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Viele Leute denken, ihre Jugendjahre seien die besten und angenehmsten ihres Lebens gewesen. Aber dem ist wohl nicht so. Es sind die beschwerlichsten Jahre, weil man da sehr unter der Zucht ist, selten einen eigentlichen Freund und noch seltener Freiheit haben kann. Immanuel Kant

Entwicklung und Auswirkung innerfamiliärer Beziehungen auf das Jugendalter

Dieser Text geht auf die Begriffe der Familienentwicklung und Familienbeziehungen ein und hinterfragt deren Auswirkungen auf die soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und unterscheidet typische (Familien-)Konflikte sowie Ursachen von sozialem Fehlverhalten im Jugendalter. Basierend auf den Informationen über die Einflussmöglichkeiten der Familie werden auch Interaktionsmöglichkeiten erläutert, die die Familie und andere Peergroups von Jugendlichen zur Vermeidung oder Reduktion von sozialem Fehlverhalten haben.

Familienentwicklung

Laut Schneewind (2002, S. 105) gibt es drei verschiedene Definitionen des Begriffs der Familienentwicklung. Die erste mögliche Definition ist, dass es sich dabei um den geschichtlichen Wandel der Familie – sprich die Sozialgeschichte einer Familie – handelt. Anders könnte man Familienentwicklung als eine Entwicklung in der Familie sehen, das bedeutet die Persönlichkeitsbildungen der einzelnen Familienmitglieder. Als dritte Auslegung könnte Familienentwicklung auch als Entwicklungshilfe für Familien angesehen werden, beispielsweise als Bewältigung von Beziehungsstörungen innerhalb der Familie. Weiterfolgend möchten wir näher auf die letzten beiden Punkte eingehen und die Entwicklung aus familienpsychologischer Perspektive betrachten.

Definition des Begriffes "Familie"

„Familien sind offene, sich entwickelnde, zielorientierte und sich selbst regulierende Systeme, deren Entwicklung im Kontext historisch gewachsener materieller und sozialer Gelegenheitsstrukturen stattfindet“ (Schneewind zit. nach Broderick 1993, S. 107).
Familie wird als interpersonales Beziehungsgefüge betrachtet. Eine Familie wird sowohl von Personen innerhalb der Familie eingegrenzt, als auch gegenüber Einflüssen von außen abgegrenzt. Durch selbstinitiiertes Handeln haben Familiensysteme die Fähigkeit, sich anzupassen und ihren Fortbestand zu sichern (vgl. Schneewind 2002, S. 107f).

Systemmodell der Familienentwicklung

Schneewind (2002, S. 106) sieht zwei Faktoren, die für die Entwicklung von Familien bedeutsam sind: Interaktion und Kommunikation. Schneewind (2002, S. 108) sieht den Entwicklungsprozess als Folge von entwicklungsbezogenen vertikalen und horizontalen Ressourcen und Stressoren.
Er geht dabei von einer Partnerfindung zweier Personen aus, die eine Beziehung entwickeln. Einwirkungen auf diese beiden Personen entstehen nicht nur aufgrund des Persönlichkeits- bzw. Paar-/Familiensystem, sie sind auch in ein Mehrgenerationensystem eingebunden. Zusätzlich nehmen auch weitere Faktoren wie beispielsweise Beruf oder Freizeit bedeutende Rollen ein. Mit vertikalen Stressoren und Ressourcen ist gemeint, dass im Laufe der Zeit Erfahrungen gemacht werden und diese die vier vorhin genannten Systemebenen beeinflussen. Als horizontale Stressoren und Ressourcen versteht man neue Lebensereignisse und Herausforderungen. Das Zusammenwirkungen der vertikalen und der horizontalen Stressoren bzw. Ressourcen bestimmt weitgehend den Verlauf der Familienentwicklung (vgl. Schneewind 2002, S. 109ff).

Familienbeziehungen und Erziehungseffekte auf die Entwicklung von Jugendlichen

Familiäre Unterstützungsbeziehungen

Im Hinblick auf die Bewertung sozialer Beziehungen für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nimmt die familiäre Beziehung einen besonders hohen Stellenwert ein. Die Familienmitglieder beeinflussen sich gegenseitig und müssen daher gerade bei der Beseitigung von Störungen oder deren Prävention unbedingt mit einbezogen werden (vgl. Schauerte et al. 2003, S. 129f zit. nach Schlippe, 1993). Schneewind (2002, S. 111f) erwähnt zusätzlich, dass die Art, wie sich Beziehungen von Familien entwickeln, natürlich auch von der Anzahl der Familienmitgliedern und der Art der Familienkonstellationen abhängt.
Das häufigste Merkmal, mit dem die Qualität einer familiären Beziehung umfassend beschrieben werden kann, ist die wahrgenommene Unterstützung. Laut Schauerte et al. (2003, S. 130f zit. nach van Lieshout & van Aken, 1995) gibt es vier Modalitäten von Unterstützung: die affektive Modalität (d.h. die emotionale Unterstützung), die Verhaltensmodalität (d.h. Respekt vor dem Anderen, das Verhalten des Beziehungspartners wird unterstützt oder eingegrenzt), die kognitive Modalität (d.h. die Qualität des Informationsaustausches) und die motivationale Modalität (d.h. die Übereinstimmung von Zielen oder Ideen zweier Personen).
Schauerte et al. (2003, S. 135) nennt dazu sechs – jeweils von den oben erwähnten Arten der Unterstützung abhängigen – Familientypen. Familientyp I zeigt, dass Mütter und ältere Kinder mehr Unterstützung zeigen, als Väter und jüngere Kinder. Familientyp II repräsentiert eine negative Unterstützung seitens der Mutter und ein positives Unterstützungsniveau der restlichen Familienmitglieder. Ein positives Unterstützungsniveau bei allen Familienmitgliedern findet sich im Familientyp III. Familientyp IV zeigt negative Unterstützung bei den Kindern und positive bei den Eltern. Familien mit einer positiven Unterstützung der Familie bis auf den Vater kennzeichnet Familientyp V. Familientyp VI bildet den Kontrast zu Typ III, wobei hier ein negatives Unterstützungsniveau bei der gesamten Familie gegeben ist. Bei Familien mit vorwiegend positivem Unterstützungsniveau erfolgt positive Problembewältigung, das Wohlbefinden liegt hier deutlich höher. Das bedeutet, dass in Familien mit negativer Unterstützung ein aggressives Familienklima herrscht. Dies wiederum wirkt sich ungünstig auf die Entwicklung aus (vgl. Schauerte et al. 2003, S. 136), wie auch im Folgenden aufgezeigt werden kann.

Der Begriff der sozialen Kognition

Die Unterstützung durch die Eltern trägt entscheidend zur positiven Entwicklung der sozialen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen bei. Reflektierte soziale Interaktion eines Menschen ist für seinen gesellschaftlichen Erfolg im Leben nötig. Diese Fähigkeit setzt aber voraus, dass ein Mensch die Absichten der an einer Interaktion beteiligten Personen erkennt und darauf entsprechend reagieren kann. Dies umschreibt der Begriff der sozialen Kognition, der „das bleibende Wissen über psychische Vorgänge von Menschen und die Welt sozialer Geschehnisse, als auch den akuten Prozess des Verstehens von Menschen, ihrer Beziehungen sowie der sozialen Gruppen und Institutionen, and denen sie teilhaben“ meint (Silbereisen et al. 2002, S. 590).

Silbereisen et al. (2002, S. 598f) unterscheiden mehrere theoretische Ansätze zum Erlernen von sozialer Kognition. Neben der Erwähnung der Entwicklung des Verständnisses für die „Theory of Mind“ konzentrieren wir uns im Folgenden auf zwei Ansätze und betrachten diese in Bezug auf die verschiedenen relevanten Altersstufen. Die „Theory of Mind“ besagt, dass es möglich ist, dass die Überzeugung eines Menschen zwar falsch ist, aber dennoch dessen Handeln bestimmt. Kinder können diesen Tatbestand noch nicht verstehen oder danach in bestimmten Situationen handeln und erlernen dies erst im Laufe ihrer Entwicklung.

Silbereisen et al. (2002, S. 598f) beschreiben weiters die Perspektivenübernahme und den kognitiv-strukturtheoretischen Ansatz zur sozialen Kognition. Dementsprechend beurteilen zum Beispiel sechsjährige Kinder ein Geschehen eher nach den vorliegenden Sachverhalten, Kinder im Alter von neun bis zwölf beurteilen dasselbe Vorkommen aber schon unter Berücksichtigung der inneren psychischen Dispositionen einer beteiligten Person. Sie erkennen dabei schon die Situationsgebundenheit des Handelns von anderen und können daraus Schlussfolgerungen ziehen. Im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren und auch danach werden diese Wahrnehmungen in Bezug auf soziale Interaktion immer differenzierter. Der zweite von Silbereisen et al. (2002, S. 600f) erwähnte Ansatz zum Erlernen von sozialer Kognition ist die Entwicklung zur erfolgreichen Perspektiven- und Verhaltenskoordination. Diese setzt das Verständnis der eigenen Rolle und der Rolle einer anderen Person in einer Situation voraus und erfolgt schrittweise. Im Alter zwischen vier und neun Jahren wird einem Kind bewusst, dass Personen verschieden denken, da sie sich in unterschiedlichen Situationen befinden. Zwischen sechs und zwölf Jahren beginnt ein Kind, Reaktionen aufgrund unterschiedlicher Perspektiven zu verstehen. Parallel dazu bis zu einem Alter von fünfzehn Jahren erfolgt die Erkenntnis, dass auch das Gegenüber die Perspektiven anderer Menschen einschätzen und danach handeln kann. Frühestens ab zwölf Jahren können von Jugendlichen komplexe soziale Perspektiven von Gruppen verstanden werden (vgl. Silbereisen et al. 2002, S. 599ff).

Es ist davon auszugehen, dass familiäre Unterstützung bedeutend zur Entwicklung der Fähigkeiten sozialer Kognition beiträgt. Dies ist wiederum zum Schaffen einer optimalen Basis für sozialen Erfolg und zum Vermeiden späteren sozialen Fehlverhaltens besonders wichtig (vgl. Silbereisen et al. 2002, S. 608). Wird die Entwicklung von sozialer Kognition nicht von Beginn an durch Familienbeziehungen entsprechend gefördert, kann ein Jugendlicher später nicht aus den Handlungen der Personen im Umfeld auf deren Absichten schließen. Daraus entsteht Konfliktpotential. Solchen Personen fehlt das Wissen um sozial-kognitive Prozesse, was Misstrauen und Aggression zur Folge hat. Der Umwelt werden vom Jugendlichen negative Intentionen unterstellt, Fehlverhalten und gesellschaftlicher Misserfolg des Jugendlichen sind die Konsequenz (Silbereisen et al. 2002, S. 559f zit. nach Dodge, 1993).

Familiäre Unterstützung zur Entwicklung von sozialer Kognition

Die gesellschaftlichen Bedingungen für den optimierten Erwerb sozial kognitiver Fähigkeiten und die damit zusammenhängenden Entwicklungen in der Familie sind bis heute nur eingeschränkt erforscht. Sie erlangten aber in letzter Zeit verstärkte wissenschaftliche Aufmerksamkeit. So wurde zum Beispiel festgestellt, dass das Emotionsverständnis von Kindern und Jugendlichen direkt mit der Perspektivenübernahme, also dem Ansprechen von Perspektiven und Emotionen anderer sowie das daraus resultierende Ziehen von Schlüssen über Verhaltensweisen anderer durch deren Mütter zusammenhängt. Diese Unterstützung, die alle vier Modalitäten der Unterstützung durch die Erziehenden bedingt, beginnt schon im Alter von drei Jahren. Auch der Austausch über Emotionen und deren Zusammenhänge mit jüngeren Geschwistern trägt zu späterer sozialer Kompetenz eines Kindes bei. Wenn die Qualität der Familienbeziehungen diesbezüglich hoch ist, ist der Jugendliche später eher in der Lage, Perspektiven zu koordinieren. Er kann sich in die Sichtweisen anderer Personen hineinversetzen, daraus logische Schlüsse ziehen und dementsprechend handeln.

Jugendliche mit solchen Familienbeziehungen und der Möglichkeit, sozial kognitive Fähigkeiten optimal ausbilden zu können, weisen auch verstärkt die Fähigkeit zu Empathie gegenüber den Mitmenschen, altruistischem Handeln und die Bereitschaft zu Hilfeleistungen auf Das Verhalten anderer wird nicht als feindselig gedeutet und die Wahrscheinlichkeit von aggressiven Verhaltensstörungen sinkt (vgl. Silbereisen et al. 2002, S. 609 zit. nach Dunn et al. 1991).

Erziehungsstile und deren Auswirkungen als Ausdrucksform von Familienbeziehungen

Eltern nehmen nicht nur die Rolle eines Interaktionspartners ein, sondern auch die Rolle als Erzieher. Die Erziehungseffekte wirken nun positiv aber auch negativ auf die Entwicklung der Jugendlichen ein (vgl. Schneewind 2002, S. 119). Besonders hervorzuheben ist diesbezüglich die Auswirkung eines autoritativen Erziehungsstils.

Kuntsche et al. (2003, S. 148) heben hervor, dass Jugendliche mit strenger Erziehung verstärkte Selbstwertprobleme aufweisen. Eine besonders starke Selbstabwertung zeigt sich bei autonomiebestrebten Jugendlichen, die von besonders strengen Eltern erzogen wurden. Jugendliche mit weniger strengen Eltern zeigen demnach niedrigere Selbstabwertungstendenzen. (vgl. Kuntsche et al. 2003, S. 148f). Silbereisen et al. (2002, S. 610) schreiben diesbezüglich, dass Mütter mit weniger induktiven und herrischem Erziehungsstil bedeutend dazu beitragen, dass ihre Kinder die sozial kognitive Fähigkeit der Empathie erwerben. Dies kann positiv zur Prävention von späteren psychischen Verhaltensstörungen beitragen.

Mietzel (2002, S. 383) beschreibt den autoritativen Erziehungsstil so, dass das Verhalten der Jugendlichen im Einklang mit Regeln, Normen und Werten, die den Eltern wichtig sind, angestrebt wird. Ein Gelingen dieses Erziehungsstils hängt jedoch davon ab, ob die Eltern dazu bereit sind, den Kindern zuzuhören und auf Kompromisse einzugehen. Jene Jugendliche, welche mit einem autoritativen Stil in diesem Sinn erzogen worden sind, können reifer sein und erbringen bessere schulische Leistungen als Jugendliche, welche autoritär oder laissez-faire erzogen worden sind.

In Familien, in denen eine sehr starke autoritäre Erziehung der Kinder stattfindet, ist auch ein überdurchschnittliches aggressives Verhalten der Kinder zu beobachten. Jugendliche, die während der Erziehung also einer sehr strengen Kontrolle unterliegen, geraten häufiger mit dem Gesetz in Konflikt, als Kinder, die einem autoritativen Elternhaus entstammen (vgl. Mietzel 2002, S. 383.).

„Jugendliche, die eine warme und enge Beziehung zu ihren Eltern haben, haben wahrscheinlich ... Einstellungen und Werte, die denen ihrer Eltern ähneln“ (Mietzel zit. nach Steinberg 1999, S. 384).

Die Veränderung der Eltern-Kind-Beziehung im Jugendalter

Kinder wollen mit dem Beginn der Pubertät mehr Selbstständigkeit, Eigenverantwortung und viele Dinge anders machen. Themen, bei denen es z. B. um Frisuren, Kleidung, Hausaufgaben, Aufräumen oder um „Nach-Hause-kommen“ geht, stehen auf der Tagesordnung. Die Grundsätze der Erziehung in dieser Zeit sollten auf einer Spannung von Loslassen und Haltgeben, von Distanz und Nähe, von Ablösung und Begleitung beruhen. Die seelische Entwicklung geht häufig mit großen Unsicherheitsgefühlen einher, sodass infühlendes Verhalten, Liebe und Verständnis gefragt sind und dem Kind am besten helfen, mit den Irritationen umzugehen. Aber auch in diesen Zeiten brauchen Kinder Grenzen, innerhalb derer sie sich frei entwickeln können - ein völliges Loslassen verunsichert und kann sich später negativ auswirken, denn Jugendliche wollen wissen, woran sie sind, wann sie zu weit gehen und ob sie sich angemessen verhalten. Der Wunsch, sich auseinander zu setzen und Grenzen auszutesten, geben eine Richtung vor und sorgen schließlich für gegenseitige Achtung. Jugendliche, die beginnen sich ihre eigene Meinung zu bilden, wollen auch die Standpunkte der anderen hören, wobei sie manchmal bewusst gegensätzliche Positionen einnehmen, um die Reaktionen der Umwelt zu erfahren. Das Leben der Eltern sollte sich in dieser Zeit nicht mehr nur um die Kinder drehen, sonst fühlen sich Jugendliche eingeengt und unter Druck gesetzt. Denn wenn sich Eltern auch in dieser Zeit als Eltern sehen, haben es die Jugendlichen schwer, ihre Beziehung zu Vater und Mutter neu zu definieren und auf eine andere Ebene zu bringen.

Konflikte im Jugendalter

Konflikte findet man in jeder sozialen Beziehung, besonders in dem Zeitraum, in denen die Kinder ein Alter “zwischen 12 und 15 Jahren haben“ (Mietzel zit. nach Fend, 1998, S. 381).

Schneewind (2002, S. 117f zit. nach Cusinato, 1994, S.94) beschreibt in Bezug auf die Entwicklung von Eltern-Kind-Beziehungen sechs Phasen. Das Kind ist anfangs als Säugling abhängig von den Eltern. In dieser Phase geht es vor allem um die Fürsorge und Obhut für das Kind, in den darauf folgenden Phasen um die Einführung von Grenzen für das Kind und um die Sensibilität für kindliche Entwicklungsbedürfnisse. In der vierten Phase der Eltern von Jugendlichen aber unterstützen die Eltern die Identitätsentwicklung ihrer Kinder. Die Jugendlichen bilden in dieser Entwicklungsstufe ein Selbstbild und eine eigene Identität, wozu das Austragen von Konflikten mit den Bezugspersonen notwendig ist (vgl. Schneewind 2002, S. 118).
In dieser Entwicklungsphase herrschen überall auf der Welt die gleichen Probleme vor – von häuslichen Auseinandersetzungen über finanzielle Probleme bis hin zur emotionalen Zuwendung. Diese Konflikte sind für pubertierende Jugendliche wichtig, denn sie helfen Ihnen bei Ihrer Entwicklung und haben dabei eine positive Funktion. Ein Beispiel verdeutlicht diese Aussage: Wenn sich Kinder niemals gegen die Mutter oder den Vater widersetzen und ihre eigenen Werte und Vorstellungen durchsetzen wollten, würde das bedeuten, dass die Jugendlichen keine Bedingungen vorfinden, in denen sie Ihre eigenen Identität entwickeln können. Das würde bedeuten, dass Jugendliche die Identität von jemand anderes annehmen müssten. Deshalb haben Konflikte eine identitätsbildende Wirkung für Jugendliche (vgl. Mietzel 2002, S. 381).

Konfliktthemen in der Eltern-Kind-Beziehung

Die wohl häufigsten Streitthemen in Familien sind Themen rund ums Eigenheim. (Hier ist anzumerken, dass sich das im Laufe der letzten Jahrzehnte nicht verändert hat.) Bei häuslichen Konflikten geht es vor allem um die Freiheiten die Eltern ihren Kindern einräumen und um Anliegen der Kinder, welche sie bei Ihren Eltern durchsetzen möchten. Konkret geht es um die Kleiderwünsche der Jugendlichen, um Tattoos und Piercings und natürlich um den Zustand des eigenen Zimmers. Tiefgreifendere Probleme, wie politische, soziale oder religiöse Themen verursachen dagegen sehr selten Meinungsverschiedenheiten (vgl. Mietzel 2002, S. 381 f).

Judith Smetana (Mietzel zit. nach Smetana, 1995, S. 382) hat derartige Konflikte untersucht und festgestellt, dass eine unterschiedliche Sichtweise von Eltern und Kindern schuld daran ist, dass es überhaupt zu einem Streit kommt. Mütter und Väter sehen das Verhalten der Kinder meist unter einem moralischen oder sozial-konventionellen Aspekt, was bedeutet dass die Eltern dafür verantwortlich sind, dass die Kinder keine Konventionen verletzen und nicht das Ansehen der gesamten Familie beschmutzen. Töchter und Söhne glauben hingegen, dass ihre persönlichen Angelegenheiten durch diese Kontrolle angegriffen werden (Mietzel, 2002, S. 382).

Fehlverhalten von Jugendlichen im Kontext mit Familienbeziehungen

Von der zur Entwicklungsphase der Jugend gehörenden Identitätssuche ist Fehlverhalten von Jugendlichen deutlich zu unterscheiden. Aggression, Kriminalität, Jugendgewalt oder anderweitig auffälliges Verhalten ist durch das deutliche Überschreiten sozialer Grenzen durch den Jugendlichen gekennzeichnet. Diese Verhaltensvarianten korrelieren stark mit negativen Familienbeziehungen oder Verhaltensweisen in der Familie.

So kann laut Silbereisen problematisches Verhalten von Jugendlichen schon in einer frühen Entwicklungsphase eines Kindes seinen Ursprung haben. Wird ein Kind während dieser Zeit missbraucht oder leidet es unter familiären Belastungen, führt dies zu sozialem Fehlverhalten im Jugendalter (vgl. Silbereisen et al., 2002, S. 612f). Familiäre Desintegration, negatives Familienklima oder eben auch eigens erlebte Gewalt im Elternhaus haben eine höhere Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen zur Folge.

Solche Jugendliche akzeptieren sehr schnell Gewalt als Konfliktlösung und werden somit selbst häufig zu TäterInnen oder MittäterInnen. Je häufiger Jugendliche vor dem 12. Lebensjahr elterliche Gewalt erlebten, desto schneller waren sie bereit, Gewalt als legitim anzusehen und zu akzeptieren und selbst gefährdet zu sein, GewalttäterIn zu werden (vgl. Uslucan et al. 2003, S. 290ff).

Die „Spill-over“-Hypothese von Schneewind zeigt zusätzlich, wie sich insbesondere Konflikte zwischen Eltern auf die Eltern-Kind-Beziehung negativ auswirken. Er unterscheidet diesbezüglich vier Prozesse, die zu einem solchem Effekt führen und dadurch ein erhöhtes Maß an Feindseligkeit gegenüber Kindern und deren reduzierte Unterstützung bewirken. Besonders bei latenten Partnerkonflikten kann es passieren, dass das Kind als „Problemkind“ gesehen wird und so die Eltern den Konflikt auf die Eltern-Kind-Beziehung abwälzen. Weiters wirkt sich das Verhalten der Eltern auf das Verhalten des Kindes aus, sodass von „schwierigen Kindern“ die Rede ist. Mit solchen Situationen geht oft einher, dass das Erziehungsverhalten durch widersprüchliche Meinungen und Entscheidungen der Eltern beeinträchtigt wird, was sich ebenfalls negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Darüber hinaus belasten auch Stressoren wie Armut, Arbeitslosigkeit oder Krankheit die Eltern-Kind-Beziehung negativ (vgl. Schneewind 2002, S. 124 zit. nach Schneewind, 2001b).

Zusammenhänge zwischen dem Stressbewältigungsverhalten von Eltern und ihren jugendlichen Kindern

Eine vierjährige Längsschnittstudie von Skaletz und Seiffge-Krenke untersuchte die wechselseitige Beeinflussung von jugendlichen Stressbewältigungsstilen und denen ihrer Eltern. Bei der Studie, die mittels Fragebogen durchgeführt wurde, nahmen 201 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren, deren 189 Mütter und 148 Väter teil. Bei den Auswertungen wurde besonders auf Geschlecht und wahrgenommenes Familienklima geachtet (vgl. Skaletz & Seiffge-Krenke, 2009, S. 111ff).

Untersuchungsgegenstände

Im Rahmen der Studie sollen 3 wesentliche Fragen beantwortet werden. Die erste Frage befasst sich damit, ob Jugendliche sich an ihren Eltern orientieren, wenn es um den Umgang mit Alltagsstressoren geht. Außerdem sollen geschlechtsspezifische Unterschiede ausfindig gemacht werden. Anhand der zweiten Frage soll festgestellt werden inwieweit Eltern ihr Stressbewältigungsverhalten dem ihrer Kinder anpassen. In der letzten Frage wird ein besonderes Augenmerk auf den Zusammenhang von Stressbewältigungsstilen und dem Familienklima gelegt (vgl. Skaletz & Seiffge-Krenke, 2009, S. 111).

Ergebnisse

Grundsätzlich konnte festgestellt werden, dass sowohl Jugendliche wie auch deren Eltern kompetente Stressbewältiger sind. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass sie mit zunehmender Zeit nicht nur über ein immer größer werdendes Repertoire an Stressbewältigungsstrategien verfügen, sondern dieses auch an die jeweils vorliegende Situation anpassen können (vgl. Skaletz & Seiffge-Krenke, 2009, S. 117).

Vorbildfunktion der Eltern

Die erste Frage, ob sich Jugendliche in Bezug auf den Umgang mit Alltagsstressoren an ihren Eltern orientieren ist aufgrund der Befunde der vorliegenden Stichprobe auszuschließen. Nur das Stressbewältigungsverhalten der Söhne lässt in einem geringen Maße durch den Stressbewältigungsstil der Eltern vorhersagen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass mehrere indirekte Einflüsse der Eltern bestehen. So bestimmen sie beispielsweise das Wohnumfeld ihrer Kinder und folglich deren Bildungseinrichtung und Freundeskreis (vgl. Skaletz & Seiffge-Krenke, 2009, S. 117ff).

Lernen Eltern von Ihren Kindern?

Die zweite Frage, ob Eltern ihr Stressverhalten an das ihrer Kinder anpassen kann teilweise bestätigt werden. Dies kann dadurch erklärt werden, dass die Jugendlichen durchaus funktionalere Bewältigungsstile anwenden, die eine gute Orientierung für die Eltern darstellen. Allerdings lässt sich lediglich der dysfunktionale Bewältigungsstil Rückzug bei beiden Eltern vorhersagen und das nur durch das Stressbewältigungsverhalten bei Söhnen (vgl. Skaletz & Seiffge-Krenke, 2009, S. 118ff).

Familienklima und Stressbewältigung

Den stärksten Einfluss hat das Stressbewältigungsverhalten des Sohnes auf den Vater. So führt zum Beispiel aktives Coping des Sohnes zu weniger Rückzug des Vaters, wohingegen jugendliches Rückzugsverhalten das Rückzugsverhalten der Väter verstärkt. Da diese Wechselseitigkeit nur für gute familiäre Beziehungen gilt, könnte das Verhalten des Vaters als eine Art Verständnis gegenüber seinem Sohn gewertet werden, so dass dieser entweder die aktiven Bemühungen des Sohnes mit eigenen aktiven Bewältigungsstrategien unterstützt bzw. sich verständnisvoll zeigt und sich zurückzieht, wenn der Sohn sich ebenfalls zurückzieht (vgl. Skaletz & Seiffge-Krenke, 2009, S. 118ff).

Stressbewältigung der Eltern

Zusätzlich wurden die Stressbewältigungsstile von Müttern und Vätern verglichen. Auffällig dabei ist, dass sich die Stressbewältigungsstrategien der Eltern im Laufe der Zeit aneinander anpassen. Diese Entwicklung kann entweder den Grund haben, dass die Eltern als Paar den gleichen Herausforderungen gegenüber stehen, welche eine gleiche Vorhergehensweise erfordern oder dass sich die Partner als gegenseitige Vorbilder zur eigenen Stressbewältigung sehen (vgl. Skaletz & Seiffge-Krenke, 2009, S. 118ff).

Gehirnentwicklung im Jugendalter als Störfaktor

Psychologen (Temple University, Philadelphia) überprüften sowohl die kognitiven, als auch die emotionalen Kompetenzen von tausend ProbandInnen im Alter von 10 bis 30 Jahren, wobei sich zeigte, dass die Ausprägung der Emotionen sowohl beim Frauen als auch bei Männern wesentlich länger braucht, als die Entwicklung des Intellekts. Emotionales Wissen speichert das kindliche Gehirn in anderen Bereichen als das Gehirn des Erwachsenen, wobei beim Übergang im Gehirn eine Umstrukturierung erfolgt und gewissermaßen eine Baustelle im Kopf entsteht, wodurch der Informationsfluss behindert ist, etwa im Bereich der Risikoabwägung und der Folgenabschätzung eigenen Handelns. Vor allem wenn Jugendliche etwa durch Überforderung unter sozialem Stress stehen, können sie Folgen und Gefahren oft schlechter einschätzen als ältere Kinder. Vor allem das Gefühl, beobachtet zu werden und einen Prestigeverlust hinnehmen zu müssen, lässt die Heranwachsende oft unnötige Gefahren eingehen. Meist sind sich die Jugendlichen der Konsequenzen ihrer Taten in diesem Alter einfach nicht bewusst oder sie verleugnen diese.

Entwicklung von prosozialem Verhalten im Jugendalter durch Familienbeziehungen

Masche et al. (2003, S. 163) führen an, dass der elterliche Einfluss innerhalb der Familienbeziehung deutlich überwiegt. Diese Einflüsse betreffen vor allem Fragen bezüglich der Schule, Ausbildung oder Berufswahl. In diesen Bereichen akzeptieren Jugendliche die Meinungen und Anschauungen der Eltern, vielleicht aus dem Grund, dass Eltern in diesen Bereichen Lebenserfahrung einbringen können. Einflüsse in Bezug auf Wertvorstellungen, Normen oder Verhalten werden vor allem von den Müttern ausgeübt. Die Entscheidungsbefugnis wird auch im Jugendalter im Regelfall den Eltern zugesprochen.

Auch bei Jugendlichen kann durch Interaktion in der Familie die Fähigkeit zur sozialen Kognition noch gefördert werden. Als Instrumente sind dazu zum Beispiel der Austausch mit Gleichaltrigen sowie die Induktion durch die Eltern geeignet. Im Fall der Induktion weisen die Eltern den Jugendlichen auf mögliche Konsequenzen von Verhaltensweisen und auf das Befinden anderer Beteiligter hin. Sie zeigen dem Jugendlichen zusätzlich die daraus möglicherweise folgenden Beeinträchtigungen sozialer Beziehungen. Ziel dieser Induktion durch die Eltern ist es, eine Verhaltensbeeinflussung beim Jugendlichen zu erreichen (vgl. Silbereisen et al., 2002, S. 612).

Neben diesen erfolgreichen Interaktionsmustern in der Familie gibt es auch Ansätze, um altruistisches Handeln bei Jugendlichen außerhalb der Familie zu trainieren. Dies kann vor allem bei so genannten Problem- und Integrationsfällen eine bedeutende Rolle spielen und bei Resozialisierungsprogrammen eingesetzt werden. Silbereisen et al. (2002, S. 612) nennen dazu Ansätze wie zum Beispiel das Training von Problemlösefähigkeiten in Gruppen, oder die Umsetzung von Rollenspielen aus dem realen Leben.

Möglich ist dies, da neben den Familienbeziehungen auch die Beziehung zu anderen Peer Groups im Jugendalter wichtig wird. So wird auch angenommen, dass Jugendliche durch häufigen Perspektivenwechsel mit unterschiedlichen Personen, zum Beispiel durch die Interaktion mit Freunden, Kollegen und Kunden am Ausbildungsplatz, in diesem Alter ihre soziale Kompetenz erweitern können. (vgl. Silbereisen et al. 2002, S. 610 zit. nach Steinberg et al. 1981). Auch die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Jugendlichen im Rahmen von schulischen, kirchlichen oder sonstigen Angeboten unter Berücksichtigung von deren Anliegen und Ängsten wird als effizientes Mittel zur Förderung von Jugendlichen gesehen. Dieses Mittel soll aber auch zur Prävention und Intervention bei jugendlicher Aggression – zum Beispiel in Bezug auf rechte Jugendcliquen - dienen. Betont wird dabei, das solche Jugendarbeit die Identitätsfindung und Ich-Stabilisierung stützen, aber auch gesellschaftlich positive Perspektiven bieten soll wenn sie wirksam sein will (vgl. Preiser 2002, S. 883f).

Warum laufen Jugendliche weg?

Die Gründe, warum Jugendliche ausreißen, sind vielschichtig. Das Alter zwischen 14 und 18 ist dafür das kritische, also die Zeit zwischen Kindsein und Erwachsenwerden, die Hochphase der Pubertät. Meist ist es ein lange schwelender Konflikt und schließlich der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Viele Eltern wollen nicht wahrhaben, dass es Spannungen in ihrer Familie gibt. Dass alles in Ordnung ist, ist eine Standardaussage, wie sie die Polizei immer wieder bei der Aufnahme der Vermisstenanzeige zu hören bekommt. Jugendliche Ausreißer kommen aus allen sozialen Schichten. Wer sich von zu Hause absetzt, will aus der „Enge“ seiner Umgebung herauskommen. Am besten in eine andere Stadt. Je größer die Stadt, desto kleiner die Chance, gefunden zu werden. Das Weglaufen stellt für die Jugendlichen eine Möglichkeit dar, sich Luft und Freiraum zu schaffen. Sie müssen sich nicht ständig rechtfertigen oder Fragen beantworten. Oder sie setzen es bewusst als Druckmittel ein, um ihren Willen zu bekommen. Gut geht es ihnen dabei allerdings meist nicht, denn sie werden permanent vom schlechten Gewissen geplagt. Oft ist das Weglaufen auch eine Art Trotz- oder Protestaktion. Das Weglaufen ist ein Ausklinken aus der Familie die Jugendlichen wollen den nervenden "Alten" nur einen Denkzettel verpassen. Die Jugendlichen haben das Gefühl, nicht verstanden zu werden, oder sie bekommen nicht das, was sie wollen. Manchmal spielen sich auch zu Hause dramatische Szenen ab, etwa wenn die Jugendlichen mit Gewalt konfrontiert sind. Einige Ausreißer laufen mehrmals weg. Diese Gruppe tut sich schwer in der Argumentation und kann seine Probleme nicht sehr gut artikulieren. Sie wählen daher die für sie einfachste Lösung und laufen vor ihren Problemen davon.

Die Eltern sind zunächst hilflos und verzweifelt. Wenn die Kinder zurückkommen, sind die Eltern zuerst erleichtert, dann folgen jedoch schnell Bestrafung und Vorhaltungen. Das ist falsch. Eltern sollten das Gespräch suchen, um herauszufinden, was mit ihren Kindern los war, warum sie weggelaufen sind. Wenn diese nicht sofort reden wollen, muss man ihnen Zeit geben. Denn wenn die Jugendlichen das Gefühl haben, in die Enge getrieben zu werden, laufen sie vielleicht wieder weg.

Für einen Jugendlichen ist es meist gar nicht so einfach, plötzlich auf sich allein gestellt zu sein. Auch wenn sie sich eigentlich schon stark und erwachsen fühlen. Darüber machen sich die wenigsten Ausreißer zunächst Gedanken. Und genauso wenig darüber, wie die Eltern mit dem plötzlichen Verschwinden ihres Sohnes oder ihrer Tochter klarkommen. Was Jugendliche dabei oft verkennen: Großstädte sind auch besondere Gefahrenherde. Schnell rutschen abgängige Jugendliche in die Kriminalität ab. Entweder als Opfer oder als Täter. Die Jugendlichen benötigen Geld und eine Unterkunft. Unter jungen Menschen auf der Straße gibt es eine eigene Form von Hilfsbereitschaft. Wer keine großen Ansprüche stellt, findet immer einen kostenlosen Schlafplatz. Allerdings wimmelt es hier von falschen Freunden, die gewisse Gegenleistungen verlangen. Für manche Ausreißer ist das der Beginn einer zweifelhaften Karriere im Strichermilieu.

Quelle: Zusammengefasst nach dem Bericht "Wenn Kinder plötzlich verschwinden" und einem Interview mit Werner Leixnering über Motive und Ängste weggelaufener Jugendlicher und deren Eltern in den OÖN vom 28. 3. 2009

Verwendete Literatur

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Mietzel, G. (2002).Wege in die Entwicklungspsychologie. Kindheit und Jugend. 4. überarbeitete Aufl. Weinheim: Beltz.
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