virtuellen
Realität absolvierten. Dabei mussten sie entlang einer Strecke
navigieren und sich Bilder einprägen, die an unterschiedlichen Stellen
des Wegs präsentiert wurden. Die ProbandInnen konnten sich dabei
entweder aktiv in der virtuellen Umgebung bewegen oder sahen nur die
Bilder entlang eines Pfades, den ein anderer Teilnehmer zurückgelegt
hatte, d. h., in diesem Fall hatten sie also keine Kontrolle darüber,
wie sie sich die verschiedenen Objekte in der virtuellen Umgebung
einprägen konnten. Nach der Aufzeichnung der elektrophysiologische
Aktivität im Hippocampus während der Navigationsaufgabe überprüft man,
wie gut sich die ProbandInnen nach dem Versuch an die Objekte erinnern
konnten. Bei Versuchspersonen, die aktiv navigieren durften, konnte man
einen Anstieg der Theta-Oszillationen beobachten, die das Lernen und
anschließend das Erinnern effizienter gemacht haben. Es gab allerdings
zwei aufeinanderfolgende Phänomene, die zeitlich nur Millisekunden
auseinanderlagen: eines korrespondierte mit dem Einspeichern der
Information, das andere mit dem Abruf der zuvor gespeicherten
Information, also einer Reaktivierung des Gedächtnisses. Tatsächlich
zeigten ProbandInnen, die frei durch die virtuelle Umgebung navigierten
und Informationen somit besser speichern und erinnern konnten, eine
ähnliche Theta-Aktivität, wie sie zuvor bei den Mäusen beobachtet worden
war. Daraus kann man schließen, dass auch die Willenskraft entscheidend
ist, um Informationen ins Gedächtnis zu integrieren, was nichts anderes
bedeutet, dass Menschen, die gezwungen werden, etwas zu lernen, diese
Inhalte schlechter im Gedächtnis behalten.
Der Begriff der Motivation ist durch den inflationären Gebrauch und
die weitgehend akzeptierte Selbstverständlichkeit als Voraussetzung für
Lernprozesse zu einer Leerformel verkommen, wobei diese häufig
auch als Erklärung bzw. Ausrede für mangelnden Lehr- und Lernerfolg
herhalten muss. Schon Grell & Grell (1979) hielten die als
Allheilmittel propagierten Motivationstheorien für unbrauchbar bzw.
unter Umständen sogar für schädlich. Ihre Argumente sind:
Das Wort "Motivation" ist zu einer Zauberformel geworden, die beinahe alles bedeuten kann.
Die Unterscheidung zwischen intrinsischer und
extrinsischer Motivation führe zu dem Aberglauben, dass man
Motivationszustände bei Schülern entweder von außen anschalten kann oder
aber dass sie der einzelne Schüler von sich aus innerlich anschaltet.
Die moralische Forderung "Du sollst intrinsisch motivieren" belaste den
Lehrer - ohne ihm zu helfen.
Die Vorstellung, Motivation sei etwas, was am Beginn
von Unterrichtsstunden stattzufinden habe und was vom Lehrer zu
induzieren sei, ist abzulehnen: Man könne nicht durch Tricks ganze
Klassen ad hoc motivieren, und zwar so, dass diese Motivation für 45
Minuten ausreicht.
Der Begriff "Motivation" sei viel zu allgemein, um
irgendeine praktische Verwendbarkeit zu haben. Er gebe weder an, wie man
Motivation diagnostizieren, noch wie man sie induzieren soll.
Die Ideologie von der sagenhaften Effektivität einer
Motivierungsphase habe den Fehler, dass niemals genau beschrieben wird,
welche Effekte es eigentlich genau sein sollen, die man erwarten könne.
Der Zustand der Motivation des Schülers wird weder beschrieben noch
gemessen. Es gibt auch keinen Beweis dafür, dass solche
Motivierungsphasen zu langfristigen Lerneffekten führten.
Grell & Grells (1999, S. 138f) Folgerung ist: "Wo sind
die präzisen Theorien und experimentellen Ergebnisse, die es
wahrscheinlich machen, dass Stundeneinstiegsmotivierungsversuche und
kurz- und langfristig messbare Eigentümlichkeiten des Schülerverhaltens
in eine Ursache-Wirkungskette gehören? Sie existieren nicht. Woher weiß
ich, dass mein toller Einstieg dafür verantwortlich ist, dass die
Schüler so gut mitmachen und so viel lernen? Ich weiß es gar nicht,
sondern ich bilde es mir ein, weil es mir jahrelang immer wieder
eingeredet worden ist. (...) Kein Lehrer ist verantwortlich, die Schüler
zu motivieren. Schüler sind Menschen. Und Menschen motivieren sich
selbst - oder sie lassen es bleiben.
Grell & Grells (S. 152) Rezept ist Motivierung durch
Aufzeigen von Lern- bzw. Handlungszielen: "Versuchen Sie nicht, nach
einer prunkvollen Motivierungsidee zu suchen, die die Schüler zum Lernen
verführt, sondern nehmen Sie die Schüler als vernünftige Wesen ernst
und sagen Sie ihnen am Stundenbeginn so einfach und so klar und so
interessant, wie Sie es nur formulieren können, was in der Stunde
passieren soll und warum. Erzählen Sie den Schülern alles, wenigstens
alles Wichtige, über den Plan der kommenden Stunde, den Sie in Ihrem
Kopf haben. Schreiben Sie die wichtigsten Punkte an die Tafel, auf eine
Folie oder auf das Arbeitspapier, damit die Schüler eine Übersicht über
Ihren Plan bekommen und dort immer wieder "nachschlagen" können."
Wichtig ist, "dass die Schüler um ihr Einverständnis mit dem
Unterrichtsplan gebeten werden".
Argumente pro und contra informierendem Unterrichtseinstieg
Argumente pro
Argumente contra
Ein informierender Einstieg koste nichts: Man brauche weder viel Zeit dafür noch geniale Ideen.
Man müsse sich vorher klar werden, was man im Unterricht wolle. Man müsse seinen Unterricht gut strukturieren.
Man gewöhne sich daran, den Unterricht aus der
Perspektive der Schüler zu sehen, indem man den Plan für sie
verständlich darstelle.
Ein solcher Einstieg erleichtere es Schülern und Lehrern, beim Thema zu bleiben. Abweichungen seien trotzdem erlaubt.
Schüler reagierten in der Regel positiv auf einen informierenden Unterricht (sie engagierten sich mehr, seien disziplinierter).
Schüler könnten so das Ziel des Unterrichts und eventuell auch den Sinn ihres Tuns erkennen.
Die Schüler wüssten dann ja schon alles im Voraus: Alle Spannung und Spontaneität seien dann weg.
Wenn man die Lernziele angebe, dann sinke das Interesse der Schüler sofort auf den Nullpunkt.
Wichtig sei, dass man den Schülern nicht einfach etwas vorsetze, sondern dass die Schüler selbst etwas herausfinden könnten.
Die Mitteilung der Ziele fördere den Opportunismus: Die Schüler machten nur noch, was der Lehrer wolle und weil er es wolle.
Das Verfahren sei zu sachlich, zu kalt, zu mechanisch und nicht natürlich und kindgemäß.
Ein solcher Einstieg sei nicht in allen Stunden brauchbar.
Ein solcher Einstieg passe für höhere Klassen, aber nicht für die "Kleinen".
Bei einem solchen Einstieg könnten die Schüler den Lehrer kontrollieren: Was er geschafft, bzw. nicht mehr geschafft habe.
Die Schüler würden so zu stark gelenkt. Man könne als Lehrer nicht mehr auf den Verlauf der Stunde reagieren.
Checkliste zum informierenden Unterrichtseinstieg
inhaltliche Aspekte
sozial-emotionale Aspekte
dauert maximal 5 Minuten
Lernziele werden genannt und erläutert
Lernziele werden begründet
Übersicht über Stundenverlauf geben
erklären, in welchem Zusammenhang das Thema zu früheren oder zukünftigen Unterrichtsinhalten steht
deutlich machen, dass es sich bei Plan um einen Vorschlag handelt (Schüler dürfen Stellung nehmen)
auf Mitbestimmungsmöglichkeiten hinweisen
Lehrer drückt positive Erwartungen aus
Lehrer wirkt kontaktbereit, freundlich, die Schüler ansprechend
Lehrer gibt zu erkennen, wie er persönlich zum Lehrstoff steht
Literatur
Daniel Pacheco Estefan, Riccardo Zucca, Xerxes Arsiwalla, Alessandro
Principe, Hui Zhang, Rodrigo Rocamora, Nikolai Axmacher & Paul F. M.
J. Verschure (2021). Volitional learning promotes theta phase coding in
the human hippocampus. Proceedings of the National Academy of Sciences,
doi:10.1073/pnas.2021238118.
Grell, J., & Grell, M. (1999). Das Rezept des informierenden
Unterrichtseinstiegs (S. 134-171). In J. Grell & M. Grell (Hrsg.),
Unterrichtsrezepte. Weinheim: Beltz.