Lehrmaterialien aus der Entwicklungspsychologie
Menschen unterscheiden sich von Geburt an in ihrem Temperament, denn manche sind eher reserviert, manche schenken selbst Fremden ein strahlendes Lächeln, und während der eine Säugling den ganzen Tag schläft, ist der andere zwischen den Schlafphasen hellwach und strampelt. Zwar lässt sich aus diesen frühen Unterschieden noch nicht das spätere Wesen vorhersagen, denn erst ab etwa drei Jahren haben sich die Temperamentsmerkmale so stabilisiert, dass sie auf die Persönlichkeit im Erwachsenenalter schließen lassen, doch wird in dieser frühen Zeit schon sehr viel angelegt, was sich später bei der Persönlichkeitsentwicklung auswirkt. So erhalten Kinder, die eher ruhig sind, oft weniger Aufmerksamkeit als aktive, Kinder die früh lächeln, erhalten positivere Zuwendung als solche, die den ganzen lieben Tag schreien. So zeigt sich ab etwa drei Jahren die ganze Bandbreite menschlicher Vorlieben, wie Menschen die Welt sehen und darin handeln. Die Unterschiede zwischen den Menschen sind dabei erstaunlich groß, obwohl man glauben könnte, im Lauf der Evolution hätte sich ein einziger Bauplan durchgesetzt, der zu optimal angepasstem Verhalten führt. Doch die Varianz innerhalb einer Spezies stellt einen wichtigen Überlebensvorteil dar, denn ändern sich etwa die Umweltbedingungen, stirbt nicht gleich die Art aus.
Persönlichkeitsentwicklung im mittleren Erwachsenenalter
Zu dieser Studie wird das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit) herangezogen. Zu dem Thema Persönlichkeitsentwicklung gibt es unterschiedliche Auffassungen:
Klassisches Modell der Persönlichkeitspsychologie
Die Entwicklung der Persönlichkeitseigenschaften findet von der Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter statt, im mittleren Erwachsenenalter ist die Persönlichkeit stabil.
Entwicklungspsychologie der Lebensspanne
Veränderungen der Persönlichkeit sind über die ganze Lebensspanne möglich (vgl. Lehmann, Allemand, Zimprich & Martin, 2010, S. 79).
Zur Erläuterung von Stabilität und Veränderung der Persönlichkeitseigenschaften sind verschiedene Erklärungen möglich. Es gibt Meinungen nachdem die Persönlichkeit angeboren ist und durch die Wechselwirkung zwischen Person und Umwelt beeinflusst wird. Die Veränderung der Persönlichkeit kann durch die Auseinandersetzung mit kontextuellen Variablen und adaptiven Verhaltensveränderungen (neue soziale Rollen führen beispielsweise zu einer Veränderung der Verhaltens- und Erlebnisweise) erzielt werden, oder auch durch Modelllernen.
Persönlichkeitseigenschaften können stabil und veränderbar sein. In dieser Studie werden die differenzielle Stabilität, die durchschnittliche Mittelwertsveränderung und die individuelle Veränderung untersucht. Diese drei Typen beziehen sich auf andere Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung und sind voneinander unabhängig. Differenzielle Stabilität bedeutet, dass sich alle Menschen im Laufe des Lebens gleich verändern oder stabil bleiben. Die Mittelwertveränderung bezieht sich auf die durchschnittliche Zunahme oder Abnahme einer Persönlichkeitsdimension über die Zeit. Mittelwertveränderungen treten vor allem im jungen und höheren Erwachsenenalter auf. Die Studie will mittels der drei Typen von Stabilität und Veränderung die Persönlichkeitsentwicklung im mittleren Erwachsenenalter (zwischen 40 und 60 Jahren) untersucht (vgl. Lehmann et al. 2010, S. 79-81).
Das mittlere Erwachsenenalter ist eine Zeit der individuellen und unterschiedlichen Herausforderungen, welche zu einer Anpassung der Persönlichkeit führen können. Individuelle Unterschiede stellen zum Beispiel die Anzahl sozialer Rollen und die ersten Anzeichen physischen und mentalen Abbaus in verschiedenen Ausmaß dar. Da diese Herausforderungen unterschiedlich sind und nicht gleichzeitig auftreten sind individuelle Unterschiede in der Persönlichkeitsentwicklung zu erwarten. Es wird angenommen, dass Mittelwertveränderungen auftreten, wenn bei allen Personen gleiche und gleichzeitige Reifungsprozesse oder Umwelteinflüsse wirksam werden.
Werden Veränderungen in unterschiedliche Richtungen, zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlicher Stärke beobachtet, so muss die Persönlichkeitsentwicklung durch individuelle Ereignisse beeinflusst worden sein (vgl. Lehmann et al. 2010, S. 81-82).
Ergebnisse der Studie
Die Ergebnisse wurden mit Hilfe von Stichproben, eines faktorenanalytisch konstruierten Fragebogen und mittels statistische Verfahren ermittelt. Um die differenzielle Stabilität der Persönlichkeitseigenschaften zu ermitteln wurde im ersten Schritt Test-Retest Korrelationen in den drei Messzeiträumen (T1, T2, T3) berechnet. Dabei ergibt sich, dass die mittlere Stabilität im Messzeitraum T1-T2 deutlich höher ist als im Messzeitraum T1-T3. In einem zweiten Analyseschritt wurde untersucht, ob sich die fünf Persönlichkeitsdimensionen bezüglich ihrer differenziellen Stabilität deutlich voneinander unterscheiden. Jedoch unterschieden sich die Persönlichkeitsdimensionen im Zeitraum T1-T3 nicht deutlich in ihrer Stabilität. Der dritte Analyseschritt soll Aufschluss darüber geben ob die differenzielle Stabilität der einzelnen Persönlichkeitsdimensionen von der Länge des Messzeitraumes abhängig ist. Insgesamt kam man zu dem Ergebnis, dass die Persönlichkeitsdimensionen über die Zeit hin relativ stabil sind. Es wird aber auch auf individuelle Veränderungen hingewiesen. Die Höhe der differenziellen Stabilität ist von der Persönlichkeitsdimension und von der Länge des Messzeitraumes abhängig. Die relativ hohe Stabilität im mittleren Erwachsenenalter wird durch ein inneres Gefühl der Konsistenz, Beziehungsweise durch eine stark entwickeltet Identität erklärt. Es wurde auch die Mittelwertveränderungen der Persönlichkeitseigenschaften untersucht, um zu ermitteln, ob in den fünf Persönlichkeitsdimensionen Mittelwertveränderungen über die drei Messzeitpunkte stattgefunden haben. Dabei haben Geschlechtsunterschiede und Unterscheide im Bildungsnivea keine Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung. Es wird vermutet, dass Neurozismus über das mittlere Lebensalter hinweg abnimmt, aber gegen Ende des mittleren Lebensalters wieder eine Zunahme stattfindet.Im Gegensatz dazu zeigt die Persönlichkeitsdimension Extraversion eine lineare Abnahme über die Zeit. Dies kann möglicherweise auf ein physisches wie emotional niedrigeres Energieniveau, gegen Ende des mittleren Erwachsenalters, hinweisen. Die aufgetretenen Mittelwertveränderungen können auf die gleichartige Wirkung von Umwelteinflüssen zurückgeführt werden (vgl. Lehmann et al. 2010, S. 83-85).
Die individuelle Veränderung der Persönlichkeitseigenschaften zeigt, dass Individuen entweder eine reliable Zunahme, eine reliable Abnahme oder keine Veränderungen bezüglich der fünf Persönlichkeitsdimensionen erlebt haben. 67,2 % aller Teilnehmer haben mindestens eine reliable Veränderung der Persönlichkeitsdimension erlebt. Auch bezüglich der Persönlichkeitsdimensionen Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit wurden reliable Veränderungen beobachtet, obwohl diese bei den vorhergehenden Untersuchungen als relativ stabil betrachtet worden sind.Durch diese Studie wird die Reifungs-, die Sensitivitäts- und die Adaptationshypothese belegt (vgl. Lehmann et al. 2010, S. 85-87).
Ereignisse im Leben, die die Persönlichkeit verändern können
Finanzielle Not: Wer einmal mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen gehabt hat, wird dadurch im Schnitt extrovertierter und weniger gewissenhaft. Bei Männern beeinträchtigt Geldnot zusätzlich die emotionale Stabilität, was bei Frauen nicht der Fall ist.
Schwere Krankheit: Frauen, die mit einer plötzlichen Erkrankung oder Verletzung umgehen müssen, werden dadurch extrovertierter, und zwar dreimal so häufig wie Männer. Frauen macht es übrigens auch extrovertierter und offener, wenn eines ihrer Familienmitglieder krank wird, während bei Männern dieser Effekt ausbleibt. Dieses Ergebnis bestätigt, dass Frauen ihre Sorgen eher mit anderen teilen, wobei Männern die Angst im Weg steht, als schwach zu gelten.
Heirat: Eine Hochzeit macht Frauen im Durchschnitt emotional instabiler, d. h., sie werden im Schnitt weniger rücksichtsvoll und empathisch. Bei Männern hingegen gibt es durch eine Heirat keine Veränderung.
Ruhestand: Hier wird teilweise die grumpy old man-Hypothese bestätigt, dass Männer mit der Zeit unverträglicher, weniger rücksichtsvoll und empathisch werden, während sich Frauen im Alter wenig verändern. Man führt das auf den sinkenden Testosteronspiegelzurück (Stangl, 2009).
Persönlichkeitsveränderungen im hohen Alter
Im hohen Alter verändert sich nach Untersuchungen von Specht et al. (2014) die Persönlichkeit eines Menschen noch einmal ähnlich stark wie im jungen Erwachsenenalter, was die bisher vorherrschende Ansicht widerlegt, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen im Laufe des Lebens immer stärker stabilisiert. Für diese Untersuchung hatte man im Rahmen des Sozio-oekonomische Panels - die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland - die Angaben von insgesamt mehr als 23000 Menschen analysiert, wobei sich zeigte, dass sich im jungen Erwachsenenalter bis zum Alter von 30 Jahren ebenso wie im Alter ab etwa 70 Jahren die Persönlichkeit eines Menschen so stark ändert wie in keiner anderen Lebensphase.
Im jungen Erwachsenenalter verändern sich demnach vor allem Menschen, die dem unterkontrollierten Persönlichkeitstyp zugeordnet werden, also Menschen, die sich durch eine geringe Verträglichkeit und eine geringe Gewissenhaftigkeit auszeichnen. Erst ab einem Alter von etwa 30 Jahren reifen viele dieser jungen Rebellen zu resilienten Persönlichkeiten heran, die leistungsfähig sind, ein hohes Selbstwertgefühl haben und nur selten unter psychischen Problemen leiden.
Bis zu 25 Prozent der Menschen eines Persönlichkeitstyps ändern sich nach einem Alter von 70 Jahren noch einmal beträchtlich, wobei anders als bei den jungen Erwachsenen diese Persönlichkeitsveränderungen bei den Senioren jedoch keinem typischen Reifungsmuster folgen, vielmehr beobachtet man eine große Bandbreite von Persönlichkeitsveränderungen, bei denen überraschender Weise Gesundheitsveränderungen, Großelternschaft und Renteneintritt nur eine kleine Rolle zu spielen scheinen. Möglicherweise sind es Veränderungen im Alltag der Senioren oder eine veränderte Einstellung zum Leben, die diese späten Persönlichkeitsveränderungen auslösen.
Roberts et al. (2017) haben in einer Studie übrigens gezeigt, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen auch durch Interventionen wie Trainings oder Therapien schon in etwa acht Wochen verändern kann, und dass dieser Effekt über viele Monate nachhaltig sein kann. Bisher war man eher der Ansicht, dass Veränderungen der Persönlichkeit eher über einen längeren Zeitraum möglich sind, also das Ergebnis vieler kleiner Schritte.
Literatur
Lehmann, R., Allemand, M., Zimprich, D. & Martin, M. (2010). Persönlichkeitsentwicklung im mittleren Erwachsenenalter. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 2, 79-89.
Roberts, B. W., Luo, J., Briley, D. A., Chow, P. I., Su, R., & Hill, P. L. (2017). A systematic review of personality trait change through intervention. Psychological Bulletin, 143(2), 117-141.
Specht, J., Luhmann, M., & Geiser, C. (2014). On the
consistency of personality types across adulthood: Latent profile
analyses in two large-scale panel studies. Journal of Personality and
Social Psychology, 107, 540-556.
Stangl, W. (2009). Stichwort: 'Persönlichkeit'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
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