[werner.stangl]s arbeitsblätter 
Die Vereinten Nationen haben den 21. Jänner
zum Weltumarmungstag - National Hug Day - erklärt.


Die Bedeutung der Umarmung

Grundsätzliches zu Berührungen: Bereits ab der siebten Lebenswoche kann ein Embryo Berührungsreize wahrnehmen, wobei diese auch nach der Geburt essentiell für die erste Kommunikation sind. Die menschliche Haut kann mit Millionen Sinneszellen sofort erkennen, ob es sich um eine positive oder negative Berührung handelt, wobei das Gehirn positive Berührungsreize in Entspannung verwandelt. Dafür verantwortlich sind die C-taktilen-Fasern, auch Streichelfasern, die auf sanfte Berührungen am Rücken bei 34 Grad Celsius, der Temperatur der Fingerspitzen, reagieren. Dabei wird nach Streichelgeschwindigkeit und Temperatur bewertet, wobei eine Berührung mit etwa 1 bis 10 cm pro Sekunde als angenehmes Streicheln empfunden wird. Bei Babys stabilisieren Berührungen die Atmung und regulieren den Blutzuckerspiegel, Umarmungen stärken das Immunsystem und häufig umarmte Menschen sind weniger anfällig für Erkrankungen. Positive Berührungen bauen Aggressionen und Stress ab und lindern Schmerzen, auch seelische.

Umarmungen und Berührungen sind für Menschen in ihren Beziehungen wichtig, wobei je enger eine Beziehung ist, die man mit jemandem hat, desto desto mehr von einem Körper darf man dabei berühren. Um zu verstehen, was bei Körperkontakt passiert, muss man in die Evolution der Primaten zurückblicken. Affen und Menschenaffen schaffen und erhalten ihre Beziehungen durch die soziale Fellpflege, wobei die Fellpflege nicht allein damit verbunden ist, Schmutz oder Parasiten aus Haut und Pelz zu entfernen, sondern die Bedeutung kommt auch durch das langsame Fahren durch das Fell zustande, das mit dem Suchen des Putzenden verbunden ist. Das gilt auch, wenn Eltern durch die Haare ihrer Kinder fahren, und schließlich finden auch die meisten Menschen ein gewisses Wohlgefühl durch die Zuwendungen ihres Friseurs beim Haarewaschen oder Frisieren. Das langsame Streicheln, das mit einer Fellpflege verbunden ist, stimuliert die afferenten Tastneuronen, die nur in behaarter Haut zu finden sind und die sich von den anderen Neuronen unterscheiden, die Informationen über Berührung, Schmerz oder Druck übermitteln. Diese speziellen Neuronen reagieren nur auf leichtes und langsames Streicheln und besitzen eine direkte Verbindung zum Gehirn, wo sie die Freisetzung von Endorphinen auslösen. Endorphine sind Teil des Schmerz-Kontroll-Systems und erzeugen einen schmerzlindernden Effekt, weshalb etwa menschliches Kuscheln mit seinen begleitenden Verhaltensweisen wie Streicheln, Abtasten und dem gelegentlichen Fahren durch das Haar eine Form der menschliche Primaten-Fellpflege darstellt, die darauf ausgelegt ist, auch Beziehungen zu schaffen und zu erhalten. Da das Empfinden für psychischen Schmerz in den gleichen Arealen verarbeitet wird wie das Empfinden für physischem Schmerz, dämpfen Endorphine, die bei einer Umarmung und Berührung entstehen, auch seelischen Schmerz, sodass eine Umarmung in einer solchen Situation als tröstlich und sogar schmerzlindernd empfunden werden kann. Nicht zuletzt werden diese Effekte auch durch das Neuropeptid Oxytocin verstärkt. Das Ausmaß, in dem das Umarmen Menschen Behagen bereitet und ihnen hilft, Beziehungen zu stärken, so gibt es auch einen Mechanismus, der das Empfinden von Berührungen von angenehm in unangenehm umlenken kann, wenn diese von den falschen Menschen kommen - siehe dazu etwa die Bedeutung der Distanzzonen.

Martin Grunwald, Professor für Wahrnehmungspsychologie an der Universität Leipzig, bezeichnet in der sehr frühen Kindheit Körperberührungen als elementare Voraussetzung dafür, dass der Säugetierorganismus Mensch überhaupt wächst. Es gibt kein neuronales oder körperlich-zelluläres Wachstum ohne ein adäquates Maß an Körperverformung, sprich Körperberührungen. Grunwalds Versuche haben gezeigt, dass befruchtete Eizellen im Mutterleib bereits in der sechsten Schwangerschaftswoche auf Berührung reagieren und so Wachstum stimuliert wird. Bei Erwachsene senden rund 900 Millionen Rezeptoren in jedem Augenblick Informationen an das Gehirn, ein Vielfaches der Seh- und Höreindrücke. Im Kernspintomographen untersucht Grunwald die durch Berührung ausgelösten biochemischen Vorgänge im Körper und ihre individuelle und soziale Auswirkung. „Die körperliche Entspannung, die Regulation von Emotionen kann man mit Körperberührung sehr gut hinbekommen, und wir haben eine ganze Reihe positiver Immunreaktionen, die nur und ausschließlich durch Köperberührung stimuliert werden." Nach Grunewald sind Menschen auf Körperkontakt auf der individuellen Ebene für ein gesundes, menschliches Leben angewiesen. Untersuchungen haben etwa gezeigt, dass KellnerInnen, die ihren Gast vor dem Bezahlen kurz leicht berühren, durchweg mit einem höheren Trinkgeld rechnen dürfen. Bereits ein leichtes Schulterklopfen vor einer Prüfung verringert den Blutdruck und das Stresslevel bei Studierenden messbar.

Zum Thema "Umarmung" gab der Autor der Arbeitsblätter zu Beginn des Jahres 2012 einer Journalistin ein Interview. Hier der vollständige Text des Interviews mit Fragen und Antworten:

Warum sind Umarmungen wichtig?

Dazu nur ein Zitat von Virginia Satir: "We need four hugs a day for survival, eight hugs a day for maintenance, and twelve hugs a day for growth." Also: Menschen brauchen am Tag vier Umarmungen zum bloßen Überleben, acht Umarmungen, um leben zu können, und zwölf Umarmungen, um wachsen zu können.

Wie wirken sie auf uns? Auf unseren Körper und auf unsere Psyche? Was lösen sie in uns aus?

Generell gilt für Umarmungen, dass man dabei ja in die intime Distanzzone eines anderen Menschen eindringt, in die man nur mit einer besonderen Erlaubnis und beim Bestehen einer emotionalen Beziehung eindringen darf. Die Wirkung einer Umarmung hängt daher immer auch von der Person ab, der man eine Umarmung gestattet. Im Normalfall werden nur sehr eng Vertraute in diese Intimzone gelassen, also Partner, enge Verwandte oder gute Freunde. Wenn Fremde in diese Intimzone eindringen, löst das Unlustgefühle und manchmal sogar Fluchtreaktionen aus. Der Sinn einer Umarmung ist ja, dass jeder den Körper des anderen spüren kann, sodass man lieber abbrechen soll und muss, wenn sich dabei Unbehagen einstellt. Eine gute Umarmung entlastet den Körper, lockert und öffnet ihn.

Ausgrenzung durch andere Menschen bedroht das menschliche Bedürfnis nach sozialer Interaktion und sozialem Anschluss, und zwar mit negativen Folgen für Kognitionen, Gefühle und Verhaltensweisen. In einer Studie haben Morese et al. (2019) Verhaltens- und fMRI-Messungen benutzt, um zu untersuchen, welche Form der sozialen Unterstützung die negativen Auswirkungen sozialer Ausgrenzung abfedern kann. Dabei verglich man zwei Arten der Unterstützung durch einen Freund: emotionale Unterstützung, vermittelt durch sanfte Berührung, und verbale Unterstützung in Form einer informativen Textnachricht. Bei weiblichen ProbandInnen wurden während eines virtuellen Ballwurfspiels unter den beiden genannten Bedingungen, bei der sie von der Teilnahme ausgeschlossen wurden, fMRT-Messungen durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass die Erfahrung der sozialen Ausgrenzung durch die Art der erhaltenen Unterstützung moduliert wird, wobei körperliche und emotionale Berührungen durch eine nahestehende Person einen wirkungsvollen Weg im Umgang mit negativen Emotionen sein kann, wobei diese jedenfalls viel eher funktioniert als die rationale Erklärung einer Situation, in der sich jemand befindet.

Eine Untersuchung zeigte übrigens, dass Umarmungen nur bei Frauen stressreduzierend wirken. Siehe dazu Stangl, W. (2022, 24. Mai). Umarmungen wirken nur bei Frauen stressreduzierend. arbeitsblätter news.

https://arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/umarmungen-wirken-nur-bei-frauen-stressreduzierend/.

Wie man richtig umarmt

Dueren et al. (2021) wollten herausfinden, wie verschiedene Formen der Umarmung bewertet werden und ob sie die Stimmung beeinflussen können. Außerdem wollten sie untersuchen, welche Art der Armverschränkung unter natürlichen Bedingungen üblich ist und ob sich die Art der Armverschränkung durch das Geschlecht, die emotionale Nähe und den Größenunterschied der Umarmenden vorhersagen lässt.

In einer ersten Studie mit Frauen umarmten die Teilnehmerinnen mit verbundenen Augen eine andere Person für 1 Sekunde, 5 Sekunden oder 10 Sekunden mit zwei verschiedenen Arten der Armverschränkung und berichteten, wie angenehm, erregend und kontrolliert die Berührung empfunden wurde. Darüber hinaus wurden die Teilnehmer unmittelbar nach jeder Umarmung, nach 3 Minuten und nach 6 Minuten zu ihrer Stimmung befragt. Die Ergebnisse der ersten Studie deuteten darauf hin, dass die Dauer der Umarmung eine größere Auswirkung auf das Vergnügen, die Erregung und die Kontrolle hatte als die Art der Armüberkreuzung, wobei Umarmungen von 1 Sekunde als weniger vergnüglich und kontrollierter bewertet wurden als Umarmungen von 5 und 10 Sekunden. Dementsprechend führten Umarmungen von 1 Sekunde auch zu einer niedrigeren Selbsteinschätzung der Lust unmittelbar nach der Umarmung als Umarmungen von 5 und 10 Sekunden, wobei die Selbsteinschätzung der Erregung unmittelbar nach der Umarmung höher war als einige Minuten nach der Umarmung.

In einer zweiten Studie wurden männliche und weibliche Teilnehmer auf dem Campus angesprochen und um eine gemeinsame Umarmung gebeten, wobei die Art der Armüberkreuzung die abhängige Variable war. In der zweiten Studie hing das Geschlecht mit der Art des Armverschränkens zusammen, wobei männliche und weibliche Umarmungspaare einen anderen Umarmungsstil an den Tag legten als weibliche und männliche Paare. Männer umarmten sich am häufigsten, indem sie ihren Arm hinter die Schulter und ihren anderen Arm hinter die Hüfte des Umarmungspartners legten, während Frauen sich häufiger gleichzeitig mit beiden Armen entweder an den Schultern oder an der Hüfte umarmten. Der Größenunterschied, das Geschlecht und die selbst eingeschätzte emotionale Nähe zum umarmenden Partner wurden als mögliche Prädiktoren für die Art der Umarmung erfasst. Mehr als achtzig Prozent der männlichen Probanden umarmten den anderen Mann um die Schulter und um die Hüfte, aber fast fünfzig Prozent der Frauen wählten die alternative Methode, gleich, sie eine Frau oder einen Mann als Partner für die Umarmung hatten. Weder die gefühlsmäßige Beziehung noch Differenzen in der Körpergröße zwischen den Testpaaren beeinflussten die Armhaltung.

Wie wichtig sind Umarmungen in Beziehungen?

Umarmungen sind in diesem Fall Ausdruck der bestehenden Gefühle für den anderen, sie sind also auch Bekräftigungen der bestehenden Beziehung, wobei es auf die Dauer zu einem Gewöhnungseffekt kommen kann. Man umarmt sich am Morgen beim Abschied oder am Abend beim Wiedersehen. Doch auch wenn eine Umarmung oft nur mehr aus Routine erfolgt, kann sie für einen der beiden mehr oder weniger unterschiedliche Bedeutung besitzen. Untersuchungen (Murphy, Janicki-Deverts & Cohen, 2018) zeigen, dass sich jemand, der nach und auch schon vor einer Meinungsverschiedenheit umarmt wird, ein geringeres Risiko hat, dass sich der Streit negativ auf die Stimmung niederschlägt. Über zwei Wochen hinweg machten TeilnehmerInnen einer Studie jeden Abend Angaben zu den Konflikten des Tages, und gaben an, ob sie vor oder nach dem Streit umarmt wurden. Dabei zeigte sich, dass eine Umarmung die gute Laune der Streitenden deutlich stabilisiert und Gefühle wie Ärger oder Enttäuschung dämpft. Der Zusammenhang zwischen Umarmungsempfang und konfliktbedingten Veränderungen der Affekte unterschieden sich nicht zwischen Frauen und Männern, zwischen Menschen, die verheiratet oder in einer eheähnlichen Beziehung waren, und solchen, die es nicht waren. Obwohl es sich dabei nur um einen korrelativen Zusammenhang handelt, stehen diese Ergebnisse im Einklang mit der Hypothese, dass Umarmungen Puffer gegen schädliche Wirkungen bei zwischenmenschlichen Konflikten.

Nicht-sexuelle körperliche Zuneigung wie Umarmungen, Berührungen, Händchenhalten oder Kuscheln spielen eine wichtige Rolle für das Funktionieren einer Beziehung, aber nicht alle Menschen sind mit den Berührungen, die sie von ihrem Partner erhalten, zufrieden. Unterschiede in den Bindungstendenzen Erwachsener sind dabei eine Möglichkeit, die individuellen Unterschiede in der Berührungszufriedenheit zu verstehen. Es gibt auch Belege dafür, dass Beziehungsstreits deeskalieren und produktiver werden, wenn man einfach die Hand des Partners nimmt, d. h., einfache Berührungen können sogar Konflikte entschärfen. Wagner ett al. (2020) haben in einer Querschnittsuntersuchung an einer Stichprobe von Ehepaaren untersucht, wie Bindung mit der Berührungszufriedenheit in der Ehe zusammenhängt. Der Bindungsstil existiert dabei dabei bekanntlich in einer großen Bandbreite, wobei vermeidende Menschen mehr zwischenmenschliche Distanz bevorzugen, während ängstliche Menschen mehr Nähe suchen. Dieser Bindungsstil entwickelt sich in der Kindheit, kann sich aber im Laufe der Zeit ändern und mit dem betreffenden Individuum variieren. Es hängt dabei viel davon ab, wie offen, eng und sicher man sich mit diesem Menschen fühlt, was von vielen Faktoren beeinflusst wird.  Man erwartete in der Untersuchung, dass vermeidende Menschen weniger Berührung bevorzugen, während ängstliche Menschen mehr wünschen. Je mehr routinemäßige Zuneigung die Paare erfuhren, desto zufriedener fühlten sie sich mit den Berührungen ihrer Partner, selbst wenn sie einen vermeidenden Bindungsstil hatten. Bei geringer körperlicher Zuneigung waren ängstliche Ehemänner aber weniger zufrieden mit den Berührungen, nicht aber ängstliche Partnerinnen, die sich oft dafür entscheiden, die fehlende Zuneigung zu erbitten.

Wie wichtig sind sie in der Freundschaft?

Hier gilt Ähnliches wie in einer Beziehung, sie dienen der Bekräftigung. Die Form und auch die Intensität der Umarmung hängt hier ja auch von der Dauer der Freundschaft ab, der Situation. Es kann durchaus sein, dass man jemanden spontan in den Arm nimmt, den man bisher nicht umarmt hat, etwa wenn der andere vom Tod eines Angehörigen erzählt. Umarmungen können je generell sehr spontan sein, etwa im Sport, wo es weniger um die Beziehung zum anderen geht, als um der gemeinsamen Freude oder auch der Trauer Ausdruck zu verleihen.

Sind Umarmungen in jedem Alter bedeutend?

Ja, wenngleich das sowohl von der Person als auch den Umständen abhängt. Vermutlich verändert sich die Wichtigkeit, von anderen umarmt zu werden, im Leben, aber dafür lässt sich keine allgemeine Regel aufstellen.

Aus einer Frage/Antwort-Community:
Ich möchte ganz gerne, dass mich mal jemand in den Arm nimmt Was soll ich nur machen?
Es ist ganz selten, dass mich mal jemand umarmt. Ich wünsche mir einfach, dass mich mal jemand in den Arm nimmt und die auch ein bisschen länger halten soll. Mir geht es meistens nicht gut, weil es im meinem Leben nicht alles glatt läuft. Bin oft traurig deswegen. Deswegen wünsche ich mir das sehr. Freunde von mir umarmen mich entweder sehr selten oder fast gar nicht. Im der Familie umarmen wir uns nie. Meine Eltern umarme ich nicht so gerne. Aber bei anderen schon. Bei Männern eher nicht so, weil ich ja ein Mädchen bin und ich das bei Frauen eher gerne mache. Ich habe das nie so kennengelernt, dass man sich mal umarmt. Ich bin jetzt nicht der spontane Mensch sondern ich frage halt, ob ich denjenigen umarmen könnte. Das habe ich aber erst bei zwei Lehrerinnen getan, die ich zum Abschluss umarmt habe. Bei anderen habe ich das noch nie gemacht. Ich bin ein bisschen schüchtern und zurückhaltend drauf und auch eher vorsichtig nicht das ich was falsch mache. Ich wünsche mir einfach eine Umarmung, die auch ein bisschen länger anhält. Ich brauche das schon lange. Was soll ich nur machen?

Umarmung von Kleinkindern

Yoshida et al. (2020) haben untersucht, wie Säuglingen bzw. Kleinkinder im ersten Lebensjahr während einer Umarmung, eines Haltens und einer engen Umarmung durch die Eltern oder andere Personen reagieren. Für die Studie wurde die Herzfrequenz der Kinder und die Festigkeit der Umarmung mittels Drucksensoren auf der Haut der Erwachsenen gemessen, während diese von ihren Eltern und Fremden wahlweise gehalten oder unterschiedlich stark umarmt wurden. Säuglinge, die älter als vier Monate waren, zeigten während einer Umarmung eine verminderte Herzfrequenz und eine ausgeprägte parasympathische Aktivität. Dabei wirkte vor allem eine mittelfeste Umarmung beruhigend, während eine feste Umarmung hingegen weniger wirksam war. Es zeigte sich auch, dass die Kinder zu lange Umarmungen weniger mögen, denn eine Umarmung von einer Minute oder länger führte fast unvermeidlich zu schlechter Laune bei den ihnen. Bei Kindern, die älter als 124 Tage waren, stellte man außerdem einen Unterschied dabei fest, ob es sich beim Umarmenden um einen Elternteil oder um eine fremde Frau handelte, woraus sich ergibt, dass die perfekte Umarmung demnach eine nicht zu feste von den eigenen Eltern darstellt.

Übrigens: Oxytocin dürfte dabei keine Rolle spielen, denn die Zeitspanne des Umarmungsexperiments war dafür wohl zu kurz.

Forscher haben jüngst herausgefunden, dass Umarmungen die Gehirnentwicklung von Kindern positiv beeinflussen kann, denn bei Babys und Kindern, die von ihren Eltern oft umarmt wurden, entwickelte sich das Gehirn schneller und besser als bei Kindern ohne diese Form der Zuneigung.Oxytocin hat außerdem Einfluss an der Entwicklung des embryonalen Gehirns, etwa bei der Bildung von Blutgefäßen in der Hypophyse. Frühchen reagieren dabei auf körperlichen Kontakt weniger als Babys, die nicht zu früh auf die Welt kamen, doch bei Kindern, die Zuneigung in Form von Umarmungen erhielten, stellte man eine stärkere Gehirnreaktion fest. Demnach kann eine solche Form der Zuneigung die Entwicklung von Kindergehirnen maßgeblich beeinflussen.

Einschränkung durch das "Nein" des Kindes

Trotz der großen grundsätzlichen Bedeutung von Berührungen müssen sich Kinder von Erwachsenen weder küssen noch umarmen lassen und es ist wichtig, dass Kinder von klein auf lernen, "Nein" zu sagen, wobei Erwachsene und auch die Eltern das akzeptieren sollten. Das bedeutet, zu akzeptieren, wenn ein Kind nicht umarmt oder geküsst werden will, und ein Nein sollte von jedem Erwachsenen, auch von den eigenen Großeltern, anstandslos akzeptiert werden, denn nur so lernt ein Kind, dass ein Nein eine Wertigkeit hat. Bereits Babys und sehr kleine Kinder, die noch nicht sprechen können, zeigen in ihrer Körperhaltung und durch Laute, wenn ihnen etwas nicht gefällt, d. h., sie schütteln verneinend den Kopf oder lösen sich aus einer Umarmung heraus. Umgekehrt geben Kinder auch ganz klare Signale, wenn sie Körpernähe wünschen, d. h., streckt ein kleines Kind die Hände nach oben, ist klar, dass es hochgenommen werden möchte. Bezugspersonen spüren in der Regel sehr schnell, was ein Kind möchte und was nicht. Selbst Babys können zwischen einer guten und schlechten Berührung unterscheiden, und das wird auch kognitiv so verarbeitet und abgespeichert.
Quelle: Die Kinderpsychologin Sabine Völk-Kernstock in einem Standard-Interview vom 30. August 2023.


Auch mit einer Umarmung kann man einen Gegner bewegungsunfähig machen.
Amintore Fanfani

Kann man auch unemotional umarmen?

Wenn die Umarmung nur ein Ritual darstellt, hinter dem keine Emotionen dem anderen gegenüber stehen, dann können Umarmungen natürlich eine Floskel darstellen, wie man sie etwa beim Grüßen äußert. Es lässt sich häufig beobachten, dass Menschen bei der Umarmung in der Vorbeugehaltung, bei der Wangen und Schultern sich berühren (Bussi-Bussi) eher steif sind, also einen Formalakt absolvieren, da beide eigentlich nichts spüren wollen. Sich zu umarmen ist unter solchen Umständen  ja auch oft ein gegenüber Dritten gezeigtes Zeichen von Vertrauen, eine Demonstration. Übrigens fand sich auf einem Frage-Antwort-Portal folgendes Posting:

Wie sagt man Menschen höflich, dass man nicht umarmt werden möchte?
Ich finde, wir leben in einer Kultur, in der zu schnell und ohne großen Anlass umarmt wird. Erst jetzt im Urlaub habe ich es erlebt, dass die Vermieterin meiner Ferienwohnung mich zum Abschied ungefragt umarmte, obwohl ich sie erst ein zweites mal sah und das Verhältnis doch rein geschäftlich gehandhabt wurde. Mir jedoch ist das unangenehm und zu dicht, aus welchem Grund auch immer, wenn familienfremde Menschen mich zu vorzeitig umarmen wollen. Muss ich da eher an mir und meiner Toleranzgrenze arbeiten, es einfach dulden oder gibt es die Möglichkeit Leuten höflich zu sagen oder zu zeigen, dass man eine Umarmung nicht möchte, ohne dass sie sich gleich denken: "Was ist denn das für einer?". Geht es noch anderen so wie mir?

Welche Defizite entwickeln sich, wenn man z. B. in der Kindheit wenig umarmt wird?

Das hängt immer von der Persönlichkeit des Kindes, seinem Alter bzw. seinen Bedürfnissen ab, denn Kinder unterscheiden sich darin, wie viel und vor allem wie lange sie diese Form der Zuwendung benötigen. In manchen Kulturen ist der Körperkontakt zwischen Kindern und Betreuungsperson intensiver als in anderen, wobei dieser intensivere Kontakt ein gesteigertes Wohlbefinden bei Kind und Betreuungsperson bewirkt, wobei sich auch das entwickelt, was man als "Urvertrauen" bezeichnet, das dem Kind ein Gefühl der Geborgenheit vermittelt. Da mit der Geburt auch ein Loslösungsprozess beginnt, der sich ab einem gewissen Alter auch als Abneigung etwa der elterlichen Umarmung gegenüber äußert.

Kann ich umarmen lernen?

Diese Frage enthält ein Paradoxon, denn die Gefühle anderen Personen gegenüber, also angefangen von der Sympathie bis zur Liebe, lassen sich nicht erlernen. Was man lernen kann, ist zu erkennen, ob überhaupt und wie eine Umarmung in einer konkreten Situation einem bestimmten gegenüber Menschen passt. Man kann lernen, die Signale, die der andere aussendet, richtig zu deuten und vielleicht notfalls lieber auf die Umarmung zu verzichten.

Übrigens gibt es ja auch im Tanz stark ritualisierte Formen der Umarmung, die von der Art des Tanzes abhängen, und von einer sehr offenen Haltung bis hin zu einer sehr engen Form reicht.

Die Lateralität von Umarmungen

Man weiß seit langem, dass Umarmungen wichtig für die Entwicklung menschlicher Beziehungen sind und dass sie deshalb zu den häufigsten nonverbalen Verhaltensweisen zählen. Packheiser et al. (2018) haben nun untersucht, von welcher Seite sich Menschen umarmen und warum sie das tun. Man wertete dazu über 2500 Umarmungen aus, und zwar auf einem deutschen Flughafen, auf offener Straße und auch im Labor, wobei Probanden eine Schaufensterpuppe umarmen mussten. Bei den Umarmungen im Abflugterminal ging man von eher negativen Emotionen der umarmenden Personen aus (Verabschiedung, Flugangst), bei den Umarmungen im Ankunftsterminal eher von positiven Emotionen (Wiedersehensfreude, Erleichterung über den überstandenen Flug). Neutrale Umarmungen wurden auf YouTube Aufzeichnungen von Menschen, die Fremden auf der Straße Umarmungen mit verbundenen Augen anboten, untersucht. Man stellte dabei fest, dass die meisten Menschen eine rechtsseitige Umarmung bevorzugen, also eine Umarmung, bei der die rechte Hand über die linke Schulter des Gegenübers geführt wird. Es zeigte sich aber auch, dass sowohl in positiven wie auch in unerfreulichen Situationen häufiger linksseitig umarmt wird als in neutralen Situationen. Man führt das auf den Einfluss der rechten Gehirnhälfte zurück, die die linke Körperhälfte kontrolliert und sowohl positive als auch negative Emotionen verarbeitet. Bei Umarmungen interagieren emotionale und motorische Netzwerke im Gehirn und führen zu einer stärkeren Linksorientierung in gefühlsbetonten Zusammenhängen. Vor den Versuchen im Labor mit der Schaufensterpuppe erzählte man den Probanden verschiedene positive, negative oder neutrale Kurzgeschichten. Dabei wurde auch die Händigkeit und Füßigkeit der Probanden durch einen Fragebogen mit erfasst, wobei diese tatsächlich einen Einfluss darauf hatte, in welche Richtung eine Umarmung ausgeführt wird, denn Rechtshänder neigen stärker dazu, eine andere Person auch von rechts zu umarmen, als Linkshänder. Einen Sonderfall bildete die Umarmung zwischen zwei Männern, da bei ihnen in neutralen Situationen eine deutliche Linksorientierung beobachtbar war. Man vermutet, dass Umarmungen unter Männern von vielen als unüblich bewertet und daher selbst in Situationen wie einer Begrüßung tendenziell als negativ wahrgenommen werden, sodass wegen der negativen Begleitemotionen auch hier die rechte Gehirnhälfte aktiv ist und die motorische Ausführung nach links beeinflusst.

Nicht nur die Lateralität, sondern auch die Emotion beeinflusst die Form der sozialen Berührung

Soziale Berührungen sind ein wichtiger Aspekt der menschlichen sozialen Interaktion, denn in allen Kulturen findet man bei Menschen das Küssen, das Wiegen von Kleinkindern oder das Umarmen. Diese Verhaltensweisen sind notwendigerweise asymmetrisch, aber die Faktoren, die ihre Lateralisierung bestimmen, sind bisher noch kaum geklärt. Da die Hände oft an solchen sozialen Berührungen beteiligt sind, können motorische Präferenzen zu einem asymmetrischen Handeln führen. Soziale Berührungen treten jedoch oft in emotionalen Kontexten auf, was darauf hindeutet, dass Verzerrungen durch Asymmetrien in der emotionalen Verarbeitung moduliert werden könnten, sodass man durch solche soziale Berührungen Einblicke in lateralisierte Gehirnnetzwerke entdecken kann, die Emotionen und Handlungen verbinden. Metaanalysen zeigen, dass seitliche Verzerrungen in allen Formen der sozialen Berührung auftreten, aber aber diese nicht vollständig durch Händigkeit bestimmt werden. So gibt gibt es allgemein eine Präferenz, den Kopf beim Küssen nach rechts zu neigen, eine Umarmung mit der rechten Hand zu initiieren und Babys im linken Arm zu wiegen. Beim Küssen und Umarmen geht man davon aus, dass Menschen eine dominante Führungshand haben, mit der sie die Bewegung initiieren, doch in emotionalen Situationen verschiebt sich die Seitenpräferenz allerdings nach links, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um den Ausdruck einer positiven oder negativen Emotionen handelt. Man vermutet, dass die Verschiebung nach Links in emotionalen Situationen dadurch entsteht, dass Emotionen vornehmlich in der rechten Gehirnhälfte verarbeitet werden, die die Bewegungen der linken Körperhälfte steuert. Demnach gibt es also bei diesen sozialen Berührungen Seitenverzerrungen, die durch den emotionalen Kontext ausgelöst werden, und zwar am stärksten bei der Umarmung. Offenbar interagieren motorische und emotionale Netzwerke im Gehirn, die miteinander eng verschaltet sind (Ocklenburg et al., 2018).

Umarmungen von Hunden

Der Psychologe Stanley Coren durchforstete das Internet mit Begriffen wie „hug dog“ or „love dog“, um nach Fotos zu suchen, auf denen ein Hund von einem Menschen umarmt wird. Er wählte nach dem Zufallsprinzip 250 Bilder aus, auf denen man deutlich die Körpersignale, vor allem aber die Mimik des Hundes sehen und analysieren konnte. Man sah dabei viele glückliche Menschen aber viele unglückliche Hunde, denn auf 82 Prozent der Bilder zeigten die Tiere mindestens ein Zeichen dafür, dass sie sich unwohl fühlten, nur bei acht Prozent sah man einen Hund, dem offenbar Spaß machte, was gerade mit ihm geschah. Als typische Zeichen für Unwohlsein wurde gewertet, wenn der Hund vom Umarmenden wegschaute, die Ohren anlegte oder mit der Zunge die Lippen beleckte. Ein Hinweis auf Stress oder Angst ist auch, wenn das Tier den Halbmond-Blick aufsetzt, bei dem die Augäpfel nach oben wandern, so dass sich am innen-unteren Augenrand das Weiße in Form einer Mondsichel zeigt, der in der Hundesprache für ein „Bitte lass es schnell vorübergehen“ steht. Das Umarmen ist für einen Hund eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit und damit eine Bedrohung, sodass sich Hunde dabei unwohl fühlen, und nicht wenige Menschen werden beim Umarmen eines Hundes gebissen.
Quelle: taz.de vom 30. April 2015

Die Rolle der Berührung im Sport

Körperliche Berührungen durch andere Menschen im Sport sind oft ein Ausdruck von Freude oder häufig auch sozialer Unterstützung, aber Berührungen lindern manchmal auch Stress, der sonst die Leistung bei sportlichen Aufgaben beeinträchtigen könnte. Man denke nur an die Szenen im Fußball oder anderen Mannschaftssportarten, wenn ein Tor oder ein Wurf gelungen ist. Häufigere Berührungen wurden auch tendenziell mit dem Saisonerfolg der Mannschaften in Verbindung gebracht.
Büttner et al. (2024) haben nun untersucht, ob körperliche Berührungen die Leistung in stark stressigen Situationen verbessern, und zwar bei Freiwürfen im Basketball. In zwei Studien untersuchten sie, wie oft Mitspieler den Werfer zwischen zwei Freiwürfen berührten, zum Beispiel durch Tippen auf die Schulter. Es zeigte sich, dass die Anzahl der Berührungen (von 0, 1, 2, 3 oder allen 4 Mitspielern) nach dem ersten Freiwurf den Erfolg beim zweiten Freiwurf vorhersagte, allerdings nur, wenn die Spieler den ersten Freiwurf verfehlten. Das bedeutet, dass die Unterstützung durch Mitspieler, die sich in körperlichem Kontakt ausdrückt, besonders hilfreich ist, wenn das Stressniveau bereits hoch ist. Die Ergebnisse sind stabil, wenn das Leistungsniveau der Spieler, Heim- und Auswärtsspiele, die Punktedifferenz und die verbleibende Spielzeit berücksichtigt werden. Körperkontakt verbessert also tatsächlich die Leistung unter Stress und überlagert eine Reihe anderer Faktoren, wahrscheinlich auch in anderen Mannschaftssportarten und zwischenmenschlichen Beziehungen.
 

Literatur

Büttner, Christiane M., Kenntemich, Christoph & Williams, Kipling D. (2024). The power of human touch: Physical contact improves performance in basketball free throws. Psychology of Sport and Exercise, 72, doi.org/j.psychsport.2024.102610.

Dueren, A. L., Vafeiadou, A., Edgar, C. & Banissy, M. J. (2021). The influence of duration, arm crossing style, gender, and emotional closeness on hugging behaviour. Acta psychologica, 221, doi.:10.1016/j.actpsy.2021.103441.

Morese, R., Lamm, C., Bosco, M. F., Valentini, M. C. & Silani, G. (2019). Social support modulates the neural correlates underlying social exclusion. Social Cognitive and Affective Neuroscience, doi:10.1093/scan/nsz033.

Murphy, Michael L. M., Janicki-Deverts, Denise & Cohen, Sheldon (2018). Receiving a hug is associated with the attenuation of negative mood that occurs on days with interpersonal conflict. PLOS ONE, 13, doi:10.1371/journal.pone.0203522.

Ocklenburg, Sebastian, Packheiser, Julian, Schmitz, Judith, Rook, Noemi, Güntürkün, Onur, Peterburs, Jutta, Grimshaw, Gina M. (2018). Hugs and kisses – The role of motor preferences and emotional lateralization for hemispheric asymmetries in human social touch. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 95, 353-360.

Packheiser, J., Rook, N., Dursun, Z., Mesenhöller, J., Wenglorz, A., Güntürkün, O. & Ocklenburg, S. (2018). Embracing your emotions: affective state impacts lateralisation of human embraces. Psychological Research, 82, 1–11.

Stangl, W. (2024, 6. Mai). Die Rolle der Berührung im Sport. arbeitsblätter news.
https://arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/die-rolle-der-beruehrung-im-sport/.

Wagner, Samantha, Mattson, Richard, Davila, Joanne, Johnson, Matthew & Cameron, Nicole (2020). Touch me just enough: The intersection of adult attachment, intimate touch, and marital satisfaction.Journal of Social and Personal Relationships, doi:10.1177/0265407520910791.

Yoshida, Sachine, Kawahara, Yoshihiro, Sasatani, Takuya, Kiyono, Ken, Kobayashi, Yo & Funato, Hiromasa (2020). Infants Show Physiological Responses Specific to Parental Hugs. iScience, 23, doi:10.1016/j.isci.2020.100996.

http://www.netzpiloten.de/hugabrit-wissenschaft-umarmungen/ (16-04-20)

http://news.rub.de/presseinformationen/wissenschaft/2018-01-24-psychologie-gefuehle-entscheiden-von-welcher-seite-wir-uns-umarmen (18-01-25)

https://www.deutschlandfunk.de/forschung-aktuell.675.de.html (19-02-27)



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