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Schmerz und Schmerzempfinden

Schmerz ist unsere einzige Verbindung zur Realität.
Joseph Conrad

 

Körperlicher, seelischer und sozialer Schmerz

Nach Untersuchungen von amerikanischen Psychologen wird im Gehirn bei emotionalem oder sozialem Schmerz dasselbe Zentrum aktiviert wie bei körperlichem: der "Anterior Cingulate Cortex" (ACC). Dieser Bereich ist ein Alarmsystem, welches das Gehirn in Aufregung versetzt, wenn der Körper irgendwo Schmerz meldet - und auch wenn die Emotion Schmerz meldet. Der Schmerz selbst ist natürlich ein anderer bei einem gebrochenen Bein als bei einem gebrochenen Herzen, aber die Gehirnaktivierung geht denselben Weg.

In einem Experiment ließ man Studenten - die dabei in Magnetresosanzgeräten saßen - das Computerspiel "Cyberball" spielen, bei welchem sich drei Spieler auf dem Bildschirm Bälle zuwerfen. Die Probanden glaubten zwar mit anderen Menschen zu spielen, tatsächlich simulierte aber ein Computer die Gegner. In einer ersten Phase durften die Probanden noch nicht mitspielen (vorgeblich wegen technischer Probleme), danach durften sie es (Phase II), aber der Computer war so programmiert, dass er ihnen bald keine Bälle mehr zuwarf und allein die zwei anderen "Spieler" beschäftigte (Phase III), sodass sich die Probanden verletzt und ausgeschlossen fühlten.

In Phase I und III leuchteten im ACC die Gehirne hell auf , aber nur in Phase III - dem sozia-emotional kränkenden Ausschluss - leuchtete noch ein weiteres Gehirnzentrum im rechten präfrontalen Cortex, der die ACC-Aufregung in Bahnen lenkt und nach Reaktionen sucht, wie sie bei körperlichem Schmerz üblich sind. Offenbar hat sich das sozial-emotionale Leid sehr früh an den Mechanismus des physischen angekoppelt, weil zum Überleben Sozialbezug notwendig war. Zerstört man bei Hamstermüttern den ACC, kümmern sie sich nicht mehr um ihre Jungen, junge Affen mit zerstörtem ACC schreien nicht nach ihren fehlenden Müttern.

Man weiß daher schon lange aus Tierversuchen, dass die gleichen neuronalen und biochemischen Systeme Seelenschmerz entstehen lassen, die auch physischen Schmerz vermitteln, wobei die an diesem Prozess beteiligten Neuronen Steuersignale über Opioidrezeptoren erhalten, sodass körpereigene Morphine ausgeschüttet werden, um physische Schmerzen zu lindern. Am sozialen Schmerzerleben ist nach neueren Untersuchungen das selbe Gen (OPRM1-Gen) beteiligt, das auch den körperlichen Schmerz reguliert, wobei ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung eine Variante dieses Gens besitzt, in der an einer Stelle des DNA-Strangabschnitts anstatt der Base Adenin die Base Guanin sitzt. Die Träger dieser Genvariante reagieren empfindlicher auf bestimmte körperliche Schmerzreize und auch auf soziale Schmerzreize.

Das Schmerzempfinden als körperliche Antwort auch auf soziale Krisensituationen kann vermutlich sicherstellen, dass Menschen ihre sozialen Bindungen aufrechterhalten, wobei sich das soziale System im Lauf der Evolution vermutlich einige Mechanismen des physischen Schmerzempfindens "ausgeliehen" hat.

Dass Menschen schmerzhafte Erfahrungen in ihrem Schmerzgedächtnis speichern, ist biologisch sinnvoll, da es ihnen ermöglicht, schmerzenden Erlebnissen, die potenziell eine Bedrohung für Leib und Leben sein können, in Zukunft aus dem Wege zu gehen. Manche Menschen sprechen dabei sehr häufig über ihre Schmerzerlebnisse, etwa mit ihrem Arzt oder mit ihrem Therapeuten. PsychologInnen der Uni Jena (Richter et al., 2010) untersuchten mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie, wie die Gehirne der Menschen Worte verarbeiten, die mit dem Empfinden von Schmerzen (etwa "quälend", "zermürbend", "plagend") assoziiert sind. Um dabei auszuschließen, dass die Reaktionen allein auf dem negativen Affekt beruhen, spielte man den ProbandInnen neben Schmerz-Worten auch andere negativ besetzte Worte wie "angsteinflößend", "widerlich" oder "ekelig" vor. Dabei zeigte sich, dass nicht nur schmerzhafte Erfahrungen und Assoziationen, die das Schmerzgedächtnis alarmieren, zu einer Aktivierung führen, sondern auch verbale Reize allein lösen schon eine Aktivierung aus. Negativ besetzte Worte und neutrale bzw. positiv besetzte Worte aktivierten diese Gehirnregionen dagegen nicht. Offensichtlich erhöhen Gespräche über Schmerzen die Aktivität der Schmerzmatrix im Gehirn und führten so zu einer Verstärkung der empfundenen Schmerzen, sodass es besser ist, nicht zu häufig über Schmerzen zu sprechen.

Nach Untersuchungen entwickeln etwa zehn Prozent aller Menschen, die sich einer Operation unterziehen, anschließend ein chronisches Schmerzsyndrom, wobei es Risikofaktoren gibt, die ein Auftreten dieses Syndroms wahrscheinlicher machen. Frühere Studien haben bereits einen positiven Zusammenhang zwischen der Angst vor einem erwarteten Schmerz und dem tatsächlichen akuten Schmerz nach einer Operation gezeigt,, wobei diese oft in Verbindung mit starken präoperativen Schmerzen standen. Sultansei et al. (2018) haben nun ausschließlich Operationspatienten ohne präoperative Schmerzen untersucht. Dabei zeigten tendenziell mehr Patienten, die vor der Operation ein erhöhtes Angst- und Stressverarbeitungslevel aufwiesen, postoperative Schmerzen als solche, die dem Eingriff angstfreier entgegensahen. Ein Zusammenhang war auch mit der Stärke des postoperativen Akutschmerzes zu erkennen, denn wer unter starken Schmerzen direkt nach einer Operation litt, hatte auch noch sechs Monate danach wahrscheinlicher mit chronischen Schmerzen zu rechnen. Die meisten der Betroffenen sahen die Operation selbst als Hauptursache für ihre chronischen Schmerzen, vor allem die, die nicht vollständig von der Notwendigkeit des Eingriffs überzeugt waren und sich von Ärzten dazu gedrängt fühlten, entwickelten in der Folge einen ungünstigeren Schmerzverlauf. Dies bestätigt, dass eine wahrgenommene Ungerechtigkeit einen negativen Einfluss auf den Genesungsprozess ausüben kann. Die Untersuchung macht aber deutlich, dass psychologische Faktoren mit der Schmerzentwicklung nach einer Operation zusammenhängen.

Fotos des Partners können das Schmerzempfinden beeinflussen

Es hat sich gezeigt, dass der soziale Kontext, z. B. die Beziehung zwischen einem Menschen, der Schmerzen hat, und einer Pflegeperson, das Schmerzerleben beeinflusst, doch die Ergebnisse sind nicht einheitlich. Möglicherweise werden die unterschiedlichen Auswirkungen zwischenmenschlicher Beziehungen durch die von den Beteiligten ausgedrückten affektiven Zustände beeinflusst. Das Betrachten von Bildern des Partners in manchen Versuchsplänen wird nicht nur mit einer geringeren wahrgenommenen Schmerzintensität in Verbindung gebracht, sondern beeinflusst auch die neuronalen Reaktionen, wobei die Rolle der affektiven Wirkungen jedoch unklar ist. Ziel der Studie von Hillmer et al. (2021) war es daher, die schmerzmodulierenden Wirkungen von Stimuli mit unterschiedlichem Affekt und sozialem Inhalt, einschließlich persönlicher Relevanz, systematisch zu untersuchen, und zwar anhand subjektiver Berichte und psychophysiologischer Messungen der fazialen und autonomen Aktivität.

Neunundzwanzig Frauen, die in einer seit mindestens sechs Monaten bestehenden, glücklichen Partnerschaft lebten, wurden längere schmerzhafte Hitzereize am Unterarm verabreicht und ihnen zeitgleich verschiedene Fotos gezeigt, um den Einfluss von Gesichtern ihrer Partner mit neutralem Gesichtsausdruck im Vergleich zu glücklichen, wütenden und neutralen Gesichtsausdrücken von Fremden auf die Schmerzintensität und begleitende psychophysiologische Parameter wie Gesichtsaktivität, Hautleitwert und Herzfrequenz zu untersuchen. Neben der wahrgenommenen Unterstützung durch den Partner und den Beziehungsmerkmalen wurde auch der Beitrag des affektiven Werts der Partnergesichter zur beobachteten Schmerzmodulation untersucht.

Die Fotos der Partner und die glücklichen Gesichter der Unbekannten wurden stets als sehr positiv eingeschätzt, die ärgerlichen Gesichter der Unbekannten als sehr negativ, wobei entsprechend der Bewertung der Fotos auch die empfundene Schmerzstärke der Hitzereize variierte. Sahen die Teilnehmerinnen Fotos ihres neutral schauenden Partners oder eines lächelnden Unbekannten, nahmen sie weniger Schmerz wahr als bei Fotos von Gegenständen oder von Unbekannten, die neutral oder ärgerlich schauten. Dieser schmerzlindernde Effekt zeigte sich nicht nur in der eigenen Beschreibung der Schmerzstärke, sondern auch in der verminderten Anspannung der Gesichtsmuskeln. Gesichtsmuskeln sind bei negativen emotionalen Zuständen wie etwa beim Erleben von Schmerz besonders angespannt. Bei Partnerfotos sowie bei den Fotos lächelnder Unbekannter war diese Muskelaktivität besonders gering. Partnergesichter führten auch zu einem erhöhten Hautleitwert, der ein Indiz für die motivationale Aktivierung ist, und zu einer Verlangsamung der Herzfrequenz, was möglicherweise auf eine erhöhte sensorische Aufnahme zurückzuführen ist.

Diese Ergebnisse stimmen teilweise mit Modellen der emotionalen Schmerzkontrolle überein, insbesondere hinsichtlich des modulierenden Einflusses der Wertigkeit. Im Zusammenhang mit sozial adaptivem Verhalten unterstreichen sie insbesondere den sozialen Signalwert von Emotionen und Bezugspersonen. Klinisch bedeuten diese Ergebnisse auch, dass allein das Betrachten von Bildern des Partners bei akuten schmerzhaften Eingriffen, bei denen der Partner nicht mitkommen kann oder in denen seine Anwesenheit nicht hilfreich wäre, einen modulierenden Effekt haben könnte.

Schmerzempfinden

Der Schmerz ist ein biologischer Schutzmechanismus, dessen Signal auf seinem Weg ins Gehirn immer Vorrang vor anderen Reizen bekommt. Rezeptoren geben ein Schmerzsignal an das Rückenmark, das zentrale Nervensystem leitet dann den Schmerzreiz an das Gehirn weite, wo das Signal aber ganz unterschiedlich verarbeitet wird. Der Weg des Schmerzreizes gibt auch Aufschluss darüber, warum jeder Mensch Schmerz anders wahrnimmt. Dem Weg des Schmerzreizes läßt sich zum Beispiel durch Medikamente beeinflussen, etwa beim Zahnarzt, der durch die lokale Betäubung verhindert, dass der Schmerz überhaupt das Gehirn erreicht. Manche Menschen entwickeln auf Grund einer besonderen genetischen Anlage von Geburt an gar kein oder nur ein geringes Schmerzempfinden.

Britischen Wissenschaftler beobachteten an 46 Frühgeborenen im Entwicklungsalter zwischen 28 und 45 Wochen die Gehirnströme, wenn diesen für einen Routinetest Blut aus der Ferse abgenommen wurde. Bis zum Alter von 35 Wochen ergaben sich dabei im Gehirn die gleichen unspezifischen Aktivitätsmuster, wenn die Frühgeborenen den Stich in die Ferse ertragen mussten bzw. ob nur jemand mit einem Reflexhämmerchen klopfte. Erst nach der 35. Woche begann das Gehirn der Kleinkinder, die beiden Stimuli auf unterschiedliche Art zu verarbeiten. Offensichtlich muss das Gehirn eine gewisse Reife erlangen, um zwischen Schmerz und Berührung trennen zu können.

Studien (Krause et al., 2019) zeigten, dass mangelnder Schlaf das menschliche Schmerzempfinden erhöht, sodass sollte man den Schlaf in Therapien viel wichtiger nehmen sollte. Nach einer Untersuchung erhöht sich die Aktivität des somatosensorischen Cortex, der u.a. Schmerzempfindungen verarbeitet, nach einer schlaflosen Nacht um 126 Prozent, während das Belohnungszentrum im Gehirn (nucleus accumbens) und die für die Bewertung von Schmerzsignalen zuständige Region (Inselrinde) weniger aktiv ist. Schlafmangel verstärkt also nicht nur die schmerzempfindlichen Areale des Gehirns, sondern blockiert auch die Zentren, die Schmerzen erträglicher machen.

Jede Schmerzempfindung ist letztlich eine emotionale Reaktion auf eine Bewertung im Gehirn und daher grundsätzlich bei jedem Menschen individuell steuerbar. Denn das menschliche Gehirn kann lernen, dass ein bestimmter Schmerz gar nicht so wichtig ist, es reagiert zumindest teilweise daher auch mit Gewöhnung auf Schmerz. Daher ist es auch möglich, dass man trainiert, wie ein Schmerz bewertet wird. Neuere Untersuchungen zeigen, dass körperlicher Schmerz bereits nach wenigen Minuten psychische Auswirkungen zeigen kann. In einer Untersuchung wurden die Handrücken von Probanden zehn Minuten Hitzereizen ausgesetzt, deren Intensität stark variierte, wobei die Schmerzreize laufend auf einer Skala bewertet werden mussten. Dabei veränderte sich die subjektive Wahrnehmung der Teilnehmer bereits nach wenigen Minuten signifikant, während der objektive Reiz unverändert blieb, d. h., die subjektive Wahrnehmung löste sich bereits nach wenigen Minuten vom objektiven Reiz. Vermutlich entwickelt sich, je länger der Schmerz dauert, über die Emotionen ein stärkeres Schmerzempfinden, denn bei diesem Experiment wurde auch emotionale Areale im Gehirn aktiv, sodass bei einer längeren Dauer des Schmerzes sich dieser offensichtlich von einem reinen Wahrnehmungsprozess zu einem eher emotionalen Prozess umwandelt.

Bei Kindern zeigt sich, dass die Angst vor dem Schmerz oft größer ist als der Schmerz selbst. Verletzen sich Kinder leicht, hängt die Schmerzäußerung auch von der Reaktion der Eltern ab. Eltern sollten daher nie panisch reagieren, wenn sich das Kind einmal verletzt, denn das kann unter Umständen das Schmerzempfinden verstärken. Zuversicht hingegen gibt dem Kind das Gefühl, dass eine Verletzung nicht schlimm ist., was den Schmerz oft erheblich mindert.

Wie Untersuchungen gezeigt haben, führen auch verbale Reize in den entsprechenden Hirnarealen zu einer Aktivierung, denn sobald Menschen Worte hören wie "quälend", "zermürbend" oder "plagend", werden im Gehirn genau die Regionen aktiviert, in denen die Schmerzen verarbeitet werden (vgl. Richter et al., 2010).

Auch Placebo-Medikamente ohne pharmazeutische Wirkung können bekanntlich das Schmerzempfinden verändern.

Für echte Extremsituationen stellt der Körper selbst die stärksten Schmerzmittel zur Verfügung, indem das Gehirn die Ausschüttung von Endorphinen und Adrenalin auslöst, die unempfindlich gegen Schmerzen machen.So sorgen bei einem Verkehrsunfall Endorphine dafür, dass man trotz eines Bruchs die Beine noch bewegen kann, um aus dem Auto zu kommen. Solche körpereigenen Schmerzhemmer lassen sich bei einer ausreichenden Übung auch durch die eigene Vorstellungskraft auslösen. Wer längerfristig das Schmerzempfinden beeinflussen möchte, lernt aber am besten, den Schmerz nicht zu fürchten und ihn nicht schlimmer zu bewerten, als er tatsächlich ist.

Zumindest bei Mäusen fand man Hormon-Andockstelle (Melanocortin-4-Rezeptor), an der sich negative Empfindungen wie Fieber, Schmerz und Übelkeit in positive verwandeln lassen, da dort offenbar angenehme und unangenehme Wahrnehmungen im Gehirn gleichermaßen verarbeitet werden (Klawonn et al., 2018). Wird dieser Rezeptor nämlich blockiert, nehmen diese Tiere unangenehme Erfahrungen nicht mehr als negativ wahr, sondern werden sogar als positiv erlebt. Das Gehirn hat offenbar eine Neuronenverbindung (Nucleus arcuatus) entwickelt, in der sowohl positive wie negative Wahrnehmung unter der Kontrolle eines einzelnen Rezeptortyps verarbeitet werden. Möglicherweise ist dies in der Evolution wichtig gewesen, um bei Bedarf schnell die Wahrnehmung bestimmter Umweltreize zu verändern. Ob es diesen Mechanismus auch bei Menschen gibt, ist noch nicht klar. Für Menschen könnte das aber besondere klinische Relevanz erhalten, denn bei chronisch entzündlichen Erkrankungen ist der Leidensdruck durch Unwohlsein oft sehr groß, führt zu Motivationsverlust und erhöht das Risiko für Depressionen.


Anmerkung: Für Immanuel Kant war der Schmerz der "Stachel aller Tätigkeiten", für Friedrich Nietzsche ein "Befreier des Geistes“, sodass viele kreative Menschen den Schmerz auch als Quelle der Ideenproduktion schätzen. Sigmund Freud litt an schwerer Migräne, wobei er anfangs in ihr ein Symptom der Verdrängung sah, also eine neurotisch bedingte Beschwerde. Um sich selbst möglichst genau und intensiv analysieren zu können, lehnte Freud eine Einnahme von Tabletten ab, und entwickelt eine Philosophie der Resignation, um den Schmerz ohne Klage akzeptieren zu können, wobei er bei "Mittelelend" am besten zu arbeiten vermochte: "Ich ziehe es vor, bei Qualen klar zu denken und lieber zu leiden".


Seelische Schmerzen

Aber vermutlich erhalten nicht nur körperliche Schmerzen als biologische Schutzmechanismen auf ihrem Weg ins Gehirn immer Vorrang vor anderen Reizen, sondern auch seelische Schmerzen und Belastungen. Diese äußern sich aber häufig in Form von Konzentrationsstörungen und auch Unfällen, da diese den automatisierten Lebensvollzug aus dem Unbewussten steigend stören und ihr Recht auf "Zuwendung" fordern. Manche Menschen werden von solchen Belastungen regelrecht aufgefressen und grübeln immer wieder über ihr Schicksal. Hinter dem Begriff „seelischer Schmerz“ verbirgt sich oft eine Form der Psychosomatik, also der Zusammenhang zwischen Psyche und Körper, was sich auch in Formulierungen wie "das macht mir Kopfzerbrechen", "es geht mir an die Nieren" oder "das macht mir Bauchschmerzen" zeigt. Es daher wichtig, den seelischen Schmerz genau so ernst zu nehmen wie den körperlichen. Der Mensch, dessen Körper auf Probleme des täglichen Lebens mit Schmerzen reagiert, ist kein Hypochonder, kein Simulant, sondern es handelt sich dabei um eine normale (physiologische) Reaktion swa Organismus, wobei diese Schmerzen genau so wie z. B. der Zahnschmerz eine Funktion haben, nämlich dem betroffenen Menschen zu signalisieren, etwas zu unternehmen bzw. zu ändern.

Chronischer und regelmäßig wiederkehrender Schmerz verändert das Gehirn

In Studien wurde inzwischen nachgewiesen, dass nicht nur chronischer, sondern auch zyklisch wiederkehrender Schmerz die Neuronenstrukturen im Gehirn verändern kann, also z.B. auch Menstruationsschmerzen. Der wiederkehrende Schmerz reduziert bei Frauen mit regelmäßigen Menstruationsbeschwerden jene Gehirnareale, die für die Schmerzübertragung, die höhergradige Verarbeitung von Sinnesreizen und die Affektsteuerung zuständig sind, und erhöht in Gebieten für Schmerzmodulation und Regulation der endokrinen Funktionen das Volumen der relevanten grauen Substanz.

Echter oder simulierter Schmerz?

Zhao et al. 2021) haben untersucht, wie sich diese Hirnaktivitäten bei eigenem Schmerz und der Empathie bei Schmerzen anderer unterscheiden lässt. Ziel war es herauszufinden, was genau die Aktivierungen im vorderen insulären Cortex des Gehirns während der Empathie auslöst, und ob es wirklich das Nachempfinden des Schmerzes ist, oder lediglich die Reaktion des Gehirns auf ein besonders auffälliges Ereignis, wie etwa ein schmerzverzerrtes Gesicht. Man spielte Versuchsteilnehmern Videoclips von anderen Menschen vor, die über ihren Gesichtsausdruck echten bzw. lediglich vorgetäuschten Schmerz zeigten. Dabei maß man mittels Magnetresonanztomographie, welche Bereiche im Gehirn der Teilnehmer wie stark aktiv waren. Die Ergebnisse zeigten, dass vorgetäuschte Schmerzen tatsächlich den vorderen insulären Cortex aktivieren, d. h., der Ort der Hirnaktivierung ist also beim Ansehen von echtem und simuliertem Schmerz gleich. Entscheidend war aber, dass diese Gehirnregion durch tatsächliche Schmerzen wesentlich stärker aktiviert wurde, und somit zweifelsfrei auch mit dem Nachempfinden von echten Schmerzen in Zusammenhang steht. Durch spezifische Analysen der effektiven Konnektivität, also der Interaktion zwischen Gehirnarealen, konnte man zeigen, dass die vordere Insel systematisch mit einem Bereich des Gehirns interagiert, der mit Selbst-Anderer-Unterscheidung in Verbindung gebracht wird, also auch mit der Unterscheidung zwischen eigenen und fremden Gefühlen. Um empathisch angemessen reagieren zu können, genügt es also nicht, nur auf die angezeigten Gefühle anderer einzugehen, sondern es braucht auch die Fähigkeit, zwischen adäquaten und in-adäquaten Gefühlsreaktionen unterscheiden zu können.


Literatur

Hillmer, K., Kappesser, J. & Hermann, C. (2021). Pain modulation by your partner: An experimental investigation from a social-affective perspective. Public Library of Science, 16, doi:10.1371/journal.pone.0254069.

Klawonn, Anna Mathia, Fritz, Michael, Nilsson, Anna, Bonaventura, Jordi, Shionoya, Kiseko, Mirrasekhian, Elahe, Karlsson, Urban, Jaarola, Maarit, Granseth, Björn, Blomqvist, Anders, Michaelides, Michael & Engblom, David (2018). Motivational valence is determined by striatal melanocortin 4 receptors. The Journal of Clinical Investigation, 128, 3160-3170.

Krause, Adam J., Prather, Aric A., Wager, Tor D., Lindquist, Martin A. & Walker, Matthew P. (2019). The pain of sleep loss: A brain characterization in humans. The Journal of Neuroscience, doi:10.1523/JNEUROSCI.2408-18.2018.

Richter, M., Eck J., Straube, T., Miltner, W.H.R. & Weiss, T. (2010). Do words hurt? Brain activation during explicit and implicit processing of pain words. Pain, 148(2), 198-205.

Science 2003, 302, S. 290.

Sultansei, L., Clasen, K. & Hüppe, M. (2018). Präoperative Angst und postoperative Schmerzen sind Risikofaktoren für persistierende Schmerzen. Verhaltenstherapie & Verhaltensmedizin, 39, 269-282.

Zhao, Y., Zhang, L., Rütgen, M., Sladky, R., Lamm, C. (2021). Neural dynamics between anterior insular cortex and right supramarginal gyrus dissociate genuine affect sharing from perceptual saliency of pretended pain. eLife, doi:10.7554/eLife.69994.

https://medienportal.univie.ac.at/presse/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/artikel/wie-das-gehirn-echte-und-vorgetaeuschte-schmerzen-anderer-unterscheidet-1/ (21-09-21)

https://notiert.stangl-taller.at/praxiswissen/auch-fotos-des-partners-koennen-das-schmerzempfinden-beeinflussen/ (21-09-21)

Weitere Literatur



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