Serious Games - Computerspiele im Unterricht
Zwar gilt der Einsatz moderner Technologie in der Schule seit Jahren als logische Weiterentwicklung des Unterrichts, aber im Rahmen eines amerikanischen Pilotprojekts, bei dem Schüler an Laptops lernen, das Internet im Unterricht verstärkt eingesetzt wird und Lehrer als Wegweiser und weniger als Vortragende gesehen werden, konnten keine Verbesserungen der Lernerfolge erzielt werden. Während Schüler und Lehrer durchwegs positiv von ihren Erfahrungen berichten, blieb das Leistungsniveau seit fünf Jahren auf dem gleichen Stand, bzw. feien die Schulen im Vergleich zu anderen Bezirken zurück. Die Befürworter der neuen Technologien jedoch, dass die Schüler durch moderne Technik die Möglichkeit haben, in ihrem eigenen Tempo zu lernen, und auch der Umgang mit Computern sei im Hinblick auf das Berufsleben essentiell. Auch seien die Leistungsdaten durch standardisierte Tests erhoben worden, wobei die besondere Fähigkeiten, die durch den Einsatz von diesen Medien im Unterricht erlernt werden, nicht berücksichtigt werden.
Zu den speziellen Thema des Einsatzes von Computerspielen im Unterricht gab der Autor der Arbeitsblätter einer Journalistin ein Interview, das unter dem Titel "Serious Games: Der Ernst des Spielens" am 28. August 2011 in der Presse veröffentlicht wurde. Hier der vollständige Text des Interviews mit Fragen und Antworten:
Was müssten Ihrer Meinung nach Bedingungen für den Einsatz von Computerspielen im Schul-Unterricht sein?
Computerspiele machen auf Grund des höheren Aufwandes nur dann Sinn, wenn sie didaktisch anderen Medien zumindest gleichwertig sind, d.h., es gilt wie bei allen anderen Medien auch immer abzuwägen, ob die Unterrichtsziele damit erreichbar sind. Ein Computerspiel ist ein Medium wie andere auch, wobei Medien an sich im Unterricht immer nur einen Teilaspekt darstellen und in einen Medienmix eingebettet sind. Es ist eine Illusion zu glauben, dass ein Medium allein so attraktiv sein kann, um schlechten Unterricht zu kompensieren. Nicht zuletzt muss auch die Kompetenz und Persönlichkeit des Unterrichtenden zum Medium „passen“.
Sind Computerspiele ihrer Meinung nach geeignet, um Wissen zu vermitteln und zu festigen?
Im Prinzip ist jedes Medium dazu geeignet, sinnvoll eingesetzt Wissen zu vermitteln. Wenn man von einem Automobil überfahren wird, dann lernt man auch jede Menge über Physik. Computerspiele können durch ihre „Geduld“ und bei entsprechender Interaktivität bei der Vermittlung komplexer Sachverhalte unterstützend eingesetzt werden. Auch im Bereich von Übung und Wiederholung haben sie ihren Platz. Bis zu einem gewissen Grad kann man auch die gelungene Vermittlung von Wissen damit überprüfen, etwa wenn bestimmte Kenntnisse eingesetzt werden müssen, um gestellte Aufgaben in einem Computerspiel zu lösen.
Wie muss ein gutes Lern-Spiel aussehen und funktionieren?
Hier gibt es keine allgemeinen Regeln, denn wie bei allen Medien kommt es immer auf den Gesamtkontext an. Im konkreten Beispiel des Physikunterrichts, wo es um Zusammenhänge in der realen Welt geht, muss erst nachgewiesen werden, ob eine Virtualisierung ohne etwa die haptische Komponente zu einem Transfer des Wissens führen kann. Konkret: kann man an Hand eines Buches Bogenschießen oder Tennis erlernen? Eher schon kann man wohl beim Tennis oder beim Bogenschießen eine Menge über Physik lernen. 3D-Spiele, so hype sie derzeit sein mögen, machen vieles vielleicht „anschaulicher“ aber nicht automatisch „begreifbarer“. Auch kommt wie bei jedem Unterricht die didaktische Komponente, also die Lehrerin oder der Lehrer ins Spiel, die im Unterricht immer das zentrale Medium sein wird, nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, dass sie ja die Rahmenbedingungen für die Motivation schaffen müssen, sich überhaupt für den Stoff zu interessieren. Auch wird sich an der Art und Weise, wie Menschen lernen, nicht grundlegend etwas ändern.
Können Computerspiele Lehrbücher ersetzen?
Beides sind Medien und können einander ergänzen aber nicht ersetzen. Es kommt auch hier immer auf die Unterrichtsziele an, die man als Lehrerin oder Lehrer erreichen möchte. Ein Medium allein vermittelt überhaupt nichts, erst in der Interaktion mit einem motiviert Lernenden kann es wirksam werden. Wenn sich eine Schülerin eher für Bücher als für Computer interessiert bzw. vielleicht sogar eine Abneigung dagegen entwickelt hat, kann das Spiel noch so gut gemacht sein, der Lernerfolg wird auf Grund mangelnden Interesses gering bleiben.
Was sind die größten Nachteile bzw. Risiken von Lern-Computerspielen?
Wie alle Medien kommt es nach einer gewissen Zeit zu einem Gewöhnungseffekt. Computerspiele haben einerseits auf Grund ihrer Multimedialität per se eine gewisse Attraktivität, allerdings sollte man auf Grund der gegenwärtigen Präsenz in den Kinderzimmern nicht darauf schließen, dass diese Faszination auch in der Schule funktioniert. Es darf auch nicht vergessen werden, dass Multimedialität immer das Risiko der Überforderung enthält, denn die Sinneskanäle des Menschen werden sich evolutionär wohl nicht so rasch ändern, wie man an der zunehmenden Inkompetenz auch von Kindern aber auch Erwachsenen erkennen kann, sich längere Zeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Multimedialität produziert letztlich noch mehr Informationsmengen, die erst recht wieder selektiv reduziert werden müssen, um aufgenommen werden zu können.
Natürlich besteht auch ein gewisses Suchtrisiko, zumal es bei manchen zum übermäßigen Konsum neigenden Kindern und Jugendlichen durch den zusätzlichen Einsatz im Unterricht möglicherweise zu einer Verstärkung kommt. Es kann natürlich auch einen Abstumpfungseffekt geben, wobei sich das Suchtpotenzial von Lernspielen wohl ohnehin in Grenzen hält.
Man sollte auch nicht den Aufwand unterschätzen, der notwendig sein wird, das System Schule und nicht zuletzt die Lehrerinnen und Lehrer davon zu überzeugen, dass Computerspiele im Unterricht Sinn machen. Sich eine Entlastung der Lehrenden zu erwarten, ist eine Illusion, zumal bei diesem Medium zumindest zu Beginn zusätzlicher nicht nur technischer Aufwand erforderlich sein wird. Auch der Aufwand, hochwertige Computerspiele zu entwickeln, die für den Unterricht tatsächlich geeignet sind, wird bald an Budgetgrenzen stoßen.
Worin liegen die größten Vorteile?
Da die Lebenswelt der Menschen von Computern und auch Computerspielen immer mehr durchdrungen wird, ist der Umgang mit ihnen eine Selbstverständlichkeit geworden, sodass es kaum noch nichtcomputeraffine Lebensbereiche gibt. Selbst Aus- und Weiterbildungen in der Wirtschaft erfolgen schon über Computerspiele, sodass die Schule als Lebensvorbereitung ohnehin nicht daran vorbeigehen kann. Pointiert formuliert kann man sagen, dass man durch Computerspiele im Unterricht zunächst einmal lernt, Computerspiele zu spielen. Es werden also in jedem Fall gewisse Kompetenzen im Umgang mit dem Medium vermittelt.
Bei entsprechend didaktischer Gestaltung können Computerspiele manches sicher besser vermitteln als andere Medien. Mit Maß eingesetzt und im Kontext mit anderen Medien sind sie sicher eine Bereicherung, wobei auch die Eigenaktivitätskomponente hinzukommt. Das Potenzial, dass dieses Medium etwa neben dem Internet besitzt, sollte aber nicht automatisch gleichgesetzt werden mit dessen Realisierung.
Sinnvoll können m. E. solche Medien kompensatorisch eingesetzt werden, also um etwa Schwächen bei einzelnen Schülern in einem Fach auszugleichen, oder auch versäumten Lernstoff nachzuholen.
Gibt es Fachgebiete bzw. Unterrichtsfächer, die sich besser für den Einsatz von Computerspielen eignen als andere?
Alle Unterrichtsmedien müssen adressatengerecht sein, d.h., Kinder unterscheiden sich erheblich darin, über welches Medium sie in der Lage sind, sich ein konkretes Wissen anzueignen. Vermutlich gibt es kein Unterrichtsfach, für das man keine Spiele entwickeln kann. Wenn sich die zu erwartende Anfangseuphorie gelegt hat, sollte man nüchtern eine Evaluation durchführen, also die Nützlichkeit für den Unterricht im Vergleich mit anderen Medien bewerten. Hier ist insbesondere ein Vergleich mit zahlreichen im Internet vorhandenen anschaulichen und interaktiven Lernseiten angebracht, wobei ein fließender Übergang etwa in Form von Webquests empfehlenswert ist, also das Einbinden von Computerspielen in komplexere Lehr-Lern-Arrangements, die das handlungsorientierte und selbstgesteuerte, aber teilweise auch autonome Lernen fördern.
Dieses Interview bezog sich auf ein konkretes Computerspiel zum Physikunterricht: "Der Titel Ludwig, den die Wiener Entwickler Ovos in Zusammenarbeit mit der Donau-Uni Krems gestaltet haben, erklärt grundlegende physikalische Vorgänge. Mit einem comichaften, außerirdischen Roboter sollen Schüler ab elf Jahren im ersten Kapitel etwa das Phänomen Verbrennung untersuchen und systematisieren. Das Erkennen des Bekannten mit anderen Augen mag dem Lernen dienlich sein, die detaillierte 3-D-Spielewelt, die Story, die an gewohnte TV- und Spielarchetypen anschließt, und Charaktere, die Witz und Selbstironie aufbringen, ebenso. Ob das Setting und nicht per Sprachausgabe vorgelesene Dialoge den Kids cool genug sind, wird sich im ersten Jahr des Gebrauchs zeigen. Ludwig soll durch Lizenzsponsoring vorerst ca. 10.000 Schülern zugänglich gemacht werden."
[Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=gC0mWFNrowM]
Als Reaktion auf den Artikel in der Presse erhielt ich noch am selben Tag folgende interessante Stellungnahme per Email:
Sg. Herr Dr. Stangl!
Die PRESSE zitiert Sie heute online mit Statements zur Thematik des game based learnings.
"Trotz des allgemeinen „Hypes“ um Computerspiele sollte der Einsatz im Unterricht jedoch mit Bedacht erfolgen, findet Werner Stangl vom Institut für Pädagogik und Psychologie an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Lehrer müssten erst den Umgang mit dem neuen Medium lernen, und auch nicht jeder Schüler sei automatisch ein leidenschaftlicher Computerspieler. Das oft kritisierte Suchtpotenzial schätzt der Experte bei Lernspielen als eher gering ein. Vielmehr könne ein gezielter Einsatz im Unterricht, der von einem Lehrer begleitet wird, den richtigen Umgang mit dem Medium lehren. Da Computerspiele teilweise auch in der Aus- und Weiterbildung in der Wirtschaft eingesetzt werden (zum Beispiel von BMW, siehe Kurzbericht oben), sei eine Vorbereitung darauf in der Schule wünschenswert.
Ein großes Problem ortet Stangl bei der Finanzierung. „Hochwertige Computerspiele zu entwickeln, die für den Unterricht tatsächlich geeignet sind, wird bald an Budgetgrenzen stoßen“, sagt Stangl."
Wir machen beim schwierigsten schulischen Klientel (behinderte Kinder) seit Jahren diese Methodik des gbl und medialen Lernens mit verblüffenden Erfolgen, die sogar soweit geführt haben, dass wir neben vielen Preisen auch jetzt zur besten Schule Österreichs (Sonderpreis Vielfalt) von einer unabhängigen Jury gerade deswegen auch erkoren wurden.
www.asolangenstein.eduhi.at - Lehrer (Lehrerinnen - die männliche Form gibt es immer weniger...) den Umgang zu lehren ist völlig unnötig, und wird auch nicht gemacht (lt. BMUKK beschäftigen sich seit Jahren in Öst. nur 15% der KollegInnen damit, obwohl die Effizienz dabei (im Vergleich zum Papierkram), wenn es richtig gemacht wird, ungleich höher wäre. Die Kinder sind längst die ExpertInnen dabei geworden, die Rolle der LehrerInnen ist dabei völlig anders zu sehen. Die Schule hat durch dieses krampfhafte Festhelten der überlieferten Strukturen völlig überseehen, dass das Bildungsmonopol abahnden gekommen ist. Diese Haltung, es nur ein "bißchen" zu betreiben hat bei den Kindern meist nur müdes Lächeln zur Folge, wenn man bedenkt, dass 92% der Kinder in OÖ täglich spielen und einen Internetzugang verwenden. Wir erleben momentan wieder einmal einen Lernpessimismus diesen moderne Lernformen, wie er immer zu sehen war, wenn ein Wandel anstand. (z.B. Lesen, wo man auch einmal glaubte eine "Leseratte" sei etwas Furchtbares...) Ein Blick in die aufstrebenden Länder des asiatischen Raumes zeigt schnell wie hoffnungslos rückständig und damit auch abgeschlagen wir sind. In allen Studien sacken wir immer mehr ab, während die Tugerstaaten mit ihren elektronischen Methoden aufrangieren (manche Staaten haben dort kaufen jedem Kind ein Lern Tablet...) Wir beklagen lieber die Wirtschafstmisere den drohenden Zusammenbruch des Systems, während China mit vollen Kriegskassen in diese neuen Methoden investiert.
Wie sollen Lehrerinnen nun das "gezielt" begleiten, wenn ihnen die Kompetenz dazu völlig fehlt, wenn 10 jährige heute sich besser auskennen als altgediente Schuldamen und -herren??? Sie beschäftigen sich meist überhaupt nicht damit und sollen es dann andere lehren???
Auch das Geld ist nicht die Frage, einmal abgesehen davon, dass es diese Spiele tonnenweise gibt und große Globalplayer inzwischen stark investieren (nur leider nicht bei uns, weil der päd. Widerstand so groß ist) ist ja beinahe jedes Spiel brauchbar , um entsprechende Fertigkeiten zu übermitteln. Ich habe sogar eine Art Brauchbarkeitsskala für diese Spiele, angepasst an den öst. Lehrplan entwickelt, welche die Brauchbarkeit in Prozenten f. beliebige Spiele als Ergebnis auswirft.
Die Grenzen liegen kaum in den Finanzen, sondern weit mehr in der Bereitschaft in einer Aufbruchstimmung und mit Innovationsgeeist Neues zu probieren. Man würde schnell sehen, dass man allein durch das Abholen der Kinder aus ihren Lebenswelten (die nun mal die modernen Medien sind) und geschickten Einsatz im Unterricht, verblüffende Erfolge erzielen kann. Wir können das seit Jahren bei unseren Kindern, die sicherlich das schwierigste Klientel sind, beobachten...
mfg Erich Pammer
Dir. Prof. Erich Pammer, MSc, MAS, M.A.
Bildquelle: http://www.asolangenstein.eduhi.at/ (11-08-28)
Links
http://paedpsych.jku.at/PPP-News/?p=526 (11-08-28)
http://diepresse.com/home/bildung/schule/hoehereschulen/688752/Serious-Games_Der-Ernst-des-Spielens (11-08-28)
http://derstandard.at/plink/1316733490935?sap=2&_pid=23085532#pid23085532 (11-09-30)
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