Die kognitive Entwicklung
Freies Fragen wird verhindert werden, solange es Ziel der Erziehung ist, Überzeugung statt Denken hervorzubringen.
Bertrand Russell
Unter kognitiver Entwicklung versteht man die Entwicklung all jener Funktionen, die dem Erkennen und Erfassen der Gegenstände und Personen der Umgebung und der eigenen Person gelten. Zu diesen Funktionen gehören Intelligenz bzw. Denken, Wahrnehmung, Problemlösen, Gedächtnis, Sprache etc.
Es geht hier im Prinzip um Erkenntnismittel und Erkenntnisformen. Erkennen ist ein weiter Begriff für Wahrnehmung und Denken, Verhaltensweisen also, die entweder zum Erwerb von Kenntnis führt oder zu Verhaltensweisen, die für den Gebrauch von Kenntnis nötig ist.
Eine zentrale Rolle in der kognitiven Entwicklung nimmt die Entwicklung der Intelligenz ein, wobei Wahrnehmung, Gedächtsnisleistungen und Sprachbeherrschung als "kognitive Stützfunktionen" die Voraussetzungen von Denken und Intelligenzleistungen bilden.
Eine umfassende Theorie der Entwicklung des Denkens und der Intelligenz wurde von Jean Piaget (1937) entworfen und später aufgrund zahlreicher Forschungen von ihm selber und seinen Mitarbeitern weiterentwickelt.
Nach Piaget löst sich das Denken von Geburt an zunehmend von der sinnlichen Wahrnehmung und schreitet zu immer differenzierteren Lösungsformen auf abstrakt-begrifflicher Grundlage fort. Er kommt zu dem allgemeinen Ergebnis, dass die von ihm bei den Kindern analysierten logischen Strukturen konstruiert, d.h., vom Kind selber entwickelt werden und zu ihrer Ausformung (zumindest im westlichen Kulturkreis) ein gutes Dutzend Jahre brauchen.
Kinder
zu fragen, woher die Sonne, der Mond und die Gestirne kämen, mag
merkwürdig klingen. Wir selbst sind während Jahren nicht auf diese Idee
gekommen, und als wir darauf kamen, zögerten wir lange, bis wir sie in
die Tat umsetzten, weil wir befürchteten, die Kinder würden meinen, wir
wollten uns über sie lustig machen. Doch für Kinder gibt es keine
absurden Fragen. Sich auszumalen, woraus die Sonne hervorgegangen sei,
bringt sie kaum mehr in Verlegenheit als sich vorzustellen, woher die
Flüsse, die Wolken oder der Rauch kommen.
Piagets Ziel war es demnach, eine Art Embryologie der Intelligenz zu finden, die seiner biologischen Denkweise angepasst war. Seine Genetische Epistemologie (Lehre von der Entstehung der
Erkenntnis) wurde zum zentralen Thema seiner vielfältigen
Forschungen.
In der empirischen und qualitativen Untersuchung des kindlichen Denkens (vor allem bei seinen drei eigenen Kindern) erweist sich Piaget als ungeheuer einfallsreich, kindgemäß und alltagsnah, so vor allem in seinen eigens dafür entwickelten Beobachtungsmethoden (strukturierte Exploration, doppelte Perspektive, klinische Methode). Problematisch allerdings ist seine Fixierung auf vorwiegend logisch-kognitive Aspekte der kindlichen Denkentwicklung, die damit umschrieben werden könnte, dass er sich auf die Frage konzentriert: "Wie kommt die Logik in die Köpfe der Kinder hinein?" - ausgeklammert bleiben emotionale und soziale Faktoren, die bei der Denk- und Intelligenzentwicklung aber ebenfalls von Bedeutung sind.
[his voice]
- Werner Stangl: Die strukturalistische kognitive Entwicklungstheorie von Jean Piaget
- Phasen der Entwicklung nach James Mark Baldwin
- Grundbegriffe der Piagetschen Theorie
- Piagets Stufen- oder Stadientheorie
- Stufen im Überblick
- Stufen der sensumotorischen Intelligenz
- Unangemessene Generalisierungen im voroperatorischen Stadium
- Der Egozentrismus des Kindes
- Konkret-operatorisches Denken
- Formal-operatorisches Stadium
- Kritik an der Theorie der kognitiven Entwicklung nach Jean Piaget
- Der erkenntnistheoretische Ansatz Piagets
- Jean Piaget - Kurzbiographie
- Ernst von Glasersfeld: Homage to Jean Piaget
- Siehe dazu auch Die Entwicklung des schlußfolgernden Denkens
- Die Entwicklung des strategischen Gedächtnisses bei Kindern
- Kritik an der Theorie der kognitiven Entwicklung nach Jean Piaget
- Beeinflussung der kognitiven Entwicklung durch familiäre Unterstützungsbeziehungen
- Intelligenz-Veränderungen vom Kindergarten- zum Schulalter
Biologische Risikofaktoren für schulische Leistung
Die Überlebenschancen von zu früh und zu leicht geborenen Kindern haben sich durch den medizinischen Fortschritt enorm verbessert, doch bestehen gewisse Risiken für gesundheitliche und Entwicklungsprobleme, insbesondere bei sehr früh Geborenen (Frühchen), wobei man diesen generell ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen zuschreibt. Studien zeigen, dass sich das Gehirn eines zu früh geborenen Babys in den ersten Wochen im Inkubator anders entwickelt, als es das im Mutterleib tun würde, denn das Gehirn muss im Fall einer Frühgeburt früher als geplant gewisse Hirnareale aktivieren, sodass sich auch der Aufbau auf zellulärer Ebene anders darstellt. Allerdings ist das menschliche Gehirn sehr flexibel und kann viele Abweichungen vom Idealzustand sehr gut und ohne merkbare Konsequenzen für die Säuglinge kompensieren, was sich auch daran zeigt, dass die meisten Frühgeborenen keinerlei Beeinträchtigungen aufweisen.
Eine Studie der Bildungspsychologin Christiane Spiel (Universität Wien) analysierte biologische Risikofaktoren wie Frühgeburten oder geringes Geburtsgewicht oder sozioökonomische Faktoren im Hinblick auf den Schulerfolg von Kindern, und fand deutlichere Effekte dieser Risikofaktoren, als sie bisher angenommen wurden. Man fand einen deutlich akkumulierenden Effekt, das heißt, mehrere Risikofaktoren bedeuteten auch durchschnittlich geringere Schulleistungen. Außerdem verstärkte sich der Effekt mit zunehmendem Alter, die Schere ging im Vergleich mit Nicht-Risikokindern immer weiter auf. Die Leistungen wurden schon im Verlauf der Volksschule relativ immer schlechter. Als weitere Risikofaktoren registrierten die Forscher beispielsweise Spitalsaufenthalte, besonders während des ersten Lebensjahres, die besonders starke Effekte haben. Frühchen sind darüber hinaus im späteren Leben oft ängstlicher und zurückhaltender als gleichaltrige Kinder, was auch daran liegt, dass sie oft etwas kleiner und körperlich etwas weniger entwickelt sind, was etwa zu Defiziten bei sportlichen Betätigungen führen kann. Untersuchungen haben gezeig aucht, dass daraus für manche Kinder richtige Problemketten entstehen, denn das Kind ist nicht so kräftig, kann nicht so gut rennen oder so gut Fussball spielen, wird daher eher gehänselt und kann das schlechter wegstecken. Daraus kann eine für das Kind emotional sehr belastende Situation entstehen. Die Teilnahme an einschlägigen Interventionen stellen offenbar auch einen gewissen Schutzfaktor gegen negative Auswirkungen von Risikofaktoren dar. Generell sollte im Falle von Risikofaktoren möglichst früh gefördert werden, am besten schon vor dem Schuleintritt. Die betroffenen Kinder müssten auch in der Schule speziell behandelt werden.
In einer Längsschnittstudie verglichen Jaekel et al. (2017) 200 Kinder, die vor der 32. Schwangerschaftswoche oder mit weniger als 1.500 Gramm Gewicht zur Welt gekommen waren, mit 197 reif geborenen Kindern, wobei diese im Alter von sechs, acht und 26 Jahren an detaillierten diagnostischen Interviews teilnahmen. Im Alter von sechs Jahren ergab sich bei den betrachteten Frühgeborenen kein erhöhtes Risiko, eine Angststörung oder Depression zu entwickeln. Mit acht Jahren hatte sich das Störungsrisiko zwar leicht erhöht und stieg bis zum Alter von 26 Jahren noch einmal an, allerdings fanden sich keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen früh und reif geborenen Kindern und Erwachsenen, denn bei Letzteren stieg das Risiko ebenfalls im Laufe der Zeit an. Jaekel et al. (2017) schließen, dass es anscheinend kein dauerhaft erhöhtes Risiko für Angststörungen oder Depression bei Frühgeborenen gibt. Gleichzeitig entdeckte man, dass insbesondere bei jungen Erwachsenen, die in einer Paarbeziehung lebten, ein signifikant geringeres Risiko für affektive und Angststörungen vorlag, wobei sehr früh geborene junge Erwachsene allerdings seltener in solchen Beziehungen lebten und generell sozial zurückgezogener waren.
Literatur
Jaekel, J., Baumann, N., Bartmann, P. & Wolke, D. (2017). Mood and anxiety disorders in very preterm/very low birth weight individuals from six to 26 years. Journal of Child Psychology and Psychiatry, doi: 10.1111/jcpp.12787.
OÖnachrichten vom 21.04.2007
Unter den Lernkursen der Pädagogischen Hochschule Freiburg zu "Grundfragen der Pädagogischen Psychologie" fand sich lange Zeit auch ein Lernprogramm zur Kognitiven Entwicklung nach J. Piaget
(http://art.ph-freiburg.de/psy/projects/psi/grundfragen.html), aus dem
auch die untenstehende grafische Darstellung seines theoretischen
Modells stammt. Als Service-Leistung der PH Freiburg wurden die Kurse
auch allen Interessierten, die nicht an der PH Freiburg
studieren, kostenlos zugänglich gemacht. Leider sind diese Webseiten
dvhon seit längerer Zeit nicht mehr zugänglich!
[Quelle: http://art.ph-freiburg.de/Piaget/PNG/Prinzipien/Prinz_abb7.png]
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